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Doug Johnstone – Der Bruch

Kaum ein literarisches Genre blickt so tief in die sozialen Abgründe der Gegenwart, wie es der Kriminalroman tut. Der schottische Autor Doug Johnstone bestätigt das einmal mehr und zeigt, wie gut es funktionieren kann, wenn Spannung auf harten Sozialrealismus trifft.


In seinem Buch Der Bruch beschreibt er die Welt von Tyler Wallace. Dieser lebt in einem heruntergekommenen Hochhaus am Rande Edinburghs. Seine Mutter ist schwerst drogenabhängig und fällt als Erziehungsberechtigte vollkommen aus. Und so obliegt es dem 17-jährigen Tyler, für seine kleine Schwester Bethany, genannt Bean, zu sorgen. Der Vater ist längst verstorben, nur seine Halbgeschwister Barry und Kelly sind Teil der Familie.

Dog Johnstone - Der Bruch (Cover)

Aufgrund seiner kleingewachsenen Statur ist Tyler für seinen Halbbruder Barry das ideale Mittel zum Zweck. Denn Barry finanziert sich sein Leben und den immensen Drogenkonsum durch Einbrüche. Und so schickt er Tyler stets vor, um Häuser auszukundschaften und sich über Oberlichter Zutritt zu den Wohnungen der Besserverdienern von Edinburgh zu verschaffen.

Das überschaubare Leben der Familie findet allerdings nach einem Einbruch ein schnelles Ende. Denn Barry sticht bei einem schiefgelaufenen Bruch eine Frau nieder. Bei dieser Frau handelt es sich allerdings um die Frau eines lokalen Gangsterbosses. Und der lässt diese Tat nicht ungesühnt. Er bläst zur Jagd auf die Einbrecher und setzt sogar ein Kopfgeld aus.

Anspielungsreich und mit Hoffnung versehen

Es sind verschiedene Gründe, die für die Qualität dieses Krimis entscheidend sind. Da ist zunächst die Spannung, die Doug Johnstone immer intensiver in seinen Roman einfließen lässt. Nimmt er sich zunächst Zeit für die Skizzierung des sozialen Milieus und dem familiären Gefüge, wird spätestens mit der Kurzschlussreaktion von Tylers Bruder die Spannungsschraube angezogen. Der Bruch ist ein kriminalliterarisches Crescendo, das vom Piano des Beginns hin zu einem im wahrsten Sinne ohrenbetäubenden Finale reicht.

Die Sprache, die Doug Johnstone hierfür wählt, ist in nuancenreich und spiegelt das deprivierte Handlungsumfeld wieder. Den teilweise derben und ungeschönten Sound sollte man allerdings nicht mit Kunstlosigkeit verwechseln. Denn Johnstone beherrscht sein Metier und paraphrasiert in Bezug auf seine Wallace sogar Tolstoi.

Er wandte sich Flick zu. „Meine Familie ist voll abgefuckt“.

„Alle Familien sind abgefuckt“.

„Nicht wie meine.“

„Jede ist auf ihre eigene Art abgefuckt.“

Doug Johnstone – Der Bruch, S. 192

Solche Bezüge und Zitate sind schlau eingebunden und passen sich in den Gesamtkontext des Romans sehr gut ein. Und ja – die Hoffnungslosigkeit, die psychische und physische Gewalt spielt in Der Bruch eine wichtige Rolle. Aber es gibt eben auch die Dur-Akkorde, die das Moll des Buchs kontrastieren.

Diesen Kontrast bringt Doug Johnstone durch die Liebe in das Buch ein. Wie Tyler auf einem seiner Einbrüche Flick begegnet, wie sich diese beiden Außenseiter anziehen, wie sie Hoffnung schöpfen, das ist doch ausnehmend verheißungsvoll geschildert. Ob die Liebe jedoch in Erfüllung geht, das muss an dieser Stelle offenbleiben.

Fazit

Der Bruch steht in der Tradition des Sozialrealismus. Doug Johnstone schafft es, dass man hier in ein Milieu blickt, das sonst nicht viel Aufmerksamkeit erhält.

Diese Familie, in der schwerer Drogenmissbrauch, Hoffnungslosigkeit, Inzest und immer wieder ausbrechende Gewalt vorherrschen, lebt ebenso am Rande der Gesellschaft, wie sie geographisch auch tatsächlich tut. Das Leben dort in den Hochhäusern am Rande Edinburghs hat wenig mit dem sonst gut verkäuflichen Schottenkrimi gemein, wie ihn Ian Rankin, Helen Fields oder Oscar de Muriel schreiben. Hier verleiht jemand denen einen Stimme, die sonst eher verdrängt und totgeschwiegen werden.

Und das ergibt in Verbindung mit der ansteigenden Spannungskurve und der doch auch vorhandenen Hoffnung im Buch ein packendes Leseerlebnis. Gerne mehr hiervon!


  • Doug Johnstone – Der Bruch
  • Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
  • ISBN: 978-3-948392-20-8 (Polar Verlag)
  • 308 Seiten. Preis: 20,00 €
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Lucía Puenzo – Die man nicht sieht

Ismael, Enana und Ajo sind die, die man nicht sieht. Denn als Straßenkinder schlagen sie sich auf den Straßen von Buenos Aires durch. Im Stadtviertel Once leben die drei und passen gegenseitig auf sich auf. Besonders der kleine Ajo steht unter dem Schutz von Enana und Ismael. Ihr Einkommen bestreiten sie durch Einbrüche in Häuser. Ihr Pate ist dabei ein Wachmann, der die Kinder zu ihren Missionen schickt und ihnen die Diebesbeute abnimmt.

Dieser hat für die drei nun eine ganz besondere Mission. Mit Schleusern schickt er sie per Schiff nach Urugay. Dort sollen die drei für andere kriminelle Strippenzieher arbeiten. Diese wollen ebenfalls, dass sie als Einbrecher tätig werden und die Villen der Schönen und Reichen ausräumen.

Doch der geneigte Leser ahnt es an dieser Stelle schon – es wäre ja langweilig und unersprießlich, wenn bei diesen Raubzügen alles glatt laufen sollte. Wie der Zufall in die Planung pfuscht, das beleuchtet die argentinische Autorin Lucía Puenzo in ihrem neuen Roman mit Hingabe. Die perfekt geplanten Einbrüche scheitern an der Realität und setzen gefährliche Dynamiken in Gang, die für Enana, Ismael und Ajo lebensbedrohlich werden.

Oder wie es die Autorin auf Seite 195 einmal selbst ausdrückt:

Aber manchmal lief eben alles nicht nach Drehbuch.

Puenzo, Lucía: Die man nicht sieht, S. 195

Apropos Drehbuch – damit kennt sich die 1976 geborene Argentinierin sehr gut aus. Neben den Romanen nimmt auch das Drehbuchschreiben in Puenzos Leben einen großen Raum ein. Über diese Tätigkeit kam sie dann zur Regie. So sorgte sie selbst für die Verfilmung eines früheren Romans (Wakolda) und gastierte mit ihrer filmischen Adaption ihres Romans Das Fischkind 2009 auch im Programm der Berlinale.

Wenn eine Drehbuchautorin einen Roman schreibt

Lucía Puenzo (Quelle: Acovarrubias05, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=29055571)

Den filmischen Blick merkt man auch Die man nicht sieht an. Immer wieder schafft es Puenzo, einprägsame Szenerien zu entwerfen, über die die Psychologisierung ihrer Figuren prima funktioniert. Den Schwerpunkt legt sie in ihrer Erzählung aber eher auf die Handlung denn auf die tiefere Ausgestaltung ihrer Figuren. Vieles vom Personal im Roman bleibt schemenhaft, nur ihre drei kindlichen HeldInnen bekommen viel Raum. Immer wieder blitzt die Empathie durch, mit der Puenzo die drei SchicksalsgefährtInnen zeichnet. Wunderbar ist etwa eine Szene geraten, in der sich der kleine Ajo nächtens in die Fluten stürzt und zum ersten Mal die Gewalten des Meeres erlebt. Dann wird wieder klar, dass sich hinter den gewieften Einbrechern immer noch kleine Kinder verstecken, die von ihrer Umwelt nur als nützliche Helfer missbraucht werden, auf die man die Drecksarbeit bequem abwälzen kann.

Wegen dieser Schwerpunktlegung auf die Kinder würde ich auch davon absehen, den Roman als Krimi zu labeln. Natürlich zieht der Roman seine Spannung aus den Einbrüchen, was ja ein Urtopos der Kriminalliteratur ist. Doch bei allem Suspense – hier geht es eher um drei Kinder, die zufälligerweise in dieses Milieu gerutscht sind, und denen keine Wahl bleibt. Das Schicksal dieser Kinder zu zeigen, das ist es, worum es Lucía Puenzo hier geht.

Auch der Wagenbach-Verlag hat das erkannt und dem Buch den äußerst generellen aber eben auch durchaus treffenden Gattungsbegriff Roman auf den Umschlag appliziert.

Sprachlicher Durchschnitt vs. Handlungsdrive

Ein Wort an dieser Stelle sei noch zur sprachlichen Gestaltung dieses Romans verloren. Diese ist für mich nämlich ganz okay, aber nicht viel mehr als Durchschnittskost (Übertragung aus dem argentinischen Spanisch von Anja Lutter). Besondere Stilmittel, Sprachbilder oder raffinierte Metaphern sucht man in Die man nicht sieht vergeblich.

Stattdessen gibt es manchmal kleinere Irritationen im Text, wie etwa wenn von der Betäubung von Einbruchsopfern die Rede ist. Hier schleichen die Kinder mit Betäubungsgas durchs Haus und nähern sich ihren Opfern, um diese mithilfe des Gases in die Bewusstlosigkeit zu versetzen.

Sie hielt die Spraydose etwa zwanzig Meter vor seine Nase und sprühte ihm direkt ins Gesicht.

Puenzo, Lucía: Die man nicht sieht, S. 194 f.

Dieses Kunststück möchte man dann doch ganz gerne einmal sehen. Auch ist es in der Ausgestaltung der Kinder nicht logisch, wenn Ismael, der sein Leben auf der Straße verbringt und folglich wenig Bildung genossen hat, plötzlich die „geheimnisvollen kyrillischen Buchstaben“ (S. 194) betrachtet. Woher der Junge weiß, dass diese Buchstaben kyrillisch sind, das bleibt wohl sein Geheimnis.

Solche kleinen Unebenheiten fallen allerdings nicht weiter ins Gewicht, da der restliche Text wirklich Drive besitzt und nach angenehmen 204 Seiten mit einer letzten, sehr passenden Schlussblende schon an seinem Ende angelangt ist.

Die man nicht sieht ist kein neuer Gipfel südamerikanischer Literatur. Dazu lässt das Buch für meinen Geschmack an Tiefgang und an Reflexionspotential vermissen. Zwei oder drei spannende Stunden bietet der neue Roman von Lucía Puenzo aber auf alle Fälle und sei deswegen hiermit gerne empfohlen.

 

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Joe R. Lansdale – Die Kälte im Juli

Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss

Die Kaelte im Juli - Joe R Lansdale

Die Kaelte im Juli – Joe R Lansdale

Es ist eine Geschichte aus Übersee, die man immer wieder in den Medien lesen kann. Eines Nachts bemerkt Richard Dane einen Einbrecher in seinem Haus, stellt ihn und es kommt zu einem Schusswechsel, bei dem der Einbrecher getötet wird.

Doch mit seiner Tat, die durch das amerikanische Recht vollkommen gedeckt war, beginnt für den amerikanischen Familienvater erst der richtige Ärger In guter alter Noir-Tradition tritt Richard Dane mit seiner Tat nämlich eine Spirale der Gewalt los, in der einige Überraschungen auf ihn warten.
Der Vater des erschossenen Einbrechers schwört nämlich Rache für Richards Tat und so beginnt er, die Familie zu stalken und zu bedrohen. Doch die Polizei hat keine Handhabe, und so droht Richards Familie beständig Gefahr, wenn er sich nicht zur Wehr setzt. Doch bei seiner Konfrontation mit dem Vater des getöteten Einbrechers muss der Familienvater feststellen, dass die Dinge gar nicht so einfach liegen, wie sie scheinen. Mehr soll der Spannung wegen hier nicht verraten werden.

 

 

Bereits 1997 unter dem Titel „Kalt brennt die Sonne unter Texas“ auf Deutsch erschienen hat der Heyne-Hardcore-Verlag nun eine neue Auflage des Buchs mit neuem Titel, Cover, Übersetzung und zusätzlichem Material (u. a. ein Nachwort von Joe R. Lansdale über die Entstehung des Buchs) auf den Markt gebracht. Grund hierfür ist sicherlich auch die 2014 in den Vereinigten Staaten gestartete Verfilmung des Buchs mit den Stars Michael C. Hall (Dexter), Sam Shepard (Homo Faber) und Don Johnson (Miami Vice). Der Trailer für die Verfilmung findet sich hier:

Schon optisch sieht man, dass der Plot dort verortet ist wo das Buch auch tatsächlich spielt, nämlich im Jahr 1989.

Leicht anachronistisch

Das Alter merkt man Lansdales Text nur an wenigen Stellen an. Dass ein Mensch sein neues Sofa telefonisch statt im Internet ordert mutet natürlich etwas anachronistisch an. Auch sind Computer und das Internet in „Die Kälte im Juli“ das große Ding, heute liest man diese Stellen mit einem kleinen Schmunzeln.
Was mich an diesem Buch hingege etwas störte war die Glorifizierung von Selbstjustiz und dieser unbedingte Wille, dass Männer auch das beenden müssen, was sie begonnen haben. Dieses Prinzip „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ war mir (auch wenn Lansdale die Motivation seiner Protagonisten durchaus klar erklären kann) etwas zu dick aufgetragen. Andererseits zehrt das Buch natürlich aus der Kompromisslosigkeit seiner Helden. Nach harten 250 Seiten ist der Ritt dann schon wieder zu Ende und man ist vom explosiven Ende des Buches geplättet.

Ein erwachsener Lansdale

Anders als in Lansdales aktuelleren Werken wie etwa Das Dickicht,  Ein feiner dunkler Riss oder Dunkle Gewässer dominiert in diesem Buch – auch wenn es wie fast immer bei Lansdale aus der Ich-Perspektive geschildert wird, weniger der lyrische Ton als vielmehr ein harter Realismus. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass hier kein Erzähler aus seiner Kindheit erzählt, sondern wirklich ein harter Thriller von der Warte eines jungen Familienvaters geschildert wird.
Wer sich von Joe R. Lansdale in einen finsteren und kalten Noir-Thriller hineinziehen lassen will, dem sie Die Kälte im Juli ans Herz gelegt!

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