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Victor Pouchet – Warum die Vögel sterben

Also dieser Victor Pouchet erlaubt sich etwas. Er will in seinem Debüt erklären Warum die Vögel sterben – und bleibt am Ende doch alle Antworten schuldig. Ein Erstling, der mit Erwartungshaltungen bricht (übersetzt von Yvonne Eglinger).


Der Inhalt von Pouchets Buch wird eigentlich schon auf den ersten Seiten recht konkret umrissen. In der Normandie hat es mehrfach tote Vögel vom Himmel geregnet. So sind auch in Bonsecours, der Heimat des Ich-Erzählers, zahllose Vögel vom Himmel gestürzt. Diese Ereignisse beunruhigen den Erzähler so sehr, dass er beschließt, in die Heimat aufzubrechen. Für seine Reise wählt er ein etwas anachronistisches Fortbewegungsmittel. Mit einem Schiff geht es die von Paris aus die Seine hinunter. Mit an Bord des Schiffs sind auch andere, deutlich ältere Passagier*innen, die ebenfalls zur Flusskreuzfahrt angetreten sind. Auf der Reise mehren sich bedrohliche Vorzeichen – sind die toten Vögel etwa Vorboten eines ganz anderen Ereignisses?

In der Konstruktion orientiert sich Victor Pouchet tatsächlich an einem Fluss. Sein Erzählfluss mäandert mindestens ebenso wie die Seine im Gebiet der Normandie. So steht im Hintergrund der mysteriöse Tod der Vögel, doch diese Frage beschäftigt den Ich-Erzähler nicht immer. So verliert er sich in Gesprächen an Bord, geht eine kleine amouröse Bekanntschaft ein, forscht über viele Seiten hinweg in einer Bibliothek. Dort stößt er nämlich auf die Spur Félix Archimède Pouchets, einem Forscher des 19. Jahrhunderts, der den Nachnamen mit dem Ich-Erzähler teilt.

Hier zeigt sich auch exemplarisch, welches Spiel Victor Pouchet mit dem Leser treibt, den er gerne rätseln lässt. In welchem Verhältnis steht der Autor zu dem Ich-Erzähler mit dem Nachnamen Pouchet? Warum tritt nun just der Tod der Vögel auf? Wo liegen die Verbindungen? Gibt es überhaupt welche?

Viele bleibt in Warum die Vögel sterben im Ungefähren. Warum der Erzähler beispielsweise just per Schiff in die Region reisen will? Es wird nie ganz offenbar. Vieles wird angedeutet, nicht zu Ende erzählt. Auch wenn das formidable Cover den Eindruck nahelegt, dass Pouchet in die Richtung Nature Writing abbiegt – genau das tut er nicht. So wenig wie eine konkrete Handlung des Buchs über die nicht einmal 200 Seiten des Romans ersichtlich wird. Eher schauen wir einem Slacker dabei zu, wie er sich, seiner Familie und dem Geheimnis der Vögel annähert. Ob ihm das gelingt, das muss wohl jede Leserin und jeder Leser für sich entscheiden. Eher ein ruhiger Roman, der so einige in die Irre führen wird.


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Richard Flanagan – Tod auf dem Fluss

Der Fluss ohne Wiederkehr

Der Franklin River ist eine Urgewalt. Er durchmisst den Süden Tasmaniens von der Westküste bis nach Hobart an der Ostküste und führt dabei durch eine einzigartige Landschaft. Mit voller Kraft bahnt sich der Fluss seinen Weg durch die unwegsame und zerklüftete Natur und reißt dabei alles mit, was sich ihm in den Weg stellt. Unter anderem auch Aljaz Cosini, der nun in einer Felsspalte unter Wasser feststeckt und zu ertrinken droht. Wie es dazu kam, das schildert der tasmanische Autor Richard Flanagan in dem Roman Tod auf dem Fluss in unnachahmlicher Art und Weise.

Flanagan Fluss

Wie durch ein Prisma bricht der Erzähler die aktuelle Situation Cosinis mit Visionen, Rückblenden und Exkursen und erschafft so ein ganz besonderes Stück Literatur. Ausgangspunkt für den Überlebenskampf des Mannes ist eine Wildwasser-Rafting Tour auf dem Franklin River, die er als Guide begleitete. Der Fluss schwillt im Laufe der Tour immer mehr an und wird unberechenbarer. Und dann passiert die Katastrophe – bei der Rettung eines Crewmitglieds geht Aljaz über Bord. Und folglich setzt ein Strom der Erinnerungen und Visionen ein, die bis ins 19. Jahrhundert und damit tief in die Geschichte Tasmaniens zurückreicht. Wie ein Fluss mänandern die Perspektiven und Ebenen, während Cosini zu sterben droht. Je weiter man im Buch voranschreitet, umso füllender und klarer wird das Bild des Menschen Aljaz Cosinis und seiner Familie. Wie das Richard Flanagan auf nur 355 Seiten schafft und wie er Bilder im Kopf des Lesers erzeugt, das ist nur meisterlich zu nennen.

Nach Goulds Buch der Fische und Der schmale Pfad durchs Hinterland ist Tod auf dem Fluss das dritte Buch des tasmanischen Schriftstellers, das ich verschlungen und genossen habe. Genauso wie bei den vorherigen Meisterwerken des Autors habe ich mir auch hier vorgenommen, dieses Buch unbedingt noch das ein um das andere Mal zu studieren. Immer wieder kann man Neues entdecken und sich betören lassen von der Formulierungsfreude und der barocken Sprachgewalt des Autors. Eine wirkliche Empfehlung und ein starkes Debüt, dessen Neuauflage viele Leser zu wünschen sind!

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