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J. Todd Scott – Diese Seite der Nacht

War on drugs im Big Bend County. In seinem mittlerweile dritten Roman Diese Seite der Nacht lässt J. Todd Scott korrupte Spezialeinheiten, alternde Kartellbosse und brutale Todesfälle im amerikanisch-mexikanischen Grenzland aufeinander treffen. Mittendrin das Team um den Sheriff Chris Cherry, dessen berufliche Zukunft zudem alles andere als sicher ist.


Auch wenn Neuigkeiten aus Mexiko hierzulande keinen großen Platz im Nachrichtengeschehen einnehmen, so ließen die Ereignisse im September 2014 doch weltweit aufhorchen und schafften es auch in unsere Nachrichten.

An einem regnerischen Abend im September 2014 wurden mehrere Busse mit Studenten der Hochschule Escuela Rural „Raúl Isidro Burgos“ aus dem mexikanischen Ayotzinapa von Bewaffneten – darunter mutmaßlich mehrere Angehörige der lokalen Polizei – mit automatischen Waffen unter Beschuss genommen; der Anschlag ereignete sich in der Kleinstadt Iguala, 120 Meilen südwestlich von Mexiko-Stadt.

Bei dem Angriff, der sich über mehrere Stunden hinzog, starben drei Studenten – der jüngste war fünfzehn – dreiundvierzig weitere wurden aus den Bussen in wartende Polizeifahrzeuge getrieben und weggebracht.

Seitdem hat man sie nicht mehr lebend gesehen.

J. Todd Scott – Nachwort zu: Diese Seite der Nacht, S. 497

Dieser besonders brutale Exzess im an Gewalt und Morden gewiss nicht armen Kartellkrieg Mexikos, er führte zu einem weltweiten Aufschrei, der allerdings auch schnell verhallte. Ermordete Kartellmitglieder, gestorbene Drogenkuriere, sie sind traurigerweise schon so etwas wie die Begleitumstände des War on drugs, den Richard Nixon 1972 ausrief und der seither tausenden von Menschen dies- und jenseits der amerikanisch-mexikanischen Grenze das Leben gekostet hat.

Verschwundene Studenten, untergetauchte Kartellführer und korrupte Spezialeinheiten

J. Todd Scott - Diese Seite der Nacht (Cover)

Doch die Brutalität und die Unverfrorenheit, mit der hier junge Studenten teilweise sogar von Gesetzeshüter ermordet und zum Verschwinden gebracht wurden, er war doch noch einmal eine neue Eskalationsstufe in diesem Krieg, der nur Verlierer kennt.

J. Todd Scott ist selbst DEA-Agent und kennt die Situation an der dortigen Grenze aus eigener Erfahrung. Schon zwei Krimis hat er über die Situation dort verfasst (Die weite Leere 2021, Weiße Sonne 2023). Angesiedelt sind sie allesamt im fiktiven Big Bend County, das direkt an Mexiko grenzt und dessen Gesetzeshüter die Auswirkungen der Drogenepidemie und Gewaltepidemie aus erster Hand kennen und bereits mehrfach am eigenen Leib gespürt haben.

In Diese Seite der Nacht ist das nicht anders. Hier bekommt es das Team um den mittlerweile zum Sheriff aufgestiegenen Chris Cherry mit einem brutalen Fünffach-Mord am Rio Grande zu tun. Die Leichen der Männer scheinen in Verbindung mit Drogengeschäften zu stehen. Drogengeschäften, mit denen der alte Kartellführer Juan Abrego alias „Fox Uno“ sein Leben lang zu tun hatte.

Das von ihm geleitete Nemesio-Kartell konkurriert mit einem anderen Kartell um die Vorherrschaft dort im Grenzland – doch nun scheint ihm jemand nach dem Leben zu trachten. Denn bei einem brutalen Anschlag auf Bussen mit Studenten an Bord scheinen alle Spuren auf ihn als Drahtzieher zu weisen. Doch er hat die aufsehenerregenden Morde nicht in Auftrag gegeben und wählt die Flucht in den Untergrund, als immer mehr seiner Vertrauten um ihn herum verschwinden und er auf eine Abschussliste geraten zu sein scheint.

Der war on drugs im Big Bend County

Als Aufenthaltsort erwählt er sich ausgerechnet das Städtchen Murfee im Big Bend County, dessen Schutz dem Sheriff Chris Cherry obliegt. Und ob damit nicht genug der Probleme herrschten, so wird Cherry in seinem Amt als Sheriff auch noch herausgefordert. Er, der mit seinem Amt fremdelt, seit er es im ersten Band der Serie übernommen hat, um es besser als sein zu machen, er muss sich mancher moralischer und kriminalistischer Prüfungen unterziehen.

Besonders mit den Kollegen einer anderen Polizeieinheit bekommt er es dabei zu tun. Denn deren Aufklärungsraten sind so überragend, dass weder Chris, noch der in El Paso ansässige DEA Agent Joe Garrison glauben, dass dort alles mit legalen Mitteln zugeht.

Und so kommt es nun im Big Bend County zum einem Gegeneinander von untergetauchtem Kartellboss, Ermittlungsbehörden, aufstrebenden Gangstern, korrupten Ermittlern und einigen Figuren mehr – die J. Todd Scott mit bewundernswerter Übersicht durch die Handlung lotst.

Wieder einmal besticht Scotts Roman durch seine Komposition, in der er zwar viele verschiedene Stränge aufmacht und nebeneinander herlaufen lässt, diese aber dann in einem nicht anders als episch zu nennenden Shootout dort im Nirgendwo schlüssig zusammenführt. Dazu arbeitet der schreibende DEA-Agent auch noch mit Zeitebenen und unterschiedlichen Perspektiven, ohne dass die Übersichtlichkeit dabei verloren ginge.

Neben dem souveränen Umgang mit Handlung und Figuren besticht auch in Diese Seite der Nacht wieder die moralische Komponente. Immer wieder geraten seine Figuren in Entscheidungsdilemmata und überschreiten die zuvor so klar scheinenden Grenzen zwischen Recht und Unrecht. Anrührend das Schicksal von Figuren, denen Scott immer Ambivalenzen zugesteht und die auch die Brutalität der Handlung immer wieder ausgleicht und eine emotionale Tiefe in die Handlung bringt, die vergleichbare Krimis nicht immer aufweisen können.

Fazit

Diese Seite der Nacht sensibilisiert für das Geschehen im amerikanisch-mexikanischen Grenzland, das im Diskurs und der Berichterstattung immer wieder auf einfache Slogans und unterkomplexe Betrachtungen verkürzt wird. Sein Roman zeigt die Komplexität der Machtverhältnisse und Moral dort, bei der nicht nur geografisch immer wieder Grenzen überschritten werden. Ein großartiger, ambitionierter und von großer Übersicht getragener Thriller, der den war on drugs und seine Implikationen besser verstehen lässt und der dabei hervorragend unterhält!


  • J. Todd Scott – Diese Seite der Nacht
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Harriet Fricke
  • ISBN 978-3-910918-20-7 (Polar Verlag)
  • 505 Seiten. Preis: 26,00 €

Bret Anthony Johnston – We burn daylight

Waterloo in Waco. Aus zwei jugendlichen Perspektiven wirft Bret Anthony Johnston in seinem Roman We burn daylight einen Blick auf die Geschehnisse rund um die waffenstarrende Sekte unter deren Führer Perry alias „Lamb“, die sich auf einer Ranch in Texas niedergelassen hatte. Johnston erzählt vom Frühjahr 1993, als man dort eigentlich nur den Sektenführer festnehmen wollte und sich in einem blutigen Desaster wiederfand.


Wenn die Waffenbegeisterung der US-Amerikaner*innen so etwas wie einen lokalen Schwerpunkt hat, dann wohl in Texas. Als einer der Staaten mit den laxesten Waffengesetzen ist es Menschen ab 21 JAhren dort seit vier Jahren wieder erlaubt, Waffen verdeckt oder offen am Körper zu tragen. Sind die USA mit der Begeisterung der Bürger für Schusswaffen eh schon weltweit führend, was den Waffenbesitz angeht (Monat für Monat werden über eine Million Schusswaffen verkauft und in dem fast in jedem zweiten Haushalt ist eine Feuerwaffe vorhanden), so konzentriert sich diese Waffenbegeisterung in Texas noch einmal besonders.

Dass dieses Phänomen keineswegs neu ist, das zeigt die Lektüre von Bret Anthony Johnstons Roman. Denn er erzählt in vier Teile aufgeteilt von den Geschehnissen, die im Januar 1993 in Texas ihren Ausgang nahmen und im März des Jahres dann ihren blutigen Höhepunkt erleben sollten. Aber der Reihe nach.

Welcome to Waco

We burn daylight erzählt aus Sicht des jungen Roy und Evie, die mit ihrer Mutter aus Kalifornien nach Texas gezogen ist, um dort in der Gemeinschaft von Perry alias „Lamb“ zu leben, einem aus Israel zurückgekehrten Prediger. Er hat sich zusammen mit seinen zahlreichen Anhängern auf einer Ranch in Waco eingerichtet, wo er Sonntags Bibelarbeit und Training auf dem farmeigenen Schießstand anbietet. Rhetorisch ähnlich erratisch agierend wie der amtierende US-Präsident bringt er seine kruden Visionen und Predigten unters Volk, das ihm ergeben folgt.

„In alten Zeiten“, sagte er, „bedeutete der Ausdruck, jemand ist nach Texas gegangen, dass er nicht mehr ganz klar im Kopf ist, aber jetzt kommen die Leute hierher, weil sie endlich klar sehen. Unsere Verfassung gibt jedem Bürger Amerikas das Recht, sich gegen die Regierung zu stellen. Seht ihr, in Texas hat man im Gegensatz zum Rest des Landes etwas begriffen. Waffen? Klar, die besorgen wir uns. Klar benutzen wir auch Toilettenpapier. Ihr seid alle eingeladen mitzumachen. Entweder gehört ihr dazu oder ihr gehört nicht dazu. Kann schon sein, dass wir ein bisschen verrückt sind.“

Bret Anthony Johnston – We burn daylight, S. 55 f.

Roy ist der Sohn des lokalen Sheriffs und trifft durch Zufall auf Jaye – und das, wie könnte es in Texas anders sein, auf einer Waffenmesse. Antike Duellpistolen, Gasmasken, Handfeuerwaffen, dazu Pekannüsse, die als Snack gereicht werden. So sieht das Entertainment aus, das dort die Massen anzieht.

Auch Roy ist angezogen. Das allerdings von Jaye, dem Mädchen mit dem roten Haar, das mit Eigensinn Roy für sich einnimmt. Doch für Dates und Knutschen im Wasserturm bleibt nicht allzu viel Zeit, da die Behörden von der Zusammenrottung von Personen draußen auf der Farm in Waco beunruhigt sind. Sie haben Lamb im Verdacht, nicht nur Bibelarbeit und Schießtraining auf dem Gelände seiner „Kirche“ anzubieten, sondern mithilfe von Fräsen auch illegale Langwaffen und Verbotenes wie Handgranaten herzustellen.

Desaster mit Ansage

Bret Anthony Johnston - We burn daylight (Cover)

Unaufhaltsam laufen die Ereignisse auf die Erstürmung des Geländes am 17. Februar 1943 zu, die in einem absoluten Desaster enden sollten, wie Bret Anthony Johnston zeigt. Hierfür setzt er nicht nur auf die beiden Perspektiven von Roy als Außenstehenden und Jaye als Mitglied von Perrys Sekte, auch finden sich zwischen die einzelnen Kapitel immer wieder kurze Interviewschnipsel montiert, die fast den Charakter von Verhören haben. Ein Podcaster interviewt hier an den damaligen Geschehnissen Beteiligte und zeigt so noch einmal verstärkt das Waterloo, das die Behörden bei der Erstürmung der Ranch erlebten.

Denn statt einer zielgenauen Verhaftung Perrys nach Missbrauchsvorwürfen entschieden sich die Einsatzkräfte, die Ranch ohne allzu viel Vorbereitung zu stürmen, ohne zu ahnen, in welchem Desaster das Ganze enden würde. Auffällig unauffällige Zugriffskommandos versteckt hinter Planen auf Transportern (die erst recht die Aufmerksamkeit der lokalen Bevölkerung weckten), keine wirkliche Zugriffsstrategie geschweige einer genauen Kenntnis der Lage vor Ort, so liefen die Einsatzkräfte schon fast mit Ansage ins Verderben.

Empfangen von einem Kugelhagel der Waffenfanatiker wurden die Einsatzkräfte völlig überrascht und gerieten in die Defensive, obschon sie personenmäßig in der Überzahl waren. Polizisten, die er- oder angeschossen wurden und sich zurückziehen mussten, zu wenig Munition, was dazu führte, das – man erinnere sich des Schauplatzes Texas – Polizisten erst einmal Munition bei Walmart nachkaufen mussten und ein völlig surreales Ereignis, das Jaye innerhalb der Ranch und Roy ungläubig am Fernseher mitverfolgt.

Im Fernsehen waren parkende Busse mit laufenden Motoren zu sehen. Ihre Warnlichter pulsierten rot im Dunst der Abgase. Lamb sprach gerade über einen großen Drachen, Lichtblitze und Donner. Ich konnte nicht entscheiden, ob er aus der Bibel zitierte oder gerade aus dem Fenster starrte.

Bret Anthony Johnston – We burn daylight, S. 356

Eine der größten Stümpereien der Polizeigeschichte

Johnstons Roman ist eine vielschichtiger Blick auf die damaligen Ereignisse in Texas, die sich in Sachen Polizeitaktik als eine der größten Stümpereien der US-Geschichte herausstellen sollten. Denn nicht nur, das die Erstürmung scheiterte, auch folgte der versuchten Einnahme der Ranch ein wochenlanger Patt zwischen Sekte und hilfloser Polizei, der die Aufmerksamkeit des ganzes Landes auf sich zog.

Auch wenn er durch die gewählte Perspektive der zwei Jugendlichen nur bedingt die Bindungskraft des Predigers Lamb auf seine erwachsenen Anhänger nachvollziehen kann, beeindruckt sein Roman doch durch den gegenläufigen Blick von Roy und Jaye – und den moralischen Dilemmata, denen sich die beiden Heranwachsenden gegenübersehen. Wem gegenüber sieht man sich verpflichtet – Eltern, zu denen keine Verbindung besteht oder doch eher dem Gleichaltrigen gegenüber, vor allem, wenn noch Gefühle im Spiel sind?

Mit solchen Fragestellungen versehen ist We burn daylight ein Roman, der trotz der anfänglichen Statik rund um die gescheiterte Erstürmung Wacos immer mehr Fahrt aufnimmt – und der in die Gegenwart verweist. Denn in Zeiten der Aufrüstung und Isolation von Reichsbürgern hierzulande und präsidial begnadigten Kapitolstürmern in den USA zeigt Johnstons Roman auch eindrücklich, wozu es führen kann, wenn man solche Bewegungen unterschätzt und damit sehenden Auges ins Verderben taumelt.

Fazit

Das macht aus Bret Anthony Johnstons We burn daylight einen ebenso spannenden wie hochaktuellen Roman, der die damaligen Ereignisse in Texas genau nachvollzieht und der sich auch als engagierte Widerspruch gegen Waffenfanatiker und deren Slogan von mehr Sicherheit durch mehr Waffen in Privathand lesen lässt. Sein Roman ist vielschichtig, vereint Liebesgeschichte, Coming of Age und Gesellschaftskritik sowie historische Studie zu einem gelungenen literarischen Ereignis, dem man einen aussagekräftigeren deutschen Titel gewünscht hätte, der vor allem aber breite Rezeption verdient!


  • Bret Anthony Johnston – We burn daylight
  • Aus dem Englischen von Sylvia Spatz
  • ISBN 978-3-406-83692-3 (C. H. Beck)
  • 492 Seiten. Preis: 28,00 €

J. Todd Scott – Weiße Sonne

Zurück im Big Bend County. Dort in der Einöde zwischen Texas und Mexiko bekommt es Sheriff Cherry und sein Team diesmal mit einer Gruppe Neonazis zu tun, die in Cherrys Bezirk eine Schneise der Gewalt und Verwüstung schlagen. Weiße Sonne von J. Todd Scott.


Es ist wirklich augenfällig. Auf den letzten Seiten dieses Romans greift der nach den Geschehnissen in J. Todd Scotts Erstling Die weite Leere zum Sheriff beförderte Chris Cherry zum Stift, um den langgehegten Traum eines Romans endlich anzugehen. Auch John Bassoff weist in seinem Nachwort auf diesen bemerkenswerten Umstand hin, geht Scotts Sheriff doch hier den umgekehrten Weg, den der Erschaffer der Figur selbst ging. Bevor sich Scott nämlich dem Schreiben zuwandte, arbeitete er als DEA-Agent im amerikanisch-mexikanischen Grenzland.

Nun gibt es mit Weiße Sonne den zweiten Roman rund um Chris Cherry und das Leben im Big Bend County zu lesen, geboren im Schatten von Scotts Erstling, wie es der Autor im Nachwort seines Krimis selbst beschreibt. Denn wo er für sein Debüt frei vor sich hin schreiben konnte, ohne Druck und Abgabefristen im Nacken, da hat Die weite Leere nun die Erwartungshaltung für einen zweiten Roman gesteigert.

Outlaws und Gesetzeshüter im Big Bend County

Tatsächlich verfolgt J. Todd Scott in seinem zweiten Roman einen ähnlich multiperspektivischen und handlungsreichen Ansatz, wie er es bereits bei seinem ersten Roman tat. So ist Sheriff Chris Cherry nur eine Person im Personengefüge der Ordnungsmacht. Neben ihm kommen auch seine Deputys, die mexikanischstämmiger América „Amé“ Reynosa und der erfahrene Ben Harper, in Erzählsträngen zu Wort. Erstere kämpft noch immer mit den Erlebnissen aus dem Vorgängerband und ihren familiären Verflechtungen mit den mexikanischen Kartellen, letzerer versucht Chris Cherry in der Sache ABT zu mehr Aktion denn Reaktion zu drängen. Bei der ABT handelt es sich um die Aryan Brotherhood of Texas, die ausgerechnet im kleinen Städtchen Killing eingefallen ist.

J. Todd Scott - Weiße Sonne

Im Falle eines ermordeten Flussführeres gelten die gefährlichen Männer als die Hauptverdächtigen. Doch richtig zu packen bekommt sie weder Chris noch seine beiden Deputys. Besonders Amé steht unter Druck, lastet die Begegnung mit einem mexikanischen Autodieb auf ihrem Gewissen. Denn sie schlug diesen im Affekt im gefesselten Zustand, während da dieser scheinbar kompromittierendes Wissen vor allem über Amés Vergangenheit besaß.

Gewalt gegen Gefangene, im Hintergrund lauernde Kartelle, eine Neonazi-Bande voller Outlaws und ein ermorderter Flussführer. J. Todd Scott führt einige Erzählstränge ein, die die Gesetzeshüter im Big Bend County mehr als herausfordern. Dazu erzählt Scott parallel auch noch aus der ABT-Vereinigung heraus, denn hier kommen sowohl die Outlaws als auch ein verdeckter Ermittler zu Wort, der eine ganz persönliche Agenda innerhalb der Gruppierung verfolgt.

Erneut ein multiperspektivischer Erzählansatz

Viele Personen und Erzählstränge also einmal mehr, die in einem großen und gewaltgeladenen Finale enden, dass über Murfee hereinbricht wie jene Regenschauer, die sich dort wenig später entladen.

J. Todd Scott mutet sich und den Leser*innen einiges zu, schafft es aber wieder, sein multiperspektivisches Erzählkonstrukt über die fast 500 Seiten nicht zum Einsturz zu bringen. Zwischen Outlaws, FBI-Agenten und Gesetzeshütern springt er immer wieder hin und her, bringt Rückblenden zum Geschehen in Die weite Leere und der Vergangenheit seiner Figuren an und findet darüber immer wieder Zeit für ruhige Momente und etwas Durchatmen, ehe das hochexplosive Finale dann startet.

Hierbei zeigt sich wie in der ganzen Anlage dieses Buchs, dass im Motorblock dieses Krimis ein Western alter Schule vor sich hinschnurrt. Der wüstenähnliche Schauplatz der Handlung, die verkommenen Verbrecher, die Gesetzeshüter um Chris Cherry, die sich den Bösen entgegenstellen, aber auch selbst nicht davor gefeit sind, die Grenze zum Unrecht zu überschreiten. Weiße Sonne hat all die Zutaten, die eine packende Lektüre ausmachen.

Mir imponiert die Unbarmherzigkeit, die J. Todd Scott seinem Ensemble zumutet. Hier löst sich eben nichts in Wohlgefallen auf, vielmehr ist dieser Krimi geradezu schmerzhaft konsequent und macht mit seiner ganzen Erzählweise Lust auf einen dritten Streich des schreibenden DEA-Agenten.


  • J. Todd Scott – Weiße Sonne
  • Aus dem Englischen von Harriet Fricke
  • Mit einem Nachwort von John Bassoff
  • ISBN 978-3-948392-71-0
  • 496 Seiten. Preis: 27,00 €

J. Todd Scott – Die weite Leere

Garrison lehnte sich zurück. „Tja, was denken Sie?“. Er schaute ebenfalls zum Fenster. „Haben Sie eine Ahnung“, wie viele Menschen da drüben noch vor Kurzem in einem Jahr ermordet wurden? Über dreitausend. Macht neun pro Tag. Ein Jahr später waren es zweitausend mehr. Meistens Killer, die sich gegenseitig umbringen, die ihren eigenen schmutzigen kleinen Krieg führen, aber trotzdem sind das eine Menge Tote. Darunter auch sehr viele Unschuldige, Unbeteiligte … Frauen, Mütter. Ganz zu schweigen von den Verbrechern, die das Blutbad nutzen und ein eigenes Schlachtfeld aufmachen. Die vielen Lichter da hinten, wo Sie gerade hingucken? Das ist Ciudad Juaréz. Eine Zeit lang war es, abgesehen von echten Kriegsgebieten, die gefährlichste Stadt der Welt.“

J. Todd Scott – Die weite Leere, S. 345

Verlorene Menschen in einer unbehausten Umgebung. Menschen, die sich nach Anerkennung und Liebe sehnen. Und Gewalt und Korruption, die mit diesem Wunsch einhergeht. Davon erzählt J. Todd Scott in seinem Debüt Die weite Leere.


Dabei stellt J. Todd Scott gut ein halbes Dutzend Figuren in den Mittelpunkt seines Romans, deren Beziehungen und Entwicklungen er beobachtet. Hauptfigur ist der Sheriff der fiktiven Kleinstadt Murfee irgendwo im Nirgendwo zwischen Mexiko und Texas, genannt der „Judge“. Er kontrolliert die öffentliche Ordnung und ist in der Kleinstadt hoch angesehen. Ganz anders als die Bewohner*innen Murfees beurteilt allerdings sein Sohn Caleb den Charakter und das Tun des Sheriffs. Dieser hat den Sheriff nämlich im Verdacht, seine eigene Mutter sowie zwei ihrer Vorgängerinnen getötet zu haben.

Misstrauen in Murfee

Um diese Figuren gruppieren sich weitere Bewohner Murfees, allen voran der Deputy Chris Cherry. Einst ruhten die sportlichen Hoffnungen der Stadt auf ihm, doch eine Knieverletzung brachte den vielversprechenden Quarterback um seine Karriere. Und so versieht er nun in Murfee unter Sheriff Ross seinen Dienst. Als ein Farmer Knochen in der Wüste findet, läuft Cherry zu großer Form auf. Schließlich verschwand vor einiger Zeit ein Ermittler spurlos. Geben die Knochen nun Auskunft über sein Schicksal?

Eine Lehrerin, neu in der Stadt und mit einem traurigen Geheimnis versehen, ein Crystal Meth-abhängiger Deputy, ein mexikanischer Sicario und eine Freundin Calebs vervollständigen das Ensemble.

J. Todd Scott - Die weite Leere (Cover)

All diese Figuren und ihre Beziehungen untereinander bilden den Motor dieses Romans. Denn statt einfach linear eine Handlung zu präsentieren und diese mithilfe gerade geeigneter Perspektiven zu schildern und voranzutreiben, wählt der schreibende DEA-Agent einen anderen Ansatz. Er blickt in das Seelenleben der Figuren, die allesamt die räumliche Leere des Handlungsortes auch in ihrer Seele verspüren. Caleb vermisst seine Mutter. Die Freundin von Deputy Cherry ist in der Beziehung unglücklich, beide gehen sich aus dem Weg. Die Lehrerin erfährt die Leere in Folge des Schicksalsschlags, der sie nach Murfee geführt hat. Manche Figuren betäuben sich mit Drogen, andere suchen im Flirt Erfüllung. Dass diese seelische Unbehaustheit tödliche Konsequenzen zur Folge haben wird, das führt Scott konsequent zu Ende. Dabei nimmt er sich aber Zeit, die Konsequenzen zu entwickeln und investiert viel Zeit in die Anlage der Figuren und ihrer Spannungsfelder.

Gut ausbalanciertes Erzählgewicht

Dabei fließt die Expertise des DEA-Agenten angenehm zurückhaltend ein. Denn neben den Schilderungen von Crystal Meth-Abhängigkeit, verdeckten Ermittlungen und täglicher Ermittlungsarbeit nimmt sich Scott eben auch ausreichend Zeit für die Psychologisierung seiner Figuren. Ihre Wünsche und Sorgen, die ihr Handeln motivieren, zeichnet er glaubwürdig und plausibel nach. Das ist alles gut ausbalanciert und hat weder auf psychologischer noch auf handlungstechnischer Ebene Schlagseite.

Nach und nach entsteht durch die Figuren das Porträt einer typischen amerikanischen Kleinstadt, in der das Unrecht und die Kriminalität vor allem bedingt durch die eigentlichen Vertreter von Recht und Ordnung wie ein Krebsgeschwür wuchert. Das ist beeindruckend und verschafft dem Buch in der ganzen Fülle an ähnlich gelagerten Krimis und Thrillern in letzter Zeit eine eigene Nische und macht es lesenwert.

Fazit

Mit Die weite Leere gelingt J. Todd Scott ein wirklich beachtenswertes Debüt, das Erwartungen weckt auf das, was da noch folgen mag. Erneut gelingt dem Polar-Verlag eine Entdeckung eines ungewöhnlichen Erzähltalents, die durch die Übersetzung von Harriet Fricke und das Nachwort von Carsten Germis abgerundet wird.


  • J. Todd Scott – Die weite Leere
  • Aus dem Englischen von Harriet Fricke
  • Mit einem Nachwort von Carsten Germis
  • 448 Seiten. Preis: 22,00 €

Joe R. Lansdale – Blutiges Echo

Mörderisches Echo

Harry Wilkes ist anders als all die anderen Kinder. Als Einzelkind wurde er umhegt und gepflegt und stand unter der liebevollen Fittiche seiner Eltern. Eine Zäsur in seinem Leben stellte eine mysteriöse Erkrankung dar, nach der sein Leben nicht mehr so ist wie es einmal war.
Denn plötzlich kann Harry Geräusche hören und Taten sehen, die sich an bestimmten Orten einmal abgespielt haben. In Visionen offenbaren sich ihm die grausigen Geheimnisse, die an jedem Ort und hinter jeder Tür lauern können. Von Kindesbeinen an verfolgt ihn diese Gabe.
Als Student hat Harry nun einen Weg gefunden, um diese Klänge zum Verklingen zu bringen – und der Weg heißt Alkohol. Eigentlich könnte Harry in seinem White-Trash-Dasein versinken, wenn er nicht eines Abends die Bekanntschaft von Tad machen würde, die sich gegenseitig auf den richtigen Weg zurückbringen wollen. Als sich Harry nun auch noch verliebt, werden die Dinge nun richtig kompliziert.
Joe R. Lansdale hat erneut einen feinen Thriller abgeliefert, der diesmal härter ausgefallen ist als die „üblichen“ Romane von ihm, in denen sich seine Protagonisten an (mörderische) Erlebnisse aus ihrer Kindheit zurückerinnern. Das Buch, das im Opus Magnum Lansdales diesem Buch an nächsten kommt dürfte der Noir-Thriller Die Kälte im Juli sein. Wer auf einen der eher „sanfteren“ Krimis á la Das Dickicht oder Dunkle Gewässer gehofft hat, der sieht sich bei Blutiges Echo wahrscheinlich enttäuscht.
Die mit seiner Gabe gequälte Seele Harry porträtiert Joe R. Lansdale eindrücklich und zeigt einen Teenager, für den die Zeit, in der eh alles schon kompliziert ist, noch komplizierter wird. Die synästhetische Gabe Harrys fügt sich nahtlos in das Gesamtkonzept des Buchs ein, obwohl man bei der Lektüre des Klappentextes vielleicht eher an einen übersinnlichen Thriller denken würde. Das Buch liest sich schnell weg – ein gewohnt guter Lansdale-Schmöker mit hoher Pageturner-Qualität!