Tag Archives: Amerika

Dennis Lehane – Am Ende einer Welt

In der Hitze des Südens

Joe Coughlin ist wieder da. Nach dem Herzschlag-Finale des großartigen und nicht hoch genug zu lobenden Buchs In der Nacht zeigt uns Dennis Lehane, wie es dem Alkoholschmuggler und Mafia-Lenker in Tampa, Florida, ergangen ist.

Mittlerweile hat Joe den Verlust seiner Frau Graciela einigermaßen überwunden und versucht seinem inzwischen 10-jährigen Sohn Thomas ein guter Vater zu sein. Er steht nicht mehr an der Front der Alkoholschmuggler sondern hat sich in der Rolle des Consigliere der ehrenwerten Gesellschaft einen Platz in der Gesellschaft Floridas erobert. Als Ratgeber ist er immer noch hochgeachtet und ein wichtiger Teil des Gesellschaftsleben. Vom Bürgermeister bis zum Mafiagangster suchen alle gerne die Nähe Joes, gerade da der Krieg in Europa tobt. Die Mafia-Unternehmen stehen durch Joes Weitsicht gut da und er verspricht finanzielle Sicherheit. Ein wichtiger Aspekt, der ihn unverzichtbar für die sämtliche Strippenzieher macht.

Da platzt eine Nachricht in Joes Leben, die alles auf den Kopf zu stellen droht. Angeblich wurde eine Auftragskiller auf ihn angesetzt, der Joe ins Jenseits befördern soll. Doch wer hat ein Interesse daran, den Consigliere des Bartolo-Syndikats tot zu sehen? Joe beginnt nachzuforschen, erkennt aber beinahe zu spät, wer in seinem Umfeld ein falsches Spiel spielt. Kann er seinen Feinden noch rechtzeitig zuvorkommen oder ist für Joe diesmal alles verloren?

Eine unerwartete Fortsetzung

Eigentlich dachte ich, dass Dennis Lehane mit Joes Schicksal abgeschlossen hatte. Umso mehr erfreute mich die Ankündigung des Diogenes-Verlags, dass es mit Joe und seinem Sohn Thomas weitergehen würde. Nun, da ich beide Romane gelesen habe, muss ich aber konstatieren, dass In der Nacht die bessere Wahl bei beiden Romanen ist.

http://buch-haltung.blogspot.de/2015/06/dennis-lehane-in-der-nacht.html

Der neue Roman krankt etwas an dem üblichen Problem, dass Fortsetzungen nicht immer die Dichte und Originalität des ersten Teils erreichen.
Für meinen Geschmack reißt Lehane ein paar zu viele Personen an, die für den eigentlichen Verlauf der Geschichte nicht unbedingt relevant sind und führt die Fäden nicht immer weiter oder erzählt diese Stränge aus.


Wo bei In der Nacht der klar strukturierte Erzählfluss einen unwiderstehlichen Sog ausübte, springt Lehane hier eher hektisch von Kapitel zu Kapitel, von manchen kurzen Einschüben geht es wieder zu längeren Betrachtungen. So wirkt die Fortsetzung unruhiger als der erste Teil, da Lehane auch mit einem größeren Personaltableau operiert, sich dafür aber mit weniger Seiten als zuletzt zufrieden gibt.

Dies soll – auch wenn die Kritik an dieser Stelle den Eindruck erwecken mag – nicht bedeuten, dass das Buch schlecht wäre, im Gegenteil. Ein durchschnittliches Buch von Dennis Lehane ist immer noch besser als vielerlei andere Spitzenkrimis. Aber die Klasse des Erstlings erreicht das Buch leider nicht. So oder so sollte aber jeder, der sich für die amerikanische Mafia, die Prohibitionszeit und gute Bücher interessiert, zu diesen beiden Titeln greifen!

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Jason Starr – Phantasien

Vorstadt-Phantasien

Phantasien hegen sie alle, die Bewohner der amerikanischen Savage Lane, einer Vorstadtzeile wie aus dem Bilderbuch. Mark träumt von einer Affäre mit seiner alleinstehenden Nachbarin, seine eigene Frau setzt die Phantasie einer Affäre gleich einmal in die Tat um, und zwar mit einem 18-jährigen Jungen. Ausgehend von diesen Personen entfaltet Starr in seinem Roman ein Panoptikum des Begehrens, Vertuschens und Lügens. Immer mehr Figuren geraten in den Starr’schen Fokus und werden unbarmherzig seziert.
In seinem bereits neunten beim Schweizer Diogenes-Verlag erschienenen Buch macht Starr das, was er schon immer am besten konnte – mit großer Lust Menschen scheitern und sie sich in mörderische Umtriebe verstricken lassen. Bei den Bewohnern der Savage Lane ist das auch nicht anders, schließlich bezieht sich der doppeldeutige Originaltitel des Buchs auch den Charakter der Bewohner des Vororts . Immer undurchdringlicher wird das Gespinst aus Realität und Fantasie – bis die Bewohner der Straße die von ihnen losgetretenen Dynamiken kaum mehr überblicken können und der erste Todesfall zu beklagen ist.
Allzu tiefenscharf leuchtet Jason Starr seine Figuren nicht aus, aber ihm geht es in diesem Roman auch um etwas Anderes: wie können sich Begehren und Hoffnungen im maximal schlechtesten Fall entwickeln? Die Dynamiken, die er im Gewand einer bitterbösen, tiefschwarzen Komödie erzählt, sind frappant. Meist reden die Personen aneinander vorbei, missinterpretieren das Verhalten des Gegenübers oder überschreiten Grenzen.
Immer wieder berichtet er aus unterschiedlichen Blickwinkeln, lässt Szenen überlappen und springt zwischen den hypokritischen Figuren hin und her.
Immer schneller wird sein Strudel, in den die Savage-Lane-Bewohner gezogen werden – bis hin zum Finale, dass trotz allem etwas abrupt erscheint. Denn wer Starr kennt weiß, dass Happy Ends und Harmonie zum Schluss eines Buchs hin nicht seine Sache sind.
Wer in diesem dunklen Herbst Lust auf noch viel dunklere und kurzweilige Lektüre hat – herzlich willkommen in der Savage Lane!

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Daniel Woodrell – In Almas Augen

Erinnerungssplitter

Er ist einer der großen Unbekannten der amerikanischen Literatur, die in Deutschland meiner Meinung nach sträflich vernachlässigt werden – die Rede ist von Daniel Woodrell. Daniel Wer? In Deutschland wird dieser Autor erst langsam bekannter, obwohl er schon einige formidable Erfolge vorweisen kann. Am bekanntesten dürfte wahrscheinlich sein Buch Winters Knochen sein, das unter dem Originaltitel Winter’s Bone mit Jennifer Lawrence verfilmt wurde. Ein wüster und dreckiger Neo-Country noir, der ins Hinterland von Amerika führt.

Nach einigen Veröffentlichungen liegt nun sein neuestes Werk im Taschenbuch vor, das den Titel In Almas Augen trägt. Dieses Buch hat es bis auf Platz 1 der KrimiZEIT-Bestenliste geschafft, ein beachtlicher Erfolg für den Autor, dem der große Durchbruch noch immer nicht beschieden ist.

In Almas Augen erzählt geschickt montiert die Geschichte eines großen Unglücks, das 1929 eine Kleinstadt in Missouri heimsuchte. Bei einer Ballveranstaltung flog das gesamte Gebäude in die Luft, Augenzeugen berichteten von 30 bis 90 Meter hohen Lohen, die in den Nachthimmel aufstiegen. Zahlreiche Tote waren das Ergebnis des Unglücks – die Erinnerung an die Geschehnisse von damals ist noch höchst lebendig. Doch handelte es sich wirklich um ein Unglück – oder was ist damals wirklich passiert?

40 Jahre nach der Explosion meldet sich die Erinnerung und das Gewissen von Alma, einer alten Haushälterin die damals schon im Ort wohnte, zu Wort. In kleinen Splittern setzt sich langsam ein Bild der damaligen Ereignisse zusammen. In den Erzählungen von Alma bildet sich sukzezzisve ein Mikrokosmos des damaligen Leben, bestehend aus Korruption, Wegschauen und Begehren. Immer wieder werden kleine Miniaturen der Ballbesucher in den Text geschnitten und man betrachtet das Alltagsleben durch die Augen Almas und sieht, wer wen betrog und welche Geheimnisse die Bürger hüteten.

Erst auf den letzten Seiten löst Woodrell die Hintergründe zu der Explosion auf und zeigt dem Leser durch Almas Augen, wie es zu dem Ereignis kam. Bis dahin wurde man mit einer klug gestrickten Erzählung bestens unterhalten. Wem In Almas Augen gefallen hat, der sollte dann auch mal einen Blick zum weiteren Schaffen Woodrells wagen – ich empfehle neben dem eingangs schon erwähnten Winters Knochen auch Der Tod von Sweet Mister, einem eindringlichen Porträt eines Jungen, die wider Willen in kriminelle Umtriebe hineingezogen wird.

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Michael Robotham – Um Leben und Tod

Auf der Flucht

Audie Palmer muss verrückt sein. So ist jedenfalls die landläufige Meinung der Offiziellen, als der Fall des geflüchteten Verbrechers publik wird: Einen Tag vor seiner Entlassung bricht dieser aus dem Gefängnis aus und macht sich daran einen Plan zu verfolgen, von dem niemand weiß, was Audie damit bezweckt. Allerdings lässt die Flucht des Mannes bei einigen Offiziellen im Macht- und Polizeiapparat die Alarmglocken schrillen und so beginnen diverse Parteien eine Jagd auf den Flüchtigen.

Schließlich geht auch das Gerücht um, Audie wüsste über den Verbleib von 7 Millionen Dollar Bescheid. Diese waren nämlich der Grund weshalb er damals verurteilt wurde. Zusammen mit seinem Bruder soll er einen Geldtransporter überfallen haben und dabei reiche Beute gemacht haben. Bis heute fehlt vom Geld allerdings jede Spur.

Ist Audie auf der Suche nach dem Geld? Oder geht es ihm um etwas ganz Anderes? Rennt er vor Schwierigkeiten weg oder geradewegs auf sie zu?

Um Leben und Tod ist ein besonderes Buch im Schaffen von Michael Robotham, funktioniert es doch ohne die aus den bisherigen Büchern bekannten Protagonisten Vincent Ruiz und Joe O’Loughlin und spielt diesmal durchgängig in Amerika statt in England.

20 Jahre lang trug Robotham die Idee zu diesem Buch mit sich herum, ehe er nun Life or Death schrieb. Obwohl ich die bisherigen Bücher Robothams über alles schätze (z. B. Dein Wille geschehe oder Erlöse mich) muss ich nach der Lektüre des neuesten Buches sagen, dass ich seine beiden Hauptprotagonisten kaum vermisst habe. Mit Audie Palmer hat er einen ebenso rührenden Charakter ersonnen, der dem Leser schnell ans Herz wächst – eine Mischung etwa aus Gandalf und Yoda, wie es sein Ex-Mithäftling einmal bemerkt.

Um Leben und Tod bietet nicht unbedingt viel Neues, dafür weiß Michael Robotham aber, wie man eine Geschichte erzählt. Zahlreiche Wendungen, Kniffe und Erzählstränge sorgen dafür, dass es während der 470 Seiten niemals langweilig wird. Die Hatz auf Audie verschneidet der Australier mit zahlreichen Rückblenden auf das Leben Audies und den Ereignissen des Überfalls und langsam zeigt das Mosaik ein stringentes und plausibles Bild.

Warum floh Audie einen Tag vor seiner Entlassung? Wo sind die sieben Millionen Dollar abgeblieben? Und warum wird der Ex-Häftling gleich von mehreren Parteien so unbarmherzig durch Texas gejagt? Nach den schnellen 470 Seiten ist man schlauer und wurde von Michael Robotham bestens unterhalten.

Jeder, der dieses Jahr in den Sommerurlaub fährt und spannende Bücher zu schätzen weiß, sollte diesen Titel in seinen Koffer packen – man wird es kaum bereuen!

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Amy Waldman – Der amerikanische Architekt

Ein amerikanischer Zwist

In ihrem Debüt hat die Journalistin Amy Waldman einen mehr als reizvollen Plot gesponnen, der die Fragen der Toleranz, der Religionen und des respektvollen Miteinanders auslotet.

In der Zeit nach den Anschlägen auf die Türme des World Trade Centers soll auf dem zerstörten Gelände eine Gedenkstätte entstehen. Ein offizieller Architektenwettbewerb wird ausgeschrieben und eine Jury aus Politik, Kunst und Hinterbliebenen tagt. In der geheimen Wahl wird das Modell eines Gartens zum Sieger gekürt. Doch beim Öffnen des Umschlags tritt der Schock ein: ein Muslim ist der Urheber dieses Plans. Eine unerhörte Provokation, wenn es nach den Hinterbliebenen und Lobbyisten geht. Schnell bricht eine öffentliche Debatte aus, wie man mit dem geplanten Garten umgehen sollte.

Einige sehen in dem Garten und in der Identität seines Schöpfers den Plan, ein Paradies für alle Märtyrer im Herzen New Yorks zu bauen. Muslimische Einwanderer hingegen wollen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Auch sie sollen in Form des Mahnmals in der Gesellschaft anerkannt werden. Der Architekt Mohammad Khan wird genauso schnell wie seine Gegner zu einem Spielball bei einem dynamischen Kampf um die Deutungshoheit der Gedenkstätte und der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Werte.

Von der Toleranz

Das Mittel, mit dem Waldman ihre Erzählung darbringt ist das eines multiperspektivischen Romans. Vom Anfang an schildert sie ein ganzes Personenensemble, dessen Meinungen und Einflüsse immer wieder wechseln. Von der jungen Witwe Claire über den Architekten Mo bis hin zur „illegalen“ muslimischen Witwe Asma bildet Waldman ein ganzes Spektrum an unterschiedlichen Personen ab. Archetypisch auch einige weitere Personen wie der konservative Radiomoderator und Hetzer Lou Sarge (der nicht von Ungefähr an Rush Limbaugh und Fox-News-Konsorten erinnert) oder diverse Lobbyisten.

Amy Waldman - Der amerikanische Architekt (Cover)

Ihr Roman setzt aus zahlreichen Dialogen zusammen, in denen verschiedene Positionen verhandelt werden und die präzise die Befindlichkeiten der Charaktere ausloten. Immer wieder schwanken die Charaktere in ihrem Verhalten und zeigen die Kämpfe, die Amerika auch Jahre nach der schwärenden Wunde des 11. September noch beschäftigen. Wie brutal ist der Islam? Wer darf auf dem Monument der Gedenkstätte erwähnt werden? Wie sieht der richtige Umgang mit den Geschehnissen aus und welche Konsequenzen muss man aus den Geschehnissen ziehen?

Aufgeteilt ist das Ganze in vier Großkapitel sowie einen zeitlich nachgeordneten Epilog, der einen distanzierten Blick auf die Geschehnisse wirft.

Keine einfachen Antworten

Die Qualität, die dem amerikanische Architekt innewohnt, ist die, dass Waldman keine einfachen Antworten liefert. Durch die Dialoge und die Dialektik des Buches ist der Leser selbst aufgefordert, sich Gedanken zu machen. Wie weit soll und muss Toleranz gehen? Wie würde man selber handeln? Das Buch regt zum Nachdenken an und ist dazu angetan, den Leser über die letzten Seiten des 500 Seiten starken Romans hinaus zu beschäftigen.

The Submission, so der englische Originaltitel ist eine echte Ergänzung zu Houellebecqs Unterwerfung oder Karine Tuils Die Gierigen. Phasenweise brillant geschrieben fordert das Buch den Leser und regt zum Nachdenken an. Mehr als lesenswert, gerade in den aktuellen Zeiten, in der die Angst vor dem Fremden nicht nur in Form von Pegida um sich greift.


Informationen zum Buch

  • Amy Waldman – Der amerikanische Architekt
  • Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
  • ISBN: 978-3-453-41762-5 (Heyne)
  • 512 Seiten. Preis: 9,99 €
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