Monthly Archives: August 2014

Robert Seethaler – Ein ganzes Leben

Nach seinem großen Erfolg des Romans Der Trafikant hat Robert Seethaler nun den Verlag gewechselt und wird bei Hanser Berlin verlegt. Sein neuer Titel hat – um es gleich vorweg zu nehmen – auch wieder das Potential, ein Bestseller zu werden.

Sein Roman Ein ganzes Leben stellt ebenjene ganze Leben von Andreas Egger in den Mittelpunkt. Vom Aufwachsen bei einem hartherzigen Bauern um die Jahrhundertwende herum über die erste Liebe bis hin zum Tode Eggers spannt Robert Seethaler seinen erzählerischen Bogen. Er erzählt, wie Egger inmitten der Berge aufwächst und zum gefragten Seilbahnbauer avanciert. Dieser Egger, mit dem Makel des Hinkens auf die Welt gekommen, ist nämlich der einzige, der am Berg gerade stehen kann. Die Liebe wird er auch noch finden, ehe er sein Leben an sich vorbeiziehen sieht.

Seethaler beschreibt sein Buch selbst als den Versuch, ein ganzes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen in die Form eines einzigen Romans zu gießen – und dieser Versuch ist definitiv gelungen!

Ein begnadeter Erzähler

Robert Seethaler ist ein begnadeter Erzähler, der mit einer einfachen Sprache unvergleichlich gut die Atmosphäre, Gedanken und Lebenswelt seiner Charaktere einzufangen vermag. Auch hier gelingt es ihm wieder bestens, von den Nöten und Freuden Eggers zu erzählen, von seinen Aufstiegen auf die Berge, und nicht zuletzt von der Liebe. Obwohl das Buch wahrlich nicht dick ist, ist es so viel gehaltvoller als so manch andere dicker Schmöker. Er lässt den Leser an den Tiefschlägen genauso wie an den Glücksmomenten im Leben Eggers teilhaben, was zur Ergriffenheit des Lesers beiträgt.

Er begeht nicht den Fehler, angesichts der omnipräsenten Alpen in Luis-Trenker-Romantik zu verfallen, sondern zeichnet vielmehr ein Bild von Entbehrung und Einfachheit, wie es für das Leben anfangs des 20. Jahrhunderts in den ländlichen Gegenden Österreichs typisch war. Er überhöht nicht, er idealisiert nicht, er beschreibt nur.

Ein ganzes Leben auf kleinstem Raum

Robert Seethaler gelingt es auf 150 Seiten, „Ein ganzes Leben“ mit all seinen Höhen und Tiefen plastisch werden zu lassen. Ähnlich wie im Bestseller Stoner von John Williams gelingt es auch hier, die vermeintlich unspektakuläre Biographie eines Menschen in wunderbare Prosa zu überführen. Einer der stärksten Titel des kommenden Bücherherbstes!

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Benjamin Lebert – Mitternachtsweg

Sylter Schauergeschichten

Benjamin Lebert wagt in Mitternachtsweg das Spiel mit mehreren Erzählebenen – und gewinnt. Er entführt den Leser auf den titelgebenden Weg, der in seiner Erzählung eine zentrale Rolle einnimmt. Auf Sylt existiert nämlich eine gefährlicher Tradition – bei Ebbe im Mondlicht beschreiten junge Liebende einen Weg aufs Meer hinaus, um sich gegenseitig ihrer Liebe zu versichern.
Johannes Kielland, ein junger Mann, stößt bei Recherchen auch auf eine Geschichte rund um den Mitternachtsweg. Eine mysteriöse Frau soll diesen mit ihrem Geliebten genommen haben, doch kehrte nur sie vom Mitternachtsweg zurück. Bei seinen Recherchen muss der junge Mann allerdings feststellen, dass diese Legende lebendiger ist, als er es sich hätte vorstellen können.

Stück für Stück wird Kielland (und nicht weniger der Leser) immer mehr in die Geschichte hinein gesogen, wie mancher Liebende von der Strömung aufs Meer hinausgezogen wurde. Man weiß angesichts der verschiedenen Erzählebenen schon bald nicht mehr, was eigentlich Wahrheit ist und was der Phantasie entstammt. Geschickt verbrämt Lebert seine eigentliche Liebesgeschichte mit einer Schauergeschichte in bester hanseatischer Tradition.

So entsteht ein ungewöhnliches Buch, das mich persönlich stark an die Romane Carlos Ruiz Zafons erinnerte. Die Mischung aus Schauern und Liebe geht in Mitternachtsweg exzellent auf und macht dieses Buch zu einer echten Empfehlung in diesem Bücherherbst, wenn die Nächte länger werden und die Herbststürme über den Deich fegen!

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Stephanie Bart – Deutscher Meister

Der Kampf eines Lebens

Man muss nicht mehr lange die Bücher- und Bibliotheksregale des Landes auf der Suche nach den stärksten Titeln des Jahres durchforsten – mit „Deutscher Meister“ von Stephanie Bart liegt einer der besten Herbsttitel dieses Jahres bereits vor.

In letzter Zeit kam es wirklich selten vor, dass ich ein Buch zuklappte und erst einmal die Welt, die der Roman imaginiert hat, nicht verlassen wollte. Bart gelingt das mit ihrer Lebensbeschreibung des Boxers Johann Rukelie Trollmann fantastisch.
Sie erzählt von Trollmann, einem jungen, unterhaltsamen und umschwärmten Boxer, dessen einziges Problem sein Migrationshintergrund als Sinto ist – dies wäre auch kein solch großes Problem, wäre das Jahr nicht 1933 und der Ort der Handlung Berlin. Während die Nazis Deutschland systematisch umbauen und alles „Undeutsche“ ausmerzen wollen, will Trollmann eigentlich nur Boxen und sportliche Erfolge feiern.
Er muss sich fortan mit sportlichen und privaten Niederschlägen auseinandersetzen und verliert dabei sein großes Ziel nicht aus den Augen – einmal Deutscher Meister im Boxen zu sein.

Man kann über diesen Roman nicht sprechen, ohne seine Sprache zu rühmen. Stephanie Bart erzählt in einem pulsierenden, treibenden Beat, den man so in den letzten Jahren in der deutschen Literatur vermisst hat. Sie rhythmisiert, sie prescht voran, sie schlägt Finten. Wie ein Boxer mit seinen Fäusten, so arbeitet die Autorin mit ihrer Sprache.

Ihr gelingen ein Boxerroman, ein Berlinroman, ein historischer Roman und eine Biografie auf einmal, und das vollkommen überzeugend. Vielstimmig erzählt sie von Weggefährten Trollmanns, umkreist ihre Potagonisten und integriert sie logisch in den Erzählfluss.

Eine Szene wie die des finalen Kampfes um die Deutsche Meisterschaft habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Das ist wirklich, um diese platte Phrase zu bemühen Großes Kino und sprachlich und inszenatorisch eine Wucht. Ein nachdenklich machendes Buch und ein packendes Stück Zeit- und Sportgeschichte!

 

[Titelbild: Hans Baluschek: Vergnügungspark – Die alte Hasenheide]

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Angelika Felenda – Der eiserne Sommer

Münchner Morde

sperMünchen, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Das Pulverfass in Serbien brodelt – und auch in München dreht sich der Mahlstrom der Zeit unerbittlich. Unruhige Zeiten, in die eigentlich ein Mord gar nicht passen will. Dennoch geschieht genau das – ein zwielichtiger Münchner wird ermordet an der Isar aufgefunden. Die Hintergründe der Tat sind äußert nebulös und so darf sich der junge Münchner Kommisär Sebastian Reithmeyer um die Angelegenheit kümmern. Darüber hinaus ist er noch in Ermittlungen gegen einen Hochstapler eingespannt und wird dauernd von seinen Vorgesetzten mit neuen Aufgaben betraut.

Bei seinen Ermittlungen im aufgeheizten München stößt er schon bald mit dem omnipräsenten Militär zusammen. Es hat nämlich den Anschein, als seien hochrangige Militärs in den Tod des Mannes an der Isar verwickelt. Doch bei seinen Ermittlungen sind Reitmeyer die Hände gebunden, darf er doch nicht gegen das Militär als Kommisär ermitteln.
Aus dieser Zwickmühle zieht der Krimi „Der eiserne Sommer“ von Angelika Felenda auch seinen besonderen Reiz. Gekonnt schafft es die Autorin, die unterschiedlichen Milieus und Stimmungen im Vorkriegs-München einzufangen. Man bekommt ein Gefühl für die damaligen Zustände und fühlt sich während der Lektüre glatt um einhundert Jahre zurückversetzt.

Der Fall, den Felenda immer weiter aufblättert, hat es wirklich in sich. Kommisär Reithmeyer muss sich mit allen Schichten der Landeshautptstadt auseinandersetzen und bekommt andauernd Knüppel zwischen die Beine geworfen. Dies erfordert vom Leser doch an der ein oder anderen Stelle etwas Übersicht und die Fähigkeit zum Merken des Plots, dafür wird man aber mit einer tollen Geschichte belohnt. Wenn die Charaktere mit dem Fortschreiten der Serie noch etwas Tiefgang und Profil gewinnen, kann hier eine großartige historische Krimi-Serie entstehen.

Wer an den Krimis von Robert Hültner oder Volker Kutscher seine Freude hatte, der dürfte auch hier fündig werden!

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David Gordon – Mystery Girl

Pulpiger geht’s nicht

Der Roman Mystery Girl von David Gordon gehört sich eigentlich auf Pulp-Papier gedruckt und stilecht für einen Pfennig-Betrag verramscht – und das will ich keineswegs negativ verstanden wissen. Vielmehr würde dies dem Charakter des Romans gerecht, der ein Pulp-Krimi reinsten Wassers ist.

Gordon erzählt in seinem Roman vom glücklosen Tagedieb Sam Kornberg, der sich von seiner Frau schon vollkommen entfremdet hat. Beruflich läuft es auch keinesfalls rund und so bietet ihm der Job beim Privatdetektiv Solar Lonsky den einzigen Ausweg. Dieser ist unglaublich adipös, weswegen Sam ihm Augen und Ohren sein soll und das titelgebende Mystery Girl für ihn beschatten soll. Doch dieser Auftrag verläuft für den Detektiv-Novizen alles andere als glücklich und so vermasselt er die Beschattung gründlich.

Nach Sams Missgeschick wird es nun aber richtig durchgedreht und schon bald stellt sich Sam (und auch dem Leser) die Frage, was er nun glauben kann und was seiner Fantasie entsprungen ist.

Mit Mystery Girl legt David Gordon eine durchgeknallte Mixtur aus Detektivroman, Filmgeschichte, Porno und Groschenheft vor. Es finden sich genau Reminiszenzen an Rex Stout sowie Anklänge an die gesamte Literaturgeschichte. David Gordon schreckt auch vor seitenlange derben Exzessen und Ausflügen ins Pornomilieu nicht zurück. Dies ist manchmal hart an der Grenze des guten Geschmacks, manchmal auch sehr darüber. Eben genauso wie ein Pulp-Roman manchmal ist. Insofern gelingt Gordon diese Hommage an den Groschenheft-Krimi wirklich sehr gut.

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