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Anthony Doerr – Alles Licht, das wir nicht sehen

Schönheit und Schrecken

Es gibt so Bücher, die finden zu einem, um den Leser dann lange nicht mehr loszulassen. Mit Anthony Doerrs Buch Alles Licht, das wir nicht sehen ging es mir genau so. Zufälligerweise in der Grabbelkiste eines Augsburger Buchhändlers entdeckte ich den Titel und schlug zu, da ich im Hinterkopf noch gespeichert hatte, dass dieses Buch vor Kurzem den Pulitzerpreis erhalten hatte. Einmal hatte ich mit einem Pulitzerpreis-gekrönten Buch bereits einen guten Fang gemacht, damals hieß das Buch Das geraubte Leben des Waisen Jun Do von Adam Johnson.

Nun also  das Buch eines Autors, von dem ich bis Dato noch nichts gelesen hatte. Und von dem ich nach der Lektüre des Buchs postwendend viel mehr lesen wollte. Nun aber erst einmal zum Buch selbst.

Vom Ruhrgebiet und Paris bis nach Saint-Malo

Anthony Doerr - Alles Licht, das wir nicht sehen

Anthony Doerr erzählt parallel die Lebensgeschichte der Teenager Marie-Laure und Werner. Während Werner mit seiner Schwester Jutta als Waise in einem Kinderheim im Ruhrgebiet aufwächst, lebt Marie-Laure bei ihrem Vater, der im Pariser Natur-Historischen Museum als Schlosser arbeitet. Diese zwei Lebenschicksale würden sich normalerweise nicht berühren, wenn es nicht der Zweite Weltkrieg wäre und die Deutschen vor Paris stünden.

Werner wurde aufgrund seines technischen Geschicks zuerst auf eine Napola-Schule geschickt, um dann in einem Funker-Trupp an die Front versetzt zu werden.

Marie-Laure -inzwischen erblindet – flieht mit ihrem Vater in die Arme der Verwandtschaft in Saint-Malo. Dort in der Küstenstadt lebt sie bei ihrem kauzigen Onkel, der als begeisterter Funker schon bald beginnt, Nachrichten der Résistance zu senden. Die beiden Schicksale bewegen sich unaufhaltsam aufeinander zu, während ein deutscher Offizier dem bestgehüteten Geheimnis des Natur-Historischen Museums hinterherspioniert, dessen Spuren ebenfalls nach Saint-Malo weisen.

Glänzend montiert und geschrieben

Was an Alles Licht, das wir nicht sehen neben seinem Inhalt bei mir für Begeisterung sorgte, war die Montage und Sprache des Romans. Wie so viele Bücher beginnt Doerrs Erzählung mit einer kurzen Schilderung des Geschehens zu einem späteren Zeitpunkt, ehe er in der Chronologie zurückspringt und zu schildern beginnt, wie es zu den Ereignissen kam. Doch dabei belässt es der Amerikaner nicht. Immer wieder springt er zu jenen schicksalhaften Tagen in Saint-Malo, als sich Marie-Laure und Werner begegnen sollen. Virtuos beschreibt Doerr sein komplexes Erzählkonstrukt mit Leben und schafft es, den Leser durchgehend zu fesseln. In schnellen Kapiteln, die meist höchstens drei Seiten dauern, erzählt Doerr dialektisch von Werner und Marie-Laure. Er verdichtet einprägsame Szenen und Schlaglichter zu einer Prosa in intensivster Konzentration.

Außergewöhnlich, dass sich ein Amerikaner so ins das europäische Sujet eingearbeitet hat und dann als eigentlich Außenstehender dem doch schon häufig erzählten Topos des Kriegsromans neue Facetten abringen kann. Natürlich kann man Doerr einen Namen wie der des Nazi-Bösewichts „Reinhold von Rumpel“ vorhalten. Natürlich orientiert sich sein Erzählen manchmal auch an Hollywood-Klischees (man denke nur an die Résistance-Bewegung in Saint-Malo). Natürlich lässt sich noch anderes kritisieren. Dies alles verblasst in meinen Augen allerdings vor der Erhabenheit seiner Erzählung und der Schönheit seiner Sprache.

Fazit

Alles Licht, das wir nicht sehen ist einer der wenigen Romane, die es geschafft haben, mich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tränen zu rühren und ein Gefühl zu evozieren, wie es damals wohl gewesen sein muss. Von Werner Löcher-Lawrence gut ins Deutsche übertragen liest sich der Roman trotz alles Schreckens erhaben und weiß zu begeistern. Zu recht preisgekrönt ist diese Erzählung – auch schon für junge Leser und Leserinnen. Eines der besten Bücher des Jahres. Unbedingte Leseempfehlung!


  • Anthony Doerr – Alles Licht, das wir nicht sehen
  • Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
  • ISBN 978-3-406-81534-8 (C. H. Beck)
  • 519 Seiten. Preis: 25,00 €
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Benjamin Lebert – Mitternachtsweg

Sylter Schauergeschichten

Benjamin Lebert wagt in Mitternachtsweg das Spiel mit mehreren Erzählebenen – und gewinnt. Er entführt den Leser auf den titelgebenden Weg, der in seiner Erzählung eine zentrale Rolle einnimmt. Auf Sylt existiert nämlich eine gefährlicher Tradition – bei Ebbe im Mondlicht beschreiten junge Liebende einen Weg aufs Meer hinaus, um sich gegenseitig ihrer Liebe zu versichern.
Johannes Kielland, ein junger Mann, stößt bei Recherchen auch auf eine Geschichte rund um den Mitternachtsweg. Eine mysteriöse Frau soll diesen mit ihrem Geliebten genommen haben, doch kehrte nur sie vom Mitternachtsweg zurück. Bei seinen Recherchen muss der junge Mann allerdings feststellen, dass diese Legende lebendiger ist, als er es sich hätte vorstellen können.

Stück für Stück wird Kielland (und nicht weniger der Leser) immer mehr in die Geschichte hinein gesogen, wie mancher Liebende von der Strömung aufs Meer hinausgezogen wurde. Man weiß angesichts der verschiedenen Erzählebenen schon bald nicht mehr, was eigentlich Wahrheit ist und was der Phantasie entstammt. Geschickt verbrämt Lebert seine eigentliche Liebesgeschichte mit einer Schauergeschichte in bester hanseatischer Tradition.

So entsteht ein ungewöhnliches Buch, das mich persönlich stark an die Romane Carlos Ruiz Zafons erinnerte. Die Mischung aus Schauern und Liebe geht in Mitternachtsweg exzellent auf und macht dieses Buch zu einer echten Empfehlung in diesem Bücherherbst, wenn die Nächte länger werden und die Herbststürme über den Deich fegen!

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F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby

Die Roaring Twenties

„Was wir nicht können ist irgendetwas wiederholen, kein Augenblick, kein Augenblick kann sich je wiederholen. Was wir nicht können, ist irgendetwas wiederholen – wir können nicht zurück – und warum sollten wir auch?“ (Bosse: Schönste Zeit)

Dies würde Jay Gatsby aus Der Große Gatsby naturgemäß etwas anders sehen. Doch warum das so ist und welches Geheimnis den schillernden Protagonisten aus dem wohl bekanntesten Roman F. Scott Fitzgerald umgibt, das erfährt der Leser erst später im Buch.
Das aus dem Jahr 1925 stammende Buch gilt bis heute als das beste und bekannteste Buch Fitzgeralds und entführt den Leser in die Roaring Twenties in Amerika.
Durch einen erzählerisch hervorragend gemachten Kniff betrachtet der Leser Jay Gatsby, sein Leben und sein Haus durch die Augen seines Nachbars Nick Carraway.
Dieser führt den Leser ins Leben auf Long Island ein und bringt den Leser in Kontakt mit dem Figurenensemble rund um den ebenso schillernden wie geheimnisvollen Jay Gatsby.
Man ist bei den rauschenden Festen im Hause Gatsby ebenso dabei wie man langsam hinter das Geheimnis der Strahlemannes kommt. Warum ist der reiche Hausbesitzer vom Gedanken besessen, Vergangenes zu wiederholen?
Das ist erzähltechnisch grandios gelöst, da die Erzählungen Carraways über Jay Gatsby immer den Anschein von Objektivität erwecken, doch im Grunde entlarven die Schilderungen den Nachbarn Gatsby in dem Maße, in dem man Neues über den Hausherren erfährt.
Ansonsten bietet das Buch in meinen Augen allerdings keine herausragende Komponente, die das Werk auch heute noch zur Pflichtlektüre machen würde. In sich stimmig ist der Roman leider auch bieder und bietet keinen richtigen Spannungsbogen, der den Leser durch die Zeilen ziehen würde.
Als selbst schon historisch gewordener Roman über die Roaring Twenties und die Lebenslust, die damals herrschte, ist das Buch wirklich gut zu lesen. Allerdings muss man auch erkennen, dass der Zahn der Zeit auch in nicht unerheblichem Maße an „Der große Gatsby“ genagt hat. Zu einer Neubeschäftigung mit dem Roman dürfte auch sicher die im Mai 2013 startende Neuverfilmung des Romans durch Baz Luhrman (Moulin Rouge, Australia) führen, allerdings würde ich diesen Roman mitnichten als heutige Pflichtlektüre deklarieren. Was die Filmausgabe, die im Diogenesverlag erschien, besonders macht, dürfte das profunde und interessante Nachwort von Paul Ingendaay sein, der noch einmal wichtige Punkte der Lektüre vertieft und über das Leben und Wirken Scott F. Fitzgeralds Auskunft gibt.

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