Wohnen ist vielerorts zum Luxusgut geworden. Gerade in Metropolregionen lässt die alte Regel, dass die Miete maximal 1/3 des Einkommens betragen sollte, viele Menschen nur noch müde lächeln. Die Gentrifizierung greift um sich, Wohnraum ist knapp – und so herrscht in Sachen Wohnungssuche gerade für Familien oftmals ein Verdrängungswettbewerb, der diese ins Umland zwingt.
So ist das Schicksal von Coordt und dessen Frau Franziska in Natalie Buchholz‚ zweitem Roman Unser Glück ein geradezu archetypisches, das viele Leserinnen und Leser aus eigener Erfahrung kennen dürften.
Zusammen mit ihrem Kleinkind Frieder wohnt das Paar in für die Familie eigentlich viel zu kleinen Wohnverhältnissen. Gerade ihre Stadt München ist ja ein Sinnbild für exzessive Mietpreise und Verdrängungspolitik geworden. Das haben auch die beiden schon zu spüren bekommen. Mit einem Einkommen und einem Kind ist es quasi unmöglich, zentrumsnah und bezahlbar zu wohnen. Doch nun könnte den Dreien aber ein Sechser im Lotto bevorstehen:
Das Objekt ist bis in den kleinsten Winkel lichtdurchflutet. Hundertzwanzig Quadratmeter, vier große Zimmer, ein Bad, Keller, Ostbalkon. Gut erhaltenes Fischgrät-Eichenparkett, Stuckverzierungen in jedem Raum, Marmorboden im Bad und in der Küche, Kassettentüren mit Originalbeschlägen.
Natalie Buchholz – Unser Glück. S. 15
Das Ganze ist fast zu schön um wahr zu sein. Ein bezahlbarer Preis, eine luxuriöse Wohnung, noch dazu in bester Lage in Schwabing. Allerdings offenbart die Vermieterin Coordt bei der Besichtigung schon einen Haken, den die Sache hat. Denn in einem Raum der Wohnung wohnt ihr Ex-Mann namens Bobo. Dieser hat ein Bleiberecht, lebt allerdings aufgrund einer schweren Krankheit völlig zurückgezogen. Und obwohl Coordt nach einer Begegnung bei der Besichtigung ein schlechtes Gefühl hat, bekommen Franziska und er trotzdem die Wohnung zugesprochen und sie ziehen ein.
Ein unmoralisches Angebot
Alles scheint perfekt- doch Coordt kann dem Frieden nicht ganz trauen. Das Wissen um die Anwesenheit des Untermieters raubt ihm seine innere Ruhe. Und dann macht jener Bobo dem Paar auch noch ein unmoralisches Angebot. Da er die Wohnung in der Zwischenzeit gekauft hat, will er diese nach seinem bald bevorstehenden Tod an Franziska und Coordt übereignen. Seine Bedingung hierfür: Coordt muss ausziehen und darf seine Familie nur außerhalb der Wohnung treffen und sich auch nicht in Sichtweite dieser aufhalten. Zudem soll Franziska Bobo bis zu seinem Tod pflegen. Dafür wird ihnen nach dem Tod diese Wohnung gehören, die sie sich als Familie niemals leisten könnten. Andernfalls würde er auf Eigenbedarf klagen und die junge Familie aus der Wohnung werfen.
In der Folge beobachtet Natalie Buchholz Franziska und Coordt – und was die mögliche Entscheidung mit ihnen macht. Soll Coordt das geteilte Heim und damit seine Familie in der bisherigen gekannten Form aufgeben, um bald selbst Wohnungsbesitzer einer Traumimmobilie zu sein? Oder beginnt die Odysee der Wohnungssuche in München erneut und seine junge Familie steht auf der Straße?
Eine weitreichende Entscheidung
Eine solche Entscheidung, über die man vor 15 Jahren wahrscheinlich noch geschmunzelt hätte, ist mittlerweile tatsächlich zu einer mehr als ernsthaften Angelegenheit geworden. Krankenhausabteilungen müssen schließen, weil sich das Personal in der Umgebung keine Mieten mehr leisten kann (etwa in München die Haunersche Kinderklinik), Feuerwehren und andere Einrichtigungen wie Kindergärten stehen vor dem selben Problem. Medienberichte über die Wohnungsnot sind analog zu den steigenden Preisen in der Baubranche geradezu inflationär, beschäftigen Mieter*innen jeglicher Couleur – und die Politik findet keine Lösungen. Dieses Versagen in Sachen bezahlbarem Wohnraum wird in Unser Glück eindringlich vor Augen gefühlt und aus Betroffenen-Perspektive illustriert.
In geschmeidige Sprache gekleidet erzählt Natalie Buchholz von den Kräften, die nun auf das Paar einwirken. Zunehmendes Misstrauen in der eigenen Beziehung, Druck von Außen, um Einkommen, Stabilität und sozialen Status und weiterhin gewährleisten zu können sind nun Fragen, mit denen sich das junge Paar beschäftigen muss. Nachvollziehbar schildert Buchholz aus der Sicht von Coordt die Gedanken und Überlegungen, die ihn vor allem nach Bobos Forderung befallen und nicht mehr loslassen – und schließlich zu einer weitreichenden Entscheidung führen.
Fazit
Und auch wenn man trefflich darüber streiten kann, wie die Lösung der beiden zu bewerten ist und wie man sich selbst angesichts dieses Dilemmas positionieren würde, bleibt festzuhalten, dass Natalie Buchholz einen eindringlichen Roman über eines der größten Probleme unserer Tage geschrieben hat. Unser Glück verhandelt die Frage, wie weit man für bezahlbares Wohnen gehen würde. Auf der Höhe der Zeit, packend erzählt und frei von einfachen Antworten.
- Natalie Buchholz – Unser Glück
- ISBN 978-3-328-60188-3 (Penguin)
- 224 Seiten. Preis: 20,00 €