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Länderspecial Japan

Immer wieder bilden sich in meinem Lesen Muster, seien sie thematisch oder äußerlich bedingt. Ein solches Muster hat sich bei mir in den vergangenen Monaten mit japanischer Literatur herauskristallisiert. Begann das Ganze mit der Lektüre und Rezension von Haruki Murakamis neuem gehälfteten Roman Die Ermordung des Commendatore, setzte sich der sprichwörtliche japanisch-rote Faden mit der Lektüre weiterer Titel fort. Auf diese soll nun in diesem kleinen Special näher eingegangen werden:

 

Sayaka Murata – Die Ladenhüterin

Das muss man erst einmal schaffen – im Text auf jegliche besondern Stilmittel verzichten, um dann einen Roman von solcher Tiefe und Vielschichtigkeit zu erzeugen. Die Autorin, der das gelungen ist hört auf den Namen Sayaka Murata und hat einen Roman mit dem Titel Die Ladenhüterin beziehungsweise im japanischen Original Konbini Ningen geschrieben. Die Übersetzung hat die Murakami-Expertin Ursula Gräfe besorgt.

In einem klaren, nüchternen und völlig frei von prätentiösem Stilwillen gehaltenen Ton erzählt Sayaka Murata dabei eine ungewöhnliche Geschichte. In einem sogenannten Konbini, einem 24-Stunden Supermarkt, arbeitet die Verkäuferin Keiko. Sie leidet unter völliger Gefühlsblindheit und imitiert die Verhaltensweise ihrer Kolleginnen. Ein perfektes Chamäleon, dem es an Herzensbildung mangelt. Im streng geregelten Umfeld des Supermarkts mit seinen zahlreichen Verhaltenscodes und Vorschriften geht sie völlig auf, im zwischenmenschlichen Umgang versagt sie und fällt aus den gesellschaftlichen Normen heraus. Die Arbeit ist ihr Ein und Alles und verleiht ihrem Leben Struktur. Acht Filialchefs des Konbini hat sie dabei schon kommen und gehen sehen. Doch eines Tages bekommt sie in ihrem Kombini einen neuen Mitarbeiter, der so ganz anders ist als alles, was Keiko Fukura so kennt.

Sayaka Muraka hat einen Roman über eine Frau geschrieben, die nicht arbeitet, um zu leben, sondern den umgekehrten Weg lebt. Ein Roman über die Frage der gesellschaftlichen Anpassung und der Herausforderungen, die die Gesellschaft an den einzelnen stellt. In Japan verkaufte sich dieses Buch über 650.000 Mal. Das ist mehr als beachtlich und nach der Lektüre kann man konstatieren, dass dieses Buch schon etwas hat, auch wenn es bei allem Verzicht auf schriftstellerische Finesse so schwer zu benennen ist. Außergewöhnlich!

 

 

Fuminori Nakamura – Die Maske

Kann aus einem schlechten Menschen ein guter werden? Oder verläuft unser Leben vorherbestimmt? Diese Frage steht am Anfang von Fuminori Nakamuras neuem Roman Die Maske, in der um den jungen Fumihiro kreist. Dieser wird von seinem Vater mit dem Ziel in die Welt gesetzt, ein Geschwür zu werden. Er soll für das Böse in der Welt sorgen und so das Erbe seiner Familie weitertragen. Doch Fumihiro will dieser Prädestination entgehen, gerade auch da er sich frisch in Miko verliebt hat. Das junge Mädchen weckt in ihm eine starke Anziehung und Liebe – für das Böse und dessen Ausprägungen ist da kein Platz. Doch so leicht entgeht man seiner Vorbestimmung nicht. Mit einem neuen Gesicht und einer neuen Identität will Fumihiro dem Schicksal entgehen – doch kann das wirklich klappen?

Fuminori Nakamura legt nach Der Taschendieb einen weiteren verrätselten Krimi vor, der den Leser oft zweifeln lässt. Der Japaner springt dabei zwischen der Vergangenheit und Gegenwart hin und her und webt ein Gespinst aus Anziehung, Täuschung und Niedertracht. Ein Buch zum Abschalten ist Die Maske nicht, auch wenn uns Nakamura erst scheinbar ganz einfach in seine Welt hineinlockt. Doch nachdem die erzählerische Tür hinter dem Leser zugefallen ist, sollte man sich besser vorsehen!

 

Hideo Yokoyama – 64

Ein hochspannender Roman – auch wunderbar gestaltet: Das ist der Thriller 64 des Japaners Hideo Yokoyama. Er erzählt in diesem Buch, an dem er 10 Jahre arbeitete, vom Pressedirektor Mikami. Dieser versieht im Pressebüro der Polizeibehörde in der Pröfektur D seinen Dienst. Er steht als Bindeglied zwischen der Presse und der Polizeibehörde, wird aber von beiden Seiten schikaniert und ausgegrenzt. Nicht leichter wird sein Job dadurch, dass seine Tochter verschwunden ist.

Und dann soll er auch noch alles für den Besuch eines ranghohen Polizeibeamten vorbereiten, der sich in Sachen 64 umtun will. Jener Fall treibt bis heute die Ermittler um, erinnert er sie doch an ihr größtes Versagen. 1989 wurde ein junges Mädchen entführt, der Erpresser entkam mit der Beute und ermordete das Mädchen. Die Angehörigen sind verzweifelt und der Polizei gelang es nicht, Ermittlungserfolge zu erzielen. Nun bringt die Nachricht der Polizeibehörde alles durcheinander – und plötzlich ist abermals ein Mädchen verschwunden. Mikami ermittelt zwischen den Fronten selbst und droht dabei zerrieben zu werden.

Das Buch überzeugt mit phasenweiser Hochspannung, mit einer genauen Zeichnung der Polizeibehörde, ihrer Dynamiken und ihrer Abgründe. Daneben gibt das Buch auch tiefe Einblicke in die japanische Mentalität und bringt jede Menge glaubhafter Figuren aufs Tapet.

Der Text wurde im Übrigen nicht aus dem japanischen Original, sondern von der englischen Übersetzung her ins Deutsche übertragen. Getan haben dies Sabine Roth und Nikolaus Stingl. Ohne das Original zu kennen meine ich, dass sie ihren Job sehr gut erledigthaben.

 

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Jan Weiler – Kühn hat Ärger

Nach Kühn hat zu tun legt Bestsellerautor Jan Weiler nun den zweiten Roman um den so durchschnittlichen und genau deshalb so fabelhaften Kommissar Martin Kühn vor. Doch auch wenn die Hauptperson ein Kommissar ist, im Buch eine Leiche vorkommt und viel ermittelt wird – ein Krimi ist das Buch von Jan Weiler deshalb noch lange nicht. Auch sein neuer Hausverlag Piper hat das erkannt und das Buch deshalb mit der allumfassenden Bezeichnung Roman versehen. Doch was macht das Buch jetzt zu einem guten Roman und wenn dann höchst mittelmäßigen Krimi? Dieser Frage soll in der Besprechung nun nachgegangen werden.


Der Inhalt des Buchs ist dabei recht schnell umrissen. Kühn und sein Kollege Steirer werden zu einem Tatort an der Tramhaltestelle Großhesseloher Brücke im München gerufen. Ein junger Mann mit Migrationshintergrund wurde zu Tode geprügelt – und das in München, der weltoffenen Isarmetropole. Die Spuren, denen Kühn nachgeht, führen ihn schnell ins benachbarte Villenviertel Grünwald. Dort hatte sich das Mordopfer entgegen aller Wahrscheinlichkeiten in ein junges Mädchen aus einem gutbetuchten Haushalt verliebt. Kühn versucht diese Liebesgeschichte zu ergründen und taucht dabei in eine Welt der oberen 10.000 ein, die von seiner Durchschnittsexistenz genauso weit entfernt ist, wie Kühn manchmal von seinen eigenen Mitmenschen. Wie können diese Menschen so unbeschwert leben, wo sich Kühn selbst doch einem Berg aus Sorgen gegenübersieht: sein Sohn droht ihm zu entgleiten, die Beziehung zu seiner Frau erkaltet, die Bausubstanz des Eigenheims verseucht, die finanzielle Situation mehr als angespannt? All das steht in krassem Kontrast zum täglichen Brot des Martin Kühn – und genau deshalb übt die Grünwalder Hautevolee und ihre Lebensweise einen so großen Reiz auf den Hauptkommissar aus.

Die Ausgangslage ist somit klar: Kühn muss sich der Suche nach dem Täter widmen, Zeugen vernehmen, Spuren auswerten und seiner eigenen Nase folgen. Grundlagen also für einen klassischen Ermittler-Krimi, wie es ihn zuhauf in den Bücherregalen der Republik gibt. Allerdings ist dieser Krimi, der das Grundgerüst des Romans ist, auch der schwächste Aspekt dieses Buchs. Man könnte bei der Lektüre stellenweise gar den Eindruck bekommen, Jan Weiler habe gar keine Lust auf einen Krimi, so lieblos baut er diesen in seinen Roman ein. Der Leser muss sich nicht viele Gedanken über mögliche Täter machen, denn Weiler präsentiert nur ein kleines Figurentableau, bei dem den routinierten Krimileser schnell klar wird, wer als Mörder infrage kommen könnte. Er verschleiert die Spuren in dem Fall dilettantisch, in einem anderen Subplot im Buch verrät er den Täter gleich zu Beginn. Das nimmt von vornherein viel Spannung aus dem Buch und lässt mich als Krimifan manchmal ratlos zurück.

Schlechter Krimi, guter Gesellschaftsroman

Auch gleicht sein Roman stellenweise einem Joghurt (der im auch reichlich unmotiviert eingebundenen Subplot eine große Rolle spielt), der aber schlecht gerührt wurde und eine entsprechend klumpige Konsistenz aufweist. Ein erzählerischer Fluss ergibt  sich im Buch nämlich auch nur bedingt: mal schreibt Weiler dutzende von Seiten aus der Sicht des Opfers, um dann diese Vorgeschichte mitten im Geschehen abzubrechen, dann widmet er einen Exkurs Kühns Wohnort, der Weberhöhe. Anstelle dann bei seinem Kommissar zu bleiben und daraus eine stringente Entwicklung abzuleiten, unterbricht Weiler den Fortgang der Handlung mal mit einem seitenlangen Exkurs über Bonsai-Parkett, dann konterkariert er seine Beschreibung mit einer über mehrere Seiten erstreckenden „schönen“ Liebesszene, die auch den Schriftsetzer überrascht haben dürfte. Die wild wuchernden Gedanken des Kommissars tuen ihr übriges zur bröckeligen Erzählstruktur – doch warum ist das Buch dann trotzdem gelungen, wenn es so viele kritikable Punkte an dem Buch gibt?

Porträt eines Durchschnittsmenschen

Wenn man Kühn hat Ärger nicht als Spannungsroman liest, sondern als Studie eines Durchschnittsmenschen, dann läuft der Roman und sein Autor zu Höchstform auf. Dass die Hauptfigur zufällig ein Kommissar ist und dementsprechend notgedrungen ermitteln muss, um so die Erwartungen zu erfüllen, das ist für Weiler eher eine Pflichtaufgabe, die er nicht besonders gut löst. Aber immer wenn es um Martin Kühn, seine Gedanken und seine vielschichtige Persönlichkeit geht, dann hat das Buch Tiefe. Wohl jeder dürfte sich in Kühns zahlreichen Grübeleien und Problemen wiederfinden. Egal ob es Fragen sind wie diese, warum vom Einkommen am Ende des Monats so wenig überbleibt oder die Frage, wie man den Begriff der ehelichen Treue definiert die den Hauptkommissar Kühn umtreiben – Weiler schafft es einfach unglaublich gut, die Sorgen und Nöten eines Durchschnittsmenschen zu schildern. Gerade auch wenn Kühns Leben in der Münchner Vorortsiedlung mit Familienwagen vor der Haustür und verseuchten Wänden im Keller auf den Lebensstil der sorglosen und im Geld schwimmenden Familien trifft, bei denen Koiteiche und ein extra Handschuh zum Knacken der Austern existiert, dann ist dieses Buch richtig stark.

Empathisch und nuanciert schildert Weiler unterschiedliche Lebensentwürfe und zeigt einen Menschen, der sich inmitten seiner eigenen Gedanken und Grübeleien zu verrennen droht. Das macht diesen Martin Kühn so sympathisch und lebensnah. Und diese Lebensnähe versöhnt dann schlussendlich auch etwas mit dem dürftigen Krimi. Ein Hauptkommissar, der sich jüngst erst in Therapie wegen Burn Out begeben hat, der sein Privatleben nicht immer sauber von seinem Job trennen kann: hier ermittelt kein genialer Analytiker, kein raubeiniger Macho mit Intuition und kein Sherlock. Hier steht einfach ein ganz normaler Mensch mit Stärken und Schwächen im Mittelpunkt. Und das ist es, das Kühn hat Ärger ausmacht.

Fazit

Als Krimi eine Enttäuschung, als Roman eines Durchschnittsmenschen große Klasse!

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Stuart MacBride – Der Totenmacher

Stuart MacBride ist ein schriftstellerisches Sadist – anders ist seine Vorliebe für die Besetzung seiner Krimis nicht zu erklären. Stets begegnet man in seinen Büchern Figuren, die das Schicksal und die Vorgesetzten auf dem Kieker haben. Nackenschlag folgt auf Nackenschlag – und wenn man glaubt, dass es nicht schlimmer geht, dann baut MacBride doch wieder ein Fettnäpfchen auf, in das er seine Figuren tappen lässt. So lässt er in regelmäßigen Abständen seinen Detective Sergeant Logan MacRae durch Schottland stolpern (das Verb ermitteln trifft es immer nicht so ganz) – und nun hat er eine neue Figur ersonnen, die MacBride durch ein ganzes Buch hindurch piesackt: die Rede ist von Detective Constable Callum McGregor.

Dieser versieht im schottischen Oldcastle seinen Dienst inmitten einer Gruppe, die sich selbst als Paria bezeichnen. Ausgestoßene und entsorgte Kollegen, die mal die Kollegen ans Messer geliefert haben, mal bei einem Autorennen verletzt wurden. Auch Callum fügt sich nahtlos in diese Truppe ein, wird ihm doch vorgeworfen, willentlich für einen Gangster einen Tatort kontaminiert zu haben. In der Folge wurden die polizeilichen Ergebnisse angefochten und der Gangster kam auf freien Fuß. Beständig wird ihm von Vorgesetzten und Kollegen dieses Versagen vorgehalten – dabei möchte McGregor doch einfach seinen Dienst ohne viel Turbulenzen versehen. Daheim wartet die hochschwangere Frau, die Hypothek auf die Wohnung muss abgezahlt werden – und plötzlich kommt Leben in das schottische Städtchen. Denn die Paria-Truppe stößt in kurzen Abständen auf mumifizierte Leichen quer über ganz Oldcastle verteilt. Und nachdem wir einen Kriminalroman lesen, entpuppen sich die Mumien natürlich schon bald keineswegs als historisch, sondern doch als recht aktuelle Opfer eines Killers, der offenbar Menschen systematisch austrocknet und dann räuchert, um sie irgendwo in der Stadt zu hinterlassen.

Klingt durchgeknallt? Ist es auch – aber das ist man von den Büchern Stuart MacBrides ja nicht anders gewohnt. Der Schotte entwirft auch in seinem neuesten Buch wieder einen ausufernden Plot um einen verrückten Serienkiller, der aber dennoch über 800 Seiten nahezu ungestört morden kann, da dem Killer eine Ermittlungstruppe mit Callum McGregor an deren Spitze entgegen steht, für die der Begriff des Dilettantismus wie maßgeschneidert passt. Scheitert schon auf den ersten Seiten fast die Festnahme eines Gangsters, zieht sich eine ähnliche Qualität in den Ermittlungen durch die weiteren Kapitel. Das lässt manchmal den Kopf schütteln, noch viel öfter allerdings auflachen, denn so gut wie kaum ein anderer Schriftsteller verbindet Stuart MacBride Humor mit Krimiermittlungen.

Bei der Abkehr von einer eingeführten Reihe hin zu etwas Neuem stellt sich natürlich auch die Frage, welche Impulse der Autor in seinem neuen Werk setzen kann – unterscheidet sich Der Totenmacher nun grundlegend von der Logan-MacRae-Reihe (oder vor kurzem begonnenen Reihe um Ash Henderson)? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares – Nein!

Als Leser der bisherigen Bücher von Stuart MacBride (zuletzt erschien Totenkalt) kommen einem die Figuren schon alle in ihren Grundzügen bekannt vor (lesbische Polizistinnen, dauerstreitenden Kollegen, ein Ermittler, dem das Pech an den Hacken klebt) – und auch viele Plottwists sind erwartbar oder MacBride-Fans schon bekannt. So weiß jeder halbwegs geneigt Krimileser oder Krimigucker, wenn nach 500 Seiten der offensichtliche Täter gestellt und aus dem Verkehr gezogen ist und der Polizeichef zur Belobigung ansetzt, dass der eigentliche Spaß erst beginnt. So kommt es dann natürlich auch- auch wenn dann immer noch 300 Seiten vergehen, bis es zum richtigen Showdown kommt.

Aber auch wenn einige Ansätze im Buch MacBride-Kenner sattsam bekannt vorkommen dürften – das Buch unterhält über weite Strecken sehr gut. Trotz der Überlänge von insgesamt 832 Seiten weiß MacBride, wie man eine gute Geschichte erzählt. Er bietet eine Cop-Oper mit persönlichen Schicksalschlägen, Rückblenden, Enthüllungen und dem ganz normalen Wahnsinn – und das im nasskalten, ungastlichen Setting Schottlands. Wer die Reihe noch nicht kennt, findet hier einen leichten Einstieg in die dunkle Welt des Stuart MacBride (Krimikenner sprechen hierbei auch vom Genre des Tartan Noir), ich persönlich ziehe allerdings weiterhin die Logan MacRae-Reihe vor.

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Abir Mukherjee – Ein angesehener Mann

Es gibt so Bücher, die nimmt man in die Hand, man liest die ersten Seiten und weiß – das passt einfach. Da stimmt die Sprache, die Charakterzeichnung und die Setzung der Kapitel. Der Plot entfaltet sich Stück für Stück, das Tempo ist genau richtig und die Schilderungen lassen farbige Bilder im Kopf entstehen. Dem Engländer Abir Mukherjee ist mit seinem Debüt genau eines dieser Bücher gelungen.

Ein angesehener Mann von Abir Mukherjee

Sein Buch Ein angesehener Mann (schön rund ins Deutsche übertragen von Jens Plassmann) entführt direkt zurück nach Indien, und zwar im Jahr 1919. Der Ich-Erzähler Sam Wyndham ist frisch aus England eingetroffen, nachdem er seinen Dienst bei Scotland Yard quittiert hat. Die Ereignisse aus dem Ersten Weltkrieg und der traumatische Verlust seiner Frau haben ihn dazu bewogen, sämtliche Brücken hinter sich abzubrechen und in Kalkutta noch einmal neu zu beginnen. Als Captain versieht er seinen Dienst bei den Polizeistreitkräften im Schmelztiegel Kalkutta und wird schon auf den ersten Seiten des Buches mit  einem kniffligen Mord konfrontiert.

Ein wichtiger Berater des Lieutenant-Governors wurde in einer dunklen Seitengasse der Millionenstadt ermordet. In seinem Mund steckt eine Warnung an die englischen Besatzungskräfte. Der Gouverneur ist folglich alarmiert und erwartet von Wyndham und seinen Kollegen Ermittlungserfolge. Doch auch der Militärgeheimdienst steigt in die Ermittlungen ein und macht Wyndham Druck. Und dann ist da auch noch die indische Bevölkerung, die gegen die englischen Kolonialherren aufbegehrt und immer vehementer für Souveränität eintritt.

Abir Mukherjee macht in seinem ersten Buch auf Anhieb gleich alles richtig. Über den Plot transportiert Mukherjee viele Infos über die indisch-britische Geschichte und zeigt ein exotisches Indien, das aus vielen Widersprüchen besteht. Als Sohn indischer Einwanderer (seine Eltern stammen ebenfalls aus Kalkutta) ist er hierfür geradezu prädestiniert. Ihm gelingt es unaufgeregt, dieses brodelnde Indien, das zwischen dem Verlangen nach Selbstbestimmung und dem Wunsch nach Stärke zerrissen ist so zu zeichnen, dass dabei die Krimihandlung nie zur Nebensache wird, sondern diese hervorragend ergänzt – oder mit anderen Worten: einfach ein stimmiger Krimi!

Von diesem Ermittler liest man gerne noch weitere Fälle!

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Stuart MacBride – Totenkalt

Logan MacRaes zehnter Fall

Mit Totenkalt liegt nun schon der sage und schreibe zehnte Fall für DS Logan MacRae vor. Angemessenerweise gibt es in diesem Fall für den Seargent natürlich keine Blumen oder Ehrungen, sondern wieder viel Arbeit, Regen und missgelaunte Vorgesetzte.

Auch diesmal spielt der Fall nicht wie gewohnt in Aberdeen, sondern im Küstenstädtchen Banff, in das es MacRae bereits im Vorgängerband In Blut verbunden verschlagen hatte. Dort versieht er seinen eigentlich recht unspektakulären Dienst im und wird dabei wie gewohnt von seiner in Hassliebe verbundenen Vorgesetzten DI Roberta Steele drangsaliert. Doch plötzlich kommt Bewegung in das graue Einerlei im Norden Schottlands, als im Wald die Leiche des Geschäftsmanns Martin Milne gefunden wird.

Jener wurde schon länger vermisst und die Spekulationen schossen ins Kraut. Doch zur großen Überraschung der Ermittler stellt sich schnell heraus, dass die Leiche gar nicht die von Martin Milne, sondern die seines Geschäftspartners Peter Shepard ist. Der Modus Operandi der Tat erinnert an ein früheres Verbrechen und so muss sich Logan MacRae dranmachen, ein Motiv für den Mord zu finden und zu klären, ob Shepard eventuell nur ein weiteres Opfer eines Serienmörders wurde.

Stuart MacBrides Bücher werden mit den Labels Krimi oder Thriller kaum erschlagen. Seine ausufernden Plots sind so weit von der linearen Erzählweise seiner britischen AutorenkollegInnen entfernt wie Banff vom Rest der schottischen Zivilisation.

MacBrides Romane sind eine literaturgewordene, düstere und mit schwarzem Humor getränkte Polizeiserie. Viele Handlungsbögen aus früheren Romanen werden wieder aufgegriffen und fortgeführt, weswegen sich ein optimaler Lesegenuss nur einstellt, wenn man zumindest ein oder zwei Vorgängerbände gelesen hat.

In diesem Band lässt MacBride seinen Helden nun stärker als gewohnt taumeln, die Frage der Loyalitäten bringen MacRae schwer in die Bredouille. MacBride lässt damit auch viel Raum für weitere Bände, denn die Entwicklungen und Dynamiken, die Totenkalt bereithält, verlangen förmlich nach einem elften Einsatz des schottischen Ermittlers.

 

 

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