Tag Archives: Erzählungen

Bora Chung – Der Fluch des Hasen

Wenn plötzlich sprechende Köpfe in der Toilette auftauchen, Der Fluch des Hasen zuschlägt oder ein junger Mensch in einer archaischen Umgebung Prometheus-gleich malträtiert wird, dann befinden wir uns in der Welt von Bora Chung. Der Kurzgeschichtenband der südkoreanischen Autorin versammelt kurze Episoden, die von Horror bis Science Fiction reichen und von Schattenkindern, invertierten Schwangerschaften und mehr Kreativ-Monströsem erzählen.


Völlig baff und glückstränenüberströmt stand sie plötzlich auf der Bühne unter der Glaskuppel der Messe Leipzig, Ky-Hyang Lee. Soeben war am Nachmittag des 21. März ihr Name gefallen, als es um den Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung ging.

Eine Rede habe sie nicht vorbereitet, so Ky-Hyang Lee, die sich in einer sponaten Danksagung dann für den Preis auch als Zeichen ihrer langjährigen Arbeit im Hintergrund der Texte bedankte.

Übersetzerin Ki-Hyang Lee bei ihrer Dankesrede.
Quelle: Leipziger Messe GmbH / Stefan Hoyer

Das Unheimliche und Monströse laufen bei der gesellschaftskritisch versierten Koreanerin Bora Chung zu großer Form auf. Ki-Hyang Lee ist es zu verdanken, dass ihre Geschichten auch auf Deutsch abgründig funkeln. In der pointierten und leicht neben die Norm gesetzten Sprache, die Ki-Hyang Lee den Texten von Bora Chung verleiht, haben sie eine zitternde Offenheit für das Neue und Unerwartete. Das Niedliche und das Widerliche kommen uns daraus entgegen.

Jurybegründung zum Preis der Leizpziger Buchmesse an Ki-Hyang Lee

Damit war an diesem Nachmittag in Leipzig der Auftakt gemacht zu einer Preisverleihung, bei der allesamt Bücher ausgezeichnet wurden, die den Horror und das Finstere im ganz normalen Alltag beleuchten. Auch der Blogger Thomas Hummitzsch fasst das auf seinem Blog Intellecutres noch einmal treffend zusammen:

Nun aber Der Fluch des Hasen. Was kennzeichnet das Buch? Es sind allesamt disparate Erzählungen, was Länge, Setting und die Themen anbelangt. Und doch kristallisiert sich im Lauf des Buchs ein genauer Blick auf das Abseitige, den Schrecken im Alltag heraus, der sich auf oftmals aus dem Zusammenleben zwischen Paaren speist. So eröffnet Bora Chung ihren Reigen des kleineren und größeren Horrors mit der Erzählung einer Frau, der nach dem Gang auf die Toilette an ebenjenem Ort ein sprechender Kopf entgegenblickt. Dieser verfertigt sich einem Golem gleich zwar nicht aus Lehm, dafür aus den Ausscheidungen der Frau zunehmend zu einem Körper.

Eine bemerkenswerte Koinzidenz zur Chungs Landsfrau Cho-Nam Joo, die bereits ebenfalls von Ki-Hyang Lee übersetzt wurde und die in ihrem letzten Werk ebenfalls das Wohlbefinden einer Frau entscheidend mit der sanitären Situation der heimischen Toilette korrelieren ließ.

Ekel und Abstoßung

Bora Chung - Der Fluch des Hasen (Cover)

Das Thema des Ekels und der Abstoßung setzt sich auch in den folgenden Geschichten fort. Eine verfluchte Hasenlampe sorgt für den Niedergang mehrerer Menschen. Ein Junge wird in der umfangreichsten Erzählung in einer archaischen Umgebung in einer Höhle gefangen gehalten, wo ihm ein mythologisches Flugwesen immer wieder Stücke aus seinem Körper reißt, ehe ihm die Flucht gelingt. Eine Prinzessin in einer Wüstenwelt soll statt der Märchenhochzeit mit ihrem Prinzen den Tod oder eine junge Frau nach der plötzlichen Schwangerschaft durch die Einnahme einer Antibabypille einen Partner finden, der das Ergebnis der Jungfrauengeburt akzeptiert.

Immer wieder scheint feministische Kritik an Gesellschafts- und Herrschaftssystemen in den Geschichten auf, die zwischen Fantasy und Horror, Ekel und Komik pendeln. Insofern liegt die Jury richtig, wenn sie die Ambivalenz zwischen Niedlichem und Widerlichen in der Laudatio als besonderes Merkmal rühmt.

Eine preiswürdige Übersetzung?

Einzig die Übersetzungsleistung wird außerhalb der Floskeln von der leicht neben die Norm gesetzten Sprache und der Offenheit für das Neue nicht unbedingt klar. Fast scheint es mir so, als wurde der Preis der Leipziger Buchmesse eher für Ki-Hyangs Lee übersetzerisches Lebenswerk denn genau für diesen Band zugesprochen. Die unbedingte Notwendigkeit, dieses Buch aus translatorischer Sicht auszuzeichnen, konnte ich beim Lesen nicht unbedingt nachvollziehen.

Sicher, alles ist rund übersetzt, es stört wenig, alles wirkt solide und sauber – aber es ist doch in meinen Augen eine recht konventionelle Sprache, die Der Fluch des Hasen kennzeichnet. Macht es das gleich preiswürdig?

Dass mein laienhafter Leseeindruck dahingehend doch etwas zu einfach und unpräzise ist, das zeigt nicht nur die Auszeichnung durch die Fachjury des Preises der Leipziger Buchmesse, auch der auf Übersetzungsarbeit spezialisierte Blog Tralalit seziert die Übersetzungsarbeit Ki-Hyang Lees und die Unterschiede in der deutschen und englischen Übersetzung des Buchs genauer, weshalb ich gerne auf die Analyse von Theresa Rüger verweise.

Fazit

So ist Bora Chungs Buch eines, das mit viel Verve und Freude auch am Monströsen und Ekel in den insgesamt zehn Geschichten zumeist Frauen zeigt, die mit den herrschenden männlich geprägten System hadern. Es sind Menschen, denen schier Unglaubliches passiert und die irgendwie in den Welten überleben müssen, in die sie Bora Chung stürzt. Horror aus Südkorea, in kleinen, aber durchaus heftigen Dosen, dazu noch in einer preisgekrönten Übersetzung, das ist Der Fluch des Hasen, der nun nach der Originalausgabe bei Culturbooks in der Reihe Büchergilde Weltempfänger vorliegt.


  • Bora Chung – Der Fluch des Hasen
  • Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee
  • Büchergilde Weltempfänger, Artikelnummer 175215
  • 264 Seiten. Preis: 24,00 €
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Ángel Santiesteban – Stadt aus Sand

Kuba, das ist dieses pittoresk verfallene Eiland, auf dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Liebevoll handgedrehte Zigarren, Zuckerrohr, Caipirinha und Sonnenschein den ganzen Tag und dazu die Musik des Buena Vista Social Club. So kuschelig kann man es sich in seinen Klischees über die sozialistisch regierte Insel eingerichtet haben. Wie grundfalsch diese Bilder allerdings sind, das beweisen die stilistisch vielfältigen Erzählungen von Ángel Santiesteban, die es nun unter dem Titel Stadt aus Sand in der Reihe Weltempfänger der Büchergilde Gutenberg zu entdecken gibt.


Bei den vorliegenden Erzählungen kann man wirklich von einer Entdeckung sprechen, denn auf dem deutschen Buchmarkt ist Ángel Santiesteban so gut wie unbekannt. Zwar erschien im Jahr 2017 eine Sammlung von sechzehn Kurzgeschichten unter dem Titel Wölfe in der Nacht, die in den Medien auch etwas Widerhall fand. Davon abgesehen aber ist der Name Ángel Santiesteban wohl nur großen Kennern der kubanischen Literatur ein Begriff. Das gilt aber auch für Kuba selbst, wo der 1966 geborene Schriftsteller mit einem Publikationsverbot belegt ist und sogar schon einmal im Gefängnis saß, woraus er erst auf öffentlichen Druck wieder freikam.

Dass die Prosa Santiestebans den Machthabern in Kuba nicht recht sein kann, das zeigt sich schon nach kurzer Zeit, beginnt man in den Erzählungen des Kubaners zu lesen. Denn das Bild, das seine Geschichten von der Insel zeichnen, ist wenig schmeichelhaft. Und erst recht hat es nichts mit den eingangs genannten Klischees zu tun, die Santiesteban hier kraftvoll zerschlägt.

Politischer Druck, Überwachung und Unterdrückung

Er erzählt von politischem Druck, bei dem Menschen schon einmal im Gefängnis landen, nur weil sie in der Nähe des Ortes aufgegriffen wurden, wo sich der Comandante kurzfristig erleichtern musste. Ein doppeldeutiges Verhör genügt, um einen unbescholtenen Köhler hierbei ohne Prozess ins Gefängnis zu bringen (Selbstmordwalzer).

Ángel Santiesteban - Stadt aus Sand (Cover)

Er zeichnet das Bild eines Systems, in dem Menschen verzweifelt aufsteigen möchten und sich durch einen unbewussten Griff an die Nase selbst in die Psychiatrie bringen (Der bedeutendste Popel der Geschichte), in der ein zufälliger Kontakt mit einem Jugendfreund einen zum Verdächtigen macht, dem Misshandlungen wiederfahren (Richelieus Männer) oder in dem man die eigene innerfamiliäre konfessionelle Prägung nicht einmal geschützt innerhalb der eigenen vier Wänden ausleben kann und so ganz eigene Wege finden muss, um sich dem Überwachungssystem wenigstens etwas zu entziehen (Der Äquilibrist).

Überhaupt, die Überwachung und Unterdrückung, sie ist in vielen von Santiestebans Geschichten höchst anschaulich beschrieben. Die Paranoia, die dieses System erzeugt, in dem Menschen von einem auf den anderen Tag verschwinden (Auf der Suche nach Benny) und in dem man nicht einmal im Ausland vor den Behörden und Zensoren geschützt ist (Dolce Vita), sie wird nachvollziehbar und setzt sich dann in jenen Geschichten fort, die den feinen Grat erkunden, der zwischen Normalität und dem allzu schnellen Abgleiten in die Kriminalität oder psychiatrischen Anstalten des Inselstaates verläuft.

So ist es in der Geschichte Das Skelett des Herrn Morales das verzweifelte Streben eines Büroangestellten, der vor der Überführung der sterblichen Überreste seines Vaters diese wieder vervollständigen möchte oder in der schon erwähnten Erzählung Der bedeutendste Popel der Geschichte der Wunsch nach Aufstieg im politischen System, der für Santiestebans Protagonisten geradewegs in die Psychiatrie führen, obschon sie auf dem Grat zwischen Normalität und Kriminalität nur einmal kurz gestrauchelt sind.

Die Unbarmherzigkeit des politischen und gesellschaftlichen System Kubas, sie werden in diesen Geschichten in ihrer ganzen Abgründigkeit offenbar.

Unterschiedliche Erzählungen

Wenn diese Geschichten etwas eint, dann ist es ihre Einheit in Sachen Unterschiedlichkeit. Denn es ein stilistischer und thematischer Strauß an Stilen und Umfang, den die dreizehn von Thomas Brovot ins Deutsche übertragenen Erzählungen kennzeichnen.

So gibt es die gnadenlose Selbsterklärung einer Schwarzen, die sich selbst verleugnet und dem Rassismus zuneigt. Ein Mann in einer parabelhaften Geschichte, der in der sandigen Wüste eine Stadt errichtet, um dort am Steg der Ankunft eines Schiffes zu harren oder die Erzählung einer Mietergemeinschaft in einem dystopischen Setting, das die Leiche einer Verstorbenen im Wettlauf gegen das Unwetter, das gegen ihr Haus anbrandet, in Sicherheit bringen wollen. Aber auch für Spielereien mit der Metaebene von Texten bleibt bei Ángel Santiesteban noch Platz.

Und obschon diese Erzählungen wirklich divers und nicht wirklich einordenbar sind, so gibt es doch ein entscheidendes verbindendes Element. Das ist die Hoffnungslosigkeit, die fast allen Erzählungen innewohnt. Die Träume, die politischen Karrieren, die Hoffnungen, sie alle sind in diesen Geschichten auf Sand gebaut. Zwar kann man sich in Tagträume flüchten, wie dies die Prostituierten in der titelgebenden Eingangsgeschichte Stadt aus Sand tun. Viel bringen wird es allerdings nicht. Das ist die bittere Erkenntnis, die diesen Erzählungen innewohnt.

Ein willensstarker Autor

Schön, dass es die Büchergilde im Rahmen des Weltempfängers möglich gemacht hat, sechs Jahre nach dem ersten Erzählungsband auf Deutsch nun auch diese dreizehn Geschichten aus Kuba erlesbar zu machen. So bekommt man den Eindruck eines Staates, der auf Unterdrückung und Strafe setzt, um seine System am Laufen zu erhalten. Ein System, dem der oder die normale Kuba-Besucher*in nicht ansichtig werden dürfte, und das deshalb umso spannender zu lesen ist, setzt der Kubaner mit seinen Geschichten doch nicht bloß auf Agitation, sondern weiß auch literarisch durch Varianz zu überzeugen.

Und nicht zuletzt rückt diese Veröffentlichung mit Ángel Santiesteban einen unerbittlichen Schreiber ins öffentliche Interesse, der radikal für seine Prosa einsteht und dafür auch Gefängnis in Kauf nimmt. Oder um es mit den Worten von Paul Ingeenday zu sagen, der das Nachwort zu Stadt aus Sand liefert:

In den Jahre zuvor hatte ich einige Autoren und Autorinnen des Inselstaates kennengelernt, hier Kompromissler, dort Protestnaturen, aber so radikal wie Santiesteban war niemand von ihnen aufgetreten; manche waren entnervt ins Exil gegangen wie so viele vor ihnen, um ihr Glück in der wachsenden kubanischen Diaspora von Miami, Madrid, Paris oder Berlin zu versuchen.

Und nun dieser: ein sanfter Trotzkopf, der vor innerer Energie zu bersten schien. Der geschworen hatte, sich aus seiner Heimat nie vertreiben zu lassen und – das Undenkbare – die Castros zu überleben, Gefängnis hin oder her. Der sagte, es sei ihm egal, ob seine Literatur überhaupt erscheinen dürfe, er schreibe sie so oder so, mit Geld, ohne Geld, oft übrigens in der Nacht. Seine Geschichten drängten aufs Papier, damit sie ihn im Innersten nicht verbrannten. „Das ist der einzige Sinn, den ich in meinem Leben entdecken kann“, sagte er mir. „Dafür bin ich auf der Welt. Um zu schreiben“.

Paul Ingeenday in seinem Nachwort zu Ángel Santiesteban – Stadt aus Sand, S. 248

Schön, dass der Weltempfänger diese vielseitige und so willensstarke Stimme für uns europäische Leser*innen einfängt!


  • Ángel Santiesteban – Stadt aus Sand
  • Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
  • Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
  • Büchergilde Gutenberg, Artikelnummer 173670
  • 256 Seiten. Preis: 22,00 €
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Spiel, Satz, Buch

Andrea Petković – Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht

Tennisspielerin Andrea Petković legt ihr erstes Buch vor. Doch wer belanglose Sportler-Memoiren erwartet, der dürfte sich schnell getäuscht sehen. Denn Petković macht in Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht vieles ganz anders, als man es von herkömmlichen Biografien gewohnt ist. Statt sich im Glanz ihrer Erfolge zu sonnen oder rührselige Aventüren gegen alle Widerstände zu präsentieren, erzählt sie. In Episodenform beschreibt sie die Besonderheiten großer Tennisturniere, ihre literarische Prägung, den Reiz New Yorks, Schwarzfahren und andere Geschichten, die durch Petkovićs literarisches Erzähltalent bestechen.


Mit welch einer versierten Autorin wir es hier zu tun bekommen beweist schon der kursiv gesetzten Auftakt des Buchs. Denn darin erzählt sie von ihrem Vater, der sie einst zu einem Tennisturnier in Australien begleitete und nächtens einem Braunbär begegnet sein wollte.

Geschichtenerzählen war immer Teil unserer Familie und Teil unserer Identität. Wenn meine Mutter meinen Vater abends beim Essen nach seinem Tag fragte, hörte sich jeder einzlne an wie ein Abenteuer. (…)

Das war der Haushalt, in dem ich aufwuchs. Denken Sie ab und zu daran, wenn Sie meine Geschichten lesen. Alles, was ich beschreibe, ist genau so passiert. Aber manchmal braucht es einen Braunbären, um der Wahrheit näherzukommen.

So verschafft sich Petković gleich zu Beginn die Lizenz zur Fiktion. Ein kluger Aufschlag für ihr Buch, mit dem sie sich von den üblichen Pflichten des drögen Genres Sportler-Biografien entbindet. So springt sie fortan mit ihren zehn bis 15 Seiten langen Erzählungen durch ihr sportliches und privates Leben.

Keine plumpen Sport-Erinnerungen

Zu plumpen Nacherzählungen von bedeutenden Matches ihrer Karriere lässt sie sich dabei nicht hinreißen. Wenn Petković an wenigen Stellen im Buch solche Ereignisse Revue passieren lässt, dann ist das reichlich selbstkritisch und verweist auf dahinterliegende Wahrheiten, die ihr wichtig sind. So erzählt sie von Überheblichkeit und anderen Probleme mit dem Kopf, der ihr von Zeit zu Zeit einen Strich durch ihre Siegespläne machte. Von Rivalität und Freundschaft, und was diese im Sport ausmacht.

Andrea Petković - Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht (Cover)

Es geht Petković in diesem Buch merklich nicht darum, ihren eigenen Ruhm zu mehren. Natürlich handelt es sich bei ihr um eine der erfolgreichsten Tennisspielerinnen jüngster Zeit, das verschweigt sie (und die Gestaltung des Buch) natürlich nicht. Aber ebenso wie vom Erfolg erzählt sie vom Scheitern. Von Verletzungen, die sie zurückwarfen. Von der Einsamkeit in schlecht klimatisierten Hotelzimmern am Rande der Welt. Und nicht zuletzt erzählt Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht auch von der Suche nach Identität. So passt sich das Memoir der Tennisspielerin in eine ganze Riege identitäts-erforschender Bücher ein, die in letzter Zeit erschienen sind, von Saša Stanišić bis hin zu Deniz Ohde.

Ihre eigene bosnische Herkunft, das Aufwachsen in Deutschland, die Zerissenheit der eigenen Familie. All das beleuchtet die Tennisspielerin sehr klar, selbstironisch und durchaus analytisch. Diese Klarheit und auch der immer wieder aufscheinende Humor machen aus diesem Buch vielmehr als eine Sportler-Biografie.

Ein großer thematischer Bogen

Dazu ist auch der thematische Bogen, den Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht umspannt, viel zu groß. So erzählt sie vom Touren mit einer Band durch die USA, Freundschaften, Familienritualen, besuchten Konzerten und nicht zuletzt auch von ihren literarischen Leidenschaften. Dass ihr die Literatur von Jonathan Franzen, Philip Roth oder David Foster Wallace ein wirkliches Bedürfnis und für sie sinnstiftend ist, das nimmt man Petković nach der Lektüre des Buchs sofort ab.

Und dass sie die Bücher nicht nur gelesen hat, sondern von ihnen auch gelernt hat, das zeigt das Buch ebenfalls. Wie gutes Erzählen funktioniert, was man besser weglässt und auf was man sich konzentriert, das hat Petković beherzigt. Ihre Geschichten sind konzise, spannend gestaltet und haben auch mir als Tennis-Muffel plastisch einen Eindruck vom Reiz dieses Sports verschafft. Ihre Erzählungen liest man gerne, scheint doch eine wache, belesene, selbstironische und auch selbstkritische Autorin durch die Zeilen durch.

Fazit

Ja, Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht ist ein Buch über Tennis. Aber Andrea Petkovićs Buch ist eben auch so viel mehr. Auch wer nichts von Tennis versteht oder wen dieser Sport nicht übermäßig interessiert – man sollte diesem Buch auf alle Fälle eine Chance geben. Eine interessante und talentierte Erzählerin ist hier zu entdecken, die nicht nur vermittelt, wie man Tennis lesen und verstehen kann, sondern die sich auch für die Fragen von Idenität und Herkunft interessiert. Ihr ist ein Buch gelungen, das man mit dem Begriff Sportler-Memoir kaum erschlägt, und das so viel mehr ist als nur das. Oder um ein vielgenutztes Tenniszitat einmal etwas anders zur Anwendung zu bringen: Spiel, Satz, tolles Buch!


  • Andrea Petković – Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
  • ISBN: 978-3-462-05405-7 (Kiepenheuer Witsch)
  • 272 Seiten. Preis: 20,00 €
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