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Alan Murrin – Coast Road

Ein kleines Städtchen in Irland – und viele Probleme, vor denen vor allem Frauen mit ihren Männern stehen. Alan Murrin zeichnet das Zusammenleben in seinem ersten, von Anna-Nina Kroll ins Deutsche übersetzten Roman Coast Road nach und erschafft damit ein Gesellschaftsporträt des ländlichen Irlands am Beginn der 90er Jahre, bei dem der Staat bis in die Beziehungen hinein mitregiert.


Am 25. November 1995 waren die Einwohner*innen Irlands zur Stimmabgabe bei einem Referendum aufgerufen. Die Frage über die Abschaffung des Ehescheidungsverbotes stand zur Disposition. Sollte das 1937 im katholischen Irland eingeführte Verbot von Scheidungen Bestand haben oder sollten sich von nun an Paare auch wieder scheiden lassen dürfen?

Vor diesem Hintergrund spielt Coast Road, das Debüt des in Berlin lebenden Iren Alan Murrin. Er nimmt mit ins County Donegal, wo ganz unterschiedliche Frauen im kleinen Örtchen Ardglas leben. Beginnend im Herbst des Jahres 1994 erzählt Murrin von der mit dem Politiker James verheirateten Izzy, die sich Eigenständigkeit und einen eigenen Laden an der Coast Road wünscht.

Die Straße, die den kleinen Ort durchschneidet, ist dabei auch ein gutes Symbol auf für so manche der Beziehungen, die in Ardglas geführt werden.

Die zwei Seiten der Coast Road

Alan Murrin - Coast Road (Cover)

Oftmals stehen sich Männer und Frauen hier eher wie auf den zwei Seiten der Straße gegenüber, als gemeinsam auf dem Lebensweg voranzugehen. So auch Dolores und ihr Ehemann, der Elektriker Donal. Eher gezwungenermaßen haben sie sich in ihre Ehe gefügt. Mittlerweile pflegt der gewalttätige Donal seine Affären recht offen und Dolores harrt derweil hochschwanger im eigenen Zuhause aus.

Unerwünschte Konkurrenz bekommt sie von Colette, die im zum Haus gehörenden Cottage einzieht. Sie ist schon längst zum Dorfgespräch geworden, da sie etwas im Irland der frühen 90er Jahre Unerhörtes getan hat. Ihr Mann und sie haben sich getrennt, trotz in der Ehe vorhandener Kinder.

Dass eine – wenn auch qua Gesetz gar nicht möglich, aber de facto – getrennte Frau mit Billigung des Pfarrers in der Kirche die Lesung abhalten darf, es taugt zum Skandal.

Mit ihrer Trennung ist sie in Murrins Buch allerdings nicht alleine, im Gegenteil. Viele der im tief katholischen Milieu aufgewachsenen Frauenfiguren suchen und finden Trost und Beistand außerhalb ihrer eigenen Ehen.

Donal sucht zunehmend die Nähe zu der in Trauer, Einsamkeit und Alkohol versinkenden Colette, Izzy sucht zum Missfallen ihres Mannes geistigen Beistand und Eheberatung beim Pfarrer. So driften die Beziehungen immer weiter auseinander und Alan Murrin begleitet sie dabei und blickt tief ins Innere seiner Figuren.

Unerfüllte Wünsche und losgelöste Partner

Coast Road besticht durch seine gute Figurenzeichnung, den genauen Blick für Details und die Sehnsüchte, die seine Figuren umtreiben. Was macht das mit Menschen, die sich längst schon von ihren Partnerinnen und Partnern gelöst haben, bei anderen Menschen mehr Erfüllung finden oder die entstandene Gräben zwischen sich am liebsten wieder überwinden würden, immer vor dem Hintergrund, dass es eine Scheidung dank des staatlichen Reglements gar nicht geben darf?

Das betrachtet Alan Murrin sehr lesenswert und erschafft ein Buch, das ähnlich wie zuletzt etwa der Roman Mitternachtsschwimmer von Murrins Landsfrau Roisin Maguire die unerfüllten Sehnsüchte und seelische Verarbeitungsprozesse von Menschen im ländlichen Irland zeigt.

Im Vergleich zu Maguires „Wohlfühlbuch“ fällt Coast Road einige Noten dunkler und tragischer aus, zeigt aber ebenso einen warmherzigen Blick des Autors auf seine Figuren, deren Fehler und das, was Menschen trennt.

Er stand auf, nahm seinen Rucksack vom Boden und murmelte: „Danke“. Sie schaute ihm hinterher, doch sie konnte nicht lange hinsehen, es zerriss ihr das Herz. Stattdessen blickte sie aufs Meer hinaus und wollte eigentlich zum Auto gehen, blieb jedoch sitzen. In dieser Position, an dieser Stelle der geschwungenen Küste wurde ihr bewusst, dass sie sich fast genau auf halbem Weg zwischen ihrem eigenen Haus auf der einen Seite der Bucht und dem Cottage auf der anderen befand. Ihr Leben war so lange stehen geblieben, hatte zwischen diesen beiden Orten in der Schwebe gehangen.

Alan Murrin – Coast Road, S. 377

Feine Zeichnungen im Inneren, seelenlose KI-Kunst im Äußeren

Dazu gibt es im Roman das, was man gemeinhin mit Irland verbindet. Das Dorfleben im County Donegal, die Troubles, die aus der Ferne grüßen und dazu die hohe Literarizität des Landes, die hier in Form eines Schreibkurses daherkommt, den Colette abhält und der das lyrische Talent so mancher Figur zum Vorschein bringt.

Schade nur, dass die Kunstfertigkeit, die Alan Murrin in Bezug auf Menschen- und Gesellschaftszeichnung im Inneren seines Buchs beweist, im Äußeren keine Entsprechung gefunden hat.

Lieber hat man bei der deutschen Version des im dtv-Verlags erscheinenden Buchs auf die seelenlose Kunst gesetzt, die durch künstliche Intelligenz kreierte wurde, anstelle das Buch mit einer echten künstlerischen Leistung gestalterisch aufzuwerten. Das bleibt ein Wermutstropfen, zeigt sich hier umso deutlicher, was eine echte künstlerische Leistung im Inneren ist, hinter der die mit schiefen Proportionen gezimmerte KI-Kunst des Covers um Welten zurückbleibt.


  • Alan Murrin – Coast Road
  • Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll
  • ISBN 978-3-423-28457-8 (dtv)
  • 380 Seiten. Preis: 24,00 €
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Emanuel Bergmann – Der Trick

Immer mal wieder geschieht es, dass man in der ganzen Bücherflut über Preziosen stolpert, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hatte, denen man aber eine möglichst große Leserschaft wünscht. Das im März neu erscheinende Debüt von Emanuel Bergmann fällt in diese Kategorie – erschienen ist es gleich als Hardcover bei Diogenes. Für ein Debüt spricht dies schon Bände – umso schöner dass das Buch auch alle Versprechen einlösen kann.

Von Prag bis nach Los Angeles

978-3-257-06955-6

Das Buch erzählt in zwei Strängen vom kleinen Mosche Goldenhirsch in Prag 1934 und vom kleinen Max Cohn, der dieser Tage in Los Angeles lebt.

Dessen Eltern haben sich nicht mehr viel zu sagen und stecken gerade inmitten ihrer Scheidung. Max nimmt dies alles sehr mit, sähe er doch seine Eltern am liebsten wieder zusammen. Die Rettung aus dieser verfahrenen Situation scheint eine alte Schallplatte zu sein, die Max im Gerümpel seines Vaters findet. Diese Schallplatte stammt vom Zauberkünstler Zabbatini, der in rätselhaftem Singsang von einem Liebeszauber berichtet, den er vollführen könne. Aber wie das mit alten Schallplatten so ist – an der entscheidenden Stelle hängt natürlich die Aufnahme. Für Max steht nun fest – er muss diesen Zabbatini finden, koste es was es wolle. Kurzerhand macht er sich auf die eigene Faust auf den Weg, den Zauberer zu finden. Doch wird Zabbatini die Magie noch einmal entfachen können?

Während Max nach dem Zabbatini sucht, erzählt Emanuel Bergmann derweil parallel von Mosche Goldenhirsch, den das Leben bald zu eben jenem Großen Zabbatini machen wird, der Max‘ Eltern verzaubern soll. Während der Nationalsozialismus in Deutschland um sich greift, wächst Goldenhirsch als Sohn eines Talmud-Gelehrten in Prag heran und beschließt, sich einem Zirkus anzuschließen. Langsam bewegen sich die beiden Stränge aufeinander zu und bringen Max und Mosche zusammen, die zwar Jahrzehnte trennen, die sich aber beide ähnlicher sind, als es zunächst den Anschein hat.

Magie, Humor, Drama

Seit Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke habe ich bei keinem Buch mehr so oft lachen müssen. Emanuel Bergmann hat ein tolles Gespür für Pointen, Situationskomik und humorvolle Dialoge. Das Aufeinandertreffen von Max und Mosche wird toll beschrieben und der deutsche Autor geizt nicht mit absurden Szenen. Doch was sich hier vielleicht nach überdrehtem Klamauk anhören könnte, ist es keinesfalls. Bergmann nimmt seine Figuren ernst und schafft es, im letzten Teil des Buchs noch eine todtraurige Ebene einzuziehen, die mich sehr berührte.

Sein Roman erzählt vom Zauber der Kindheit, als noch vieles möglich schien. Die Magie und die Kunst der Täuschung nehmen in seinem Roman einen großen Raum ein. Er erzählt vom zeitlosen Wunsch, seinen Träumen zu folgen und rührt damit genauso zu Tränen, wie er die Leser herzlich lachen lässt. Manchmal genügen nur kleine Andeutungen, dass der Leser weiß, was Sache ist. Sein Mosche alias Zabbatini erinnert passagenweise auch an Charlie Chaplins großen Diktator, gerade wenn Bergmann im letzten Drittel die prägenden Erlebnisse aus Mosches Leben schildert.

Mit Max und Mosche stellt er zwei schlitzohrige Helden in den Mittelpunkt, die den Leser für sich einzunehmen wissen. Der Trick ist ein buntes Buch, das viele Emotionen beim Leser zu wecken weiß. Ein großartiges und toll inszeniertes Debüt, das in den Bestsellerlisten landen sollte!

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