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Jennifer Down – Körper aus Licht

Down we go. In ihrem Roman Körper aus Licht führt die australische Autorin Jennifer Down ihre Leser*innen durch emotionale Höhen und Tiefen. Das Buch erzählt vom schmerzenreichen Leben der jungen Maggie und ihrer lebenslangen Odyssee. Vor allem aber zeigt der Roman, wie man sich von seiner Kindheit und den gemachten Erfahrungen kaum mehr lösen kann.


Auch im vergangenen Jahr führte wieder das Buch Das Kind in dir muss Heimat finden von Stefanie Stahl die Liste der meistverkauften Paperback-Bücher des Jahres an. Sage und schreibe 2,1 Millionen Buchkäufer*innen fanden sich bislang für Stahls Thesen, die von den Nachwirkungen der seelischen Verletzungen aus der Kindheit auf Erwachsene handeln.

Für die einen unwissenschaftliche Küchenpsychologie, für die anderen eine augenöffnende Lektüre, um eigene Verhaltensmuster zu erkennen und zu hinterfragen, so hat es das vielrezipierte Buch an die Verkaufsspitze geschafft und den Begriff des inneren Kindes geprägt.

Das innere Kind in Australien

Jennifer Down - Körper aus Licht (Cover)

Liest man nun Jennifer Downs Roman Körper aus Licht, so wirkt das Buch fast wie die literarische Bebilderung von Stahls Begriff des inneren Kindes. Denn Down zeigt in ihrem Roman, wie sich die Kindheit und die darin gemachten Erinnerungen auf das ganze Leben von Maggie auswirken, deren Lebensweg Down in diesem preisgekrönten Roman ausführlich schildert.

Ausgehend von Maggies Kindheit in den 70er Jahren erzählt Maggie aus Ich-Perspektive von ihrem Aufwachsen bei ihrem Vater, das nur von kurzer Dauer ist. Eine Mutter hat Maggie nie kennengelernt, nun sind heruntergekommene Motels, zweifelhafte weibliche Bekanntschaften, der Drogenkonsum ihres Vaters ihre Lebenswelt. Als sie vier Jahre alt ist, wird sie durch einen Bekannten ihres Vaters vergewaltigt und gelangt in der Folge in die Obhut des Staates Australien, als sie fünf ist. Fortan beginnt eine Odyssee durch Pflegefamilien und Pflegeheime, bei der sich nicht nur die steten Ortswechsel als Konstante ihres Lebens erweisen. Auch das Martyrium des Missbrauchs des jungen Mädchens setzt sich fort.

Schmerzen und Missbrauch werden zu lebenslangen Begleitern im Leben der Frau. Denn obschon sich Maggies Lebensbahn durch Schule und Studium zu stabilisieren scheint, ist es ein brüchiger Frieden mit sich selbst, der später wieder aufgekündigt wird.

Dieser Bruch mit allen bürgerlichen Aspekten ihrer Existenz motiviert auch den zweiten Erzählstrang der chronologisch geschilderten Lebensgeschichte Maggies. Dieser durchbricht immer wieder die über vierzig Jahre hinziehenden Chronologie der Schmerzen. Denn darin lernen wir Maggie als Untergetauchte kennen, die sich der Kontaktaufnahme mit einem anderen Pflegekind aus ihrer Kindheit verweigert. Warum sie dies tut und was ihren Status als Untergetauchte verursacht hat, das ist einer der zentralen Schmerzpunkte dieses Romans, den Jennifer Down ausführlich besieht.

Ich war noch keine fünfundzwanzig und hatte mein halbes Leben in Räumen verbracht, die ich mir weder ausgesucht hatte noch verlassen konnte. Zwölf Jahre in staatlicher Obhut. Ein Aufenthalt in der Psychiatrie, die mir damals in ihrer Vertrautheit fast beruhigend vorgekommen war.

Wie sonst ließe sich das erklären.

Jennifer Down – Körper aus Licht, S. 327

Intensiv und emotional

Mit Körper aus Licht gelingt ihr ein Buch, das man mit den Labels „intensiv“ und „emotional“ versehen kann. Tief geht die australische Schriftstellerin in ihrem Roman in den Schmerz hinein, spürt dem nach, was Missbrauch, der Verlust von Liebe und Zuneigung und die immer wiederkehrenden Muster aus Traumata in Maggies Leben anrichten und angerichtet haben.

In diesem tiefen Eindringen in das Innere von Downs Schmerzensfrau erinnert das Ganze tatsächlich an den auf dem Klappentext herangezogenen Vergleich mit Hanya Yanagiharas Ein wenig Leben. Doch wo dieser Roman dem omnipräsenten Leid des Schmerzenmannes Jude St. Francis nachspürte, ist Körper aus Licht nuancierter und führt Maggie aus den tiefen Tälern des Schmerzes und der Trauer auch immer wieder zu Glücksmomenten ans Licht hinauf (wenngleich das Dunkel schon manchmal wirklich fast grotesk nachtschwarz wird und den Titel des Buchs selbst ad absurdum führt).

Dass die 1990 geborene Autorin für diesen Roman den wichtigsten australischen Literaturpreis, den Miles Franklin Literary Award zugesprochen bekam, ist angesichts dieser emotionalen Wucht und der extremen Nahaufnahme Maggies durchaus nachvollziehbar. Zudem richtet der Roman den Blick auf die Schattenseiten des australischen Fürsorgesystems, was im vergangenen Jahrhundert eine halbe Million Kinder durchlaufen mussten und dessen Abgründe erst langsam durch Untersuchungen ans Tageslicht befördert und aufgearbeitet werden. Hier besitzt Körper aus Licht auch eine gesellschaftskritische Relevanz, da es das Thema auf Basis der fiktionalisierten Geschichte in breiteres Bewusstsein bringt.

Fazit

Jennifer Down gelingt ein Parforceritt durch das Leben einer Frau, die immer wieder zurückgeworfen wird, deren Glück nie von langer Dauer ist und der man trotz der schon fast unwahrscheinlichen Häufung an Tiefs gebannt durch diese folgt, da Down einen Roman geschrieben hat, der genau beobachtet und tief in das Denken und Wahrnehmen seiner Heldin vordringt.

Auch durch die Montage gewinnt Körper aus Licht, was den Roman zu einem Buch macht, das seine Leser*innen auf eine lange und eindringliche Reise mitnimmt, die auch Stefanie Stahls Thesen des inneren Kindes untermauert und das die Auswüchse des australischen Fürsorgesystems in den Blick nimmt.


  • Jennifer Down – Körper aus Licht
  • Aus dem Englischen von Claudia Voit
  • ISBN 978-3-550-20249-0
  • 536 Seiten. Preis: 24,99 €
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Veronica Lando – Der flüsternde Abgrund

Wenn der Regenwald ruft… Veronica Lando nimmt uns in ihrem Debüt Der flüsternde Abgrund mit nach Granite Creek, einem kleinen Dorf im australischen Regenwald. Hier ist ein Junge verschwunden – und das nicht zum ersten Mal. Der Regenwald habe ihn wie viele Menschen zuvor in seine Fänge gelockt, heißt es. Der Journalist Callum Haffenden mag das nicht glauben und steht bei seiner Suche nach dem Verschwundenen schon bald vor der Frage, welche Abgründe hier gefährlicher sind – die des Waldes oder die der Menschen?


Für Menschen wie ihn ist der australische Regenwald nicht gemacht. Das muss der preisgekrönte Journalist Callum Haffenden schnell feststellen, als er wieder in seine Heimat nach Granite Creek zurückkehrt. Der Anlass ist ein bestürzender. Denn wie schon einige Male zuvor ist erneut ein Junge im Regenwald verschwunden. Man munkelt von der Legende des flüsternden Waldes, der die Menschen zu sich lockt und sie dann im steinernen Abgrund seiner Felsen zerschellen zu lassen. Kinder wappnen sich mit klingelnden Armbändern, um der Versuchung des Waldes zu widerstehen. Und auch Callum spürt die Anziehung des Waldes, als er sich der Suche nach dem verschwundenen Jungen anschließt.

Dabei sind dauerbeschlagene Brillengläser noch das kleinste Hindernis. Undurchdringliche Fauna, mörderische Kasuare, giftige Pflanzen – und dann auch noch das lockende Felsenmeer, das immer wieder zu rufen scheint, wenn der Wind günstig steht. Sie alle erschweren Callum und den Freiwilligen die Suche. Die wahren Motive Callums, die ihn für die Suche die lange und sehr beschwerliche Reise aus dem tasmanischen Hobart antreten lassen, enthüllt Veronica Lando allerdings erst langsam.

Verschwunden in Granite Creek

Veronica Lando - Der flüsternde Abgrund (Cover)

Vor Ort versucht Callum Licht ins Dunkel zu bringen. Warum war der Junge im Wald campen, wo doch ein Hurrikan aufzieht und Dauerregen und die menschenfeindliche Umgebung des Regenwaldes doch eigentlich keinen Grund für einen längeren Aufenthalt im Freien liefern? Hat eventuell Callums alter Feind, der Vater des Jungen seine Hände im Spiel? Als dann auch noch in Callums Hotelzimmer eingebrochen wird, mehren sich die Zeichen, dass jemand überhaupt nicht daran gelegen ist, dass die Wahrheit über den Jungen und die Geheimnisse von Granite Creek ans Tageslicht gelangen.

Der flüsternde Abgrund von Veronica Lando ist ein Krimi, der für ein Debüt einen hohen Formwillen an den Tag legt (dem die Autorin literarisch tatsächlich auch entsprechen kann). So ergänzt sie die Handlung um Callums Suche nach der Wahrheit mit Rückblenden, die aus Ich-Perspektive Geschehnisse vor dreißig Jahren erzählen. Diese Rückblenden verschmelzen langsam mit der Gegenwart, ehe alles in einem sturmumtosten Showdown kulminiert, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart gegenseitig überlagern.

Während sie Callums Sicht auf den verschwundenen Jungen Stück für Stück dekonstruiert, indem immer mehr dunkle Flecken auf seiner in eigentlich so reinen Weste auftauchen drängen dazu gegenläufig immer mehr familiäre Geheimnisse und Wahrheiten in Granite Creek ans Tageslicht. Das ist alles wohldosiert und aufeinander abgestimmt. Mehrere, gut eingearbeitete Wendungen halten die Spannung hoch und lassen mit Callum miträtseln.

Vermisstensuche, Nature Writing und Familiengeheimnisse

Mit der Figur des ornithologisch begeisterten Callum bringt Lando zudem eine gehörige Prise Nature Writing ins Buch, ist die Natur des australischen Regenwaldes doch neben Callum der zweite große Hauptdarsteller. Von Säulengärtnern bis zur Flecken-Rußeule gibt es jede Menge Vögel zu entdecken, mit der man auch gut in Elizabeth Hargreaves‘ Spiel Flügelschlag punkten könnte.

Diese Verschmelzung von Natur, Suche nach einem vermissten, dörflichen Legenden und familiären Geheimnissen erinnert in dieser Kombination etwas an ihren australischen Landsmann Kyle Perry. Mit dessen Debüt Die Stille des Bösen ist dieses Debüt ebenbürtig (was deutlich für beide Autor*innen aus Down Under spricht und wieder einmal kriminalliterarisch deutlich das übertrifft, was sich hierzulande so auf den Bestsellerlisten tummelt).

So gelingt Herausgeber Thomas Wörtche hier erneut eine tolle Entdeckung für das von ihm kuratierte Krimiprogramm bei Suhrkamp. Hier ist eine kriminalliterarische Stimme aus Australien zu lesen, deren reifes und souverän gestaltetes Krimidebüt auf weitere Werke diesen Kalibers hoffen lässt.

Von dem Flüstern dieses Buchs kann man sich gerne in die Seiten hineinlocken lassen – man wird es im Gegensatz zu einigen Figuren im Buch nicht bereuen!


  • Veronica Lando – Der flüsternde Abgrund
  • Aus dem australischen Englisch von Karen Witthhun
  • ISBN 978-3-518-47366-5 (Suhrkamp)
  • 370 Seiten. Preis: 18,00 €
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Hayley Scrivenor – Dinge, die wir brennen sahen

Australien, unerschöpfliche Quelle der Kriminalliteratur. Mit Hayley Scrivenor präsentiert der Eichborn-Verlag eine weitere Autorin aus Down Under, der mit ihrem Debüt Dinge, die wir brennen sahen ein ordentlicher, aber keinesfalls hitziger Krimi gelingt.


Dirt Town. So wird das kleine australische Städtchen Durton von seinen Bewohnern, besonders der Jugend geheißen. Wenig ist hier los auf dem australischen Land. Doch dann verschwindet die Schülerin Esther Bianchi auf dem Nachhauseweg von der Schule – und die Sorge ist groß.

Für die Suche nach der Schülerin werden auch die Detective Sergeant Sarah Michaels und ihr Kollege, Detective Constable Wayne Smith hinzugezogen. Eigentlich befinden sie sich nach der Bearbeitung eines anderen Falles auf dem Rückweg nach Sidney. Doch nun kommt alles anders. Am 30. November 2021 kommen sie nach Durton, vier Tage später wird ein im Boden vergrabener Fund entdeckt werden. Die Zeit zwischen diesen Ereignissen schildert Hayley Scrivenor dabei aus verschiedenen Perspektiven.

Eine Krimi mit vielen Perspektiven

Hayley Scrivenor - Dinge, die wir brennen sahen (Cover)

Das macht diesen nach bekannten Strickmuster erzählten Krimi etwas variabel und ist wohl die größte Besonderheit des ansonsten konventionellen Stücks Kriminalliteratur. So wird die Polizeiarbeit aus der personalen Perspektive Sarahs erzählt, die neben der Ermittlung noch an der Trennung von ihrer Partnerin laboriert. Involvierte Kinder treten in Form der Schulfreundin Veronica „Ronnie“ Thompson und Lewis Campbell im Roman auf.

Während Ronnie aus der Ich-Perspektive auf ihr Verhältnis zur verschwundenen Esther blicken darf, kommt Lewis ebenso wie Sarah in der personalen Erzählform zu Wort. Daneben gibt es noch ein „Wir“, das chorisch erzählt auf die Geschehnisse im Ort blickt und sich immer wieder in die Erzählung einmischt.

Das ist klug gewählt, wäre der Krimi bei Verwendung einer einzigen Erzählperspektive doch reichlich fad, denn in Bezug auf die Motive bietet Dinge, die wir brennen sahen nicht viel Neues.

Die beiden Schüler*innen wissen mehr, als sie auf den ersten Blick zugeben. Sarah und ihr Kollege müssen sich in der Schule und den Familien umhören. Spuren gibt es wenig, dafür steht bald die Presse vor der Tür. Das sind alles Motive, die man aus anderen Krimis oder Fernsehfilmen schon dutzendfach kennt und die in ihrer Erzählweise außer des multiperspektivischen Erzählansatzes nicht wirklich überraschen. Dass hier zwei queere Beziehungen gestreift werden, ist zwar angesichts des Pridemonth und dessen Eintreten für queere Repräsentation eine nette Erzählidee und verdient Lob. Viel erwächst daraus nicht, außer dass zwei Personen durch ihr queeres Begehren in Gewissenskonflikte gestürzt werden.

Ein Debütroman mit Luft nach oben

Viele der Figuren, die Dinge, die wir brennen sahen bevölkern, bekommen nicht einmal solche inneren Konflikte zugestanden, sondern bleiben Staffage. Es gebricht Hayley Scrivenors Debüt stellenweise an der Nuancierung ihress Personals. Der Detective Constable bleibt dabei genauso blass wie etwa der Familientyrann der einfach böse ist, indem er seine Familie tyrannisiert und mit Drogen dealt. Auch andere Figuren können hier aus der Kulisse der australischen Kleinstadt nicht wirklich hervortreten und die schlussendliche Überführung des Täters wird auch eher pflichtschuldig abgehandelt. Ein bisschen Drogenschmuggel, ein bisschen Geheimnisse, ein bisschen klassische Ermittlungsarbeit, ein bisschen Spannung – aber auch nicht viel mehr.

Und obschon es so klingen könnte: Dinge, die wir brennen sahen ist beileibe kein schlechter Krimi. Aber von der australischen Gluthitze und den brennenden Dingen, die die deutsche Version des im Original schlicht Dirt Town lautenden Titels verspricht, von all dem findet sich im Krimi leider wenig. Das lässt dieses Buch zwar zu einem soliden, aber keinesfalls rundum überzeugenden Werk geraten.

Das fällt besonders auf, weil es in Down Under ja ein gutes Dutzend anderer Autor*innen gibt, die vormachen, wie so etwas aussehen kann, heißen sie Garry Disher, Candice Fox, Peter Papanathasiou oder Jane Harper In diese Riege schaffte es Hayley Scrivenor mit Dinge, die wir brennen sahen leider noch nicht. Ihr wäre es zu wünschen, dass sie in ihren kommenden Büchern den Mut beweist, sich von herkömmlichen Motiven und Plotanlagen wegzubewegen, um ihre Stimme im Konzert der anderen Krimiautor*innen etwas unverkennbarer werden zu lassen. Mit dem multiperspektivischen Erzählstil ist ein Ansatz ja schon vorhanden, diese könnte Scivenor noch gut ausbauen, um dann einen wirklich hitzigen Roman vorzulegen, in dem es dann auch mal wirklich brennen darf.


  • Hayley Scrivenor – Dinge, die wir brennen sahen
  • Aus dem Englischen von Andrea O’Brien
  • ISBN 978-3-8479-0115-0 (Eichborn)
  • 368 Seiten. Preis: 22,00 €
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Peter Papathanasiou – Steinigung

Gefährliche Kängurus, gesteinigte Lehrerinnen, Abschiebegefängnisse und mittendrin der griechischstämmige Ermittler Giorgios „George“ Manolis, der im Outback nach den Gründen für den grausamen Tod der Lehrerin sucht. In seinem Reihenstart macht Peter Papathanasiou gleich viel richtig und legt mit Steinigung einen Einstand nach Maß vor.


Australien ist reich an kriminalliterarischen Stimmen. Candice Fox, Chris Hammer, Loraine Peck, Jock Serong, Garry Disher, Jane Harper, Alan Carter, und und und. Nun präsentiert der Polar-Verlag eine weitere Stimme aus Down Under. Peter Papathanasiou wurde 1974 in Nordgriechenland geboren und als Baby von einer Familie in Australien adoptiert. Schon seine Großeltern mussten die Erfahrung von Flucht und Entwurzelung machen, als sie 1923 von der Türkei nach Griechenland übersiedeln mussten. Papathanasious Eltern selbst wanderten dann von Griechenland nach Australien aus und adoptierten ihn dort kurze Zeit später. Wenig überraschend schlagen sich viele dieser biografischen Facetten in Plot und Charakterzeichnung von Steinigung nieder.

Eine Steinigung im australischen Outback

So ist sein Detective Sergeant Giorgios „George“ Manolis ebenfalls griechischstämmig und bekommt es in seinem Fall gleich mit vielen Entwurzelten und Geflüchteten zu tun. Doch zunächst beginnt alles mit einem brutalen Mord im kleinen Städtchen Cobb im Outback von Australien.

Peter Papathanasiou - Steinigung (Cover)

Gefühlt mehr Kängurus als Menschen besiedeln diesen Ort, der langsam vor sich hin stirbt. Es gibt zwei Pubs im Ort, säuberlich getrennt nach Hautfarbe, aber verbunden im hemmungslosen Alkoholkonsum der Kundschaft. Auch Teile der Polizei sind dem Alkohol nicht abgeneigt, weshalb die Hinzuziehung von Manolis in einem besonders brutalen Mordfall Sinn ergibt.

So wurde die beliebte Lehrerin Molly Abbott tot aufgefunden. An einen Baum gebunden wurde sie gesteinigt. Eine ebenso brutale wie archaische Mordmethode, die die lokale Polizei vor Rätsel stellt. Schlecht ausgestattet und mit wenig fähigem Personal besetzt, ist die Hinzuziehung von DS Manolis ein mehr als logischer Schritt. Er soll vor Ort die Ermittlungen vor Ort betreuen und koordinieren. Dabei trifft er auf mal betrunken, mal abwesende Polizeimitarbeiter, alkoholisierte Zeuginnen und feindselige Stimmung.

Hoffnungslosigkeit vor und hinter den Gittern des Auffanglagers

Einziger Lichtblick ist der Constable Andrew Smith, den Manolis unter seine Fittiche nimmt. Als Aborigine und Homosexueller ist er in Cobb gleich zweifach stigmatisiert, kennt aber Land und Leute und hilft Manolis so bei seinen Ermittlungen. Dieser stößt auf Spuren, die ihn zum von der Bevölkerung despektierlich „Braunenhaus“ geheißenen Auffanglager für Geflüchtete in der Hitze des australischen Outbacks führen.

Hier gab Molly Abbott Unterricht und hier sitzen verzweifelte Menschen ein, die vielleicht etwas mit der archaischen Steinigung zu tun haben könnten. Manolis beginnt mit den Ermittlungen, die für ihn auch eine persönliche Note haben, schließlich stammt er selbst auch aus Cobb. Er erfährt die Hoffnungslosigkeit der Menschen vor und hinter den Gittern des Auffanglagers und ermittelt gegen viele Widerstände unbeirrt, um den Mörder Molly Abbotts zu überführen. Doch je tiefer er zum Geheimnis hinter dem Tod der Lehrerin vordringt, umso größer werden für ihn auch die Gefahren, die hier nicht nur von boxenden Kängurus ausgehen.

Ein gelungener Krimi mit dem Auge für soziale Probleme

Steinigung ist ein Roman, der sehr viel richtig macht. Gelungen schafft es Peter Papathanasiou , die von Alkoholismus und Hoffnungslosigkeit geprägte Stimmung dort im australischen Outback einzufangen. Der recht offen zutage tretende Rassismus gegenüber den Geflüchteten oder den Aborigines thematisiert er en passant, ohne dass das Buch zu moralinsauer würde.

Ebenso gelungen ist auch seine Perspektive auf das Einwanderungsdilemma und menschenunwürdigen Umgang mit Geflüchteten dort im Outback. Exemplarisch erzählt er über die Verdächtigen dort im Internierungslager von Gewalt, Hoffnungslosigkeit und den menschlichen Dramen, die sich dort hinter den Gittern abspielen. Damit beweist Peter Papathanasiou sein Auge für soziale Probleme, über die er aber auch den Krimi nicht vergisst.

Er entwickelt seinen Plot mit dem richtigen Tempo und findet neben den Ermittlungen auch noch Platz, um die vielfältige Tierwelt Australiens mit in seinen Krimi einzubinden. Wer vor der Lektüre von Steinigung Kängurus für niedliche und possierliche Tierchen hielt, der sieht sich nach dem Ende des Buchs eines Besseren belehrt.

Fazit

In Steinigung schafft Peter Papathanasiou die richtige Balance aus Plot und Atmosphäre, Spannung und aufrüttelndem Blick auf unseren Umgang mit Geflüchteten. Mit George Manolis schickt er einen melancholischen Ermittler in den Busch Australiens, der sich auch von durchgeschnittener Bremsleitungen und Verbindungen aus der Vergangenheit in seinen Ermittlungen nicht beirren lässt. Ein gelungener Krimi, mit dem sich Peter Papathanasiou auf der kriminalliterarischen Landkarte Down Unders einschreibt und dem gerne noch weitere Bücher folgen dürfen!


  • Peter Papathanasiou – Steinigung
  • Aus dem Englischen von Sven Koch
  • ISBN 978-3-948392-70-3 (Polar-Verlag)
  • 368 Seiten. Preis: 17,00 €
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Claire Thomas – Die Feuer

Wer kennt es nicht. Da sitzt man in einer Theateraufführung mit womöglich mehreren Akten und einer Lauflänge über zwei oder drei Stunden – und der Funke der Inszenierung will nicht wirklich überspringen. Das Geschehen auf der Bühne löst nichts in einem aus, stattdessen lässt die Aufmerksamkeit nach und die Gedanken beginnen zu schweifen. Auch den drei Frauen, die in Claire Thomas´ Roman Die Feuer aufeinandertreffen, ergeht es nicht anders. Bei ihnen hat das allerdings ganz unterschiedliche Gründe.

Während auf der Bühne Beckett gegeben wird, lodern die Flammen rund um Melbourne immer höher und Sorgen, Erinnerungen und Überlegungen überlagern alles.


Pünktlich zum Klingeln der Vorstellung hat es Margot in den Theatersaal geschafft. Während draußen vor der Tür um 19:00 Uhr abends noch Temperaturen von vierzig Grad herrschen, ist es im Innenraum des Theaters doch verhältnismäßig kühl. Welches Stück gegeben wird, weiß sie als Abonnentin gar nicht und will sich überraschen lassen. Von ihrem unbekannten Sitznachbar erfährt sie noch, dass es sich um ein Stück von Samuel Beckett handelt, danach öffnet sich schon der Vorhang.

Drei Frauen, ein Theaterstück

Summer hingegen kennt sich sehr gut aus. Sie hat dem Stück schon mehr als fünfmal beigewohnt. Dies allerdings nicht aus Enthusiasmus, sondern weil es ihr Job als Schließerin im Theater erfordert, die Türen rechtzeitig zu öffnen und zu schließen und die Nachzügler im Theater noch einzuweisen. Auf einem Sperrsitz verfolgt sie einmal mehr die Vorstellung.

Claire Thomas - Die Feuer (Cover)

Und dann ist da noch Ivy, die ebenfalls im Zuschauerraum sitzt. Später in der Pause wird sie umschwärmt und verwöhnt werden, was einen einfachen Grund hat. Ivy ist als Mäzenin im Besitz von viel Geld, das natürlich Interesse und Begehren weckt. Auch das Theater möchte von ihren finanziellen Zuwendungen profitieren, weswegen sie als gern gesehener Gast natürlich hofiert wird.

Diese drei Frauen sitzen alle im selben Theaterstück, vom Inhalt bekommen sie allerdings nur wenig mit. Eine bis zu ihrem Rumpf eingegrabene Frau namens Willie unterhält sich im Stück mit ihrem Mann Winnie, der die meiste Zeit abwesend ist. Recht viel mehr passiert nicht in Samuel Becketts Stück Glückliche Tage, was den Frauen viel Raum zum Mäandern der Gedanken gibt.

Da ist die bedrohliche Lage der Feuer rund um Melbourne, die besonders Summer belasten. Ihre Freundin April befindet sich irgendwo da draußen in der Feuerzone und lässt nichts von sich hören. Margot belastet der Rauch in der Luft ebenso wie die Situation ihres Abschieds von der Uni und die schwierige Beziehung zu ihrem dementen Mann. Und Ivy hadert mit ihrem Dasein als stets umschwärmte Geldgeberin, bei der doch eher ihr Vermögen als ihre Persönlichkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.

Ein Theaterabend, drei ganze Leben

All diese Belastungen und Probleme wälzen die Frauen, während Willie auf der Bühne monologisiert. In der Pause werden alle drei Figuren aufeinandertreffen, die von Claire Thomas passenderweise in Form eines Theaterstücks mit reinen Dialogen und Handlungsanweisungen geschildert wird, ehe sie zum zweiten Teil verändert an ihre Plätze zurückkehren und neue Impulse gewonnen haben.

Claire Thomas ist dann aber souverän und klug genug, das Ende nach dem Fall des Vorhangs nicht auszuerzählen, sondern vieles offen zu lassen, womit sie sich natürlich auch an Samuel Becketts existenzialistischen Dramen und Schauspielen orientiert, die es den Zusehenden auch in ihrer Deutung nicht leicht machen und keine einfachen Antworten liefern.

Während die Einheit von Raum und Zeit gewahrt bleibt, fächert sie durch die Gedankenströme der drei Frauen ganze Leben auf, erzählt von Scheitern, Enttäuschungen, Ängste, Gewalterfahrungen und Lebensentwürfen, die doch ganz anders endeten, als sie eigentlich erhofft waren. Auch lässt das Stück selbst Rückbindungen auf die Leben der drei Figuren zu, erlaubt interpretatorische Ausdeutungen und ist reich an Zwischentönen.

Fazit

Das macht aus Die Feuer eine starke, intensive Lektüre, die auf 250 Seiten drei ebenso unterschiedliche wie gleichwertig überzeugende Leben und Schicksale präsentiert. Eine vibrierende Lektüre, die durch die abstrakte Gefahr des Feuers mitbangen lässt und durch die Konzentration auf das kleine Personenensemble Intimität und Eindringlichkeit entfaltet.

Literarisch durch die beständigen Abschweifungen und eingebauten Erinnerungsschleifen rund um das Beckett-Stück interessant erzählt, gönnte sich Claire Thomas den Luxus, nicht alles ganz genau auszubuchstabieren, sondern bei aller Verzahnung der drei Leben auch Leerstellen und Freiräume zu lassen, was das Buch umso überzeugender macht.

Mit Die Feuer reiht sich die australische Autorin nahtlos in ein wirklich exzellentes Bücherprogramm des Hanser-Verlags aus diesem Frühjahr ein, das in dieser Qualität länger nicht mehr da war. Nach Percival Everetts Erschütterung und Fatma Aydemirs Dschinns ein weiteres Highlight. So darf es im Herbst gerne weitergehen!


  • Claire Thomas – Die Feuer
  • Aus dem Englischen von Eva Bonné
  • ISBN 978-3-446-27297-2 (Hanser)
  • 256 Seiten. Preis: 23,00 €
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