Gael Faye- Kleines Land
Was passiert, wenn man den Ort seiner Kindheit hinter sich lassen musste und in einem anderen Land erwachsen wird? Davon erzählt Gael Fayes Debüt Kleines Land. Sein Protagonist Gabriel, genannt Gaby, wächst in Burundi mit seiner Schwester auf. Sein Vater ist Franzose, seine Mutter stammt aus Burundi und gehört der Ethnie der Tutsi an. Die unbeschwerte Kindheit endet aber recht bald, als nach einem Militärputsch die Auseinandersetzungen von Hutu und Tutsi zunehmen und schließlich in einem brutalen Bürgerkrieg münden. Nach der Flucht aus diesem sich selbst zerstörenden Land lässt Gaby die Erinnerung allerdings nicht los und er beschließt, noch einmal nach Burundi zurückzukehren.
Ein Buch, das ordentlich beginnt und dann immer faszinierender und besser wird, ehe es in einen packenden Schluss mündet. Faye erzählt bildstark und sehr farbig. Literatur über Afrika und dessen Menschen und Länder fristet in unserem literarischen Bewusstsein doch eher ein Nischendasein, umso schöner, dass uns hier ein junger frankophoner Autor in die wechselvolle Geschichte Burundis eintauchen lässt. (Übersetzung von Brigitte Große und Andrea Alvermann)
Hari Kunzru – White Tears
Hari Kunzru erschafft mit White Tears einen reizvollen Bastard aus Musikgeschichte, magischem Realismus und amerikanischer Gesellschaftsanalyse. Ähnlich wie Grégoire Hervier in Vintage ist es bei Kunzru auch die Musik, die einen Strudel aus Tod und Verderben auslösen wird. Dabei beginnt bei Kunzru eigentlich alles recht unscheinbar, und zwar mit der Freundschaft von Seth und Carter. Jene freunden sich auf dem Campus an und halten ihre Freundschaft auch nach dem Studium aufrecht. Ein von ihnen aufgenommenes und verfremdetes Musikstück wird dann allerdings zum Wendepunkt, an dem sich ihre Freundschaft und schon bald ihre Leben scheiden. Denn dieses Musikstück führt zu einem schweren Angriff auf Carter – und Seth beschließt, dem von ihnen produzierten Musikstück auf den Grund zu gehen. (Übersetzung von
Kunzru schickt seinen Helden auf einen düsteren Trip in den (musikalischen) Süden der USA. Dabei stößt er an die Wurzeln von Rassismus, Blues und kultureller Aneignung vor. Ein Buch, das sich einer Einordnung konsequent entzieht, und das durch seine flirrende Art zu den eindrücklichsten und originellsten Büchern dieses Bücherherbstes gezählt werden darf.
Sarah Perry – Die Schlange von Essex
In ein unbekanntes England entführt die Autorin Sarah Perry in ihrem wirklich wunderbar gestalteten Buch Die Schlange von Essex. Ihre Geschichte spielt im ländlichen Essex gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Während sich zu dieser Zeit Sherlock Holmes bereits durch ein rasch wandelndes und von der Industrialisierung gekennzeichnetes England ermittelt, herrscht bei Perry noch höchste Entschleunigung. Ihre Heldin ist Cora Seaborne zieht sich aus Land nach Essex zurück, nachdem ihr Mann verstorben ist. Dort kollidiert sie mit dem ansässigen Pfarrer, der einen Gegenpol zu Cora bildet. Denn die Leidenschaft der jungen Frau gilt den Naturwissenschaften und dem Kampf um Selbstbestimmung. Punkte, die zu Konfrontationen mit William Ransome, so der Name des Pfarrers, führen. Doch lauert unter allem Streit auch eine starke Anziehungskraft zwischen beiden Parteien. (Übersetzung von Eva Bonné)
Leider konnte der von Sarah Perry entfachte Funke bei mir nicht überspringen. Über allen eigenwilligen Figuren vergisst Perry für meinen Geschmack etwas zu sehr, die Handlung zu strukturieren und voranzutreiben. Stattdessen dominiert das Figurenensensemble, was bei mir für einige Lesedurchhänger sorgte. Mehr Esprit und Agilität hätten dieser Schlange gut getan!