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Nina Bußmann – Drei Wochen im August

Sommer, Sonne, Waldbrand. In ihrem Roman lässt die Schriftstellerin Nina Bußmann Teile einer Familie in den Urlaub nach Frankreich fahren, wo sie so einiges finden – Erholung zählt aber nicht dazu. Vielmehr dominieren zwischenmenschliche Spannungen, undurchsichtige Menschen und nicht wirklich klare Beziehungen. Und dann bedrohen auch noch Waldfeuer die geplante Idylle der Drei Wochen im August.


Es klang zu verlockend, das Angebot, das Ali ihrer Freundin und Angestellten Elena unterbreitet. Ihre Partnerin verfüge über ein Haus in Atlantiknähe in Frankreich, habe aber nicht mehr lange zu leben und befinde sich in medizinischer Behandlung. Im Sommer stünde das Haus deshalb leer. Ob Elena mit ihrer Familie nicht das Domizil beziehen wolle, um dort ihren gemeinsamen Urlaub zu verbringen?

Tatsächlich nimmt Elena das verlockende Angebot an, um mit ihren Kindern Rinus und Linn dort am Meer entspannte Wochen im August zu verbringen. Doch schon das Wort Familienurlaub führt etwas in die Irre. Denn Elenas Mann Kolja reist nicht mit in das wohlkuratierte Haus am Meer. Er will noch Handwerkerarbeiten zuhause abwarten und dann per Bahn nachkommen. An seiner statt entscheidet sich Elena, die Nanny Eve mit ins zeitweise Haus am Meer mitzunehmen.

Die Beziehung der Kinder zu Eve ist besser als die zu ihrer eigenen Mutter, und so hofft Elena auch auf eine für sie erholsame Zeit, die sie zum Arbeiten nutzen kann, während Eve die Betreuung der Kinder übernimmt. Als freie Kuratorin veredelt Elena die Kunst ihrer Chefin Ali mit allerlei Worthülsen und Theorien, um diesen theoretisch zu unterfüttern. Ein recht unkonturierter Job, der aber auch zur Unsicherheit passt, die den Aufenthalt der Frauen am Meer kennzeichnen wird.

Denn nicht nur, dass mit Eve ein extrafamiliärer Teil mit in den Urlaub kommt, mit Noémie gibt es einen weiteren Charakter, der außerhalb der Kernfamilie steht und die ebenfalls mit in das Haus am Meer kommt. Bei ihr handelt es sich um eine Freundin ihrer Tochter Linn, die Elena abweisend gegenübersteht und zu der sie noch schlechter als zu ihren eigenen Kindern einen Zugang findet, was ihr eigenes Fremdeln mit der jungen Generation verstärkt.

Kriselnde Beziehungen und drohende Buschfeuer

Nina Bussmann - Drei Wochen im August (Cover)

Abwechselnd blickt Nina Bußmann aus Sicht von Elena und Eve auf das Geschehen, das sich nun innerhalb der folgenden drei Wochen im August entfaltet. Dabei schaut sie ins Innere einer Familie, die wieder einmal von Auflösungserscheinungen gekennzeichnet ist.

Abwesende Väter, unverständige Töchter und im Umkehrschluss ebenso unverständige Mütter, dazu mit Ilyas ein Haushüter, dessen Beziehung zur Hausherrin wie auch seine Rolle im Haus nicht wirklich klar wird. Ebenso unklar ist der Status der Beziehung Elenas zu ihrem Mann Kolja, dessen Ankunft am Meer immer weiter auf sich warten lässt – und vielleicht gar nicht mehr eintritt, schließlich schwebt die Möglichkeit einer Trennung der beiden Eltern im Raum.

Und dann sind da auch noch die drohenden Buschfeuer in der Umgebung um das Haus, von denen man zwar nichts mitbekommt, deren Ausbruch und eine mögliche Evakuierung der Urlauber aber auch immer wieder im Raum steht. Selbst das Bad im Meer scheidet aus, denn auch das erweist sich als wenig familienfreundlich und wartet stattdessen mit Untiefen und gefährlichen Strömungen auf.

Statt Entspannung und Abschalten gibt es so also Nervosität und Frust, Geldprobleme und Unsicherheit, die sich mit den neu auftauchende Figuren dort im Feriendomizil weiter verstärkt. Immer größer werden die Probleme, die durch die gegenläufige Erzählperspektive der beiden Frauen besonders evident werden. Hat das Ganze aufgrund der überschaubaren Anzahl an Personen den Charakter zunächst eines Kammerspiels, ändert sich dieser Ton, als immer mehr Gäste in der Villa einfallen und den Urlaubern sogar ein Hund zuläuft.

Handlungsstark wie ein Wasserball im Swimmingpool

Was nun nach viel Handlung klingen mag, stellt sich allerdings in der Praxis als wenig handlungsstark heraus. Trotz dem Auftritt von immer neuen Figuren passiert in Drei Wochen im August eigentlich kaum etwas. Oftmals gleicht die Handlung einem Wasserball, der im Pool treibt und schaukelnd auf der Stelle verharrt, wenn er sich nicht langsam dreht oder sanft von einer Ecke des Pools in die andere getrieben wird.

Es ist weniger die Handlung als vielmehr die psychologische Ebene, die Nina Bußmann in ihrem Roman interessiert. Immer wieder wird Elena in ihrer Sehnsucht nach Vertrauen und Verbindung enttäuscht. Weder zu den Kindern noch zu Eve findet sie eine wirkliche Verbindung, obschon sie dieser tausend Euro bezahlt hat, um mit ihr als „Freundin“ den Sommerurlaub zu verbringen. Dieses Geldmittel hat ihr aber keine Freundschaft erkauft, vielmehr ist es Eve, die trotz der Abhängigkeiten über Elena steht, wie man durch die gegenläufigen Perspektiven erfährt.

Diese Umkehrung von Machthierachien, die Betrachtung von Klasse und seelischer Standfestigkeit, sie ist der reizvolle Subtext, der sich unter dem eher handlungsarmen Geschehen entfaltet und der vor allem mit Elena in ihrer Schwäche und ihrem Unvermögen eine stark gezeichnete Protagonistin hat, deren Wunsch nach Bindung im Urlaub enttäuscht werden wird, das ist ebenso nachvollziehbar wie unterhaltsam geschildert.

Fazit

Flirrend und beunruhigend, so ist dieser Sommer, den man gerne mit Bußmanns in Sachen zwischenmenschlicher Verbindungen nicht ganz trittfesten Figuren verbringt. Drei Wochen im August lässt über die möglichen Unzulänglichkeiten des eigenen Sommerurlaubs gut hinwegsehen. Hat man dieses Buch in seinen Reisekoffer gepackt, dann wird man den eigenen Urlaub noch einmal mehr zu schätzen wissen.

Wieder einmal zeigt sich: mag der Urlaub der anderen auch noch so instagramabel und luxuriös erscheinen, der Pool glitzern und die kunstvollen Statuen im Garten einen Eindruck von Wohlkuratiertheit und Wohlstand vermitteln, so tun sich in solch glänzenden Urlaubsfassaden doch auch immer wieder Risse auf, in die sich Nina Bußmann hier lesenswert hineinbegibt.


  • Nina Bußmann – Drei Wochen im August
  • ISBN 978-3-518-43221-1 (Suhrkamp)
  • 317 Seiten. Preis: 25,00 €
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Franziska Gänsler – Wie Inseln im Licht

Trauerarbeit an der Côte d’Argent. Franziska Gänsler schickt in ihrem zweiten Roman Wie Inseln im Licht eine junge Frau in ein Hotel an der Atlantikküste in Nordfrankreich, wo sie sich ihren Erinnerungen und der Verarbeitung des Todes ihrer Mutter stellt.


Im Westen Frankreichs gelegen ist die Cóte d’Argent ist ein Strandabschnitt, der sich von Soulac-sur-mer bis nach Biarritz an der französisch-spanischen Grenze zieht. Reiseführer apostrophieren diese Küste gerne mit den Schlagworten von ausgedehnten Sandstrände, duftenden Pinienwälder und spannenden Ausflugszielen.

Was sich so reichlich malerisch und nach einem Sehnsuchtsort anhört, ist bei Franziska Gänsler alles andere als idyllisch und pittoresk. Vielmehr hat sich die junge Zoey hier in ein Hotel zurückgezogen, um sich zu erinnern und den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten.

Vier Tage ist der Tod her und nun wartet sie auf die Leiche der Mutter, die dorthin nach Südfrankreich überführt werden soll, um anschließen eingeäschert zu werden. Denn Zoey will die Asche ihrer Mutter dort verstreuen, wo sie zusammen mit ihrer Schwester Oda und der Mutter vor zwanzig Jahren einst Urlaub machten.

Zwischen Tod und Neubeginn

Franziska Gänsler - Wie Inseln im Licht (Cover)

Schwebend zwischen dem Wissen um den Tod ihrer Mutter, die Realisierung ihrer neuen Situation und der Ungewissheit alles Kommenden wartet sie nun dort an der Côte d’Argent auf das Eintreffen der Leiche. Passend zur Düsternis der inneren Verfasstheit Zoeys nimmt sich auch das ganze Setting dort in Südfrankreich außerhalb der Hochsaison aus.

Zwischen Möwenattacken, Regenschauern am Strand und der trostlosen Atmosphäre im Hotel beschäftigt sich Zoey viel mit den eigenen Gedanken und Erinnerungen. Eine enge Verknüpfung sind Dabei auch die Arbeiten und das Leben der US-amerikanischen Künstlerin Tracey Emin für die junge Frau.

Denn diese teilt nicht nur den Geburtstag mit ihrer Mutter, auch in ihrer Kunst und deren Schmerzen fand und findet sich Zoey immer wieder. Ursprünglich wollte sie sogar ihre Masterarbeit in Kunstgeschichte über die britische Künstlerin schreiben, dieses Projekt wich über die letzten drei Jahre der Pflege ihrer Mutter.

Trost mit Tracey Emin

Auch wenn sie sich in der Zwischenzeit von ihren akademischen Ambitionen verabschiedet hat, so lässt die Künstlerin und ihre Radikalität Zoey nicht los. Den Titel von Tracey Emins Arbeit aus dem Jahr 1994 Exploration of the Soul könnte man auch als programmatische Arbeit über diese Zwischenzeit stellen, in der sich Zoey nun befindet.

Ich war Teil eines bizarren Duos, jetzt bin ich eine bizarre Einzelheit. Allein, in diesem Zimmer am Atlantik, im bläulichen Licht, während draußen der Regen auf den Sand fällt. Ich warte auf den Transport der Mutter, und in mir liegen die Gedanken an sie wie ein Pool, in den ich eintauche, sobald es keine Ablenkung gibt.

Franziska Gänsler – Wie Inseln im Licht, S. 18

Während sie sich der Trauerarbeit dort im Hotel hingibt, drängen auch immer mehr verschüttete Erinnerungen ans Tageslicht. Das Zusammenleben mit ihrer Mutter, vor allem aber das Verschwinden ihrer kleinen Schwester Oda, die sie zuletzt dort an der Côte d’Argent auf dem Campingplatz vor zwanzig Jahren gesehen hat. Wohin ist ihre Schwester einst verschwunden und warum gibt es keine Spuren von ihr? Warum kann sie sich nicht mehr wirklich an das erinnern, was einst vor zwanzig Jahren an diesem Ort geschah, an den sie nun zurückkehrt

Während sie sich in schnellem Tempo durch die Trauerphasen arbeitet, beginnt Zoey auch vor Ort nachzuforschen. Recherchen im Zeitungsarchiv und Gespräche mit Menschen dort auf dem Campingplatz, wo auch Zoeys Mutter einst mit ihren Kindern den Urlaub verbrachte

Abschied von einem komplizierten Verhältnis

Wie Inseln im Licht beschreibt Trauerarbeit und den Abschied von einem komplizierten Verhältnis zweier Frauen. Parallel zum Verblassen der Mutter in Zoeys Leben schälen sich nun die Erinnerungen an die eigene Schwester und deren ungeklärtes Schicksal heraus. Diese Gegenläufigen Entwicklungen kombiniert Franziska Gänsler mit einer Liebesgeschichte, die sich dort im Hotel langsam entspinnt und die die Autorin gelungen einfängt.

Im Gespräch über ihr Schreiben und die erzählerische Idee hinter dem Roman gab Franziska Gänsler zu Protokoll, dass es ihr ein Anliegen war, dass dieser Roman aus dem Dunkel der Trauer ins Helle führt. Es ist ein Konzept, das aufgeht und das der Autorin in der Ausführung gelungen ist.

Beeinflusst auch von Kunstarbeiten wie Anne Imhof und ihrer Arbeit Untitled (Wave) oder der schon erwähnten Tracey Emin gelingt es diesem Roman, stimmige Bilder für die Trauer und deren Verarbeitung zu finden. Neben aller Schwere der erlebten und erinnerten Verluste findet auch Humor ins Buch, etwa von der eigenen Mme. Future, die als Wahrsagerin aus dem Campingwagen heraus auf Social Media reüssiert und trotzdem vom Wunsch nach mehr Reichweite getrieben ist

Die Sprache ist zurückgenommen und präzise gesetzt. Mit diesem gekonnten Einsatz ihrer erzählerischen Mittel benötigt Franziska Gänsler dann tatsächlich auch nur 200 Seiten, um ihre Geschichte eindrucksvoll zu gestalten und zu präsentieren.

Fazit

So ist Wie Inseln im Licht ein Trauerbuch, das neben aller Schwere aber auch Platz für Neues im Leben von Zoey findet. Eine stimmungsvolle Schilderung einer tristen Côte d’Argent, ein tiefes Eintauchen in die Psyche ihrer Figur und nicht zuletzt einfach ein gut gemachtes Stück deutsche Gegenwartsliteratur.

Mit ihrem Roman schafft Franziska Gänsler die Anschlussfähigkeit an eine jugendliche Leserschaft bis hin zu einem erwachsenen Publikum. Sie erschafft, wenn man so will, vom Ton und Thema her eine Brücke von adoleszenter zu erwachsener Literatur. Es ist eine Brücke, die von Trauer zu Trost, von Ernst zu einem versöhnlichen Blick, von Sterben zu Neubeginn führt. Was kann einem Buch mehr gelingen?


  • Franziska Gänsler – Wie Inseln im Licht
  • ISBN 978-3-0369-5034-1 (Kein & Aber)
  • 208 Seitne. Preis: 23,00 €
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