Monthly Archives: Januar 2019

Jess Kidd – Heilige und andere Tote

All houses wherein men have lived and died

Are haunted houses. Through the open doors

The harmless phantoms on their errands glide,

With feet that make no sound upon the floors.

We meet them at the door-way, on the stair,

Along the passages they come and go,

Impalpable impressions on the air,

A sense of something moving to and fro. (…)

Longfellow, Henry Wadsworth: Haunted Houses

Mit Heilige und andere Tote modernisiert die Engländerin Jess Kidd das Genre des Spukromans. Sie serviert den Leser*innen in ihrem neuen Roman eine Mischung aus Kriminalroman, Schauermärchen und Heiligenlegende. Das Ergebnis diese Mischmaschs ist dabei genauso überbordend wie exzentrisch. [Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann]

Die Ausgangslage bildet das Haus Bridlemere, in welches die Ich-Erzählerin Maud Drennan geschickt wird. Jenes Haus wird von Cathal Flood bewohnt, einem kauzigen, alleinstehenden Senior. Seine Frau ist unter mysteriösen Umständen schon vor Jahren ums Leben gekommen und so bewohnt Flood nun alleine das verwinkelte Haus. In seiner Zeit als alleinstehenden Rentner hat er sich zu einem veritablen Messie entwickelt, weshalb Maud nun für Ordnung im Chaos sorgen soll.

Bislang ist es Cathal gelungen, sämtliche Betreuer, die ihm von der Agentur geschickt wurden, innerhalb weniger Tage aus dem Haus zu ekeln. Doch nicht so mit Maud. Sie verbeißt sich in die Aufgabe und entwickelt einen großen Ehrgeiz, das Haus und auch Cathal wieder auf den rechten Weg zurückzuführen.

Ein verwinkeltes Haus, mysteriöse Todesfälle = ziemlich viel Suspense

Dies ist der Grundplot, den Jess Kidd sicher und mit Gespür für die richtigen Akzente entwickelt. Auf ihre Grundidee sattelt sie nun noch einen Krimiplot mit Suspense-Elementen. Denn schon bald wird bei Maud Misstrauen über das Verscheiden von Cathals Ehefrau geweckt. Immer wieder verwehrt ihr der Hausbesitzer den Zugang zu bestimmten Bereichen des Anwesens, was natürlich nur die Neugier der Ich-Erzählerin anstachelt. Mit ihr zusammen durchstreift man als Leser Bridlemere und geht auf Entdeckungsreise.

Dabei stolpert Maud immer wieder über Hinweise, die sie am offiziellen Tathergang des Todes zweifeln lassen. Auch entdeckt sie ein Foto, das zwei Kinder zeigt. Allerdings ist der weibliche Part des Fotos ausgebrannt worden. Immer stärker beschleicht Maud das Gefühl, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Und in dem Maße, in dem ihr Misstrauen wächst, wird auch ihre Neugier und ihr Spürsin geweckt.

Unterstützung erhält Maud bei ihren Nachforschungen neben einer Freundin noch von ungewöhnlicher Seite: die titelgebenden Heiligen stehen Maud nämlich ebenfalls bei. Immer wieder hat die Protagonistin Visionen und tritt in Interaktion mit diesen Geistern, vor allem mit St. Dymphna, passenderweise der Patronin der psychisch Kranken.

Nichts für Krimi-Puristen

Für Krimi-Puristen mag dieses Buch ein Albtraum sein. Da treten Geister auf und es werden Gläser gerückt. Das Haus spielt Maud immer wieder Hinweise zu, indem gerne einmal solange Vorräte aus den Regalen hüpfen, bis der Hinweis gefunden ist. Steckt im Kern des Buchs die Untersuchung eines möglichen Mordfalls, so würde ich Heilige und andere Tote dennoch nicht als Krimi klassifizieren.

Jess Kidd holt mit diesem Buch den (viktorianischen) Schauerroman ins 21. Jahrhundert. Ihr gelingt diese Neuinterpretation im Ganzen betrachtet doch recht solide. Schlägt das Buch im letzten Drittel die ein oder andere erzählerische Volte zu viel und wirkt zum Schluss hin etwas gehetzt und überfrachtet, so ist Heilige und andere Tote in der übergeordneten Betrachtung doch ein ebenso ungewöhnlicher wie kreativer Roman.

Dieses Buch steckt so voller exzentrischer Gestalten, wie Bridlemere von Plunder und Abfall vollgeramscht ist. Man muss sich hineinwagen, in dieses erzählerische Haus, macht aber dann auch auf alle Fälle die ein oder andere besondere Entdeckung. Definitiv eine ungewöhnliche Lektüre, an der sich bestimmt auch die ein oder anderen Geister scheiden.

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Joost Zwagerman – Duell

Es gibt so Bücher, da liest man die Plotidee und ist schon überzeugt. Joost Zwagermans Novelle Duell ist genau solch ein Fall. Ursprünglich im Weidle-Verlag erschienen, liegt nun die Taschenbuchausgabe dieses nicht einmal 150 Seiten starken Buchs im Piper-Verlag vor. Ergänzt wird das Buch um ein Nachwort des Übersetzers Gregor Seferens.

Joost Zwagerman - Duell (Cover)

Im Original 2010 erschienen, erzählt das Buch die Geschichte Jelmer Verhoofs. Jener gilt als Shootingstar unter den Kunstkuratoren, stets umgibt ihn ein jugendlicher Esprit. Doch nun soll das von ihm verwaltete Holland Museum die Pforten schließen, ein Umbau steht ins Haus. DIE Möglichkeit also für eine spektakuläre Derniere in seinem Haus.

Verhoff beschließt, unter dem Ausstellungstitel Duel junge zeitgenössische niederländische Künstler*innen in einen Dialog mit den angestammten Meisterwerken seines Hauses treten zu lassen. Diese Chance eröffnet sich auch der jungen Emma Duiker, die die Chance zu einem Coup nutzt. Sie kopiert 1:1 das Gemälde Untiteld No. 18 von Mark Rothko. Doch einige Zeit nach dem Ende der Ausstellung wird Verhoof von einem seiner Restauratoren darauf aufmerksam gemacht, dass sich im Depot des Museums nunmehr offenbar die Kopie des Rothko-Bildes befindet. Verhoof stellt die junge Künstlerin zur Rede und erfährt von ihrem unglaublichen Plan, den sie rund um das Rothko-Gemälde ersonnen hat.

Was ist Kunst?

Das ist die zentrale Frage, um die sich Duell dreht. Mit seiner Versuchsanordnung schafft es Joost Zwagerman, die Leser mit dieser Frage zu konfrontieren, ohne dass es zu theorielastig wird. Zwar hat Zwagerman einen Hintergrund als Kunstkritiker und Sachverständiger, das drängt bei dieser Novelle aber dankenswerterweise nie in den Vordergrund. Stattdessen gelingt ihm mit diesem Büchlein ein kurzweiliges Abenteuer, das von Amsterdam bis nach Ljubljana führt, und das auf vielen Ebenen unterhält und anregt.

Man kann dieses Buch natürlich nur als unterhaltsame Komödie mit feinem Humor lesen. Genauso kann man aber in Duell auch eine Parabel auf den modernen Kunstbetrieb finden. Nicht umsonst ist ein Werk, auf das im Lauf des Buchs immer wieder Bezug genommen wird, der Essay The End of Arts as we know it eines fiktiven Kunsthistorikers. Die zentralen Fragen daraus greift Zwagerman mit seiner Geschichte von Zeit zu Zeit auf:

Wenn man ein Gemälde 1:1 kopiert und dann so austauscht, dass sogar den Experten der Tausch erst nach langer Dauer auffällt – welches der beiden Werke ist dann das wirkliche Kunstwerk? Wie bemisst sich der Wert eines modernen Gemäldes? Sind Kunstinstallationen gemalten Werken ebenbürtig? Duell öffnet den Raum für spannende Fragen, die natürlich ein jeder und eine jede anders beantworten wird. Eben das ist ja Kunst – die verschiedenen Blickwinkel auf ein und dasselbe Werk. Auch Zwagerman gelingt das mit seiner schmalen Novelle, weswegen das Buch in meinen Augen auf alle Fälle ein Kunstwerk ist (wenngleich die Entscheidung für die alte Rechtschreibung etwas irritiert).

Umso trauriger, dass der Künstler Joost Zwagermann nicht mehr unter uns weilt. Er nahm sich nach einer schweren Depression im Jahr 2015 selbst das Leben. Er hinterlässt ein vielfältiges Werk, das bei uns wieder oder erst noch zu entdecken ist. Die nächste Gelegenheit bietet der Weidle-Verlag, der nun Zwagermans Gimmick veröffentlich hat, das dem Holländer 1989 seinen Durchbruch bescherte.


  • Joost Zwagerman – Duell
  • Übersetzt von: Gregor Seferens
  • € 10,00 [D], € 10,30 [A]
  • Erschienen am 04.12.2018
  • 160 Seiten, Broschur
  • ISBN: 978-3-492-31355-1
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