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Hakan Nesser – Die Lebenden und die Toten von Winsford

Eine Frau, ein Hund und viel englischer Nebel – dies sind die Hauptkomponenten in Hakan Nessers neuem Roman Die Lebenden und die Toten von Winsford. Nach Himmel über London bleibt der Schwede Nesser nun in England, auch wenn das neue Buch in der englischen Provinz in Cornwall angesiedelt ist.


Maria Andersson: so nennt sich die Frau, die sich im kleinen Dorf Winsford niedergelassen hat. Einen Hund hat sie im Gepäck – und vor allem einige Geheimnisse, die erst langsam ans Tageslicht drängen. Früher hat diese Maria Andersson beim Fernsehen gearbeitet, nun schützt sie allerdings vor, ein Buch zu schreiben. Sie bezieht ein zugiges Cottage und fasst langsam im Dorf Fuß. Ihre Tage werden von Routine bestimmt. Den Hund ausführen, den lokalen Pub besuchen und darauf hoffen, dass die Dorfbewohner nicht hinter die Geheimnisse kommen, die sie so sorgsam hütet.

Eine Frau mit einem Geheimnis

Hakan Nesser - Die Lebenden und Toten von Winsford (Cover)

Genauso wie den Dorfbewohnern ergeht es auch dem Leser. Überlegt man zunächst noch, was die Schwedin von der Geschäftigkeit Stockholms ins ländliche England verschlägt, so kommt man schon bald den Geheimnissen der geheimnisvollen Fremden auf die Spur.

Ist sie vor jemandem auf der Flucht? Welches Schicksal hat die Schwedin in die Provinz gebracht?

Die Idee, die hinter „Die Lebenden und Toten von Winsford“ stehthat durchaus seinen Reiz: Eine Frau, die ein Geheimnis hütet und dieses erst allmählich ans Licht gezerrt wird – dieses Motiv in den Händen von Hakan Nesser, da kann eigentlich nichts schief gehen.

Verschwunden im englischen Nebel

Leider stellt sich mit Fortschreiten des Buchs ein gewisses Gefühl der Redundanz ein. Ähnlich wie mit der Monotonie und Einöde der englischen Landschaft, in der sich Maria befindet geht es dem Leser auch an einigen Stellen. Zahllose Wiederholungen des Wetters und der Beschreibung der Spaziergänge Marias sind nicht gerade dazu angetan, die Spannung des Buchs zu erhöhen. Um einen Krimi handelt es sich bei Die Lebenden und die Toten von Winsford eh nur im weiteren Sinn. Spannung kommt erst im letzten Drittel des Buches auf, das Buch überzeugt vielmehr durch seine dichte Atmosphäre, die Nesser hervorragend einzufangen weiß.

So ist das neue Buch des Schweden eher die Psychostudie einer getriebenen Frau als ein Spannungsroman. Für alle Liebhaber von England und im Speziellen von Cornwall ist dieser Titel auch auf jeden Fall eine Empfehlung wert!

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Edan Lepucki – California

Stephen Colbert war schuld. In seiner Latenight-Show hypte er Edan Lepuckis Roman California als Gegenentwurf zu Amazon. In der Folge avancierte das Buch zu einem Verkaufsschlager bei den stationären amerikanischen Buchhändlern und wurde zur Erfolgsgeschichte. Nun hat sich der Blumenbar-Verlag die Rechte an der deutschen Version des Buchs gesichtert und bringt den Titel in der Übersetzung von Gesine Schröder für den deutschen Markt heraus.

Die Geschichte, die Edan Lepucki in ihrem Buch erzählt, ist die einer klassischen Dystopie. Die Sozialverbände und bisherigen gesellschaftlichen Strukturen haben sich aufgelöst, Amerika liegt am Boden und die Bevölkerung lebt verstreut in der Wildnis.

Auch Cal und Frida, ein junges Paar, haben den Rückzug in die Natur angetreten und leben ein einfaches, aber autarkes Leben. Anderen Menschen begegnen sie fast nicht und es könnte alles in Ordnung sein – wenn Frida nicht schwanger wäre.

Zwei Menschen schlagen sich durch

Edan Lepucki - California (Cover)

So ist das Paar gezwungen, den Weg aus der Wildnis anzutreten, um sich einer Kommune anzuschließen. Denn in den größeren und abgeschotteten Verbänden gibt es eine bessere Versorgung und höhere  Doch Cal und Frida ahnen nicht, wem sie hinter den Mauern der Community begegnen.

California ist ein Buch, das die momentane amerikanische Gesellschaft in Frage stellt. Lepucki sensiblisiert dafür, wie fragil unsere Gesellschaftsordnung doch ist.

Sie zeichnet ein eindrückliches Bild einer Gesellschaft am Boden. Der alte Spruch Homo homini lupus est des römischen Dichters Plautus erhält im Buch der Amerikanerin neue Bedeutung.

Sie zeigt, wozu Menschen in Extremsituationen fähig sein können. Obwohl California nicht zu explizit ist, schafft es die Autorin eine finster dräuende Atmosphäre im Buch heraufzubeschwören. Das Buch ist eine Dystopie und ein Weiterdenken amerikanischer Zustände zu einem beängstigenden Bild, von dem man sich wünscht, es würde nicht wahr werden.

Fazit

Für einen Debütroman ist dieses Buch doch ganz rund und überzeugend gelungen. Gerade inmitten all der aktuellen Wohlfühlliteratur eine wohltuende Gegenstimme, die mahnt und erinnert, wie brüchig doch alle Idylle ist.


  • Edan Lepucki – California
  • Übersetzt von Gesinde Schröder
  • ISBN: 978-3-351-05019-1 (Blumenbar)
  • 415 Seiten. Preis: 20,00 €

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Oliver Harris – London Underground

Im Londoner Untergrund

Man muss Nick Belsey nicht mögen, um seinen Spaß an London Underground zu haben. Der Ermittler säuft im Dienst, ist korrupt, steht eigentlich mit mehr als zwei Beinen im Knast und hat ein grandioses Gespür für Fettnäpfchen. Dennoch ist er ein brillanter Ermittler und leistet sich in im neuen Roman von Oliver Harris sein Kabinettstückchen.

Oliver Harris - London Underground (Cover)

Bei der Verfolgung eines Verdächtigen stößt Belsey auf den Zugang zu einem alten Tunnelsystem unter einem ehemaligen Bunker. Er wittert die Möglichkeit für ein besonderes Date mit einer jungen Frau, die beim nächtlichen Tête-a-tête natürlich prompt entführt wird. Belsey muss sich – herausgefordert von einem Geiselnehmer, der Belsey auf ein Geheimnis stoßen will – in das verzweigte Tunnelgeäst aufmachen und dabei seine nächtliche Eskapade vor den Kollegen vertuschen. Ein Tanz auf dem Vulkan beginnt.
Mit jeder Menge Lokalkolorit ausgestattet geht es auf und unter den Straßen Londons und Umgebung rund. Belsey mag zwar ein Dreckskerl sein, seinen Job erledigt er in London Underground aber mehr als nur fabelhaft. Er kombiniert und trickst sich durch den Plot und der Leser bleibt atemlos an den Ermittlungen dran.

Gut. Man mag dem Thriller vorhalten, dass er überkonstruiert ist und sich von Unwahrscheinlichkeit zu Unwahrscheinlichkeit hangelt. Auch einige Logiklöcher ließen sich nicht vermeiden – aber das machen das Timing, die Spannung und das Tempo mehr als nur wett. Der Plot, der sich zwischen Kaltem Krieg, Architektur, Schnitzeljagd und Tunneln bewegt, ist insgesamt mehr als nur gelungen und zählt zu den Spannungshighlights des Herbstes 2014.

Von den beiden Fällen, die Belsey in London zu lösen hatte, ist „London Underground“ klar der bessere Fall, der den Leser genauso wie den Cop in sich hinein saugt und erst nach 450 Seiten wieder ans Tageslicht entlässt.

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Deon Meyer – Cobra

Tödliches Südafrika

Südafrika ist ja schon länger ein echter Tipp, wenn es um Spannungsliteratur geht. Autoren wie Roger Smith, Malla Nunn, Mike Nicol oder eben auch Deon Meyer haben das Land an der Südspitze Afrikas auf der Krimilandkarte bekannt gemacht.
Gerade letzterer ist ein Garant für starke Charaktere und Plots, was er mit Cobra nun wieder eindrucksvoll unter Beweis stellt. Der neue Fall für Bennie Griessel, den trockenen Alkoholiker vom Kap, ist ein verzwickter, wendungsreicher und unheimlich schneller und mitreißender Thriller, der jedem Fan von Spannungsliteratur wärmstens ans Herz gelegt gehört.
Diesmal bekommt es Bennie Griessel mit einem unüberschaubaren Interessen- und Parteiengeflecht zu tun, dem er mit seinen loyalen Mitstreitern gegenübertreten muss. Auf einem südafrikanischen Weingut wurden zwei bestens ausgebildete Wachleute getötet und eine Person ist verschwunden. Die Identität des Verschwunden bleibt genauso mysteriös wie die des Schützen. Die einzige Spur Griessels sind die Patronenhülsen mit Cobra-Signatur, die am Tatort zurückgeblieben sind. Bei seinen Aufklärungen wird er vom Staatsschutz überwacht und in immer schneller werdenden Tempo nehmen die Ereignisse zu, sodass Griessel alles aufbieten muss, um den Fall zu lösen.

Schnell, schneller, „Cobra“

Selten habe ich in den letzten Monaten einen Roman gelesen, der mich so gefesselt und förmlich durch die Seiten geprügelt hat, wie Cobra von Deon Meyer. Das Tempo, das der südafrikanische Autor in seinem neuen Thriller vorlegt, ist im wahrsten Sinne des Wortes atemraubend. Er hetzt seine Protagonisten, allen voran Bennie Griessel und den farbigen Taschendieb Tyrone von Schauplatz zu Schauplatz, gejagt beziehungsweise verfolgt vom mysteriösen Killer mit der Cobra-Signatur. Bei allem Tempo schafft es Meyer, seine Protagonisten mit einer Wärme und Menschlichkeit zu zeichnen, die im zeitgenössischen Krimi ihresgleichen sucht.
So besticht Cobra mit Tempo, einem Plot, der immer unvorhergesehen plötzlich eine 90°-Kurve beschreibt und Protagonisten, die man so schnell nicht vergisst. Insgesamt ein Buch, das man gerne auf seinen Wunschzettel packen darf, wenn man gute Bücher mag.

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Martin Suter: Der Teufel von Mailand

Schweizer Synästhesie

Martin Suter zählt zu den wohl bekanntesten Schweizer Bestsellerautoren. Der Teufel von Mailand ist hierbei wohl nicht das kreativste seiner Werke, allerdings auch kein wirklich schlechtes Buch. Alles beginnt mit einem LSD-Trip, der die gerade frisch von ihrem Mann getrennte Sonia völlig aus der Bahn wirft. Synästhesie lautet die Diagnose – fehlgekoppelte Sinneseindrücke.

Sonia schmeckt plötzlich Farben, hört Geschmacksrichtungen und ist wie vor den Kopf gestoßen. Sie beschließt, eine berufliche Chance wahrzunehmen und in einem Hotel in den Schweizer Bergen als Physiotherapeutin einen Neuanfang zu wagen.

Doch die Idylle in dem mysteriösen Hotel und dem dazugehörigen Dorf währt nicht lange. Schon bald nimmt eine Kette von gefährlichen Vorgängen ihren Lauf, die mit dem geheimnisumwitterten Teufel von Mailand in Verbindung zu stehen scheint.

Es wabert die Gefahr

Stets wabert über dem ganzen Plot in Suters Buch die Gefahr wie der omnipräsente Nebel in den Schweizer Bergen. Das mysteriöse Hotel mit seinen Gästen und den nicht minder geheimnisvollen Dorfbewohnern, von denen letztere für mein Empfinden im Buch etwas zu viel Raum einnahmen, erinnert etwas an den Film „Shining“. Da geraten die Ereignisse im Hotel, so unscheinbar sie auch daherkommen mögen, unversehen zu einem echten Psychothriller für die Nerven.

Martin Suter - Der Teufel von Mailand (Cover)

Für seine elegante Prosa und Begriffe wie rauchfarbene Perlerinen kann man diesen Autor nur schätzen. Stets wohlformulierend kleidet Suter seine Erzählung in ein Gewand, das nicht zu leicht oder zu schwer daherkommt. Der Plot changiert gekonnt zwischen Alpenroman, Volkssage, Psychothriller und Dorfchronik.

Obwohl ich nach der Lektüre des Klappentextes noch dachte, dass Der Teufel von Mailand eine glatte Kopie des großartigen Suter-Romans Die dunkle Seite des Mondes sein könnte, bewies das Buch dann schnell seine Eigenständigkeit.

Natürlich sind Themen wie Identität und Sinnkrise immer wiederkehrende Motive in Suters Schaffen, doch Der Teufel von Mailand ist ein höchst lesenswertes und spannendes Buch. Zwar ist die Auflösung des Ganzen dann etwas unspektakulär, passt sich aber gut in das Gesamtkonzept des Romans ein und rundet den Roman ab.

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