Die Schnittstelle von Umweltaktivismus, Idealen und wirtschaftlicher Eigeninteresse erkundet die Neuseeländerin Eleanor Catton in ihrem Roman Der Wald, der vom Aufeinandertreffen einer Gruppe Umweltaktivisten und eines undurchsichtigen Tech-Milliardärs im Korowai-Nationalpark in Neuseeland erzählt. Literatur, die sich dicht am Puls der Zeit bewegt – und der man etwas weniger Ideologie und mehr psychologische Ausdeutung ihrer Figuren gewünscht hätte.
Das kann nimmer werden!
William Shakespeare – Macbeth, 4. Akt, 1. Szene
Wer wirbt den Wald, heißt Bäume von der Erden
Die Wurzel lösen? Wie der Spruch entzückt!
Aufruhr ist tot, bis Birnams Waldung rückt
Bergan, und Macbeth lebt in seiner Hoheit
Bis an das Ziel der Tage, zahlt Tribut
Nur der Natur und Zeit.
Die Frage von Umweltschutz treibt auch in der Literatur treibt vermehrt auch die Schriftsteller und Schriftstellerinnen um. T. C. Boyle wagte in Blue Skies eine Vorausschau, wie es sein könnte, das Leben in der Klimakatastrophe (Spoiler: nicht viel recht anders als heute), C. Pam Zhang malte sich in Wo Milch und Honig fließen eine Gesellschaft aus, in der die Eliten nicht nur metaphorisch gesprochen abgehoben lebt. Bei ihr hat sich eine exklusive Gruppe rund um einen exzentrischen Milliardär auf die Spitze eines norditalienischen Berges zurückgezogen, um dort im kulinarischen Luxus zu schwelgen, während sich der Rest der Menschheit mit fadem Soja-Algenmehl begnügen muss und in einer Welt voller Smog und geschlossener Grenzen zurückbleibt.
Und auch bei Eleanor Catton ist es nun die Gestalt eines exzentrischen Milliardärs, der in ihrer Geschichte um Umweltschutz und Ausbeutung zu einem entscheidenden Faktor wird. Denn Robert Lemoine, so der Name des stark an Elon Musk und andere pubertäre Tech-Milliardäre erinnernde Mannes, ist im Begriff, ein großes Grundstück im Korowai-Nationalpark zu erwerben.
Begehrlichkeiten im Korowai-Nationalpark
Aber auch Mira Bunting, eine neunundzwanzigjährige Gärtnerin und Gründerin des Umwelt-Kollektivs Birnam Wood hat ein Auge auf das Grundstück geworfen, das infolge eines Erdrutsches im Nationalpark so gut wie nicht mehr zugänglich ist. Sie möchte zusammen mit ihrem Kollektiv die 153 Hektar des Farmlandes bewirtschaften – und so Birnam Wood endlich von kleinen Guerilla-Gärtneraktionen hin zu einer soliden Gruppe formen, die nach der erfolgreichen Bepflanzung des Landes auf ihr Anliegen des Umweltschutzes und lokaler Produktzyklen hinweisen kann.
Denn bislang konzentrierte man sich auf öffentliche Brachen, kleine Grünflächen, die man überall dort bepflanzte und begrünte, wo es sich gerade ergab. Im Selbstverständnis der Gruppe war man mit seiner Arbeit bislang so etwas wie der wandernde Wald, der in Shakespeares Drama Macbeth einst die Truppen um Macduff tarnte, ehe dieser aus dem Schutz des Waldes heraus den schottischen König tötete.
Als Mira nun das abgeschnittene Gelände rund um die Farm untersuchen möchte, stößt sie auf Robert Lemoine, der Miras wahres Anliegen schnell enttarnt. Er schlägt ihr einen außergewöhnlichen Deal vor. Denn der Milliardär, der mit Drohnen sein Vermögen gemacht hat und damit die Farm von seinem Vorbesitzer übernehmen will, der wiederum sein Vermögen mit Schädlingsbekämpfung gemacht hat, hat genau das, was Birnam Wood fehlt – nämlich Geld. Er schlägt vor, in das Vorhaben der Gruppe zu investieren und zu einem Finanzier der Guerilla-Gärtner zu werden. Was für den Milliardär durchaus mit Eigennutz initiiert wird, stürzt die Gruppe in schwere Dilemmata.
Darf man das Geld eines solchen Mannes annehmen, der mit seinem Privatflugzeug um die Welt jettet und weder Skrupel noch Moral zu kennen scheint? Wie weit tragen die Ideale der Gruppe und welche Kompromisse darf und sollte man für Umweltschutz eingehen?
Umweltaktivismus und linke Debatten
Das, worüber die Gesellschaft hierzulande gerade zu Hochzeiten des Protests der Letzten Generation zum Teil erbittert und teilweise völlig entgleist (Stichwort „Klima-RAF“) debattierte, schlägt sich auch in Eleanor Cattons Roman nieder. Ähnliche Bruchlinien und viele theoretische Diskussionen, wie man sie aus gegenwärtigen Diskussionen und vorwiegend linken Diskursen kennt, sind auch hier zu erleben, was von Schlagwörtern wie Identitätspolitik bis hin zur kultureller Aneignung reicht.
Dabei schildert Eleanor Catton diese Zusammenkünfte und ideologischen Grabenkämpfe durchaus auch mit Humor und Sinn für ironische Überzeichnung.
Zusammenkünfte bei Birnam Wood liefen weitgehend basisdemokratisch ab. Die Rolle des Moderators oder der Moderatorin wurde turnusmäßig zugeteilt – diesmal einer gutmütigen Kinderpflegerin namens Katie Vander -, und Diskussionen hatten fünf vorgegebene Stufen zu durchlaufen: Aktionen vorschlagen; Detailfragen stellen; Einwände und Bedenken vorbringen; Abänderungen vornehmen und schließlich eine Probeabstimmung, wobei nach oben wackelnde Finger Zustimmung signalisierten, nach unten wackelnde Ablehnung und seitlich wackelnde Enthaltung. Katie begann wie immer damit, alle an das übliche Prozedere zu erinnern und dann Birnam Woods „Drei Prinzipien der Einheit“ vorzulesen. „Entwickeln und schützen einer klassenlosen, nachhaltigen , basisdemokratischen Wirtschaft, die sowohl regenerativ als auch responsiv auf die menschlichen Bedürfnisse eingeht: Agieren soweit wie möglich jenseits der kapitalistischen Bezugssystems: Praktizieren von Solidarität und gegenseitiger Hilfe.“
Eleanor Catton – Der Wald, S. 138
Wenn die Gruppe dann diese gerne mit sperrigen, theorielastigen Sprachmustern ausgefochten Diskussionen ob des unmoralischen Angebots hinter sich gelassen hat, gewinnt Der Wald merklich an Fahrt und Qualität.
Denn nun ist die Aufstellung des Romans klar. Da ist Birnam Wood mit ihren Mitgliedern Shelley und Mira, die die neuen Chancen des Geldes und des Grundstücks nutzen wollen. Da ist der abtrünnig gewordene Tony, der aufgrund des Deals mit dem Drohnen-Milliardärs die Grundsätze der Gruppe verraten sieht – und eigene Forschungen vorantreibt. Und da ist Robert Lemoine, der dort oben im Korowai-Nationalpark seine ganz eigene Agenda verfolgt und stets ganz genau im Blick hat, was bei den Guerillagärtner*innen so vor sich geht.
Der Crash von Interessen
Der Crash dieser gegensätzlichen Interessen und Figuren dort im Hinterland Neuseelands entwickelt eine Dynamik, die Der Wald voranträgt und die großen Fragen im Spannungsfeld zwischen Integrität und moralischer Flexibilität bearbeitet.
Noch deutlich mehr an Wucht und psychologischer Tiefe hätte das Ganze gewonnen, wenn sich Eleanor Catton nicht nur auf das Erzählen des Plots und der sich entspinnenden Handlungsfäden verlegt hätte, sondern auch ihre Figuren mit etwas mehr Tiefe versehen hätte. Tiefe, die dann die Zweifel und Glaubenskämpfe im Inneren der Figuren besser ausgeleuchtet und damit auch tiefer ins Geschehen gezogen hätte, als es nun der Fall ist.
So verharren die Figuren leider zumeist in ihrer Schablonenhaftigkeit. Der Tech-Milliardär ist eben der hinterlistige Überwachungs- und Manipulationsexperte, die Mitglieder von Birnam Wood bleiben abseits von Mira, Shelley und Tony vollkommen schemenhaft und auch die drei Umweltschützer geraten in ihrer Zeichnung oftmals nahe ans Klischee. Sie dürfen zwar viel diskutieren und streiten – recht viel mehr an Charakter und Eindrücklichkeit gewinnen sie dadurch leider auch nicht.
Alles hier ist erkennbar mehr auf die Story denn auf die Figuren hin geschrieben. Das ist schade, denn eigentlich kann Eleanor Catton ja beides, wie sie auch schon in ihrem 2013 mit dem Booker-Prize ausgezeichneten Roman Die Gestirne bewies, der sich dem Goldenen Schnitt des Erzählens und dem personellen Gefüge von 12 Menschen zur Zeit des Goldrauschs in Neuseeland widmete.
Fazit
Nachdem es Eleanor Catton gelingt, den Zeitgeist rund um die Frage von Umweltschutz und dem notwendigen Preis dafür einzufangen, ist Der Wald durchaus reizvoll und lohnt der Lektüre, obschon der Roman in manchen Passagen hart am Klischee und an der Ideologie-Parodie linker Diskurse vorbeischrammt.
Wäre es ihr gelungen, diese Zweifel und Glaubenskämpfe der Guerillagärtner*innen von Birnam Wood auch im Inneren ihrer zu schematischen Figuren abzubilden, wäre Der Wald noch zu einem stärkeren Roman geworden, als er es nun ist.
- Eleanor Catton – Der Wald
- Aus dem Englischen von Meredith Barth und Melanie Walz
- ISBN 978-3-442-75764-0 (btb)
- 512 Seiten. Preis: 25,00 €