Tag Archives: England

James Rebanks – Mein Leben als Schäfer

Schäfer – ein Berufsstand, den man entweder vertrottelt durch Formate im Privatfernsehen tappend sieht, oder bei dem sich immernoch hartnäckig ein romantisch-bukolisches Klischee wie von Caspar David Friedrich gemalt hält. James Rebanks hat ein Buch geschrieben, das mit allen Vorurteilen aufräumt und zeigt, wie der Alltag eines Schäfers im 21. Jahrhundert aussieht und was dieser Beruf eigentlich umfasst.

Mein Leben als Schaefer von James Rebanks

Mein Leben als Schaefer von James Rebanks

Rebanks selbst züchtet Herdwick-Schafe, eine Rasse, die in den Fells beheimatet sind. Dies ist ein Landstrich im Lake District im Nordwesten Englands. Karge Berge und eine Landschaft, die aufgrund ihres ursprünglichen Reizes stark von Touristen frequentiert wird, machen diese Region aus. In den Bergen betreut Rebanks seine Herde, kümmert sich um den Fortbestand der Rasse und ist bestrebt, seine Schafe immer besser zu züchten, um damit auch das Auskommen seiner Familie zu sichern. In Zusammenarbeit mit anderen Schäfern und Züchtern bewahrt er so eine jahrhundertealte Tradition, die auch wichtig für das Selbstverständnis dieses nordenglischen Strichs ist. Continue reading

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Viv Albertine – A typical girl

A typical girl ist Viviane Albertine, genannt Viv, keineswegs. Vielmehr heißt einer der Songs so, den die Künstlerin im Laufe ihrer Karriere geschrieben hat. Denn Viv Albertine war die Mitbegründerin der Band The Slits, einer der ersten feministischen Punkbands im Vereinigten Königreich Ende der 70er Jahre.  Von ihrem Werdegang und noch viel mehr zeugt ihre Autobiografie, die kraftvoll übersetzt von Conny Lösch nun im Deutschen vorliegt.

Viv Albertine - A typical girl

Aufgeteilt in eine A- und B-Seite (und im Übrigen als Buch ganz hervorragend gestaltet) erzählt Viv Albertine chronologisch von ihrem Aufwachsen in England der 60er bis hin zum Jahr 2013, in dem ihre Memoiren enden. Dabei streift sie Themen wie die englische Punk-Bewegung, Femininismus, Krebserkrankung, künstlerische Verwirklichung und das unglamouröse Leben, das zwischen all diesen Dingen liegt.

Den Bogen, den Viv Albertine in ihrem Memoir spannt, geht ungefähr so: Aufwachsen in einem schwierigen Haushalt, zielloses Herumtreiben zur Jugendzeit, Entdeckung der Musik, Gründung der Band The Slits, anschließende Erfolge, bürgerliches Leben und dann Ringen um erneute künstlerische Selbstverwirklichung im fortgeschrittenen Alter. Dieser Bogen wird durch die meist etwa 3 Seiten dicken Kapitel flüssig strukturiert und ist gut zu lesen, auch wenn Viv Albertine sprachlich ihre Herkunft nicht verhehlt. Doch der Sound, den sie im Buch anschlägt, ist kraftvoll und ungeschönt – Punk in Buchform quasi.

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Mark Billingham – Die Lügen der Anderen

Die Luegen der Anderen von Mark Billingham

Die Lügen der Anderen von Mark Billingham

Drei Pärchen aus England, ein Mord in Florida und einer der sechs Menschen, der nicht ist, was er zu sein scheint. Dies ist die Grundidee hinter dem neuen Roman des britischen Krimischriftstellers Mark Billingham. Dieser schrieb bislang Krimis mit dem Ermittler Tom Thorne, ehe er nun inhaltlich und formal etwas Neues ausprobierte.

Die Lügen der Anderen erzählt von drei durchschnittlichen englischen Mittelstandspärchen, die es sich zwischen Hauskauf, Kindern und täglichem Job bequem eingerichtet haben. In einem Urlaub in Florida lernen sich die drei Pärchen per Zufall kennen und verstehen sich auf Anhieb recht gut. Doch inmitten dieser ganzen Idylle passiert am letzten Tag ihres Aufenthalts in Florida dort ein Mord. Ein behindertes Mädchen verschwindet zunächst und wird dann tot aufgefunden. Schnell wird klar, dass einer der sechs Engländer hinter dem Mord stecken muss, doch die Frage ist nur –  wer? Welcher der britischen Bürger wahrt eine trügerische Fassade, hinter der sich ein kaltblütiger Mörder versteckt? Continue reading

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William Boyd – Die Fotografin

Bilder eines Lebens

Amory Clay ist Die Fotografin. Erneut legt der britische Romancier William Boyd eine Biographie über eine fiktive Persönlichkeit vor, die in ihrem Leben Geschichte erlebte und die Wege von bekannten Persönlichkeiten kreuzte. Ähnlich wie in seinen Romanen Eines Menschen Herz oder Nat Tate setzt er aus den Schlaglichtern des turbulenten und polyphonen 20. Jahrhunderts eine Geschichte zusammen, in der der Fotografie und bestimmten Bildern eine tragende Rolle zukommt.

War die Kunst im Opus William Boyds schon immer ein zentrales Motiv, so findet auch hier die Kunst den Weg ins Buch – in der Form von zahlreichen Fotos, deren Urheberin Amory Clay sein soll. Diese geht als junge Frau in England ihren Weg, indem sie trotz Bedenken ihren Wunsch, Fotografin zu werden, in die Tat umsetzt. Unzufrieden mit ihrem Dasein als Gesellschaftsfotografin beschließt Amory, ins Berlin der 30er Jahre aufzubrechen.

In der brodelnden Stadt entdeckt sich die Fotografin selbst, konzipiert eine Ausstellung mit skandalösen Fotos aus Berliner Clubs und wird prompt polizeilich dafür belangt. In der Folge werden Amerika, London und der Vietnamkrieg zu Wegmarken in ihrem Leben, immer mit der Hand am Auslöser ihrer Kamera.

Doch nicht nur das Weltgeschehen erlebt Amory am eigenen Leib, auch bekannte Menschen werden immer wieder ihre Bahnen kreuzen und ihrem Leben immer wieder neue Impulse geben, während sich Amory als Frau behaupten muss und ihren Kampf um Selbstbestimmung führt.

Ein klassischer Schöker aus der Feder Boyds

William Boyds Fotografin ist wieder ein klassischer Schmöker, der die Brandherde des 20. Jahrhunderts beleuchtet und den Leser mitten ins Getümmel von Vietnam oder dem Zweiten Weltkrieg mitnimmt. Nebenbei ist der Roman auch eine Geschichte der Emanzipation und hat mit Amory eine komplexe Persönlichkeit zur Heldin, die sich gängigen Konventionen verweigerte.

Was diesem Roman etwas fehlt ist der Wille zu einer eigenen Inszenierung oder Ästhetik. Zwar montiert Boyd in seine chronologisch erzählte Handlung ab dem Jahr 1908 noch das Barrandale-Journal, das im Jahr 1977 spielt und eine Art Retrospektive auf Amory Clays Leben darstellt, doch dies funktioniert nur bedingt. Boyds Erzählweise ist reichlich brav und konventionell. Eine aufregendere literarische Behandlung für das aufregende Leben der Amory Clay hätte dem Buch gut getan. Wie man eine fiktive Biografie ungewöhnlich und fordernd erzählt, dies hat zuletzt beispielsweise Jane Gardam in ihrem Roman Ein untadeliger Mann literarisch bravouröser gelöst.

Davon abgesehen ein typischer Schmöker aus der Feder von William Boyd, der abseits der bekannten historischen Leuchtfeuer auch unbekanntere Aspekte wie etwa die Aufstände von britischen Faschisten vor dem Zweiten Weltkrieg behandelt. Ein Buch, ein Leben, viele Fotos – William Boyd hat wieder zugeschlagen!

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Michael Robotham – Der Schlafmacher

Der große Schlaf

Ein Genreklassiker: Der große Schlaf

Ein Genreklassiker: Der große Schlaf

Der Schlaf und die Kriminalliteratur – ein weites Feld.Schon in der griechischen Mythologie ist Thanatos, also der Bruder von Hypnos, dem Gott des Schlafes, für den Tod zuständig. Wo geschlafen wird, da ist der Tod nicht fern.

Schriftsteller jeglicher Couleur haben sich von dieser Symbolik inspirieren lassen, egal ob Robert Schneider (Schlafes Bruder), Haruki Murakami (Schlaf) oder auch Raymond Chandler.

Dessen stilbildender Roman Der große Schlaf gilt als die Geburtsstunde des Hardboiled-Krimis und hat seither viele Nachahmer gefunden. Mit dem Privatdetektiv Philip Marlowe führt er einen Typus des rastlosen Privatdetektivs ein, der seine Nase in Dinge hineinsteckt, die unter Umständen tödlich enden können. So mancher, der sich fortan im Krimi zur Ruhe legte, wachte aus dem Schlaf nicht mehr auf – dieser war zum ewigen Schlaf geworden.

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