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Jackie Polzin – Brüten

Manchmal treibt der Buchmarkt schon kuriose Blüten. Da erscheinen innerhalb weniger Wochen zwei Bücher von Debütantinnen auf dem deutschen Buchmarkt, beide aus Nordamerika und beide mit dem gleichen, recht spezifischen Thema. Beide erzählen von der Hühnerzucht und dem Schicksal von weiblichen Figuren, die sich mit der Aufzucht und Hege von Hühnern beschäftigen müssen. Doch wo Deb Olin Unferth von den Abgründen der industriellen Hühnerzucht erzählt, konzentriert sich Jackie Polzin ganz auf das Private.

Sie erzählt von einer Frau in einem Vorort Minnesotas und ihrem Kampf um die vier Hühner im eigenen Garten. Dabei kombiniert sie die tierische mit menschlicher Nachwuchsplanung und betrachtet das Brüten, das Vögeln und Menschen verbindet. Kühn, aber in meinen Augen durchaus gelungen.


Sie heißen Hennepin County, Darkness oder Gam Gam und sind der ganze Stolz der namenlosen Ich-Erzählerin. Zusammen mit ihrem Mann Percy, einem Akademiker auf Jobsuche, lebt sie in einem Vorort von Minnesota und teilt sich ihr Zuhause mit vier Hennen. Die Hege und Pflege der vier Hühner widmet sich die Erzählerin mit viel Hingabe. Beginnend im Winter bei großen Minustemperaturen, denen nur mit einer Wärmelampe beizukommen ist bis hinein in den Sommer, in denen Habichte und Waschbären den Hühnern zusetzen, erleben wir chronologisch ein Menschen- und Hühnerjahr.

Zu den Schilderungen der Pflege der Hühner gesellen sich zunächst nur spärlich hingetupfte Informationen über die Erzählerin und ihren Mann. Die Nachbarn, ihre Mutter, Percys langwierige Berufungsverfahren als Lehrender – all das wird nur in kurzen, wohldosierten Informationen eingestreut. Erst langsam schält sich aus den Impressionen der Grund heraus, warum sich die Erzählerin so auf die Aufzucht der Hühner und ihr Brutverhalten fokussiert. Dabei ist der Titel Brüten angenehm vieldeutig und lässt sich auf das menschliche Verhalten übertragen, wenngleich das Huhn auf dem Cover eine Verengung des Themas signalisiert, die dem Buch selbst völlig fernliegt.

Menschliche Hühner und tierische Menschen

Jackie Polzin - Brüten (Cover)

Was verbindet uns in der Aufzucht von Nachwuchs? Wie bauen wir uns ein Nest und wie gehen wir mit Verlusten um? Indem die Erzählerin ganz genau auf die Hühner blickt, erzählt sie uns auch ganz viel von sich selbst. Zudem vermag es Jackie Polzin genau und eindringlich zu erzählen, sodass der Besuch eines Waschbären am Hühnerstall hier zu einer existenzerschütternden Erfahrung wird, die neben dem Huhn auch die Erzählerin und ihren Mann völlig aus der Bahn wirft.

Angesichts der Tatsache, dass es schon einen großartigen Roman über Hühner in diesem Frühjahr gibt, stellt sich natürlich aber auch die Frage, ob es dann einen zweiten Roman mit einer ähnlichen Thematik braucht. Diese Frage würde ich auf alle Fälle bejahen, eröffnen sich doch auch ganz reizvolle Perspektiven und Betrachtungen, wenn man die beiden Bücher in ihrer Themensetzung und Ausgestaltung miteinander vergleicht.

Hühner als literarisches Trendthema

So wählt Deb Olin Unferth den Ansatz, von der Mikroebene eines einzelnen freilaufenden Huhns auf die ganze Fülle von Legebatterien zu zoomen. Jackie Polzin geht den genau umgekehrten Weg. Während sie ihr Jahr mit vier Hühnern beginnt, werden es im Lauf des Jahres durch äußere Einflüsse immer weniger Hennen, was eine immer stärkere Bindung der Erzählerin an die Tiere hervorruft.

Während bei Deb Olin Unferth die industrielle Hühner- und Eierzucht und deren Kritik im Mittelpunkt steht, ist es bei Jackie Polzin das Privateste überhaupt, auf das sie sich fokussiert und von dem sie mithilfe der Hühner als Projektionsfläche erzählt. Sie benötigt keine Tierrettungsaktionen, große Figurenensembles oder Breitwandaction, um von Tier- und Menschenliebe zu erzählen. Stattdessen dominieren hier kurze Kapitel, eine minimale Personenanzahl und vier Hühner, mit deren Hilfe sie ihre Geschichte erzählt.

Eine Sprache zwischen Poesie und sprachlicher Genauigkeit

Die Sprache, mit der sie das tut, ist dabei doch manchmal erstaunlich hochspezifisch und dann doch wieder sehr poetisch (Übersetzung durch Nikolaus Stingl). So finden sich Adjetive wie intrikat oder Passagen wie die folgende:

Wenn Hühner Angst haben, suchen sie Deckung zwischen dem Haus und der Treppe, in den Spieren. Jedes Frühjahr bildet das Gesträuch eine weiße Wolke von Blüten, ansonsten jedoch ein Gewirr von Zweigen, teils Nest, teils Käfig. Die vorbeifahrenden Züge erschrecken die Hühner nicht, doch wenn auf dem Betriebshof anderthalb Kilometer entfernt gerade ein zweiter Zug anfährt, dann lässt dieser Anfahrvorgang – seine schiere chthonische Wucht – die Hühner wie angewurzelt stehen bleiben. Die Füße reglos, das Gefieder still, jeder fleischige Muskel erstarrt, ausgenommen ihre wild schlagenden Herzen und umherhuschenden Augen. Auf die gleiche Weise dringt der Zug nachts in meinen Schlaf ein, seine Geschwindigkeit vom Traum in eine hohe Wasserwand oder einen bodenlosen Abgrund verwandelt.

Jackie Polzin – Brüten, S. 144

Fazit

Man kann das Engführen von tierischem und menschlichem Verhalten und Bedürfnissen, von Eiausbrütung und Urtrieben natürlich für geschmacklos halten, möchten wir uns doch gerne über vermeintlich einfachere Tiere wie Hühner erheben. Dass wir diesen aber doch näher sind, als wir uns gemeinhin einreden, das zeigt Brüten auf literarisch anspruchsvolle wie gelungene Weise.

Jackie Polzin gelingt hier ein beachtliches Debüt, das auf verknappte Art und Weise von Tierischem und Menschlichen und dessen Überschneidungspunkten erzählt. Ihre genauen Betrachtungen eines Jahres voller Hühner, Träume und Verlust zeigt, dass auch ein vermeintlich einfaches Thema wie die Hühnerzucht viele Aspekte bereithält, die sich literarisch wunderbar aufbereiten lassen und damit auch wieder etwas über uns Menschen selbst erzählen.


  • Jackie Polzin – Brüten
  • Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
  • ISBN 978-3-423-29011-1 (dtv)
  • 208 Seiten. Preis: 20,00 €
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Emily Fridlund – Eine Geschichte der Wölfe

Eine Geschichte der Wölfe ist das Debüt der amerikanischen Autorin Emily Fridlund. Sie erzählt darin aus dem Hinterland von Amerika und seinen Bewohnern, ihren Lebensweisen und woran sie glauben.

Emily Fridlund - Eine Geschichte der Wölfe (Cover)

Irgendwo im Nirgendwo Minnesotas. Dort wo die Generatoren noch einen Stromanschluss ersetzen und jedes Haus einen eigenen Zufahrtsweg besitzt. Dort lebt die junge Linda. Zusammen mit ihrem Vater und ihrer Mutter bewohnt sie ein den Wäldern gelegenen Haus. Ein See grenzt gleich an das Anwesen – unberührte Naturidylle eigentlich, wie sie sich mancher Städter erträumt.

Doch überhöhte oder romantisierende Darstellungen leistet sich Emily Fridlund zu keinem Zeitpunkt. Denn Ödnis und Langeweile dominieren Lindas Leben, Abwechslung bringt nur ein pikanter Skandal in der Schule. Doch dann lernt Linda eine Nachbarin eines ebenfalls am See gelegenen Hauses kennen. Patra ist eine junge Mutter, die sich auch in den Wäldern Minnesotas niedergelassen hat. Ihr Mann weilt zumeist außer Haus und so wächst Linda langsam in die Rolle des Kindermädchens von Paul, so der Name von Patras Kind, hinein. Immer tiefer taucht sie ins Leben von Patra und ihrem Mann ein. Doch damit offenbaren sich auch langsam die dunklen Seiten von deren Familienleben.

Country Noir in Minnesota

Normalerweise mag ich ja das Genre des Country Noir sehr gerne. Autoren wie Daniel Woodrell, David Vann oder auch weiter gefasst etwa William Faulkner haben es geschafft, die dunklen und abgründigen Seiten der amerikanischen Provinz in Worte zu fassen. Und auch Eine Geschichte der Wölfe ist nach meinem Dafürhalten ganz klar diesem Genre zuzuordnen. Emily Fridlund widmet sich den einfachen Menschen, deren Tagesabläufe und Lebensumfelder ganz anders strukturiert sind, als die etwa der Leser dieses Buches. Sie blickt besonders durch die Figuren von Patra und ihrem Mann Leo hinein in Leben, die von Entsagung und auch von religiösem Eifer geprägt werden. Dies hätte alles sehr viel Potential und böte viele Chancen – doch schlussendlich macht Emily Fridlung fast gar nichts aus ihrer Vorlage.

Auch wenn ihr Schreiblehrer T.C. Boyle auf dem Klappentext des Buches schwärmt, dass ihm selten ein derart perfektes Debüt untergekommen sei, dann muss man sich schon fragen, was der gute alte Tom Coraghessan sonst so liest. Denn Eine Geschichte der Wölfe ist so weit von einem perfekten Debüt entfernt wie die Schauplätze des Buches von der Zivilisation. Immer wieder ertappte ich mich beim Vorblättern des Buches, suchte nach beschleunigenden Momenten oder Szenen, die zum Weiterlesen motivieren würden. Doch davon gibt es im Buch leider entschieden zu wenige. Obschon das Setting und die Anlagen dieses Romans nicht schlecht sind – der entscheidende Funke wollte bei mir zu keinem Moment überspringen.

Meine Probleme mit Fridlunds Figuren

Lange habe ich überlegt, woran ich dieses zähe Lesegefühl und meine Schwierigkeiten mit dem Text festmache. Bei meinen Überlegungen bin ich am Ende beim Dreh- und Angelpunkt jeder Geschichte gelandet – den Figuren. Zu keiner der von Fridlund beschriebenen Figuren habe ich einen Zugang gefunden. Weder Linda als heranwachsende Heldin war für mich einfühlbar, noch Patra und Paul, die mir auch merkwürdig fremd blieben, obwohl sie viel Spielzeit erhalten. So rutschte ich immer wieder an der Fassade dieses Buches ab, ohne mich emotional in die Protagonist*innen einfühlen und damit auch in das Buch einfinden zu können.

Vielleicht liegt der Fehler bei mir und ich habe einfach das falsche Buch zur falschen Zeit erwischt. Doch nachdem ich vor kurzem mit Emily Ruskovichs Idaho ein ganz ähnliches Buch in Händen hielt, das zahlreiche Berührungspunkte mit Fridlunds Debüt aufweist, habe ich mich immer wieder beim direkten Vergleich der Bücher ertappt. So hätte ich, wäre es meine Entscheidung gewesen, tatsächlich Idaho den Vorzug vor der Geschichte der Wölfe gegeben, was die Nominierung zum National Book Award betrifft. Die Jury hat das anders gesehen und Emily Fridlund mit einer Nominierung versehen – die natürlich gerechtfertigt sein mag. Auch ansonsten heimst das Buch viel Lob ein und wird sehr gut bis euphorisch besprochen – liegt es damit an mir, dass ich dem Buch nicht gerecht geworden bin?

Vielleicht seht ihr das Ganze unterschiedlich und habt Eine Geschichte der Wölfe auf eine andere Art und Weise gelesen? Ich bin auf euer Urteil gespannt!

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