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Rachel Yoder – Nightbitch

Zwischen Bücherbabys, künstlerischer Selbstverwirklichung und ungewöhnliche Erziehungsansätze. Rachel Yoder schreibt in Nightbitch über die Anforderungen an eine junge Mutter – und ihre Metamorphose zu einer Hündin.


Alles beginnt zunächst noch recht gewöhnlich mit ein paar Haaren. Diese finden sich allerdings an Stellen, an denen sie nicht hingehören. Zudem macht das Volumen ebenjener Haare der namenlosen Protagonistin in Rachel Yoders Roman Sorgen, denn so ganz normal scheint diese neue Haarpracht nicht zu sein:

Zugegebenermaßen wirkte sie haariger als sonst. Ihre widerspenstige Mähne stand ihr um Kopf und Schultern wie ein Wespenschwarm, die Brauen schoben sich in ungehemmten Wachstum über ihre Stirn wie Raupen. Am Kinn hatte sie sogar zwei schwarze Bosten entdeckt, und im entsprechenden Licht – ehrlich gesagt, in jedem Licht – schimmerte dort auf ihrer Oberlippe, wo die Haare nach der letzten Laserbehandlung nachwuchsen, ein Bartschatten. Waren ihre Unterarme immer schon so buschig gewesen? Hatte der Haaransatz immer schon bis an ihren Kiefer gereicht? Und waren dunkle Büschel auf den Zehen eigentlich normal?

Rachel Yoder – Nightbitch, S. 10

Von einer Mutter zur Hündin

Von ihrem Mann belächelt nimmt die nur als „Die Mutter“ bezeichnete Frau immer mehr Veränderungen an sich wahr. Die Zähne werden spitzer und länger, es wächst ihr plötzlich Fell – nur ihr Mann will es nicht wahrhaben. Er tut sämtliche Veränderungen ab und pflegt weiterhin seine Haltung der Ignoranz, die er gegenüber seiner Frau und ihrer Rolle als Mutter an den Tag einnimmt.

Rachel Yoder - Nightbitch (Cover)

Obwohl er zusammen mit der Protagonistin einen jungen Sohn hat, glänzt er tagelang mit Abwesenheit und überlässt sämtliche Erziehungsaufgaben und Care-Arbeit seiner Frau. Verständnis für seine Partnerin gibt es bei ihm nicht, weder für ihre Erschöpfung noch für die Schwierigkeiten, die das Hineinfinden in die neue Rolle als Mutter bedeutet.

Derweil droht die junge Mutter zunehmend an ihrer neuen Rolle als Mutter zu verzweifeln. Eine Karriere als Künstlerin hat sie trotz vielversprechender Ansätze aufgegeben, stattdessen bestimmen nun Muttermilch und eintönige Tage zuhause das Leben der jungen Frau. Durch Zufall besucht sie in der lokalen Stadtbücherei die Gruppe der Bücherbabys – mit den anderen Müttern dort aber fremdelt die Künstlerin sehr. Sie sucht sich einen anderen Weg aus der neuen Isolation, die das Dasein als Mutter für sie bedeutet. Nightbitch heißt ihr Alter Ego, das sie sich erschafft – und das sich bald auf haarige Weise verselbstständigt.

Mein hündisches Herz

Ähnlich wie bei einem Werwolf wird auch in der Mutter der animalische Trieb immer stärker. So übt das rot glänzende Fleisch in der Kühltheke plötzlich einen immer stärker werdenden Reiz auf die junge Frau aus. Gierig schleppt sie es kiloweise nach Hause. Vor der Haustür tauchen nächtens Hunde aus der Nachbarschaft auf. Sie selbst verwandelt sich auch in Tier, reißt plötzlich Kaninchen und übt mit ihrem Sohn den Gang auf allen vieren und lässt diesen dann schon mal in einer Hundehütte übernachten.

Nightbitch erzählt von der Verwandlung in eine Hündin und vom Animalischen, das wir in unserem Alltag zu unterdrücken versuchen. Rachel Yoder erzählt plakativ, manchmal geradezu grell, von überforderten Müttern, Selbsthilfekursen und diesem unersättlichen Verlangen nach Fleisch und Tod. Das klingt in seiner theoretischen Anlage zunächst reichlich plump, entwickelt dann aber einen Sog, der auch viele Einsichten über Mutterschaft und Überforderung beschert.

Fazit

Mit Nightbitch sortiert sich die Autorin irgendwo zwischen Sarah MossSchlaflos, Mareike Fallwickls Die Wut, die bleibt und Doireann Ní Ghríofas Ein Geist in der Kehle ein. Yoder gelingt ein Roman, der von den Schwierigkeiten erzählt, die es bedeutet, Mutter zu werden und seine eigenen Bedürfnisse unterzuordnen. Partnerschaftliches Unverständnis, überhandnehmende Anforderungen und die Potentiale, die plötzlich in einer tierischen Metamorphose lauern.

Das beleuchtet ihr Buch auf unterhaltsame Art und Weise, das sich von der Komik bis zum Horror unterschiedlichster Stilelemente bedient, die Yoder tatsächlich zu einem überzeugenden Ganzen zusammenführt.


  • Rachel Yoder – Nightbitch
  • Aus dem Englischen von Eva Bonné
  • ISBN 978-3-608-98687-7 (Klett-Cotta)
  • 304 Seiten. Preis: 24,00 €
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Kakerlakack

Ian McEwan – Kakerlake

Lieber Ian McEwan,

was war das denn bitte? Mit diesem Buch hast du dir leider überhaupt keinen Gefallen getan. Eindrucksvoll beweist du, dass eine gute Absicht noch lange kein gutes Buch ausmacht. Immerhin ist dir das Kunststück gelungen, ein Buch mit Verfallsdatum zu produzieren, das schon wenige Monate nach dem Erscheinen deutlich überschritten ist.


Sicher, ich kann dich verstehen. Dieses Theater um den Brexit, du warst von Anfang an dagegen. Dieser Wahnsinn, den Verbleib in der EU und alle komplexen Abwägungen einfach an eine simple Ja-Nein-Abstimmung zu binden. Und dann auch noch das Theater, das folgen sollte. Remain-Kampagnen, Busse versehen mit offenkundigen Lügen, dutzendfach verschobene Abstimmungen. Brexiteers versus Remainers, Chaos im Unterhaus, sogar ein politisch motivierter Mord. Auch du magst dir verwundert die Augen gerieben haben. Diese Nation, die sich da gerade fröhlich selbst zerlegt, sie soll einst über den halben Erdball geherrscht haben? Schwerlich vorstellbar angesichts dieses Chaos, das die Insel erfasst hatte.

Was aber tun? Erst einmal zur Feder gegriffen und die Unterschrift unter einen offenen Brief gesetzt. Immerhin, John Le Carré, Vivienne Westwood oder Tom Stoppard taten das auch. Über 300 prominenter Brit*innen protestierte gegen den Austritt aus der EU. Aber hat es etwas gebracht? Man sieht es ja recht deutlich.

Das Buch als Protest

Dir war klar, dass es damit nicht getan sein kann. Deine Motivation hat dir dein Diogenes-Verlag auch prominent auf die Rückseite deines Buchs gedruckt: Was kann ein Schrifsteller in diesen Zeiten nur tun? Schreiben! So deine Erkenntnis. Das mag schon alles richtig sein. Aber doch bitte um himmelswillen nicht dieses Buch!

Gewiss, du warst wütend. Und eine Satire war dir früher doch schon einmal gut von der Hand gegangen. Warum also nicht auch jetzt? Und Material war ja auch in Übermaße vorhanden. Eine Nation, die austreten will, aber nicht mehr vor und zurück kann. Eine Regierung, voll mit Exzentrikern und Rücktritten im Wochentakt. Und dann erst dieser Premierminister. Ein Hasardeur, ein Spieler, ein clownesker Eliteschulen-Absolvent, der sich gerne als Mann des Volkes mit wirrem Haar und eigenwilligen Ansichten produziert.

Also die Feder gespitzt und drauflosgeschrieben. Einen wirklichen Plan hattest du allerdings nicht, wie mir nach der Lektüre deines mit viel guten Willem auf 140 Seiten und von Bernhard Robben hurtig ins Deutsche übersetzten Machwerks scheint. Gewiss, du hast dich von Franz Kafka inspirieren lassen. Die Verwandlung, einmal anders herum. Eine Kakerlake, die sich dann in den britischen Premierminister verwandelt. Und dann auch noch der Name. Jim Sams, damit es auch wirklich jeder versteht. Sams – Samsa. Klare Sache! Und fast alle anderen Mitglieder deines Kabinetts – auch eigentlich Kakerlaken. Ja witzig! (Das war jetzt Ironie meinerseits. Nein, ich finde es nicht sonderlich witzig. Der PM eine Kakerlake? Ist das wirklich dein Niveau, der du in wirklich schwarzem Humor einen Nobelpreisträger lügen und täuschen oder eine einen Säugling aus dem Mutterbauch heraus Intrigen beobachten ließt?)

Ein Kessel voll Buntes

Dass diese Idee gerade einmal für ein paar Seiten und einige witzige Sätzen reichen würde, das ging dir dann selbst auf. Also flugs noch ein paar andere Themen hineingezimmert. Eine vogelwilde Theorie namens Reversalismus, die du im Stil eines BWL-Einführungsseminar seitenlang erklärst (für alle Taten, die man verrichtet, muss man Geld errichten. Für alle Erwerbungen hingegen gäbe es Geld). Dann noch ein bilateraler Konflikt mit Frankreich um ein versenktes Fischerboot im Ärmelkanal. Anschließend eine Prise Parodie auf den anderen twitterenden Hasardeur im Weißen Haus und auf Frau Merkel geschrieben. Dann noch ein bisschen übers Abstimmungsverhalten im britischen Unterhaus referiert. Zack fertig, schon ist die Kakerlake fertig.

Dass ein Kessel Buntes voller halbgarer Ideen noch kein Buch ausmacht, das sollte doch auch dir aufgegangen sein? In deiner Kakerlake knirscht es nicht im Er-zäh-lgefüge, nein, es ist schon komplett zusammengebrochen. Platteste Figuren, ein nicht vorhandener Erzählbogen, vier völlig disparate Kapitel, die zwischen Kafka-Adaption, Brexit-Parodie und Shakespeare’schem Intrigenstandel irrlichtern.

Gewiss, an der Realität des Brexits konntest du eigentlich nur scheitern. Das monatelange Chaos, dem man immer fassungsloser beiwohnte. Die Spektakel im Unterhaus voller Oooooorda! und Medien, die in die Brosche einer Verfassungsrichterin seitenweise größte Geschichten hineininterpretierten.

Wie da noch eine vernünftige Satire schreiben, zudem dir auch dein Verlag und das immer näher rückende Datum einer der finalen Brexit-Abstimmungen im Nacken saßen. Aber hättest du es doch einfach gelassen oder das Buch in deine Schreibtischschublade oder einen diskreten Ordner auf deinem Arbeits-PC-Desktop verschoben.

Warum dieses Buch?

So ist Die Kakerlake ein Tiefschlag in deinem Schaffen, ein Buch, das sich in deinem sonst so beeindruckenden Oeuvre ausnimmt wie eine Burger vom Vortag gegenüber einem 3-Sterne-Menü in einem guten Restaurant.

Und nur damit wir uns nicht falsch verstehen: ich weiß es auf alle Fälle zu schätzen, wenn sich exponierte Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur für etwas einsetzen und einstehen. Aber man sollte auch immer die Wahl seiner Mittel bedenken. So nützt auch eine Satire nichts, wenn sie unlogisch, stumpf und völlig durchschaubar daherkommt. Und vielleicht hättest du sie auch vorher verfassen sollen, als die Abstimmung zum Brexit offensichtlich wurde, als nachher in dieser Form zu lamentieren.

Oder um es kurz zu machen. Lieber Ian, bitte sieh mir es nach: aber ich kann von deinem Buch nur abraten. Du hast so großartige Bücher geschrieben, da sollte über diesen literarische Rohrkrepierer (das Wort Schnellschuss kommt mir zu harmlos vor) ein gnädiger Mantel des Schweigens gebreitet werden.

Diesmal empfehle ich viel lieber ein anderes Buch, das gelungen die Entstehung des Brexits und die Verwerfungen in den sozialen Schichten Großbritanniens nachzeichnet. Ein Buch, das stark in Sachen Analyse ist, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben oder sich zu einfachen Schlüssen verleiten zu lassen.

Der Verfasser des Buchs trägt den Namen Jonathan Coe, das Buch heißt Middle England, wurde von Cathrine Hornung und Dieter Fuchs ins Deutsche übertragen und erscheint im Folio-Verlag. Diese um Welten bessere Alternative zur deiner Kakerlake wollte ich unbedingt noch an dieser Stelle erwähnt haben.

Bitte sieh mir meine offenen Worte nach, aber es war mir ein Anliegen!

Dein Marius

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