Tag Archives: Amerika

Nathan Hill – Geister

Die Geister, die ich rief …

Was für ein Buch – Nathan Hills Debüt Geister bringt es auf stattliche 864 Seiten und verlangt dem Leser einiges an Kondition ab. Ins Deutsche übertragen wurde der Titel vom Übersetzerduo Werne Löcher-Lawrence und Katrin Behringer. Erschienen ist es im Münchner Piper-Verlag.

In seinem Roman entfaltet Hill das Panorma zweier Existenzen – zum einen das des Englisch-Professors Samuel Anderson und zum anderen das seiner Mutter Faye Anderson-Andresen.

geister

Verbunden sind diese nicht nur durch ihre Herkunft, sondern auch durch ein Geheimnis, das Samuel nun endlich ergründen möchte. Eines Tages verließ seine Mutter einfach ihn und seinen Vater und verschwand ohne ein weiteres Lebenszeichen aus deren Leben.

Und nun tritt sie Jahre später mit einem Knall erneut in Samuels Welt. Sie wird nämlich gerichtlich dafür belangt, einen republikanischen Präsidentschaftsbewerber attackiert und mit Steinen beworfen zu haben. Da Samuel finanziell mehr als in der Klemme steckt, soll er nun eine alte Bringschuld für seinen Verleger einlösen und ein Buch über diesen Vorfall und damit über seine Erzeugerin schreiben. Er beginnt mit seiner Recherche, und dringt dabei auch tief ins Jahr 1968 vor. Damals versetzten die Studentenunruhen und Proteste ganz Amerika in Aufregung und im Leben von Samuels Mutter spielten sich entscheidende Dinge ab, die sie für immer prägen sollten.

864 abwechslungsreiche Seiten

864 Seiten, das klingt auf dem Blatt erst einmal nach einem wirklichen Ziegelstein von Buch. Doch Nathan Hill ist ein zu guter Schriftsteller, als dass er seine LeserInnen wirklich zu so vielen Seiten verpflichten wollte, wenn er nichts zu erzählen hätte. Seine Doppelbiografie zweier kantenreicher Persönlichkeiten liest sich ausnehmend kurzweilig, was auch der Montagetechnik des Romans geschuldet ist. Immer wieder springt er zwischen den Jahren 2011 und 1968 hin und her und variiert auch seine Schreibe.

So berichtet er von Computerspiel-Episoden, ersinnt eine Entscheide-Dich-Geschichte und liefert mit einer brillant choreografierten Schilderung der Antikriegs-Demonstrationen in Chicago 1968 den für mich überzeugendsten Teil der Geister ab. Diese variantenreiche Erzählweise macht den großen Reiz aus und sorgt dafür, dass man sich gut in Hills Protagonisten einfühlen kann.

Besonders sticht bei diesem Buch auch hervor, dass der junge Autor nicht alles zwangsläufig auserzählen muss.

Ein verheißungsvoller Literat macht sich warm

Entscheidende Passagen oder Schlüsselszenen spart er manchmal auch aus und überlässt deren Inhalt der Fantasie des Lesers. Immer wieder bringt er neue Facetten zum Vorschein oder legt den Fokus auf unterschiedliche Protagonisten (darunter auch Personen der Zeitgeschichte wie etwa Allen Ginsberg). Dies lässt aus diesem toll gestalteten Buch eine spannende und abwechslungsreiche Lektüre werden.

Ein großer amerikanischer Roman für diesen Herbst. Hier macht sich ein neuer Literat am Seitenfeld warm, der schon bald altgedienteren und etablierten Great-American-Novel-Schreibern den Rang ablaufen könnte!

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Callan Wink – Der letzte beste Ort

Es sind einfache Menschen, von denen Callan Wink in seinem Kurzgeschichtendebüt erzählt. Und genau das macht seine Erzählungen so packend, die dieser Band unter dem Titel Der letzte beste Ort versammelt.


Das Buch beinhaltet neun Erzählunge, die sich meist im Rahmen von 25-30 Seiten bewegen. Einziger kleiner Ausreißer ist die letzte Erzählung Im Nachhinein, die 65 Seiten stark ist und mit Kapiteln gegliedert wurde.

Callan Wink - Der letzte beste Ort (Cover)

Wenn ich den Inhalt des Buches oder seine Stoßrichtung beschreiben sollte, gelange ich schon an meine Grenzen. Das Buch berichtet einfach von ganz normalen Menschen und den großen und kleinen Dramen des Lebens. Da ist zunächst ein Mann, der einen Hund aus seiner Gefangenschaft befreite und nun vor den Besitzern durch die Nacht davonläuft.

Da ist ein Mann, der als Schauspieler an der Nachstellung der Schlacht am Little Big Horn mitwirkt, bei der der berühmte amerikanische Heeresführer Custer starb. Oder der Abschluss des Bandes: hier lässt Callan Wink eine Frau über ihr gelebtes Leben und dessen Höhen und Tiefen räsonieren.

Der Verzicht auf Pathos und Überhöhung

Für mich macht den Reiz dieser hervorragenden Kurzgeschichte das Ausbleiben von Pathos und Überhöhung aus. Callan Wink schreibt auf den Punkt – mit prätentiösen literarischen Ausschmückungen hat er nichts am Hut (übersetzt von Hannes Meyer). Er erzählt von ganz normalen Menschen und den Dramen, die sich in deren Leben abspielen. Und dies gelingt ihm in einer herzzerreißenden Intensität. Vor allem die zweite Geschichte Schneeschmelze berührte mich sehr. Hier schreibt ein Autor, dessen Schreibe den Wunsch nach mehr weckt. Hoffnung gibt da die Info, dass Wink gerade an seinem ersten abgeschlossenen Roman arbeitet.

Ein Wort sollte an dieser Stelle auch noch zur besonders schönen Ausstattung dieses Buchs verloren werden. Hier hat sich der Suhrkamp-Verlag nämlich wirklich Mühe gegeben. Der Buchblock ist in einen kartonierten festen Umschlag eingebunden, der das Bildmotiv gleich aufgeprägt trägt. Das Buch liegt gut in der Hand und macht einfach Freude beim Aufschlagen. Gerne blättert man in das Buch hinein und lässt sich in die Kurzgeschichten saugen.

Hier beweist der junge Autor Callan Wink, dass das ganz einfache Leben und dessen Dramen noch immer am spannendsten sind, wenn man gut über sie zu schreiben weiß. Und Wink weiß das auf alle Fälle!


  • Callan Wink – Der letzte beste Ort
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer
  • ISBN 978-3-518-42559-6 (Suhrkamp)
  • 281 Seiten. Preis: 22,00 €
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Matthew F. Jones – Ein einziger Schuss

John Moon ist eine vom Leben mehr als gebeutelte Gestalt: seine Frau ist samt Kind ausgezogen, seine Farm ist ihm genommen worden und Perspektiven gibt es in seinem Leben eh schon lange nicht mehr. Über Wasser hält sich Moon mit der Wilderei, der er im amerikanischen Hinterland verbotenerweise nachgeht. Und genau diese Wilderei wird ihm nun eines Tages zu seinem Verhängnis:

Matthew F. Jones - Ein einziger Schuss (Cover)

Als er einen kapitalen Hirsch erlegen will, gelingt ihm kein tödlicher Treffer. Angezählt schleppt sich der Hirsch durch die Wälder, um schließlich von John in einem alten Steinbruch gestellt zu werden.

Doch neben dem Hirsch erwartet ihn dort eine weitere Überraschung. Im Steinbruch liegt die Leiche eines jungen Mädchens und eine Tasche voller Geld. Moon begeht den Fehler, in Panik die Leiche verschwinden zu lassen und das Geld an sich zu nehmen. Damit schlittert er in einen tödlichen Strudel, denn die Mörder des Mädchens haben nicht die Absicht, über den Verlust des Geldes gnädig hinwegzusehen …

Ein neuer Vertreter des Country Noir

Mit Matthew F. Jones hat der unabhängige Polar-Verlag einen amerikanischen Autor aufgetan, der dem Genre des Country Noir neue Facetten abringt und der nebenbei wie ein Doppelgänger von Chuck Norris aussieht. Ähnlich kantig ist auch die Prosa, die der Autor schreibt. Seinen Protagonisten John Moon lässt er unbarmherzig auf den Abgrund zutaumeln, den er in seinen diversen Rauschzuständen so kaum wahrnimmt. Brutal ist die Welt in Ein einziger Schuss, in die John Moon unversehens geschleudert wird. Morde sind an der Tagesordnung. Doch inmitten dieser Todesszenarien findet der Autor auch immer wieder Platz für wunderbare Naturbeschreibungen oder Hoffnungsschimmer. Dass sie zwar aufscheinen, dann aber ungenutzt verstreichen, das steht ja in guter alter Noir-Tradition.

Matthew F. Jones hat einen intensives Buch aus dem amerikanischen Hinterland über einen Loser geschrieben, der in einer Tretmühle aus Gewalt, Suff und Malochen gefangen ist. Ganz besonders das heftige Ende weiß zu überzeugen (wie auch die Übersetzung durch Robert Brack). Gerne mehr von diesem Autor!

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J. Ryan Stradal – Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens

Gutes Essen hat im Verlagsprogramm von Diogenes seinen festen Platz – egal ob der Gourmetkoch Bruno, Chef de Police, sich durch das Perigord schmaust oder Martin Suter einen Koch ins Gewirr zwischen Molekularküche und Rüstungsdeal verstrickt – immer haben sinnliche Genüsse im Programm des Schweizer Verlags einen Platz. Nun hat sich der Verlag einen weiteren Debütanten ins Boot geholt, der dieser Linie zielsicher folgt und mit Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens einen Roman rund um Kulinarik und Familie vorlegt.

Pressebild_Die-Geheimnisse-der-Kueche-des-Mittleren-WestensDiogenes-Verlag_300dpiDie Geschichte, die Stradal in seinem Debüt erzählt, ist die von Eva Thorvald. Schon als kleines Kind gerät sie mit gutem Essen in Kontakt und dies wird zu ihrer ganzen Passion werden. Für seinen Roman wählt Stradal hierbei einen besonderen erzähltechnischen Kniff, und zwar wirf er auf Eva immer wieder Schlaglichter während ihrer Entwicklung vom Kleinkind hin zur gefeierten Starköchin. Doch bei diesen Stationen liegt der Fokus nicht direkt auf Eva, sondern Stradal erzählt von Figuren, die Eva mal mehr und mal weniger intensiv begleiten oder beeinflussen. Stück für Stück arbeitet sich Stradal so vor, bis der Stern der Köchin aufgeht und ihr Ruhm immer heller zu strahlen beginnt.

Die Figuren, an denen sich Stradals Geschichte entlanghangelt, sind für meinen Geschmack etwas dünn geraten (wenn sie auch viele Amerika-Klischees erfüllen). [Achtung, Spoilerwarnung. Wer nicht wissen möchte, wie das Buch schließt, bitte einfach die nächsten Zeilen überlesen]. Immer wieder werden neue Figuren eingeführt, die den Lebensweg der kommenden Starköchin kreuzen, und die im Finale auch in Form eines Dinners auch zusammengeführt werden. Von den Köpfen, die Eva Thorvald dann für das abschließende Dinner um sich versammelt, ist mir aber keiner sonderlich sympathisch oder bleibt durch Tiefe und Ambiguität lange im Gedächtnis hängen. Immer wieder hatte ich Schwierigkeiten, mit den Namen die Episoden der Menschen zu verbinden, die Stradal zuvor erzählte. Spitze des Eisbergs ist für mich Eva Thorvalds Mutter, die ihr Kind für einen Sommelier verlässt, dann aber wieder nach Evas Erfolg ihre Mutter sein will und die Nähe Evas sucht. Sympathische Charaktere gehen anders. Zusammen mit dem recht dünnen erzählerischen Faden, der um die Einzelepisoden gebunden ist, bleibt mir eher der Geschmack, durchwachsenes Fastfood denn ein literarisches Gourmetmenü verzehrt zu haben. Dies ist schade, da der Roman durchaus Potential hat und gerade bei den Beschreibungen von Essen und dessen Zubereitung durchaus punkten kann. Auch das Cover ist mehr als gelungen, doch von einem imposanten Meisterstück zu sprechen, wie es die New York Times macht, das würde ich bei dem Neuzugang im Hause Diogenes leider nicht.

 

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Kurz und Knackig – 3 Krimibesprechungen

Sommerzeit ist ja bekanntlich Lesezeit – und mir sind in letzter Zeit auch wieder zahlreiche Bücher untergekommen, die mich mal mehr, mal weniger begeistert haben. Thematisch gebündelt hier drei Minibesprechungen von neuen Krimis:

James Grady – Die letzten Tage des Condor

CondorDer Condor ist also wieder gelandet. Nach zwei früheren Büchern und einer mehr als erfolgreichen Verfilmung durch Sidney Pollack mit Robert Redford in der Hauptrolle soll der alte Haudegen noch einmal fliegen. Nach dem Condor in psychiatrischer Behandlung bei der CIA war, fristet er ein überschaubares Leben als Angestellter der Library of Congress in Washington. Doch dann findet er eines Tages in seiner Wohnung gekreuzigt einen seiner Aufpasser von der Agency bei sich daheim vor. Er beschließt zu fliehen – und zieht damit viele Verfolger auf sich.

Ein flirrendes, aber auch durchaus anstrengendes Buch, dessen sperrige Sprache des Öfteren die Spannung zerhackt. Die letzten Tage des Condor bleibt eng an dem Plot der vorherigen Bücher und ist eher etwas für Leser mit viel Geduld.

 

Tim Erzberg – Hell-Go-Land

HellgolandAnna Krüger tritt ihren Dienst als Polizistin auf der malerischen Insel Helgoland an. Doch schon am ersten Tag droht alles aus dem Ruder zu laufen. Ein Sturm schneidet Helgoland von der Außenwelt ab und sorgt dafür, dass die Polizisten in dem kleinen Revier auf sich alleine gestellt sind. Und dann bekommt Anna schon blutige Post, versehen mit einer Botschaft. Wer schickte der jungen Polizistin das Päckchen und was für einen Plan verfolgt der Täter? Während auf Helgoland ein Orkan zuzieht, versucht die Kriminalerin, Licht ins Dunkel zu bringen. Doch einige Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit scheinen mit den aktuellen Geschehnissen verknüpft zu sein.

Hell-Go-Land wandelt auf altbekannten, von Sebastian Fitzek und Co ausgetretenen Wegen, ohne allzu viel Neues zu bieten. Der nach Schema F strukturierte Plot hat keine besondere Sprache oder Eigenheiten, weiß aber abgesehen davon gut für einige Stunden zu unterhalten. Eine spannender Snack ohne viel Langzeitwirkung, ideal für den Strand oder das Freibad …

 

Nicholas Petrie – Drifter

DrifterPeter Ash ist Veteran aus den Kriegen im Irak und Afghanistan. Als Remineszenz an diese Zeit ist ihm das sogenannte Weiße Rauschen geblieben, dass ihm einen Aufenthalt in engen Räumen so gut wie unmäglich macht. Stattdessen verbringt er seine Zeit lieber im Freien und schlägt sich durch. Doch nach dem Selbstmord eines Veteranenkollegen, beschließt er, der Witwe seines Freundes unter die Arme zu greifen und deren Haus zu renovieren. Dabei stößt er auf einen Koffer mit viel Bargeld und Sprengstoff, dass ihn direkt in einen geplanten Anschlag hineinzieht. Während er das Geheimnis des Koffers zu ergründen sucht, tickt irgendwo da draußen schon der Countdown zu einem geplanten Anschlag herunter.

Auch wenn Drifter sprachlich keine große Kunst ist, weiß Nicholas Petrie in seinem Debüt doch schon, wie man an Spannungsschrauben dreht und den Plot vorantreibt. Sein Buch ist ein größtenteils im Veteranen-Milieu spielender amerikanischer Thriller, der zwar auch das Rad nicht neu erfindet, dafür aber den Leser durch die 400 Seiten jagt und dabei wirklich gut unterhält. Von den drei hier besprochenen Bücher ist dieses meiner Meinung nach das Beste!

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