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Sarah Moss – Schlaflos

Insomnia – dieser Klassiker der Band Faithless könnte auch für Anna, die Heldin von Sarah Moss‚ Roman Schlaflos, das Lied der Wahl sein. Denn ähnlich wie es Maxi Jazz, der im vergangenen Jahr verstorbene Frontsänger der Band Faithless, in deren bekanntesten Song beklagt, fehlt auch Anna der Schlaf. Ihr Leben gleicht dem einer Insomnie-Patientin, aufgerieben zwischen der Mutterrolle und akademischen Ambitionen. Und dann sind da noch diese Knochenfunde im eigenen Garten…


Eigentlich sollte man meinen, dass der Lebensmittelpunkt von Anna und ihrer Familie qua Lage fast wie von selbst für Entspannung und Konzentration sorgt. Denn zusammen mit ihren Kindern Timothy und Raphael sowie ihrem Mann Giles lebt Anna auf Colsay, einer kleinen Insel auf den Hebriden vor der Küste Schottlands.

Es ist eine raue Insel mit kärglicher Natur, auf der die Familie im Haus von Giles‘ Vorfahren, den Cassinghams, ihren gegenwärtigen Wohnsitz bezogen hat. Ein paar verlassene Hütten, Steilklippen und ein Ferienhaus, das die Familie aktuell renoviert, um darin bald Gäste begrüßen zu können. Mehr gibt es auf der Insel nicht zu sehen, in deren Geschichte wir zusammen mit Anna im Lauf des knapp 500 Seiten starken Romans eintauchen.

Ein Fund im Garten

Auslöser für die vertiefte Beschäftigung mit der Insel und der Familie ihres Ehemanns sind Arbeiten im anzulegenden Garten der Familie. Eigentlich wollte Anna zusammen mit den Kindern Obstbäume pflanzen, doch ein Spatenstich ihres Sohnes Raph fördert etwas ganz andere zutage.

Er stand auf. „Das ist kein Kaninchen, Mami. Es gibt hier keine, weißt du nicht mehr? Hat Papa gesagt. Und keine Mäuse.“

„Könnte auch ein Dachs sein. Oder vielleicht hatte hier mal jemand eine Katze. Papa wird es wissen. Hol ihn einfach, ja?

Er sah sich nach mir um, als er über die Wiese lief. Ich wartete, bis die Hintertür zu war, und wischte dann mit den Fingern die Erde von der Decke. Sie war aus Wolle, gestrickt, mit braunen Flecken. Ich kratzte am Erdreich, oberhalb von Raphaels Spatenstich, und dort, wo ich es erwartet hatte, war die eierschalenfarbene Rundung eines sehr kleinen menschlichen Schädels.

Sarah Moss – Schlaflos, S. 71

Der Fund von Babyknochen im Garten ändert alles. Denn nach der Entdeckung alarmieren Giles und Anna die lokalen Behörden der Highlands und Islands-Polizei, für die allerdings Anna als die unmittelbare Tatverdächtige festzustehen scheint. Ihre stellenweise Überforderung im Umgang mit den Kindern, das einsame Leben dort auf Colsay, all das spricht in den Augen der auftretenden Polizisten gegen Anna, die mit regelmäßigen Besuchen auf der Insel den geregelten Takt dort durcheinanderbringen.

Schlaflos in Colsay

Dabei ist verträgt das Leben von Anna überhaupt keine weitere Unruhe. Denn der Plan hinter dem Umzug auf die Hebrideninsel war eigentlich die Finalisierung von Annas geplanter Publikation über den historischen Widerspruch zwischen der Feier der Kinder und der Kindheit sowie der zeitgleichen Zunahme von Waisenhäusern und Gefängnissen. Die Arbeiten im Archiv sind abgeschlossen und nun sollte eigentlich die Schreibarbeit und der Feinschliff ihrer These im Vordergrund stehen.

Sarah Moss - Schlaflos (Cover)

Doch damit ist es nicht weit her, denn statt Arbeit an der eigenen Karriere, droht Anna an ihrer Rolle als Mutter zu verzweifeln. Ihr Mann ist so gut wie absent im Zuhause, stattdessen konzentriert er sich auf seine wissenschaftliche Arbeit, nämlich die Beobachtung der auf der Insel brütenden Papageientaucher. Während sich Raphael mit Vorliebe in apokalyptischer Themen wie den Untergang von Zivilisationen und dem Ende der Menschheit stürzt und die Nerven seiner Mutter mit technischen Fragen und Utopien strapaziert, ist es der jüngere Moth, der den strapazierten Geduldsfaden dann ein ums andere Mal zum Reißen bringt.

Denn das betreuungsintensive Kind braucht ständig Aufmerksamkeit, kann nachts nicht schlafen und verlangt ständig nach der Rezitation des Grüffelo, was in der enervierenden Absehbarkeit der allumfassenden Bedürfnisse ihres Kindes Anna an den Rand der Verzweiflung bringen – und oftmals sogar weit darüber hinaus, mit entsprechenden Konsequenzen.

Liebe ist nicht genug, wenn es um Kinder geht. So einfach ist das wohl.

Sara Moss – Schlaflos, S. 171

Überforderungen einer Mutter

Schlaflos ist ein Buch, das von der Überforderung als Mutter handelt und beispielsweise wie auch Elena Ferrantes Frau im Dunkeln der negativen Seite der Mutterschaft – beziehungsweise aufs Schlagwort verkürzt dem Thema Regretting Motherhood literarischen Raum gibt.

Das beständige Einfordern von Nähe durch das jüngere Kind, die schon fast autistische Konzentration des Älteren auf die Endlichkeit der eigenen Existenz, noch dazu die mangelnde Unterstützung ihres Mannes, dessen Mithilfe im Haushalt und der Betreuung der eigenen Kinder sie energisch einfordern oder gegen Sex ertauschen muss. Und über allem liegt die Hoffnung auf erholsamen Schlaf, der aber nur eine Wunschvorstellung bleiben wird.

All das schildert Sarah Moss ungeschönt und ehrlich durch die Augen ihrer Ich-Erzählerin Anna, die aber trotz aller Überforderung auch immer noch zu Ironie in der Lage ist, etwa wenn sie bei der Konzeption ihres Buchs trocken feststellt, dass sie in der Danksagung auch ihrem Mann Giles danken muss, auch wenn sie noch nicht weiß, wofür eigentlich.

Diese Kämpfe an verschiedenen Fronten werden durch den Schauplatz der menschenleeren Insel noch einmal verstärkt. Und wenn dann einmal weitere Figuren dort auf Colsay auftauchen, dann sind es in der ersten Hälfte des Romans doch nur Männer, die Anna erzählen, was sie in Bezug auf die Erziehung ihrer Kinder falschmacht.

Historische Parallelen

Sarah Moss ergänzt diese Erzählung um Briefe, die immer wieder die Handlung in der Gegenwart unterbrechen. In diesen Briefen schreibt eine May Moberley über ihre Zeit auf der Insel Colsay in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhundert, die sich mit dem Voranschreiten des Romans langsam zu einem Handlungsbogen verdrehen. Denn die Themen der Kindersterblichkeit und Vernachlässigung sind nicht nur theoretische Themen, mit denen sich Anna in ihrer Zeit in Oxford beschäftigte, ehe die Familiengründung sämtliche akademische Ambitionen in weite Ferne rücken ließ. Auch ganz praktisch vor Ort ist dieses Thema mit ihr und der Familie ihres Mann verknüpft, wovon Sarah Moss durchaus kunstvoll erzählt.

Das ist schlüssig konzipiert und erzählt – und wirft über die erzählte Gegenwart hinaus einen Blick auf überforderte Mütter, die Umstände ihrer Überforderung und das Schicksal, das sich nicht nur in englischen Kinderheimen á la Dickens sondern eben auch in abgelegenen Orten wie den Hebriden oder Färöern dutzendfach abspielte.

Ihr gelingt es in Schlaflos, das Wirken eines Kontinuums zu beschreiben, das Frauen die Emanzipation ihrer vorgesehenen Rolle in Gesellschaft oder wissenschaftlichem Betrieb erschwert und das auch Gleichberechtigung als Utopie ausweist, um die man zwar kämpfen kann, die aber weder im 19. noch im 21. Jahrhundert Realität ist – zumindest für die Frauen in diesem Roman.

Dass das Buch darüber nicht einfach bitter und niederschmetternd wird, sondern durchaus auch so etwas wie Ironie und gekonnten Fatalismus aufblitzen lässt, das zählt zu den Qualitäten dieses von Nicole Seifert ins Deutsche übertragenen Textes und den Qualitäten seiner Autorin, der ein ehrliches Buch über die Seiten der Mutterschaft gelingt, über die man sonst eher wenig liest.


  • Sarah Moss – Schlaflos
  • Aus dem Englischen von Nicole Seifert
  • ISBN 978-3-293-20927-5 (Unionsverlag)
  • 496 Seiten. Preis: 15,00 €
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Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind

Wo ist die Literatur, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt? Das fragte sich Bernd Ulrich im vergangenen Jahr und beklagte im Feuilleton der Zeit, dass uns die Literatur in Zeiten der ökologischen Krise alleine lasse. Dass diese Klage ziemlicher Unfug ist, zeigt ja schon die Fülle an Büchern, die den Klimawandel und dessen Folgen für unser Zusammenleben thematisieren.

Das reicht von „gehobener“ Literatur wie etwa Roman Ehrlichs Malé, Jonathan Franzens Freiheit oder John von Düffels Der brennende See über das Gebiet der Lyrik (hier wäre beispielsweise Marion Poschmann eine Autorin, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt) bis hin zur Genreliteratur. Egal ob Wolf Harlanders 42 Grad, Uwe Laubs Dürre oder Dirk Rossmann mit seinen Oktopus-Thrillern – Literatur, in der der Klimawandel und seine Folgen präsent sind, gibt es en masse – und massentauglich ist sie noch dazu.


Das Feld der Klimawandel-Literatur ist ein weites, das qualitativ und in Sachen Anspruch viele unterschiedliche Schattierungen aufweist. Neben den eingangs genannten Namen gibte s ja auch noch viele weitere Titel, die auf breites Interesse stoßen und vielfach rezipiert werden. Maja Lunde wäre hier ein Name, die mit ihrem Klimaquartett zeigt, dass sich ökonomischer Erfolg und ökologischer Anspruch in der Themenwahl überhaupt nicht ausschließen, sondern breit nachgefragt werden. Der erste Teil ihres Klimaquartetts Die Geschichte der Bienen war schließlich das meistverkaufte Buch des Jahres 2017, das geschickt Unterhaltung mit einer Botschaft verband.

Auch die 1988 geborene Autorin Charlotte McConaghy ist eine Autorin, die die These von der Ignoranz des Klimawandels durch die Literatur erheblich zum Wanken bringt. Ihr Debüt Zugvögel war vor zwei Jahren ein großer Überraschungshit, der nicht nur hierzulande viele Leser*innen begeisterte, sondern auch in vielen anderen Ländern große Erfolge erzielte und in den Bestsellercharts weit nach oben kletterte.

Wölfe in Schottland

Nun ist sie zurück und legt mit Wo die Wölfe sind ihren zweiten Roman vor. Spielte ihr Debüt in einer nahen dystopischen Zukunft, in der die Vögel nahezu vollkommen verschwunden war, ist ihr neues Setting deutlich konkreter in der Gegenwart verhaftet, genauer gesagt in den unwegsamen Highlands von Schottland.

Charlotte McConaghy - Wo die Wölfe sind (Cover)

Dort lebten einst die Wölfe, wie der Originaltitel im Präteritum erklärt. Dass aus dieser Vergangenheit wieder ein gegenwärtiger Zustand wird, wie ihn der deutsche Titel andeutet, dafür will Inti Flynn sorgen. Sie ist wie ähnlich wie Charlotte McConaghys Debütheldin Franny Stone eine kantige und sozial nicht immer ganz trittfeste Frau, die sich mit Leib und Leben dem Schutz der bedrohten Tierarten verschrieben hat.

Für ein Umweltschutzprojekt wollen Inti und ihre Mitstreiter Wolfsrudel in den Highlands ansiedeln. Ein Projekt, das auf den Erfahrungen aus einem Projekt im Yellowstone-Nationalpark basiert. Dort wurden Wolfsrudel freigelassen, die für eine Renaturierung der ganzen Umgebung sorgten, dezimierten sie doch die Wildherden, was wiederum für gesunde Herdengrößen und weniger Verbiss im Park sorgte, was schließlich Flora und Fauna merklich guttat.

Eine widerständige Heldin

So soll es jetzt auch im schottischen Hinterland laufen, wie sich die Projektverantwortlichen ausgerechnet haben. Gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung, die um ihre Schafherden und die eigene Sicherheit fürchtet, lassen Inti und ihre Mitstreiter die Wölfe unter permanentem Monitoring frei.

Während sich die Wölfe nun in der kargen Umgebung zurechtfinden, ihr neues Leben beginnen und in den Rudeln die sozialen Ordnungen festlegen, brodelt die Stimmung im Dorf, insbesondere, als es zu den ersten toten Tieren und einem gelynchten Wolf kommt. Nicht einfacher wird die Lage durch Intis Affäre mit dem lokalen Polizeichef und die Tatsache, dass sie einen toten Farmer verscharrt hat, der zu Gewalt neigte und dessen Leiche Spuren von Wölfen aufweist. Würde dieser Umstand publik, wäre das Projekt vorzeitig gescheitert, weshalb Inti schroff und abweisend alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um am Projekt festhalten zu können.

Nature Writing und Krimi

In der Folge wechselt Charlotte McConaghys Roman zwischen Nature Writing und Krimiermittlungen, während in Inti ihr Kind heranwächst und die Dorfbevölkerung zunehmend aggresiv gegen die Biolog*innen und Forscher*innen rebelliert. Auch die Fragilität unseres Ökosystems und der Kampf um dessen Bewahrung sind Themen, die sich durch Wo die Wölfe sind ziehen.

Dabei gelingt McConaghy einmal mehr ein fesselndes Buch, das die mit seinen Schilderungen des Soziallebens der Wölfe ebenso überzeugt wie mit Rätselraten über die Hintergründe des Todes des Farmers. Inty ist eine widerborstige und doch sympathische Heldin, die im Zusammenleben mit anderen Menschen zu wenig Diplomatie und viel Vehemenz neigt, wenn es um ihr Anliegen der Wiederansiedelung der Wölfe geht.

Zudem katapultiert sich die Autorin mit dem Beginn ihres Buchs auf einen der ausichtsreichsten Plätze, was den besten ersten Satz des Jahres angeht:

Wir waren acht Jahre alt, da schnitt mein Vater mich auf, von der Kehle bis zum Bauch.

Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind, S. 9

Fazit

Zwischen krimitypischen Ermittlungen, Familiengeheimnissen, Wolfsrudeln und unwegsamer Natur sortiert sich dieses Buch ein, das abermals ein echter Pageturner ist, der die Fragen des Klimawandels und Möglichkeiten, diesem entgegenzuwirken, ebenso mitreißend wie engagiert verhandelt. Mit Wo die Wölfe sind beweist Charlotte McConaghy, das sich Anspruch, Massenkompatibiltät und solides Erzählhandwerk nicht ausschließen müssen und straft alle Debatten um mangelnde Repräsentation des Ökologischen und des Klimawandels in der Literatur Lügen. Da verzeiht man ihr sogar den einen Kitschausrutscher ganz am Ende des Romans.

Weitere Meinungen zu Wo die Wölfe sind gibt es unter anderem bei Constanze Matthes und Eulenmatz.


  • Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind
  • Aus dem Englischen von Tanja Handels
  • ISBN 978-3-10-397100-2 (S. Fischer)
  • 432 Seiten. Preis: 22,00 €
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Doug Johnstone – Eingeäschert

Zu den Trends der letzten Jahre zählen Bücher über das Bestattungswesen. Trauerredner*innen, die ihre Erfahrungen teilen. Bestatter, die von ihrem Job berichten oder die gleich in den Mittelpunkt von Thrillern gestellt werden. Aber auch in leichteren Romanen ist das Gewerbe der Thanatopraxie und alle weiteren damit verbundenen Tätigkeiten mittlerweile keine Tabu.

Ein weiterer Trend ist die Erzählidee von unterschiedlichen, sich gegenseitig beeinflussenden Generationen von Frauen, die – die unzähligen austauschbaren Historiensagas einmal außen vor gelassen – zuletzt recht häufig Anwendung fand, etwa bei Evie Wylds Die Frauen, Alena Schröder oder jüngst bei Lea Dräger.

Man könnte nun im Falle von Doug Johnstone von einem kühl kalkulierten Mashup ausgehen, der einfach zwei Trends in seinem Krimi Eingeäschert amalgamiert hat, um auf Nummer sicher zu gehen und gleich auf zwei Erfolgswellen mitzuschwimmen. Könnte man, wenn der Autor eben nicht Doug Johnstone wäre, der mit dem im vergangenen Jahr ebenfalls im Polar-Verlag erschienenen Krimi Der Bruch einen der besten Kriminalromane des Jahres vorlegte. Nun also drei Generationen einer Bestatterdynastie mit ziemlich unterschiedlichen Charakteren, die doch ihre Familienbande eint.


Ihr Vater benötigte viel länger als erwartet, um zu verbrennen.

Doug Johnstone – Eingeäschert, S. 7

Es dürfte einer der eindrücklichsten Einstiegssätze der jüngsten Zeit sein, den Doug Johnstone an den Beginn seines Romans setzt. Wir lernen die drei Frauen der Familie Skelf hier gerade kennen, als diese auf eigenen Wunsch des Familien- und Firmenoberhaupts Jim Skelf diesen illegalerweise im heimischen Garten verbrennen. Hunderte von Beerdigungen hat er in ganz Edinburgh durchgeführt, nun hat ihn selbst das Zeitliche gesegnet.

Er lässt seine Frau Dorothy, seine Tochter Jenny und seine Enkelin Hannah zurück. Neben den drei Skelf-Frauen sind es zwei Herumtreiber, die den Frauen beistehen und die von Dorothy einst quasi adoptiert wurden, nachdem bei den Halt im Leben verloren hatten. Archie wurde zur rechten Hand von Jim und halb bei der Durchführung von Beerdigungen und dem Tischlern von Särgen. Und Indy, die zweite Streunerin ist nun mit Hannah liiert.

Bestattungen und Ermittlungen

Doug Johnstone - Eingeäschert (Cover)

Sie alle bleiben nun zurück – mitsamt der Firma, die ein skurriles Doppelkonstrukt darstellt. Denn Jim Skelf beschränkte sich nicht nur auf Bestattergewerbe, sondern zog auch noch eine Detektei mit auf, die sich die Räume mit dem Bestattungsinstitut teilt. Schon bald nehmen die drei Frauen den Betrieb beider Firmenzweige auf wieder auf – und stehen vor großen Fragen. Eine befreundete Mitstudentin von Hannah ist spurlos verschwunden. Ebenso verschwunden ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Skelf’schen Bestattungsunternehmens – allerdings schon vor einigen Jahren. Und kurz nachdem die Frauen diese Fälle übernommen haben, melden sich weitere Klienten, die die Hilfe der Frauen in Anspruch nehmen wollen.

Doug Johnstone hat einen Krimi mit ungewöhnlichen Heldinnen geschrieben. Ermittelnde Kriminalbeamte, ausgebuffte Privatdetektive, Forensiker oder Senioren auf kriminalistischen Abwegen, davon ist die Kriminalliteratur übervoll. Aber drei Generationen von Frauen mit Hippiehintergrund, gescheiterten Kolumnistinnenkarrieren oder Studentinnen, die die familiäre Bande und finanzielle Nöte ins Bestattungswesen und dann ins Privatermittlungsbusiness bringt? So etwas liest man doch eher selten.

Ein Krimi voller Realismus

Schön auch, dass Doug Johnstone wie in seinem Krimi Der Bruch auch hier auf Realismus setzt. Hier wird nicht elegant mit dem Dietrich im Schloss gestochert bis die Türe aufspringt und Geheimnisse preisgibt. Hier tritt Jenny Skelf eine Tür, ziemlich ungeschickt und reichlich auffällig ein. Auch sind die Beschattungen und Spurensuchen ohne jeglichen Glamour, der solche Aktionen in anderen Romanen umgibt. Oftmals stehen die Frauen vor Problemen, bei denen sie auch nicht weiterwissen oder scheitern. Verdächtige werden sehr intuitiv und ohne wirkliches Konzept befragt, was natürlich auch schiefgehen kann.

Dass das alles am Ende doch auf einen krimigerechten Showdown hinausläuft und manche mal überraschenderen und mal weniger überraschenden Wendungen auf die Skelf-Frauen warten, das hat das Genre so an sich. Aber innerhalb seines Handlungsraums bietet Doug Johnstone mit Eingeäschert viel realistische Wahrheitssuche, die in einem Fall sogar noch ein altes literarisches Motiv mit Leben füllt (Jane Eyre-Fans dürften auch wissen, welches).

Eine Reflektion übers Sterben und Beerdigung

Nicht zuletzt bietet das Buch auch Impulse, um unseren Umgang mit dem Thema Tod, Sterben und Bestattungen zu reflektieren:

Es war schwer für jeden aus dieser Branche, mit Außenstehenden zu verkehren. Es kam häufig gar nicht gut an, wenn die Leute erfuhren, womit man sich seine Brötchen verdiente. Sie nahmen entweder an, dass man ziemlich morbid sein musste, oder sie hatten ihre eigenen gruseligen Fragen dazu, wie alles funktionierte – Oder sie schreckten komplett vor jeder Unterhaltung zurück, weigerten sich, über Sterblichkeit nachzudenken.

Doug Johnstone – Eingeäschert, S. 203

Doug Johnstone schaut genau hin (was ja schon die Setzung durch den Eingangssatz beweist). Er beschreibt, was nach unserem Verscheiden mit unseren Körpern passiert, was Beerdigungen vorangeht und was in einem Bestattungsinstitut so passiert. Alle, die solche Themen von sich weisen und Memento Mori für einen Charakter aus einem Disneyfilm halten, sie alle werden mit diesem Buch natürlich nicht glücklich werden. Alle anderen erhalten hier einen spannenden und ungewöhnlichen Krimi, dem in Großbritannien schon zwei weitere Bände rund um die Skelf-Frauen nachgefolgt sind.

Fazit

Ich für meinen Teil muss gestehen, dass ich im direkten Vergleich Doug Johnstones deutsches Debüt Der Bruch immer noch um eine Idee stärker fand, da er sich in diesem ganz auf seinen jugendlichen Helden Tyler konzentrierte, anstatt von drei Figuren parallel zu erzählen. Aber auch ohne solche Unterschiede im Millimeterbereich ist hier ein superber Krimi aus Schottland zu entdecken, der durch Realismus und eine ungewöhnliche Prämisse überzeugt.


  • Doug Johnstone – Eingeäschert
  • Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
  • Mit einem Nachwort von Anthony J. Quinn
  • ISBN 978-3-948392-42-0 (Polarverlag)
  • 424 Seiten. Preis: 25,00 €
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Draußen zuhause

Mick Kitson – Sal

Dieses Buch kann man (zumindest meine Wenigkeit) nicht lesen, ohne an ein weiteres, vor kurzem erschienenes Buch zu denken: Wie ein Zwilling wirkt Gabriel Tallents Mein Ein und Alles im Vergleich zu Mick Kitsons Buch Sal.

In beiden Bücher steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt des Romans. Beide erfahren sexuellen Missbrauch und beide reagieren auf ähnliche Art und Weise: Flucht in die Natur, Entgrenzung und Heilung inmitten von Wäldern, Flüssen und Bäumen. Dabei wenden sie sich von der Welt der Erwachsenen ab und entwickeln ganz eigene Kräfte im Kampf ums Überleben.

Fast könnte man schon von einer neuen Welle der Jack-Wolfskin-Literatur sprechen; Romantik 2.0, Draußen zuhause. In einer Zeit von Waldbaden und Wanderboom scheint das nur logisch. Doch was kann Mick Kitsons Sal, gerade wenn man Mein Ein und Alles als Vergleichstitel neben das Debüt des Briten legt?

Hänsel und Gretel in den Wäldern Schottlands

Im Vergleich beider Bücher gewinnt Sal für mich deutlich. Denn da wo Gabriel Tallent durch permanente Überreizung und Voyeurismus negativ auffällt, da ist Mick Kitson deutlich dezenter, ohne weniger eindrücklich zu sein. Die Geschichte der 13-jährigen Sal und ihrer zehnjährigen Schwester Peppa, die ihr Elternhaus hinter sich lassen, um in die schottische Einöde zu fliehen, ist auch krass, zweifelsohne. Doch ergeht sich Kitson nicht in seitenlangen Beschreibungen des Missbrauchs, sondern ihm genügen wenige knappe Szenen dafür. Auch so überträgt sich ein Mitgefühl und eine Bindung auf den Leser. Wie in einer modernen Adaption des Hänsel-und-Gretel-Mythos verfolgt man das Überleben der beiden so jungen Schwestern und drückt den beiden die Daumen, auch oder trotz der Geschichte, die hinter ihnen liegt.

Auch ist Kitsons Buch 100 Seiten kürzer als Tallents Buch und hat doch die perfekte Länge für die Geschichte, die der Brite erzählen will. Die Figuren werden plastisch geschildert, die Geschichte ist nicht rührselig sondern faszinierend und auch die Natur kommt trotz aller menschlichen Dramen, die im Vordergrund stehen, nicht zu kurz. Zwar wirkt die Außengestaltung von Sal wie eine Tatonka-Werbung, aber die Gesamtstimmung des Buchs trifft sie ganz gut. Kitsons Geschichte erreicht eine Tiefe, ohne in Untiefen abzugleiten. Eine britische Hänsel- und Gretel-Adaption, die auf der aktuellen Outdoor-Welle mitschwimmt, aber stets Oberwasser hat.

[Übersetzt wurde das Buch von Maria Hummitzsch und ist bei Kiepenheuer&Witsch erschienen. ISBN 978-3-462-05140-7, Preis: 20,00 €]

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Jo Nesbo – Macbeth

So viel sei zunächst vorausgeschickt – nein, der neue Roman von Jo Nesbo ist kein Harry-Hole-Roman. Und auch ein wirklicher Thriller ist das Buch nicht – vielmehr entstand das Buch im Rahmen des Hogarth-Shakespeare-Projekts, bei dem AutorInnen wie Anne Tyler oder Margaret Atwood sich den klassischen Stücken Shakespeares annehmen. Anschließend schreiben sie auf Basis dieser Werke eigene Romane, die das Geschehen in die heutige Zeit transportieren sollen.

Macbeth von Jo Nesbo

Bislang las ich einen Beitrag aus der Reihe, nämlich Margaret Atwoods Hexensaat. Sie knüpfte sich darin Shakespeares The Tempest also Der Sturm vor, den sie kurzerhand in ein Gefängnis erlegte. Jo Nesbo bleibt in Macbeth Shakespeares Originalschauplatz in Schottland treu. Er siedelt seine Erzählung in einer anonymen Stadt an,die eigentlich auch Sin City sein könnte. Ständig nieselt es, alles liegt im Halsbschatten und das Verbrechen hat die Stadt fest im Griff.

Dem Verbrechen entgegen stellt sich Macbeth. Mit seinem mobilen Einsatzkommando lässt er Dealer hochgehen und sorgt für Gerechtigkeit. Allerdings ist er auch selbst eine sehr fragile Figur. Der frühere Drogenkonsum ist ein Menetekel und zudem steht er unter dem Einfluss seiner Lady. Diese ist eine Kasinobesitzerin und verfügt über ebensoviel Einfluss wie Machtwillen. Sie bestärkt Macbeth darin, für seine Karriere sprichwörtlich über Leichen zu gehen. Und wer eine Ahnung vom Original Shakespeares hat, der weiß, wie das endet.

Nichts ist gewonnen, alles ist dahin, Stehn wir am Ziel mit unzufriednem Sinn.

3. Akt, 2. Szene / Lady Macbeth

Eine gelungene Neuinterpretation?

Konnte mich Nesbos Version des klassischen Shakespeare-Stoffs überzeugen? Leider nein. Trotz der immer wieder im Text verwendeten Zitate Shakespeares (ins Deutsche übertragen von André Mumot) und der schönen Grundidee – so wirklich lösen kann sich Nesbo zu keinem Zeitpunkt von seiner Vorlage. Seine Charaktere tragen alle die Originalnamen, der Plot ist eine 1:1-Kopie von Shakespeares Stück. Und leider – für mich der wichtigste Punkt: Jo Nesbo vermag es auch nicht, dem Stoff etwas Neues abzugewinnen. Alles wird einfach nacherzählt – bei Shakespeare sind es drei Hexen, die Macbeth ihre berühmte Prophezeihung überbringen. Bei Nesbo sind es drei Abgesandte des lokalen Drogendealers. König Duncan wird einfach zu einem Polizeichef, aber sogar der Tod erfolgt bei Nesbo noch per Dolch. Mal erscheint Macbeth der Geist Banquos auf dem Thron, bei Nesbo taucht dieser dann einfach in einem Ampellicht auf und verwirrt den Titelhelden. Um es kurz zu machen: Für mich las sich die Neuinterpretation einfach wie eine etwas fantasielose Kopie des großartigen Originals, die man einfach nur anders angestrichen hat, ohne zu sehen, ob die Fläche darunter auch eine Bearbeitung verdient hätte. Schade drum.

Fazit

Nesbo hat sich nicht freischwimmen können vom Übervorbild Shakespeare – man kann es ihm angesichts der Vorlage nicht wirklich verdenken. Überzeugen kann er so leider aber ebenfalls nicht. Ich warte lieber auf einen neuen Harry-Hole-Krimi vom Meister und lese den Macbeth dann im Original.

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