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Sarah Moss – Sommerwasser

Sommerurlaub – das kann eine traumhafte Angelegenheit sein. Außer man reist nach Schottland, mietet sich eine Hütte und erlebt dann tagelangen Dauerregen. So ergeht es den Urlaubern, die Sarah Moss in ihrem neuen Roman Sommerwasser porträtiert und einmal mehr ihre genaue Beobachtungsgabe unter Beweis stellt.


Schottland ist wohl nicht das erste Reiseziel, das einem in den Sinn kommt, wenn es um Sommerurlaub im herkömmlichen Sinn geht. Durchschnittstemperaturen von 15 bis 17 Grad im Sommer und wechselhaftes Klima haben wohl eher für Wanderer und Outdoorfreunde ihren Reiz denn für Familien, deren Kinder gerne die Sommertage mit Baden und Aktivitäten am Strand verbringen. Und doch hat es einige Urlauber in den Norden Großbritanniens verschlagen, die dort in einer an einem See gelegenen Feriensiedlung ihre freien Tage verbringen und auf Entspannung und Abstand vom Alltag hoffen.

Dabei macht Schottland den Klischees von kaltem und regnerischen Wetter allerdings alle Ehre und beschert den Urlaubern jede Menge Sommerwasser. Kräftige Schauer sorgen in Sarah Moss‘ neuem Roman für viel Niedergeschlagenheit und Frust anstelle von unbeschwerten Sommertagen. So sind die Urlauber gezwungen, auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit der Malaise umzugehen. Und dann passiert im schottischen Dauerregen auch noch eine Katastrophe. Aber alles der Reihe nach.

Mütter, Ärzte, Teenager im schottischen Dauerregen

Die schottische Autorin beginnt ihren Reigen mit dem Versuch einer Mutter, der Enge der Holzhütten zu entfliehen, indem sie morgens zu einer Joggingrunde aufbricht, um sich etwas zu sortieren und die Gedanken fließen zu lassen. Der Dauerregen sorgt für viel Anspannung im familiären Verbund und so macht sich die Frau zu einer frühmorgendlichen Runde auf, bei der ihr Bewusstseinsstrom zu fließen beginnt. Durch ihre Wahrnehmungssplitter und Gedankenfetzen entstehen erste Eindrücke der Feriensiedlung, die für sie längst zum Hort von Frustration und angespannten Nerven geworden ist.

Und los, Füße trappeln, Herz und Lunge, überrascht, arbeiten. Kaltes Wasser auf bettwarmer Haut, und warum genau macht sie das nochmal? Die Ferienanlage liegt im Schlaf, Vorhänge zugezogen, Autos voller Regenperlen. Die Blockhütten, denkt sie wieder, sind eine dumme Idee, Amerika oder vielleicht Skandinavien entliehen, jedenfalls einem Land, in dem es seltener regnet als in Schottland, wann hat man irgendwo in Großbritannien schon Gebäude aus Holz gesehen? Torf, wennschon, hier oben, Stein, wenn man hat, der verrottet nicht. Sie sehen aber nicht skandinavisch aus – nicht dass sie schon mal da gewesen wäre, aber sie hat Fotos gesehen -, sie sehen alt aus, eine unattraktive Mischung aus weich werdenden Holzwänden und billigen Plastikfenstern, die Art Gartenschuppen, die man früher oder später abreißen muss.

Sarah Moss – Sommergäste, S. 12 f.

Vor der Tür der See voller Wasser, von oben der Regen, der nicht nur die Substanz der Häuser angreift. Im Folgenden beginnt Moss einen Reigen von frustrierten Urlaubsgästen und deren Gedanken, immer wieder unterteilt von kleinen Splittern Nature Writing, die die einzelnen Episoden unterteilen (übersetzt von Nicole Seifert).

Unterschiedliche Menschen, präzise beobachtet

Sarah Moss - Sommerwasser (Cover)

So springt die Autorin etwa zu einem pensionierten Arzt, der morgens die Joggingrunde der Mutter beobachtet. Von ihm geht es beispielsweise weiter zu seiner malenden Gattin. Ein junges Pärchen beim Liebesakt, eine ukrainische Familie, die mit ihren lauten Feierorgien die Nerven zusätzlich strapaziert oder ein Teenager, der angeödet von der Monotonie dort am See kurzerhand ein Boot schnappt, um auf dem See der Enge der Hütten zu entkommen. Zwar befindet sich unweit von der Feriensiedlung noch ein Pub, inklusive WLAN-Zugang, damit hat es sich dann aber auch in der schottischen Wildnis.

Immer wieder springt Sarah Moss von Hütte zu Hütte, blickt durch die Augen eines Feriengastes und beweist damit ihr großartiges Talent zur Beobachtungsgabe und Personenzeichnung – vom Kleinkind bis zum Senior, egal ob Mann oder Frau. Innerhalb weniger Seiten entstehen präzise Zeichnungen von Charakteren, in denen Moss auch erneut das Thema der Mutterschaft und aller Einschränkungen der eigenen Bedürfnisse, die damit einhergehen, aufgreift.

Sie zeigt wie schon in ihrem Debüt Schlaflos Mütter an der Belastungsgrenze, bedingt durch Dauerregen, Enge in der Unterkunft, Kinder, die sich nicht bewegen können und Männer, die es zwar gut meinen, aber nicht unbedingt Hilfen für die Frauen sind.

Fazit

So entsteht allmählich das Bild eines Urlaubs, den sich wohl fast alle Beteiligten anders vorgestellt hätten. Dauerregen, kleine Ferienhütten die Unmöglichkeit, sich für längere Zeit mal aus dem Weg zu gehen sorgen für das Gegenteil der Entspannung, die der Sommerurlaub für alle Beteiligten doch eigentlich hätte bereithalten sollen. Hier schlagen nicht nur Wellen an den See, pladdert der Regen auf Hausdächer – auch ganz unterschiedliche Bewusstseinsströme der Figuren ergießen sich hier und ergeben ein ganz besonderes Sommerwasser. Durch die präzisen Porträts entsteht ein Figurenreigen von einem Urlaub, wie man ihn sich eigentlich nicht wünscht, einmal mehr grandios eingefangen von Sarah Moss.


  • Sarah Moss – Sommergäste
  • Aus dem Englischen von Nicole Seifert
  • ISBN 978-3-293-00609-6 (Unionsverlag)
  • 192 Seiten. Preis: 24,00 €
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Beth Ann Fennelly / Tom Franklin – Das Meer von Missisippi

Überschwemmungen in einigen Teil Deutschlands wie aktuell in Teilen Frankens und Nordrhein-Westfalens lassen aufhorchen. Immer wieder sind es Starkregen oder Wetterlagen wie die in Stuttgart, die Teile des Landes unter Wasser setzen. Solche Ereignisse lassen Erinnerungen hochkommen an Naturkatastrophen, die zu Landmarken der deutschen Geschichte wurden, etwa die Sturmflut in Hamburg oder das Elb-Hochwasser im Jahr 2002.

Während wir uns in Deutschland an diese Ereignisse immer wieder erinnern, ist es in Amerika eine deutlich größere Flutkatastrophe, die nahezu dem Vergessen anheimgefallen ist, wie es das Autorenpaar Beth Ann Fennelly und Tom Franklin im Vorwort zu Das Meer von Mississippi schildert. 1927 kam es in großen Teilen der Mississippi-Region nach starken Regenfällen zu einer Überflutung der Region, die zahlreiche Menschenleben forderte.

Doch weder den amtierenden Präsidenten Coolidge noch sonstige ranghohe Repräsentanten schien die Katastrophe zu kümmern. Während bei uns schnell Regierungsvertreter zu den Schauplätzen solcher Katastrophen eilen und sich als Krisenmanager*innen inszenieren, glänzte die Obrigkeit in Mississippi mit Abwesenheit und Desinteresse. Aber nachdem der Landstrich von überwiegend armer und damit nicht wahlentscheidender Bevölkerung besiedelt war, hielt sich das Engagement der Regierung eher in Grenzen (was sich ja nicht nur beim Hurrikan Katrina wiederholen sollte). Auch das Erinnern an die Katastrophe wurde nicht wirklich aktiv betrieben, der Blick ging schnell nach vorne. Und so haben es sich Fennelly und Franklin zum Ziel gesetzt, die Erinnerung an die damaligen Geschehnisse noch einmal wachzurufen und die Leserinnen und Leser mitzunehmen in ein von Regen getränktes Mississippi-Delta im Jahr 1927.

Ein Paar voller Gegensätze

Dazu setzen sie ein äußerst gegensätzliches Paar Protagonisten in den Mittelpunkt des Buchs. Da ist der Bluesliebhaber und Prohibitionsagent Ted Ingersoll, der mit seinem Partner Johnson einen Spezialauftrag von Herbert Hoover erhält. Im Süden der USA sind zwei andere Agenten verschwunden, die mit dem Aufspüren von Schwarzbrennern beauftragt waren. Nachdem die Männer wie vom Erdboden verschluckt sind, sollen Ingersoll und Johnson nun Licht in die Angelegenheit bringen. Bei ihrer Suche im Dauerregen von Mississippi stoßen die beiden bei ihrer Suche auf ein herrenloses Baby, dessen sich Ingersoll annimmt.

Beth An Fennelly / Tom Franklin - Das Meer von Mississippi (Cover)

Um sich auf ihre Suche konzentrieren zu können, gibt Ingersoll das Baby in die Obhut von Dixie Clay Holliver, der zweiten Hauptfigur des Romans. Dabei ahnt Ingersoll allerdings nicht, dass es just Dixies Mann war, in dessen Gegenwart man die zwei verschwundenen Agenten zuletzt gesehen hat. Denn Dixies Mann ist ein Alkoholschmuggler, der die strengen Prohibitionsgesetze geschickt zu umgehen weiß. Die eigentliche Kraft hinter seinen Umtrieben ist allerdings Dixie selbst, eine hochtalentierte Schwarzbrennerin, die auf ihrer Farm in der Nähe des kleinen Dörfchens Hobnob den besten Moonshine im Süden brennt.

Aus der Spannung zwischen diesen eigentlich diametral entgegengesetzten Figuren zieht Das Meer von Mississippi seinen Reiz. Während der Regen unerbittlich vom Himmel fällt und einen immer größeren Druck auf die Flüsse und Deiche ausübt, kommen sich Ingersoll und Dixie näher. Beth Ann Fennelly und Tom Franklin inszenieren das mit wuchtigen Bildern und viel Gespür für Timing und Tempo. Wie sich die beiden immer weiter annähern, wie zugleich die Pegelstände steigen und sich die Handlung um die beiden gegensätzlichen Figuren herum immer schneller beschleunigt und schließlich in nicht nur einem metaphorischen Dammbruch endet, das ist ausnehmend gut gemacht. Immer wieder gelingen den beiden eindrucksvolle Szenen und farbig geschilderte Momentaufnahmen aus einer Welt, die sich zunehmend im Chaos verliert (übersetzt von Eva Bonné).

Fazit

Das Buch kann überzeugen und ist eine wirkliche Lesefreude, wenngleich der Publikationsort im Verlag Heyne Hardcore etwas in die Irre führt. Schreibt Tom Franklin sonst Thriller ganz anderen Kalibers, handelt es sich hier doch zuvorderst um einen Roman, der Elemente aus Krimi, Schmonzette und historischem Schmugglerepos á la Dennis Lehane miteinander formidabel verzahnt. Hardcore ist hier nichts, dafür aber durchaus eindrücklich. Und somit ist das Anliegen des Autoren- und Ehepaars durchaus gelungen, an diese vergessene Katastrophe zu erinnern und ihr ein literarisches Denkmal zu setzen! Ein Buch, das nicht nur in diesen regnerischen Tagen wärmstens empfohlen sei!


  • Benn Ann Fennelly / Tom Franklin – Das Meer von Mississippi
  • Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
  • ISBN: 978-3-453-27285-9 (Heyne Hardcore)
  • 384 Seiten. Preis: 22,00 Euro
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