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Robbie Arnott – Limberlost

Literatur aus Tasmanien findet sich gar nicht so häufig in den hiesigen Buchläden. Richard Flanagan dürfte der bekannteste Vertreter der Literaturszene auf der australischen Insel sein. Doch mit Robbie Arnott hat der Berlin-Verlag nun einen weiteren Vertreter aus Down Under in seinem Portfolio. Dieser macht mit seinem deutschsprachigen Debüt Limberlost gleich einmal auf sich aufmerksam.


Limberlost, so heißt jene Plantage, auf der der junge Ned West aufwächst. Seine beiden großen Brüder Bill und Toby sind verdingen sich als Rekruten irgendwo im Zweiten Weltkrieg. Da zu jung, ist Ned der einzige männliche Spross, der zusammen mit seiner Schwester Maggie bei seinem Vater auf der Plantage zurückgeblieben ist.

Während der schweigsame Vater mit dem Ertrag der Apfelplantage kämpft, durchstreift Ned die paradiesische Natur Tasmaniens, die vor seiner Haustür beginnt. Dabei treibt ihn ein bestimmtes Ziel an. Denn seit er im Alter von fünf Jahren von einem Wal hörte, der im nahegelegenen Fluss für Zerstörung und vor allem viel Gerüchte gesorgt hatte, ist er von der Welt des Wassers fasziniert. Mit einem eigenen Boot könnte er den Fluss vor der Haustür bereisen, selbst auf Fahrt gehen und so dem Trott zuhause entfliehen.

Der Traum vom eigenen Boot

Robbie Arnott - Limberlost (Cover)

Doch für einen Jungen mit keinem nennenswerten Einkommen liegt der Traum eines eigenen Boots natürlich in weiter Ferne. Doch Ned ist erfinderisch und beginnt, die Kaninchen zu jagen, die das Gelände um die heimische Farm zu Hunderten bevölkern. Er wird zu einem geschickten Jäger und Fallensteller, der die Kaninchen erlegt, um ihre Felle dann einem Krämer im nahegelegenen Beaconsfield im Norden der Insel zu verkaufen. Aus den Fellen werden Mützen für die Soldaten im Zweiten Weltkrieg – und Ned erhält für die abgenommenen Felle ein Honorar, das er eisern spart, um seinem Traum so näherzukommen.

Limberlost erzählt die Geschichte eines Sommers, der an einigen Stellen von Rückblenden des Lebens des erwachsenen Ned durchbrochen wird. Es ist ein Sommer, in dem Ned an der Schwelle vom Jungen zum Mann steht, was auch durch die Rückblenden so noch einmal betont wird. Dadurch fällt Arnotts Roman in die Gattung des klassischen Coming of Age Novels.

Genauso ist sein Roman aber auch eine Feier der überwältigenden Schönheit der Natur Tasmaniens, die Arnott ebenso vorzüglich wie seine Landsmänner Richard Flanagan oder auch Kyle Perry in Prosa zu bannen weiß (die Nikolaus Hansen ins Deutsche übersetzt hat):

ein Wald voll großer Farne und heller Pilze, mit ebenem Boden und dickstämmigen Bäumen, klaren Bächen und kühlem Schatten, ein Wald von unergründlichen, geheimnisvollen Tiefen. Ein Ort mit dunkeläugigen Wallabys und feistgesichtigen Possums und flackernden Zaunkönigen und adlergroßen Raben und vorstellbaren Mengen von Kaninchen. Ein Ort, so gänzlich anders als Weideland, Flusslandschaft und Obstplantagen, dass Ned, als er anfing, sich seinen Weg durch diese Natur zu bahnen, die belaubte Erde hinter sich ließ und jener Version der Welt, wie er sie kannte, entschwebte.

Robbie Arnott – Limberlost, S. 98

Blut und Sonnenschein

Dass dieses Buch allerdings keineswegs die Verklärung einer Kindheit oder einer unberührten, romantischen Naturidylle ist, das macht Arnott auch klar. Wenn es in einer Passage des Buchs heißt, dass Blut und Sonnenschein Neds Tage erfüllten, dann bringt das auch die Programmatik dieses Romans gut auf den Punkt. Denn neben der jugendlichen Begeisterung für das Boot und das Tom Sawyer-artige Durchstreifen der Landschaft erzählt Limberlost auch von den Brüchen, von der Allgegenwart des Todes, etwa in Form des blutigen Handwerks der Kaninchenjagd oder des aus der Ferne grüßenden Geschehens auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs.

So muss Ned im Lauf seines Lebens nicht nur den Traum des eigenen Schiffes beerdigen, ohne an dieser Stelle weitere Volten der Handlung vorwegnehmen zu wollen. Ebenso wie Limberlost von Idealen und Paradiesen erzählt, findet auch eine Zerstörung dieser Paradiese statt. Immer wieder bricht die erwachsene Welt des Abschieds in die kindliche Welt der Idylle dort in Tasmanien ein.

Das verleiht dem Buch Tiefe und kontrastiert die Welt Neds auf hervorragende Art und Weise, sodass dieses Buch für eine wirklich große Leserschaft eine Empfehlung verdient

Fazit

Robbie Arnotts Einstand namens Limberlost ist ein bittersüßes, melancholisches, lebenspralles, ebenso sinnliches wie luzides Werk, mit dem er sich schon jetzt einen Platz auf der literarischen Landkarte Tasmaniens sichert. Eine wirklich Entdeckung, die Lust macht auf weitere Titel aus seiner Feder!


  • Robbie Arnott – Limberlost
  • Aus dem Englischen von Nikolaus Hansen
  • ISBN 978-3-8270-1490-0 (Berlin-Verlag)
  • 288 Seiten. Preis: 24,00 €
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Wenn die Mitmenschlichkeit Schiffbruch erleidet

Davide Enia – Schiffbruch vor Lampedusa

Im Zuge des Europawahlkampfs 2019 wollte vor zwei Wochen die Satirepartei Die PARTEI einen Wahlwerbespot im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk platzieren. Eine Ausstrahlung dieses Spots wurde aber zunächst verweigert. Der Grund hierfür: die PARTEI hatte ihre Sendezeit der privaten Seenotrettung „Sea Watch“ zur Verfügung gestellt. Dass ZDF argumentierte folglich, dass es sich hier nicht um Wahlwerbung, sondern um einen Aufruf zur Unterstützung der Organisation „Sea Watch“ handele. In geänderter Form war der Film dann aber doch zu sehen. Im Einerlei aus Stockphoto-Wohlfühl-Mainstream-Clips und absurd-dilettantischen Beiträgen ragt dieser Beitrag krass heraus – und ist mehr als notwendig, wie ich finde.

Wahlwerbung der Partei „Die PARTEI“

Einen ähnlichen Effekt verspürt man, wenn man Davide Enias Buch Schiffbruch vor Lampedusa liest (Deutsch von Susanne Van Volxem und Olaf Matthias Roth, erschienen im Wallstein-Verlag).

Denn genauso wie dieser Spot richtet auch Enias Buch unseren Blick auf dieses Thema, das wir so bequem verdrängen. Das Mittelmeer ist zu einem riesigen Friedhof geworden. Jeden Tag sterben im Schnitt sechs Menschen auf dem Mittelmeer beim Versuch, dieses zu überqueren. In rechten Kreisen und sozialen Medien ist gerne von Asyltourismus und Wassertaxis die Rede, als sei die Überquerung des Mittelmeer ein Spaziergang.

Private Seenotrettern wird der Zugang zum Mittelmeer immer weiter erschwert und sogar die die Wochenzeitung Die Zeit sah sich im letzten Jahr genötigt, in ihrem Editorial ein Pro und Contra für private Seenotrettung zu veröffentlichen. „Oder soll man es lassen“, so die zynischen Contra-Überschrift, die auf das Argument abhob, dass solche private Rettungsmissionen den Schleppern ja nur die Arbeit erleichtern würden und noch mehr Menschen nach Europa lockten.

Leben und Sterben vor und auf Lampedusa

Lässt man die Politik und dass dumpfe rechte Gebrüll einmal außen vor und schaut sich an, was da im Mittelmeer so passiert, dann wird man schnell sehr still und betroffen. Davide Enia hat das für uns Leser*innen getan und hat sich nach Lampedusa begeben, jene vorgelagerte italienische Insel, auf der viele der Flüchtlingsboote anlanden. Er hat sich umgesehen auf der Insel, mit den Bewohner*innen gesprochen, war bei dem Eintreffen von Flüchtlingsbooten Zeugen und schildert das alles nüchtern – und deshalb umso ergreifender.

Auf Lampedusa sagte ein Fischer zu mir: »Weißt du, was für Fische wir hier neuerdings wieder haben? Seebarsche.«

Er zündete sich eine Zigarette an und verfiel in ein tiefes Schweigen. »Und weißt du, warum die Seebarsche zurückgekommen sind? Weißt du, wovon sie sich ernähren? Genau.«
Er drückte seine Zigarette aus und ging.
Es gab nichts, aber auch wirklich nichts hinzuzufügen.

Enia, Davide: Schiffbruch vor Lampedusa, S. 2

Man kann Schiffbruch vor Lampedusa nicht lesen, ohne ergriffen und beschämt zu sein. Es zeigt sich, wie stark unsere Mitmenschlichkeit schon Schiffbruch erlitten hat. Die Geschichten, die Rettungstaucher, Kapitäne und Inselbewohner erzählen, sind verstörend. Doch allzu bequem ist es für uns, diese Geschehnisse an den Außenposten Europas zu verdrängen und uns mit wohlfeilen Worthülsen wie etwa „man müsste die Fluchtursachen bekämpfen“ abspeisen zu lassen. Doch Davide Enia tut dies eben nicht – wofür ich ihm wirklich dankbar bin.

Zudem ist das Buch nicht nur ein Buch über den Verlust von Mitmenschlichkeit und den omnipräsenten Tod im Mittelmeer – auch auf persönlicher Ebene sind diese Themen bei Enia präsent. Denn über seinen Aufenthalt auf der Insel versucht er auch eine Annäherung an seinen Vater und seinen krebskranken Onkel, der den Tod ebenfalls vor Augen hat. Hier zeigt sich eine andere Spielart des Humanismus, den wir leider zu sehr aus dem Blick verloren haben.

Ein Appell an unsere Mitmenschlichkeit

Mit den beiden erzählerischen Fäden webt Davide Enia ein Buch, das man so schnell sicher nicht vergisst. Man kann sich natürlich in unserer privilegierten Wohlstandsblase einschließen und die Augen vor der Realität verschließen. Man kann aber auch Davide Enias Buch lesen und sich der so erodierenden Mitmenschlichkeit entsinnen. Denn ich finde, dass Nächstenliebe, Hilfe und Unterstützung von Schwachen keine Frage von Rechts oder Links sind, sondern Grundpflichten eines jeden Menschen sein sollten. Davide Enia erinnert uns in Zeiten von Abschottung und Mauerbau wieder daran – und das ist mehr als notwendig!

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Jens Rehn – Nichts in Sicht

Ein reduzierteres Setting für ein Buch ist kaum denkbar – ein Boot, darin zwei Männer und der große Ozean. Mehr braucht es für Jens Rehns Novelle Nichts in Sicht nicht.

Zutiefst existenzialistisch ist jene 1954 erschienene Erzählung, die leider nie den Ruhm erfahren hat, der ihr eigentlich zustünde. So konstatiert es Ursula März in ihrem Nachwort, das die Geschichte rund um dieses „Solitär“ der deutschen Literatur beleuchtet. Denn Nichts in Sicht erfuhr seit dem Erscheinen 1954 mehrere Neuauflagen (1977, 1993, 2003 und nun 2018). Prominente Fürsprecher wie Gottfried Benn oder Marcel-Reich-Ranicki setzten sich für Rehns Novelle ein. Doch in den Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur hat es das Buch nicht wirklich geschafft. Nichts in Sicht besitzt noch immer den Status eines Geheimtipps.

Doch warum ist das so? Warum war dem Buch kein großer Erfolg beschieden, obwohl das Werk doch eigentlich das Beste im schriftstellerischen Oeuvre Jens Rehns ist (so zumindest ordnet es die Literaturkriterkerin Ursula März in ihrem kompetent formulierten Nachwort ein)?

Drei Gründe möchte ich dafür heranziehen, teilweise auch sehr subjektiv durch meine eigene Leseeindrücke geprägt. Sie erklären aus meiner Sicht, warum dem Buch keine größere Aufmerksamkeit beschieden war. Literaturwissenschaftler dürfen gerne Einspruch erheben und mich verbessern, als Laie stellt sich für mich die Situation wie folgt dar:

Zu unspektakulär

Wie ich schon eingangs schrieb, wird das Setting von Nichts in Sicht mit dem Begriff Karg kaum eingefangen und kategorisiert.

Zwar fasziniert der Schiffbruch als Motiv schon seit Jahrhunderten, aber das Breitwandformat und die Opulenz von anderen Schiffbruchgeschichten wie Robinson Crusoe oder dem Untergang der Flotte Medusa hat Rehns Geschichte nicht. Hier wird der Schiffbruch auf seine Essenz zurückgeführt. Das Ausharren zweier Männer auf dem Ozean im Jahr 1943, die stechende Sonne, der Whisky und Scho-Ka-Kola. Mehr gibts in Rehns Roman nicht, die Außenhandlung ist minimal, auch die Figuren selbst bleiben etwas unkonturiert.
Gerade im Vergleich zu einem Zeigenossen Rehns, mit dem er den biographischen Hintergrund teilt, wird dies besonders offenbar. Sein Name ist Lothar-Günther Buchheim. Er verfasste mit Das Boot eine Hommage an seine Zeit in einem deutschen U-Boot während des Zweiten Weltkriegs. Von dessen Pathos, der Kraftmeierei und der Wucht ist bei Rehn nichts geblieben.
Hier treiben nur zwei grundverschiedene Menschen übers Wasser und versuchen, am Leben zu bleiben. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

Zu anspruchsvoll geschrieben

Das Ganze könnte natürlich packen, dieses reduzierte Setting, die Spannung, was aus den Schicksalsgenossen wird. Doch eine innere Spannkraft besitzt Nichts in Sicht in meinen Augen kaum.

Was ist eigentlich passiert? Die Novelle erklärt wenig, wirft dem Leser immer wieder Fetzen hin. Schon in der Bezeichnung der beiden Protagonisten wird dies offenbar. Sie heißen nur der Einarmige und der Andere. Ihre Biographien muss sich der Leser in Kleinarbeit zusammenpuzzlen. Erst langsam schält sich heraus, wie die Kette des Schicksals geschmiedet wurde, die sie aneinander bindet.

Das Treiben auf dem Ozean und das phlegmatische Ausharren unterbricht Rehn immer wieder mit assoziativen Einschüben, Erinnerungsfetzen und dem als Motiv auftauchenden Nichts in Sicht. Das mag zwar authentisch die Erfahrungen der geistigen Seelenlandschaft nach einem Schiffbruch wiedergeben, besonders zugänglich oder gut zu lesen macht es die Geschichte nicht. So braucht man viel Wachheit und Aufmerksamkeit, um die Hintergründe und die Rahmenhandlung sauber zu erschließen – für eine Lektüre en passant ist Rehns Novelle trotz der Kürze kaum geeignet.

Ungünstige Umstände

1954: Adenauer-Zeit, Wunder von Bern, Restauration. In diese Zeit passte ein Büchlein, wie es Rehn geschrieben hatte, kaum. Die Wunden des Zweiten Weltkriegs waren notdürftig verbunden, das Wirtschaftswunder nahm seinen Lauf – da kam Nichts in Sicht zur Unzeit. Der Wille zur Beschäftigung mit den Gräuel des Krieges war nicht vorhanden, lieber wollte man den Mantel des Schweigens über das Geschehene breiten.

Und dann war ja da auch jener Lothar-Günther Buchheim, der dann 1973 Das Boot veröffentlichte. Wenn schon Zweiter Weltkrieg, U-Boote und Überlebenskämpfe, dann lieber auf diese Art und Weise – so schien das öffentliche Interesse zu bekunden. Nicht unerheblich auch die Verfilmung des Buchs durch Wolfgang Petersen 1981 – ein echter Kassenschlager, der die Aufmerksamkeit abermals auf Buchheims Roman zog. Neben diesem Roman und der umgebenden Berichterstattung wirkte Rehns Novelle wie ein Singer-Songwriter, der mit seiner Akustikgitarre auf einer Bühne mit einer Rockband bestehen sollte. Ein schwieriges Unterfangen.

Und jetzt ist es das Jahr 2018. Die Neuauflage des Romans steht in den Buchläden – und steht und steht. Zwei Rezensionen auf Amazon, kaum öffentliche Berichterstattung über das Buch. Und schon gibt es die nächste Adaption von Buchheims Das Boot in Form einer Serie, über die allenorten berichtet wird. Es scheint, als sei es das Schicksal von Nichts in Sicht, dauerhaft im Schatten dieses Werks zu stehen und dagegen unterzugehen.

Es soll nicht sein

Manchmal soll es einfach nicht sein. Die Verlage mühen sich, das Produkt ist eigentlich in Ordnung – doch die Öffentlichkeit will einfach nicht. Rowohlt musste dies beispielsweise mit Jochen Missfeldts Neuauflage von Solsbüll erfahren – und auch Schöffling ist nun um diese Erfahrung reicher. Das ist schade, doch manchmal kommt man gegen die ungünstigen Umstände nicht an. Es bleibt nur dieses wenig analytische Fazit – aber manchmal ist das einfach Schicksal.

Wenigstens an mir soll es aber nicht gelegen haben, das Jens Rehns Novelle dem Vergessen anheimfällt. Auf Buch-Haltung hat sie hiermit einen Platz gefunden und findet hoffentlich doch noch den ein oder anderen interessierten Leser ….

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