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Ángel Santiesteban – Stadt aus Sand

Kuba, das ist dieses pittoresk verfallene Eiland, auf dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Liebevoll handgedrehte Zigarren, Zuckerrohr, Caipirinha und Sonnenschein den ganzen Tag und dazu die Musik des Buena Vista Social Club. So kuschelig kann man es sich in seinen Klischees über die sozialistisch regierte Insel eingerichtet haben. Wie grundfalsch diese Bilder allerdings sind, das beweisen die stilistisch vielfältigen Erzählungen von Ángel Santiesteban, die es nun unter dem Titel Stadt aus Sand in der Reihe Weltempfänger der Büchergilde Gutenberg zu entdecken gibt.


Bei den vorliegenden Erzählungen kann man wirklich von einer Entdeckung sprechen, denn auf dem deutschen Buchmarkt ist Ángel Santiesteban so gut wie unbekannt. Zwar erschien im Jahr 2017 eine Sammlung von sechzehn Kurzgeschichten unter dem Titel Wölfe in der Nacht, die in den Medien auch etwas Widerhall fand. Davon abgesehen aber ist der Name Ángel Santiesteban wohl nur großen Kennern der kubanischen Literatur ein Begriff. Das gilt aber auch für Kuba selbst, wo der 1966 geborene Schriftsteller mit einem Publikationsverbot belegt ist und sogar schon einmal im Gefängnis saß, woraus er erst auf öffentlichen Druck wieder freikam.

Dass die Prosa Santiestebans den Machthabern in Kuba nicht recht sein kann, das zeigt sich schon nach kurzer Zeit, beginnt man in den Erzählungen des Kubaners zu lesen. Denn das Bild, das seine Geschichten von der Insel zeichnen, ist wenig schmeichelhaft. Und erst recht hat es nichts mit den eingangs genannten Klischees zu tun, die Santiesteban hier kraftvoll zerschlägt.

Politischer Druck, Überwachung und Unterdrückung

Er erzählt von politischem Druck, bei dem Menschen schon einmal im Gefängnis landen, nur weil sie in der Nähe des Ortes aufgegriffen wurden, wo sich der Comandante kurzfristig erleichtern musste. Ein doppeldeutiges Verhör genügt, um einen unbescholtenen Köhler hierbei ohne Prozess ins Gefängnis zu bringen (Selbstmordwalzer).

Ángel Santiesteban - Stadt aus Sand (Cover)

Er zeichnet das Bild eines Systems, in dem Menschen verzweifelt aufsteigen möchten und sich durch einen unbewussten Griff an die Nase selbst in die Psychiatrie bringen (Der bedeutendste Popel der Geschichte), in der ein zufälliger Kontakt mit einem Jugendfreund einen zum Verdächtigen macht, dem Misshandlungen wiederfahren (Richelieus Männer) oder in dem man die eigene innerfamiliäre konfessionelle Prägung nicht einmal geschützt innerhalb der eigenen vier Wänden ausleben kann und so ganz eigene Wege finden muss, um sich dem Überwachungssystem wenigstens etwas zu entziehen (Der Äquilibrist).

Überhaupt, die Überwachung und Unterdrückung, sie ist in vielen von Santiestebans Geschichten höchst anschaulich beschrieben. Die Paranoia, die dieses System erzeugt, in dem Menschen von einem auf den anderen Tag verschwinden (Auf der Suche nach Benny) und in dem man nicht einmal im Ausland vor den Behörden und Zensoren geschützt ist (Dolce Vita), sie wird nachvollziehbar und setzt sich dann in jenen Geschichten fort, die den feinen Grat erkunden, der zwischen Normalität und dem allzu schnellen Abgleiten in die Kriminalität oder psychiatrischen Anstalten des Inselstaates verläuft.

So ist es in der Geschichte Das Skelett des Herrn Morales das verzweifelte Streben eines Büroangestellten, der vor der Überführung der sterblichen Überreste seines Vaters diese wieder vervollständigen möchte oder in der schon erwähnten Erzählung Der bedeutendste Popel der Geschichte der Wunsch nach Aufstieg im politischen System, der für Santiestebans Protagonisten geradewegs in die Psychiatrie führen, obschon sie auf dem Grat zwischen Normalität und Kriminalität nur einmal kurz gestrauchelt sind.

Die Unbarmherzigkeit des politischen und gesellschaftlichen System Kubas, sie werden in diesen Geschichten in ihrer ganzen Abgründigkeit offenbar.

Unterschiedliche Erzählungen

Wenn diese Geschichten etwas eint, dann ist es ihre Einheit in Sachen Unterschiedlichkeit. Denn es ein stilistischer und thematischer Strauß an Stilen und Umfang, den die dreizehn von Thomas Brovot ins Deutsche übertragenen Erzählungen kennzeichnen.

So gibt es die gnadenlose Selbsterklärung einer Schwarzen, die sich selbst verleugnet und dem Rassismus zuneigt. Ein Mann in einer parabelhaften Geschichte, der in der sandigen Wüste eine Stadt errichtet, um dort am Steg der Ankunft eines Schiffes zu harren oder die Erzählung einer Mietergemeinschaft in einem dystopischen Setting, das die Leiche einer Verstorbenen im Wettlauf gegen das Unwetter, das gegen ihr Haus anbrandet, in Sicherheit bringen wollen. Aber auch für Spielereien mit der Metaebene von Texten bleibt bei Ángel Santiesteban noch Platz.

Und obschon diese Erzählungen wirklich divers und nicht wirklich einordenbar sind, so gibt es doch ein entscheidendes verbindendes Element. Das ist die Hoffnungslosigkeit, die fast allen Erzählungen innewohnt. Die Träume, die politischen Karrieren, die Hoffnungen, sie alle sind in diesen Geschichten auf Sand gebaut. Zwar kann man sich in Tagträume flüchten, wie dies die Prostituierten in der titelgebenden Eingangsgeschichte Stadt aus Sand tun. Viel bringen wird es allerdings nicht. Das ist die bittere Erkenntnis, die diesen Erzählungen innewohnt.

Ein willensstarker Autor

Schön, dass es die Büchergilde im Rahmen des Weltempfängers möglich gemacht hat, sechs Jahre nach dem ersten Erzählungsband auf Deutsch nun auch diese dreizehn Geschichten aus Kuba erlesbar zu machen. So bekommt man den Eindruck eines Staates, der auf Unterdrückung und Strafe setzt, um seine System am Laufen zu erhalten. Ein System, dem der oder die normale Kuba-Besucher*in nicht ansichtig werden dürfte, und das deshalb umso spannender zu lesen ist, setzt der Kubaner mit seinen Geschichten doch nicht bloß auf Agitation, sondern weiß auch literarisch durch Varianz zu überzeugen.

Und nicht zuletzt rückt diese Veröffentlichung mit Ángel Santiesteban einen unerbittlichen Schreiber ins öffentliche Interesse, der radikal für seine Prosa einsteht und dafür auch Gefängnis in Kauf nimmt. Oder um es mit den Worten von Paul Ingeenday zu sagen, der das Nachwort zu Stadt aus Sand liefert:

In den Jahre zuvor hatte ich einige Autoren und Autorinnen des Inselstaates kennengelernt, hier Kompromissler, dort Protestnaturen, aber so radikal wie Santiesteban war niemand von ihnen aufgetreten; manche waren entnervt ins Exil gegangen wie so viele vor ihnen, um ihr Glück in der wachsenden kubanischen Diaspora von Miami, Madrid, Paris oder Berlin zu versuchen.

Und nun dieser: ein sanfter Trotzkopf, der vor innerer Energie zu bersten schien. Der geschworen hatte, sich aus seiner Heimat nie vertreiben zu lassen und – das Undenkbare – die Castros zu überleben, Gefängnis hin oder her. Der sagte, es sei ihm egal, ob seine Literatur überhaupt erscheinen dürfe, er schreibe sie so oder so, mit Geld, ohne Geld, oft übrigens in der Nacht. Seine Geschichten drängten aufs Papier, damit sie ihn im Innersten nicht verbrannten. „Das ist der einzige Sinn, den ich in meinem Leben entdecken kann“, sagte er mir. „Dafür bin ich auf der Welt. Um zu schreiben“.

Paul Ingeenday in seinem Nachwort zu Ángel Santiesteban – Stadt aus Sand, S. 248

Schön, dass der Weltempfänger diese vielseitige und so willensstarke Stimme für uns europäische Leser*innen einfängt!


  • Ángel Santiesteban – Stadt aus Sand
  • Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
  • Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
  • Büchergilde Gutenberg, Artikelnummer 173670
  • 256 Seiten. Preis: 22,00 €
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Gabriela Garcia – Von Frauen und Salz

Kuba, Miami und Mexiko sind die Schauplätze von Gabriela Garcias Roman Von Frauen und Salz. Aber vielmehr als die einzelnen Schauplätze ist es das Dazwischen, das die junge Autorin interessiert und von dem sie eindrucksvoll zu erzählen weiß, indem sie ganz unterschiedliche Figuren im Laufe der anachronologisch erzählten Geschichte in ihrer ganzen Zerrissenheit und Sehnsucht nach dem Unerreichbaren schildert.


Im Kern ist Von Frauen und Salz eine feministische Familiensaga, wie es sie insbesondere seit Isabel Allendes Das Geisterhaus dutzendfach auf dem Markt gibt. Frauen aus verschiedenen Generationen stehen im Mittelpunkt solcher Romane und werden bei ihren Kämpfen für weibliche Selbstbestimmung und gegen herrschendes Unrecht und Gewalt inszeniert. Intergenerationalen Traumata und Widerstände, gegen die sie sich die Frauen erwehren müssen, sind dabei stets Thema und werden in solchen Sagas mal gelungener und mal weniger gelungen herausgearbeitet.

Das ist bei Gabriela Garcia nicht anders, wobei ihr Debüt in die Kategorie der gelungenen Bearbeitungen fällt, um dieses Urteil gleich vorwegzunehmen.

Ihr Roman setzt mit einem kurzen Kapitel ein, das Carmen im Jahr 201 in Miami zeigt. Nach wenigen Seiten springt Garcia dann eineinhalb Jahrhunderte zurück in der Zeit, nämlich ins Jahr 1866. Dort lernen wir María Isabel kennen, die als Tabakrollerin ihr Auskommen auf der Insel Kuba bestreitet.

Sie lebt in Camagüey und behauptet sich als einzige Tabakrollerin unter einer ganzen Menge Männern. Während die spanischen Besatzungstruppen den revolutionären Umtrieben der Kubaner*innen ein Ende setzen wollen, erwartet María Isabel ein Kind, das sie mit einem jener kubanischen Revolutionäre gezeugt hat.

Von dieser Episode geht es wieder zurück nach Miami ins Jahr 2014, wo nun Jeanette im Mittelpunkt steht. Sie lebt in prekären Verhältnissen und beobachtet die Razzia der Einwanderungsbehörde bei ihrer Nachbarin. Diese wird von den Behörden festgenommen und weggebracht. An ihr Kind hat allerdings niemand gedacht. Und so nimmt Jeanette das Kind unter ihre Fittiche, um es wenig später dann doch den Einwanderungsbehörden zu melden und zu übergeben.

Eine anachronologische Familiensaga

Gabriela Garcia - Von Frauen und Salz (Cover)

Das sind die ersten drei kurzen Episoden in diesem Roman, die zeigen, dass Gabriela Garcia aus der klassischen Form der weiblichen Familiensaga hier etwas Eigenes macht. Denn statt auf einen linear erzählten Erzählfluss setzt sie lieber auf das Erzählen in Schlaglichtern, die mit der Chronologie brechen. Schlaglichter, die erst im Zusammenhang mit dem ganzen Buch eine logische Abfolge ergeben und die Beziehung der Frauen untereinander herausarbeiten.

Dabei sind die Hauptschauplätze von Von Frauen und Salz die Insel Kuba und Miami sowie das mexikanische Grenzland. An diesen Schauplätzen leben Garcias Frauen, denen aber immer ein permanentes Gefühl des Dazwischen und der Zerrissenheit eingeschrieben ist.

So sehnt sich die in Miami aufgewachsene Enkelin nach dem Kuba ihrer Großmutter oder die Tochter einer Migrantin aus El Salvador nach Amerika, wo sie aufgewachsen ist. Dessentwegen begbit sie sich in die Hände von Schleusern, um mit diesen über den Grenzfluss wieder nach Amerika zu gelangen und so die Sehnsucht nach einem besseren oder zumindest anderen Leben zu stillen.

Erzählen durch Schlaglichter

Fortführen lässt sich dieses Motiv der Zerrissenheit und Dissoziation über das geographische und psychische Spannungsfeld der Figuren hinein bis in die Umbrüche der Geschichte selbst. Dabei bildet die wechselvolle kubanische Geschichte den Schwerpunkt von Gabriela Garcias Erzählung.

Wie die spanischen Kolonialherren in den 1860 Jahren mit blutiger Macht regieren und trotzdem nicht vor den revolutionären Umbrüchen gefeit sind, das beschreibt sie ebenso wie die alte Ordnung unter dem kubanischen Präsidenten Fulgencio Batista, die knapp hundert Jahre später durch die Revolutionäre um Fidel Castro abgelöst wurde.

Auch hier setzt Garcia wie in der gesamten Komposition ihres Buch nicht auf umfassende Darstellung der Hintergründe der jeweiligen Umschwünge, sondern verdichtet diese Momente der Zeitgeschichte auf Schlaglichter, die ihr zur Schilderung der wechselvollen Geschichte genügen.

Fünf Frauen, 150 Jahre Geschichte

Dabei ist das Schöne an Von Frauen und Salz, dass dieses erzählerische Gesamtkonzept bei aller Knappheit aufgeht. Fünf Frauenschicksale und 150 Jahre amerikanisch-kubanischer Geschichte auf gerade einmal etwas mehr als 300 Seiten, das ist eigentlich deutlich zu knapp bemessen. Dass es trotzdem funktioniert, ist der klugen Auswahl entscheidender Kipppunkte im Leben der Frauen und der Geschichte insbesondere in Bezug auf Kuba zu verdanken.

Zwar hätte die ein oder anderen Figur noch etwas mehr Profil vertragen, auch geht es manchmal doch etwas arg schnell mit den anachronologischen Sprüngen, aber doch entwickelt Garcias Geschichte Drive und eine große emotionale Wucht, wenn die Frauen mit ihren Entbehrungen und Leidensgeschichten von gewalttätigen Ehemännern bis zur Drogensucht gezeigt werden. Auch vermittelt die junge Autorin in Von Frauen und Salz gelungen, welche Bedeutung Literatur in ganz unterschiedlicher Ausprägung für Menschen haben kann. So ist es hier Victor Hugos Roman Die Elenden bzw. Les Misérables, der über Generationen weitergereicht wird und der immer wieder Hoffnung und Sinn spenden kann.

Fazit

So ist Von Frauen und Salz ein geradezu prototypischer feministischer Generationenroman, der vom Kampf gegen die Unterdrückung und das Patriarchat durch die Jahrzehnte hinweg erzählt. Durch die anachronologische Erzählweise und die Verdichtung des Materials auf entscheidende Kipppunkte hin bekommt die Prosa von Gabriela Garcia eine eigene Note und stellt die weibliche Widerstandskraft in den Mittelpunkt ihres Erzählens. Prosa mit feministischem und zeitgeschichtlichem Schlag, wie sie gerade im Trend liegt. Prosa, die aber auch unabhängig von aktuellen Moden durch die Themen und Erzählweise überzeugt.


  • Gabriela Garcia – Von Frauen und Salz
  • Aus dem Englischen von Anette Grube
  • ISBN 978-3-546-10011-3 (Claassen)
  • 304 Seiten. Preis: 22,00 €
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