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Katherine Mansfield – In einer deutschen Pension

Käthe Beauchamp-Bowden, Schriftstellerin. Unter diesem Namen trug sich im Mai 1909 ein Gast ins Gästebuch einer Unterkunft in Bad Wörishofen ein, der später unter ihrem eigentlichen Namen Katherine Mansfield zu großer Bekanntheit gelangen sollte. Von jenem Ruhm war Mansfield zu jener Zeit allerdings weit entfernt. Nach einer überstürzten Heirat sollte sie schwanger eigentlich in einem bayerischen Kloster untergebracht werden. Doch die Neuseeländerin reiste weiter und bezog im Kurort Bad Wörishofen ein Zimmer, wo sie sich den Anwendungen von Pfarrer Kneipp unterzog und sich als genaue Beobachterin ihrer Umwelt erwies, wie die Kurzgeschichten zeigen, die nun unter dem Titel In einer deutschen Pension noch einmal in der Büchergilde Gutenberg aufgelegt wurden.


Dabei durchweht die Kurzgeschichten von Katherine Mansfield gerade in den ersten Geschichten ein starker Anklang an den Zauberberg von Thomas Mann. Sieche Kurgäste versammeln sich da zum Verspeisen von Kartoffeln und Sauerkraut, parlieren über deutsche und englische Gepflogenheiten, pflegen Vorurteile und prahlen oder bemitleiden sich wahlweise für die Anzahl ihrer Kinder. Ein Baron perfektioniert das asketische Knabbern an Salatblättern und die Schwester einer Adeligen tritt auf. Die Erzählerin ist dabei mitten im Geschehen und blickt mit Ironie und Distanz einer Engländerin auf das Treiben dort im Kurort, wo man auch schon einmal einen Professor beobachten kann, der auf der Posaune vor seinem Publikum brillieren möchte, was wirklich komisch dargeboten wird. Überhaupt der Humor, er verbindet Mansfield auch deutlich mit Thomas Mann, dessen Zauberberg in vielen Passagen ebenso witzig ist wie das Treiben in der deutschen Pension.

In diesem Augenblick kam der Briefträger, der wie ein deutscher Offizier aussah, und brachte die Post. Meine Briefe warf er in meinen Milchpudding, und dann wandte er sich an die Kellnerin und flüsterte. Sie verzog sich eilfertig. Der Geschäftsführer der Pension erschien mit einem kleinen Tablett, auf dem eine Ansichtskarte lag. Er trug sie zum Baron und verbeugte sich dabei ehrerbietig.

Was mich betrifft, war ich enttäuscht, dass nicht aus fünfundzwanzig Kanon Salut geschossen wurde.

Katherine Mansfield – In einer deutschen Pension, S. 20 f.

Studien ganz unterschiedlicher Menschen

Katherine Mansfield - In einer deutschen Pension (Cover)

Unter die komischen Beschreibungen des Treibens dort im Kurort sind aber auch einzelne Studien von ganz unterschiedlichen Menschen gemischt. Da ist Frau Brechenmacher, die an einer Hochzeit teilnimmt, welche wirklich nicht als fröhliches Fest bezeichnet werden kann (was die Illustrationen von Joe Villion gekonnt verdeutlicht). Da ist Andreas Binzer, der der Geburt seines Kindes entgegensieht (hoffentlich ein Junge, wie er sich erhofft) und dabei zwischen seiner Verachtung für Frauen und der eigenen Unruhe sowie jeder Menge Selbstmitleid munter changiert.

Vom Humor bleibt dann nichts mehr zurück, wenn man die Geschichte Das KIND-DAS-MÜDE-WAR liest, in dem von Überforderung, dem Nicht-Genügen der Mutterrolle und einer potentiellen Kindstötung liest. Hier zeigen sich auch nur wenig kaschiert die Themen, die Katherine Mansfield während jenes Aufenthaltes als Käthe Beauchamp-Bowden in Bad Wörishofen 1909 umgetrieben haben müssen.

Das macht aus den im Buch beschriebenen Themen eine Lektüre, die auch über 110 Jahre später noch nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Die Last der Mutterschaft, die ungleich verteilten Rollen in der Gesellschaft, die Überforderung und mangelnde Anerkennung, das alles schwingt in Mansfields Geschichten mit und zeigt die Entwicklungen der Autorin weg von den Humoresken und spöttischen Betrachtungen hin zu einem fast schmerzlichen Realismus.

Kurzgeschichten und eine biographische Skizze

Illustration aus "In einer deutschen Pension" von Katherine Mansfield
Illustration von Joe Villion aus dem Inneren des Buchs

Das Ganze wird von einer biographischen Skizze von Elisabeth Schnack ergänzt, die auch die Übersetzung aus dem Englischen besorgte. Darin erzählt sie vom Leben Katherine Mansfields, ihren Themen und Konflikten und bettet so die zuvor gelesenen Kurzgeschichten in einen größeren Kontext ein.

Dabei merkt man sowohl in der Übersetzung in einigen Formulierungen (beispielsweise jemanden an die Kandare nehmen) als auch in der biographischen Skizze selbst, dass diese Ausgabe der Deutschen Pension nicht mehr ganz taufrisch ist und sich seit dem erstmaligen Erscheinen dieser Ausgabe im Jahr 2013 und der jetzigen Auflage hinsichtlich der Sensibilisierung für weibliches Schreiben und der Nicht-Kanonisierung einiges passiert ist, etwa durch Nicole Seiferts Buch Frauen Literatur oder Prosaische Passionen, dem Kanonisierungsversuch weiblicher Short-Story-Autorinnen aus diesem Jahr, in dem sich auch Katherine Mansfield wiederfindet.

So oder so leistet der Band aber gute Arbeit, um eine der prägenden weiblichen Stimmen aus den Anfangstagen des 20. Jahrhundert erneut literarisch und auch künstlicher zu entdecken. Schön, dass das Buch noch einmal neu aufgelegt wurde und gerade in dieser Zeit, in der das öffentliche Interesse auch verstärkt dem (vergessenen) weiblichen Schreiben gilt, hoffentlich für Aufmerksamkeit sorgt.

Fazit

All die Themen, die die feministisch geprägte Literatur in diesen Tagen verhandelt, sie finden sich auch schon in Katherine Mansfields Kurzgeschichten angelegt. So bieten die Erzählungen einen großen Bogen von ironischen Kurbeschreibungen und einem heiteren Blick auf das schrullige Kurpersonal bis hin zu abgründigen Erzählungen von Mutterschaft und Überforderung in der Gesellschaft. Das alles macht in Verbindung mit den künstlerisch gelungenen Illustrationen Joe Villions aus In einer deutschen Pension eine spannende Lektüreerfahrung, die Mansfields künstlerisches Schaffen noch einmal neu oder wiederentdecken lässt.


  • Katherine Mansfield – In einer deutschen Pension
  • Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Elisabeth Schnack
  • Büchergilde Gutenberg. Artikelnummer 174162
  • 280 Seiten, 21 Illustrationen. Preis: 26,00 €

Titelbild: Via Openverse von Kaïopai°, lizenziert unter CC BY-NC 2.0

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Mein Gang auf den Zauberberg

Er ist ja eines der großen Monumente in der deutschen Literaturgeschichte: Thomas Manns epochemachender Monumentalroman Der Zauberberg. Ursprünglich als heitere Gegenstudie zu Der Tod in Venedig geplant, wuchs sich das Werk schnell zu einem formsprengenden Unternehmen aus. Inspiriert von einem Kuraufenthalt seiner Frau Katja in Davos und einem Besuch vor Ort wuchs das Werk immer weiter, ruhte, wurde überarbeitet, bis der tausendseitige Roman 1924 schließlich erschien. Und seitdem viele Schüler*innen, Germanistikstudent*innen und Leser*innen herausfordert und ab und an vielleicht sogar auch quält.

Respekteinflößend sicher schon allein der Umfang des eng gesetzten Werks, das sich durch seine Vielzahl an Ideen, Stellvertreterfiguren, Dialoge und philosophische Exkurse auszeichnet. Auch ich schreckte zugegeben etwas vor der Lektüre zurück, schließlich gab es immer schlankere Bücher, die eher gelesen und besprochen werden wollten. Aber im letzten Sommerurlaub packte ich mir schließlich auch Manns Monument in einer schmucken Retroausgabe des Fischerverlags in den Reisekoffer. Schließlich war die Premiere des Klassikers am hiesigen Augsburger Staatstheaters für den Herbst angesetzt. Dass sich das alles bis auf Weiteres verzögert, ist natürlich bedauerlich – aber in der Logik des Romans mehr als nur konsequent. Schließlich ist eines der großen Themen des Romans die Zeit. Ihre Eigenschaften, ihre Dehnung und Streckung, das Werden und Vergehen, all diesen temporalen Aspekten spürt Mann im Zauberberg nach.

Dass das Buch damit wie kein zweites in diese unsere Zeit passt, hat man nicht nur am Augsburger Staatstheater so gesehen. Auch am Deutschen Theater Berlin brachte Regisseur Sebastian Hartmann das Werk auf die Bühne, pandemiebedingt nur per Stream übertragen. Schon im Jahr zuvor hatte man in Zürich am Schauspielhaus den Roman auf die Bühne gebracht.

Ein digitaler Leseclub

Nun da die Premiere des Stücks weiter auf sich warten lässt, entschied man sich in Augsburg, die Zwischenzeit zu nutzen. Unter der Leitung von Tina Lorenz wurde ein digitaler Lesekreis ins Leben gerufen, um den megalomanischen Roman in der Gruppe zu bezwingen. Das ergibt Sinn, erfordert das Bezwingen eines solchen Prosa-Gebirges doch eine Seilschaft, mit der man die Mühen der Lektüre teilen kann. Diese fand sich dann auch zahlreich am ersten Abend im Januar ein. Nach technischen Schwierigkeiten zog man dann zur Besprechungssoftware Zoom um, wo sich über 80 Teilnehmer*innen einfanden. Am Ende war die Gruppe auf immer noch beachtliche 50 Leser*innen geschrumpft, die sich gemeinsam durch die Kapitel arbeiteten und diskutierten.

Postkarte aus Davos

Dabei wäre ich fast den Tücken des Zauberbergs erlegen. Beginnt bei Mann alles ja noch recht beschaulich, steigert sich mit dem Wandel Hans Castorps vom Besucher zum Patienten des Davoser Bergsanatoriums die Komplexität des ganzen Romans. Durch einige andere für die Arbeit und sonstige Aufgaben zu lesenden Bücher verlor ich im Januar den Anschluss. So galt es dann im Stechschritt wieder über 400 Seiten aufzuholen. Bei der Qualität der dicht gesetzten Prosa Manns und der ganzen Ideenfülle wahrlich keine leichte Aufgabe. Aber schlussendlich gelang es mir dann doch, den Anschluss herzustellen. Erleichtert wurde das auch durch die Struktur der Abende.

So erzählten zunächst Schauspieler von ihren Bezügen zu den Figuren, der Regisseur und Schauspielmusiker gaben Einblicke. Auch die wissenschaftliche Seite des Zauberbergs wurde beleuchtet. Ein Germanistikprofessor äußerte Einschätzungenzum Figurenensemble und den Zeitkontexten und eine Medizinerin referierte über die Tuberkulose. Im Anschluss setzte man sich in Kleingruppen mit dem Gelesenen und Gehörten auseinander.

Augsburg, Porto, Davos

Und auch wenn kein digitales Format ein Treffen ersetzten kann, so hat das Digitale doch auch unbestreitbare Vorteile. So entwickelte sich der hier in Augsburg geplante Club zum paneuropäischen Projekt. Mitglieder aus der Schweiz, gar eine Leserin aus Porto nahmen an den digitalen Treffen teil. Der bereichernde Austausch sowie der motivierende Charakter des Gruppenerlebnissen prägten meinen ersten digitalen Literaturclub. Zudem passte die Lektüre als Vorbereitung auf die Theateradaption ebenso gut zur geplanten Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. In dieser wird der Mythos Davos ergründet, wobei die künstlerischen Werke Thomas Manns und Ernst Ludwig Kirchners im Mittelpunkt stehen. Eigentlich hätte die Ausstellung am 18.02. starten sollen. Doch die Corona-Regeln und gerissenen Inzidenzwerte machten einen Zugang zur Ausstellung bislang zunichte. Zumindest digital gibt es einstweilen aber auch hier spannende Einblicke zu entdecken.

So hat dieser Lesekreis und die digitale Ausstellung für mich die Wartezeit auf das Comeback kultureller Veranstaltungen gut überbrückt. Entdeckt habe ich einen Roman, mich durch seinen Humor und den ganz eigenen Erzählton überrascht hat. Gewiss, Der Zauberberg ist keine leichte Lektüre, stellenweise zäher als ein ganzer Stapel Leder. Abschweifend, rabulistisch bis ermüdend in den Kolloquien Settembrinis und Naphta. Schon alleine aufgrund des Handlungszeitraums von sieben Jahren mehr als ambitioniert. Manchmal verrätselt, dann wieder anspielungsreich, überbordend, pulsierend, literarisch vielstimmig. Zudem mit einem herzzerreißenden Ende versehen, einem der besten der Literaturgeschichte.

Fazit

Der Zauberberg ist für mich ein Roman, der unvergessliche Figuren präsentiert (am großartigsten für mich die Passage, in der die ungebildete Frau Stöhr ausruft, man möge beim Begräbnis Ziemßens eine heldenhafte Musik spielen, die „Erotika“ Beethovens böte sich doch an). Ein Buch, das eine längst vergangene Welt noch einmal detailliert auferstehen lässt. Das ein Sanatorium irgendwo zwischen mondänem Hotel und Kuranstalt zeigt, Eines, das das Fin de Siécle gekonnt beschreibt. Und ein Buch, das um die Themen Liebe, Krankheit, Zeit, Tod, Krieg, Aufklärung , Medizin und Humanismus kreist, um nur einige zu nennen. Die literarische Meisterschaft ist jeder Seite eingeschrieben und zurecht gilt Der Zauberberg einer der großen Marksteine deutscher Literaturgeschichte. Und gemeinsam war der Gang auf den Berg dann alles andere als schlimm. Durch die Stückelung des Ganzen über elf Termine, den gemeinschaftlichen Ausstausch und den bereichernden Seitenblicke hat dieses Leseerlebnis wirklich noch einmal gewonnen.

Wer nun nun neugierig geworden ist: im Mai wird es eine zweite Ausgabe des Lesekreises geben. Dann widmet man sich einem weiteren Klassiker, den man gelesen haben sollte (ich aber einmal mehr bislang versäumt habe). Es geht dann um Lew Tolstois Anna Karenina. Mitmachen kann man wieder von überall aus. Die Termine gibt es dann auf der Homepage des Staatstheaters. Ich bin schon gespannt!

[Bildquellen: GNM Nürnberg]

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