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Richard Wright – Der Mann im Untergrund

Erstaunt blickt man während der Lektüre auf das ursprüngliche Erscheinungsjahr von Richard Wrights Roman Der Mann im Untergrund. Dieses Buch soll von 1941 sein? Dabei liest sich das ursprünglich als Kurzgeschichte erschienene Werk des 1908 geborenen Schriftstellers wie ein Kommentar auf Polizeigewalt und Rassismus aus der Jetztzeit. Ein beeindruckendes und fiebriges Werk, das hier in seiner ursprünglich vorgesehenen Form erstmals zugängig gemacht wird.


Dabei begnügt sich der Herausgeber Malcolm Wright nicht mit der schieren Reproduktion des ursprünglich geplanten Textes, der zunächst abgelehnt und später als Erzählung in der Anthologie Cross Section: An Anthology of New American Writing erschien. Es ist vielmehr ein ganzes Bündel von Texten, den der Herausgeber um Wrights Erzählung spinnt.

So gibt es neben einer Einleitung und einem Nachwort auch einen Text, der sich mit der Genese des Werks und der Versionsgeschichte von Der Mann im Untergrund beschäftigt. Darüber hinaus ist dem Buch ein Text von Richard Wright selbst beigefügt, der den Titel Erinnerungen an meine Großmutter trägt. Darin erinnert sich Wright der Glaubenswelt seiner Großmutter, die er in Verbindung zu Schwarzem Denken, Blues und der Jazzhaftigkeit seiner eigenen Prosa setzt.

Und auch wenn ich mich persönlich damit immer schwer tue, wenn uns ein Autor sein Werk selbst erklärt, Ausdeutungen vornimmt und damit die eigene Lesart und Interpretation verengt, so hat Wrights Text doch auch noch einmal eine ganz eigene Qualität, da er Quellen und Einflüsse seines Schreibens nennt und sein Buch in die Tradition des Jazzs stellt.

Und auch Malcolm Wrights Nachwort führt weitere Deutungsebenen von Der Mann im Untergrund, indem er Verweise auf Platons Höhlengleichnis und die christliche Mystik im Text herausarbeitet. Wer solche Interpretationen lieber Lektüreschlüsseln überlässt und auf die eigene Assoziationswelt beim Lesen setzt, der kann die Nachworte natürlich weglassen – aber man bringt sich im Fall dieses Buchs wirklich um bedenkenswerte Ansätze, die auch Einblicke in die Kulturwelt ihrer Verfasser erlauben.

Ein zeitloses Buch

Richard Wright - Der Mann im Untergrund (Cover)

Warum aber ist nun Der Mann im Untergrund so modern und geradezu zeitlos, wie ich in der Einleitung dieser Besprechung schrieb? Das liegt am Thema, das leider auch achtzig Jahre nach dem Erscheinen unvermindert aktuell (oder vielleicht sogar noch aktueller geworden) ist. Es geht nämlich um den Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft, der sich schon auf den ersten Seiten des Buchs Bahn bricht.

Der Erzähler (Fred Daniels, wie uns Wright später indirekt wissen lässt) befindet sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit, als er von einem Polizistentrio festgenommen wird. Sie verhaften ihn, bringen ihn auf das Polizeipräsidium und misshandeln ihn. Er soll ein Geständnis für einen Mord unterschreiben – was Daniels nach schier endlosen Qualen und Unverständnis über seine Lage dann tut. Ihm wird noch ein letzter Besuch bei seiner hochschwangeren Frau zugestanden, die kurz vor der Entbindung steht. Im Krankenhaus flüchtet Daniels anschließend mehr oder minder stümperhaft und entdeckt durch einen Gullydeckel eine Welt tief verborgen unter der unseren.

In der Tiefe der Kanäle

Und so steigt der moderne Hades hinab in die Unterwelt, um dort die dunkle Welt der Kanäle und Kavernen zu erkunden. Drei Tage wird er der Welt abhanden kommen, die Kanäle durchmessen, in Häuser einbrechen und durch das Dunkle irren. Doch nicht nur in der Tiefe der Stadt droht er sich zu verlieren, auch sein Verhalten und sein Geist irrlichtern teilweise beträchtlich, während er die unterirdische Architektur seiner eigentlich vertrauten Heimatstadt neu kennenlernt.

Dabei eröffnen sich ihm ungewohnte Perspektiven auf die „normale“ Welt, die Ähnlich wie etwa in Lukas BärfußHagard erleben wir auch hier einen Mann, der binnen Kurzem aus der gewohnten Lebensumgebung herausfällt und fortan als Außenseiter neben der übrigen Gesellschaft herlebt. Das eröffnet Richard Wright viel Raum zur Schilderung von gesellschaftlichen Prozessen und der Ausgrenzung von Schwarzen in der Gesellschaft. Zur bitteren Lektüreerfahrung gehört neben der Erzählung Wrights selbst die bittere Erkenntnis, das sich trotz der Benennung von Rassismen und der Schilderung der Polizeigewalt nichts zum Besseren gewandt hat.

Fazit

George Floyd, Black Lives Matter, die jüngste rassistische Schißerei in Buffalo und Co belegen leider die Zeitlosigkeit von Wrights Roman, der hier nun erstmals wieder in der ursprünglich geplanten Version inklusive Komponenten wie der explizit genannten Polizeigewalt les- und erlebbar gemacht wird. Es ist eine begrüßenswerte Entscheidung, der hoffentlich viele Leser*innen vergönnt sind. Denn dieses Roman hat eine unglaubliche Wucht, einen wild puckernden Rhythmus und eine Zeitlosigkeit, die ob des Entstehungsdatums von 1941 staunen lässt. Hätten Ann Petry, James Baldwin und Eugene Sue ein Buch zusammen ein Buch verfasst, dann wäre wohl Der Mann im Untergrund herausgekommen. Ein beeindruckendes Werk!


  • Richard Wright – Der Mann im Untergrund
  • Mit einem Nachwort von Malcolm Wright
  • Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
  • ISBN 978-3-0369-5873-6 (Kein & Aber)
  • 240 Seiten. Preis: 24,00 €

Ann Petry – The Narrows

„Es ging nicht nur um den Kai. Es ging um die ganze Gegend hier.“

„Die Narrows. Ganzunten. Little Harlem. Die Höhle. Nadelöhr. Manche sagen einfach Dumble Street. Gemeint ist immer dasselbe. Und wo hast du was darüber gelesen?“

„Im Chronicle. Die hatten eine Artikelserie über den Zusammenhang von schlechten Wohnverhältnissen und Kriminalität hier. Mit ein paar wunderbaren Fotos…“

Ann Petry – The Narrows, S. 82

The Narrows, so heißt das übel beleumundete Stadtviertel in Monmouth, dessen Name Ann Petry aus William Shakespeares Drama Heinrich V. entlehnt hat. Hier wächst Lincoln „Link“ Williams auf. Wirkliche Erziehungsberechtigte hat er nicht, stattdessen hat er bei Bill Hod, dem Besitzer der Bar The Last Chance und dessen Mannen so etwas wie eine Ersatzfamilie gefunden. Trotz der vermeintlich stigmatisierenden Herkunft aus den Narrows erweist sich Link allerdings als brillanter Schüler, dem mithilfe von Bildung eine ansehnliche Karriere gelingt.

„Der war PhiBetaKappa-Student in Dartmouth, Hauptfach Geschichte, mit Auszeichnung von der Monmouth Highschool abgegangen, Footballstar, Basketballstar in der Highschool und in Dartmouth. War vier Jahre bei der Marine, Postüberwachung, Marinestützpunkt in Hawaii.

Ann Petry – The Narrows, S. 446

Eine Liebesgeschichte gegen alle Gepflogenheiten

Ann Petry - The Narrows (Cover)

Doch trotz der akademischen Karriere hat Link die Narrows nicht wirklich hinter sich lassen können. Er verbringt viel Zeit in Bill Hods Bar, promeniert auf der Franklin Avenue herum und hat eines nachts eine denkwürdige Begegnung. Er treibt sich auf den Kais von Monmouth herum, als ihm eine junge Frau sprichwörtlich in die Arme rennt. Im Nebel auf den Kais ist sie vor einem Invaliden auf der Flucht, als Link zu ihrem Retter wird.

Beide nehmen in der Bar Moonbeam einen Drink, Link besteht darauf, die junge Frau nach Hause zu fahren – und so beginnt eine turbulente und aufwühlende Liebesgeschichte zwischen den beiden. Bei einer der nächsten Begegnungen fällt es Link dabei wie Schuppen von den Augen – die junge Frau namens Camilo ist weiß, im Gegensatz zu Link selbst. Doch die beiden lassen sich von den Äußerlichkeiten nicht beirren und stürzen sich energisch in ihre Affäre, die sich dramatisch entwickelt, als Link das Geheimnis von Camilos Herkunft erfährt. Plötzlich ergibt es auch Sinn, warum Camilo Link bei seinem impulsiven Heiratsantrag vertröstete.

Die Fortführung von Ann Petrys literarischem Schaffen

Ann Petry führt mit The Narrows die Themen ihres literarischen Schaffens eindrucksvoll fort. Sezierte sie in ihrem 1946 erschienen Bestseller The Street den Rassismus und die Frauenfeindlichkeit in Harlem, nahm sie im ein Jahr später erschienenen Roman Country Place eine bigotte und rassistische weiße Stadtgesellschaft in den Blick. Die Themen der Ausgrenzung und des Rassismus, die auf einzelne Figuren einwirken, führt sie in The Narrows noch weiter und ergänzt das Ganze neben einem gesellschaftlichen Blick um das Element der öffentlichen Berichterstattung.

Denn ähnlich wie Ann Petrys anderen Werken ist auch hier ein Krimielement inkludiert, auf das The Narrows hinausläuft und das aus der Spannung zwischen Link und Camilo entsteht. An der sich entwickelnden Dynamik und dem dramatischen Ausgang des Ganzen hat hier die Presse in Form des Fotografen Jubine und des jähzornigen Redakteurs Bullock einen erheblichen Anteil. Sie zeigt, wie die einzelnen Klassen ob weiß oder schwarz die Beziehung beäugen und verurteilen und wie dann die Berichterstattung ihr übriges zur verhängnisvollen Dynamik tut, die sich rund um das gegensätzliche Paar entspinnt.

Kein Platz für Glück und Romantik

Einmal mehr zeigt dieses Buch eindrücklich, dass es in Ann Petrys Welt für ein wirkliches Glück und Romantik keinen Platz gibt. Das zeigten The Street und Country Place – und The Narrows macht es noch einmal eindringlich klar. Auch wenn man im Buch das Jahr 1951 schreibt, das großstädtische New York ganz nah ist und Rassismus eigentlich keine Rolle mehr spielen dürfte, so kommen die Figuren in The Narrows doch nicht gegen die Umstände der Gesellschaft und ihrer Zeit an.

Dabei verhandelt Ann Petry so deutlich wie in keinem ihrer Bücher zuvor die Frage von Race (die hier von Pieke Biermann eingedenk eines fehlenden deutschen Begriffs nicht übersetzt wird). Link Williams wird in der Bar von Bill Hod und dem Koch Weak Knees auf die Feinheiten der Race eingeschworen und erlebt am eigenen Leib die Ausgrenzung, die es für ihn bedeutet, Schwarz zu sein. In der Schule muss er in einer Minstrel-Show den tumben Sambo geben, immer wieder wird ihm auch später zu verstehen gegeben, dass er als Schwarzer nicht die gleiche Anerkennung wie Weiße verdient.

Die (sprachliche) Vielfalt schwarzer Identität

Ann Petry fächert sämtliche Schattierungen von Schwarzer Identität in diesem Roman auf, verhandelt ihn auf identitätspolitischer und begrifflicher Ebene, was mich bei der Übersetzung zunächst etwas stutzen ließ. Da liest man von Farbigen, Ni***rn und Ne**rn, Coloured, Negros und vielen weiteren Bezeichnungen, mit denen sich die Protagonist*innen gegenseitig versehen. Pieke Biermann erklärt im Nachwort, wie sie es versucht hat, diese teilweise im deutschen gar nicht wiederzugebende Fülle an idiomatischen und community-spezifischen Bezeichnungen, Schmähbegriffen und stehende Wendungen im Deutschen abzubilden. Auch den Soziolekt der verschiedenen Milieus überträgt sie so ins Deutsche:

Als er ins Auto stieg, sah auch Al ihn merkwürdig an.

„Irgnwas los, Mal?“

Er sagte ohne nachzudenken: „Meine Frau“.

„Isse krank?“

„Naja,“ er zögerte, „nicht richtig.“

„Was’n los mit ihr?“

Er schüttelte den Kopf, stirnrunzelnd. „Es ist – es ist das Herz“.

„Is wahrscheinlich zu sehr auf Touren, Mal. Genau wie du. Schafft wahrscheinlich zu viel. Man muss sich ja auch mal ne Pause gönnen. Steht nemmich kein reicher Drecksack anner Ecke und schenkt ei’m ne neue Pumpe, wenn die alte ein‘ im Stich lässt.“

Ann Petry – The Narrows, S. 434 f.

Ebenfalls im Anhang sind Quellen und Erklärungen für zahlreiche Stellen und Ausdrücke im Text angegeben, die zwar im Text selbst nicht kenntlich gemacht werden, dann aber im Anhang noch einmal auftauchen. Hier zeigt sich dann auch, dass William Shakespeare für das schriftstellerische Oeuvre der 1908 geborenen Amerikanerin einen großen Einfluss hat. Immer wieder tauchen Motive wie aus Othello oder Der Sturm in Petrys Schaffen auf – in The Narrows sind es auch wieder gleich mehrere Zitate und Anspielungen, die sich auf das Werk des Barden beziehen. Darüber hinaus sind es auch zahlreiche andere versteckte Hinweise auf Christopher Marlowe, Märchen, die Bibel oder afroamerikanische Gospel, die im Anhang des Buchs erläutert werden.

Fazit

Was mir persönlich etwas fehlte, war ein einordnendes Nachwort, wie es bei den bisher neu aufgelegten Roman von Ann Petry stets der Fall war. Warum gilt The Narrows als Ann Petrys Meisterwerk und wie fügt sich das Werk in ihr literarisches Oeuvre ein? All das hätte ein Nachwort, geschrieben mit kundiger Feder, beantworten können. So steht das Werk für sich alleine und bleibt jedem Leser und jeder Leserin selbst überlassen.

Als Einstieg in den Kosmos von Ann Petry würde ich ob des reichlich ausufernden Erzählstils und des großen Personaltableaus in der ersten Hälfte des Buchs immer noch The Street oder Country Place aufgrund von deren erzählerischen Präzision und Kompaktheit vorziehen. Hat man sich aber in den unerbittlichen Kosmos von Petry eingelesen, dann beschert The Narrows viele neue Aspekte im Schaffen der afroamerikanischen Autorin und bleibt auch 69 Jahre nach Erscheinen ein lesens- und nachdenkenswertes Buch, das schon damals viele Themen unserer Tage thematisierte und vorwegnahm.


  • Ann Petry – The Narrows
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Pieke Biermann
  • ISBN 978-3-7556-0016-9 (Nagel & Kimche)
  • 576 Seiten. Preis: 28,00 €

Claire Keegan – Kleine Dinge wie diese

Manchmal braucht es eine kleine Tat im Leben, die allen Konventionen widerspricht, die man aber trotzdem tun muss, um mit sich im Reinen zu bleiben. Dem Kohlehändler Bill Furlong offenbart sich jener entscheidende Moment kurz vor dem Weihnachtsfest 1985. Inmitten der Kälte des irischen Winters beschließt er in Claire Keegans Geschichte, zum Retter einer jungen Frau zu werden.


Während sie weitergingen und immer mehr Menschen begegneten, die Furlong kannte und doch nicht wirklich kannte, fragte er sich, ob es überhaupt einen Sinn hatte, am Leben zu sein, wenn man einander nicht half. War es möglich, all die Jahre, die Jahrzehnte, eine ganzes Leben lang weiterzumachen, ohne wenigstens einmal den Mut aufzubringen, gegen die Gegebenheiten anzugehen, und sich dennoch Christ zu nennen und sich im Spiegel anzuschauen?

Claire Keegan – Kleine Dinge wie diese, S. 103

Bill Furlong beantwortet diese Frage einfach, indem er handelt. Nicht lange überlegt, Pro und Kontra abwägt, lange Diskussionen und Erörterungen anstößt und abwartet. Nein, er stimmt mit den Füßen ab und wird zum Retter einer jungen Frau und erfüllt die christliche Weihnachtsbotschaft damit mit ganz eigenem Leben.

Hinter den Mauern des Magadalenenheims

Claire Keegan - Kleine Dinge wie diese (Cover)

Im kleinen irischen Städtchen New Ross beliefert Bill viele Haushalte mit Kohle. Die Lage im Land ist prekär, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit greifen um sich in jenem Winter 1985, von dem Claire Keegan erzählt. Daheim hat Furlong vier Töchter und lebt mehr oder minder von der Hand in den Mund. Das Kohlegeschäft wirft wenig ab, viele Abnehmer*innen stunden vor Weihnachten die Rechnung. Gemeinsam mit seiner Frau muss Bill deshalb äußerst gut haushalten, um über die Runden zu kommen.

In dieser einfachen Existenz hat sich Bill aber gut eingerichtet – und doch wirft ihn eine Begegnung hinter den Mauern des Magdalenenheims nachhaltig aus der Bahn. In jenem Magdalenenheim vor den Toren von New Ross betreiben Nonnen eine Wäscherei, die für ihre Qualität weithin gerühmt wird. Doch die Mädchen, die hinter den Klostermauern in der Obhut der Nonnen leben, sie scheinen nicht ganz so makellos zu sein. Man munkelt von gefallenen Mädchen, unehelichen Kindern und großer Schande, die solche Mädchen im erzkatholischen Irland nach allgemeiner Auffassung auf sich geladen hätten.

Eine Kohlelieferung mit Folgen

Als er nun kurz vor Weihnachten die Nonnen beliefert, wird er bei einer zufälligen Begegnung von einem jungen Mädchen angefleht, sie zum Fluss zu bringen, wo sie sich ertränken will. Zwar unterbinden die Nonnen weiteren Kontakt zu den Insassinnen des Heims, aber dennoch entdeckt Bill bei seinen Lieferfahrten ein weiteres Mädchen, das im Kohleschuppen eingesperrt war. Den Beteuerungen der Nonnen schenkt Bill keinen Glauben und so reift in ihm der Entschluss, kurz vor Weihnachten ein Werk der Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu verrichten. Er befreit die junge Frau heimlich aus dem Kohleschuppen des Klosters und nimmt sie mit zu sich nach Hause.

Eine Weihnachtserzählung

Es ist ein knappes, aber dafür umso intensiveres Erzählung oder Novelle, die Claire Keegan hier in der Übersetzung von Hans-Christian Oeser vorlegt. Sie erzählt von Mitmenschlichkeit und der kleinen Grenzüberschreitung, die es braucht, um sich selbst noch in bestimmten Momenten in die Augen blicken zu können. So ist Bill Furlong auch kein Held sondern ein einfacher Mann, der einmal im Leben etwas Richtiges tun möchte, das ihm sein Herz befiehlt, auf dass er mit sich weiterhin im Reinen sein kann.

Weihnachten ist ja eh die Zeit, in der man die eigene Mitmenschlichkeit und Gnade erkennt, besonders in der Tradition der angelsächsischen Weihnachtserzählungen. Das reicht von Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte bis hin zum kleinen Lord Fauntleroy, der das Herz seines strengen Großvaters erweicht und in ihm die Mitmenschlichkeit wieder erweckt. Claire Keegan fügt sich mit Kleine Dinge wie diese in diesen Kanon ein und liefert eine Erzählung, die eine universelle Botschaft besitzt. In dieser Erzählung lodert ein humanistischer Glutkern, der inmitten der Kälte des irischen Winters hell lodert.

Das Grauen der Magdalenenheime

Und nicht zuletzt wirft die Autorin einen sprichwörtlichen Blick hinter die Mauern der Magdalenenheime, die für zahlreiche Frauen inkommensurables Leid bedeuteten. Im Nachwort ihrer Geschichte weist die Autorin darauf hin, dass die Geschichte dieser Heime immer noch nicht richtig aufgearbeitet ist. Das letzte Magdalenenheim auf der irischen Insel schloss erst 1996 und bis heute ist unbekannt, wie viele Frauen und Kinder in den Heimen gehalten wurden oder umgekommen sind. Keegan spricht von ungefähr 30.000 Frauen, die dieses Schicksal ereilt hat.

Im vergangenen Jahr wurde eine Untersuchung vorgestellt, in der 18 Heime unter die Lupe genommen wurden, in denen über 9000 Kinder starben, die wegadoptierten Kinder hier nicht eingeschlossen. Wenn man Claire Keegans Erzählung liest, bekommt man eine Ahnung davon, wie tiefgreifend das System dieser Heime war und wie mächtig das System der Kirche, das solche Einrichtungen stützte und protegierte.

Fazit

Kleine Dinge wie diese erzählt von der Tat eines Einzelnen, der seinem Gewissen folgte und sich diesem System entgegenstellte. Sie zeigt mit Bill Furlong einen Mann, der seinem Herz und seiner Mitmenschlichkeit folgt und der die christliche Botschaft im Gegensatz zu den Nonnen im Magdalenenheim wirklich lebt. Eine Weihnachtserzählung, eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit den dunklen Stellen der irischen Vergangenheit und ein Buch, das demonstriert, wie einfach Heldentum aussehen kann.


  • Claire Keegan – Kleine Dinge wie diese
  • Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
  • ISBN 978-3-96999-065-0 (Steidl)
  • 109 Seiten. Preis: 18,00 €

Christina Walker – Auto

Zu den übergreifenden Themen des Buchmarkts in letzter Zeit gehört unzweifelhaft die Einsamkeit des Einzelnen und die Betrachtung des aus der Gesellschaft herausgelösten Ichs. Schon vor vier Jahren beschrieb der Soziologe Andreas Reckwitz in Die Gesellschaft der Singularitäten die sich stetig ausdifferenzierende aufspaltende Gesellschaft, die eher das Einzigartige denn das Verbindende anstrebt.

Diana Kinnert schlug mit ihrem Buch Die neue Einsamkeit in die gleiche Kerbe und porträtierte eine Gesellschaft, in der der Einzelne nicht mehr in Verbindung mit den anderen tritt, sondern die Einsamkeit um sich greift. Jüngst näherte sich auch Daniel Schreiber dieser Einsamkeit mit seinem Buch Allein an und beschrieb die Spannungen zwischen Individuum und Gesellschaft. Und auch Rüdiger Safranski beleuchtet in Einzeln sein diesen Komplex, bezogen auf die Geschichte der Philosophie.

Neben der Sachliteratur widmet sich auch die Belletristik der Frage des Einzelnen in der Gesellschaft, wie etwa Maarten ´t Hart in seinem Roman Der Nachtstimmer, in der er von einem einsamen Eigenbrötler erzählte, der durch der Auftrag der Stimmung einer Orgel langsam aus seiner Vereinzelung herausfindet. Und auch der Debütroman der in Augsburg lebenden Schriftstellerin Christina Walker lässt sich in diesem Gesamtkontext lesen. Sie betrachtet das Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft, indem sie von einem Verlagsvertreter erzählt, der radikal aussteigt beziehungsweise einsteigt, und zwar in sein Auto.

Flucht ins Auto

Christina Walker - Auto (Cover)

Das Auto ja eine schöne Metapher für den Zustand unserer dauerbeschleunigenden Welt im Kapitalismus. Immer schneller, immer maßloser im Verbrauch, stets auf der Überholspur drängelnd, um irgendwo anzukommen, wo man bald wieder wegmuss oder will. Ohne Tempolimit heizt man über die Autobahnen, Stillstand ist nicht erwünscht. Die einen verkaufen die Dauerbeschleunigung als Freiheit, für die anderen bedeutet dieses Leben nur Stress und Gefahr. Man weiß, das Auto kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, das Benzin ist endlich, die Ausnutzung der meisten Mobile ineffizient – und doch gilt vielen das Auto und seine damit verbundene Beschleunigung des Lebens als heilig.

Busch ist einer, der dieses Beschleunigen des eigenen Lebens und seines Umfelds nicht mehr mittragen will. Fuhr er früher die Buchhandlungen im süddeutschen Raum von Stuttgart bis Bamberg mit dem Auto an, ist er schon seit längerem auf den Zug umgestiegen, belächelt von den Kollegen. Doch damit ist nun Schluss, Busch ist ausgestiegen aus dem Hamsterrad. Genug von Ansichtsexemplaren in Rollkoffern, von Buchhandlungen, in denen mehr Gin als Bücher verkauft wird, genug von Seminaren zur Effizienzsteigerung und Karriere.

Er hat hingeschmissen und hat Quartier bezogen in seinem alten stillgelegten Mercedes, der im Hof vor seinem Haus steht. Die Wohnung seiner Familie betritt er nur, um zu Duschen oder sich etwas Essen zu holen. Ansonsten ist der Mercedes zu seinem neuen Lebensmittelpunkt geworden, von dem aus er die Welt betrachtet. Er schickt seinem Sohn Morsezeichen oder kommuniziert über Schriftzüge auf der beschlagenen Badezimmerscheibe. Der örtliche Friseur, der demente Mitbewohner im Haus, alle sie lernt er nun aus einer neuen Warte kennen. Er hat sich selbst diverse Regeln auferlegt, nach denen er nun seinen neuen Alltag gestaltet (Regel 4: Sentimentalitäten kurz halten, Regel 2: Alle Eigenbewegung auf das Nötigste und Wichtigste reduzieren).

Mit seiner neuen Lebensweise eckt er schnell an, ruft Argwohn und Ablehnung hervor, andere beneiden Busch insgeheim um sein neues Dasein im Auto. Eine Katze besucht ihn und er übt sich als Fürsprecher und Schützer der Ameisen, die den Hinterhof bevölkern. Wie eine Art mobiler Klausner lebt Busch fortan in seinem Auto, erschließt sich seine unmittelbare Umgebung auf kurzen Ausflügen, wobei das Automobil als Orientierungspunkt und Zuflucht dient. Und auch der Blick auf seine eigene Familie ändert sich und offenbart neue Erkenntnisse.

Eine vieldeutige Lektüre

Mit Auto hat Christina Walker ein Buch geschrieben, das sich auf verschiedene Art und Weise lesen und deuten lässt. Eine Fabel über Karriere und Kapitalismus, die Geschichte einer Persönlichkeitsveränderung, eine Neuinterpretation von Oblomow, eine Groteske über das Aussteigertum? All das lässt sich aus Auto herauslesen und entzieht sich einer ganz genauen Zuordnung, was definitiv eine Stärke dieses Texts ist.

Dies gelingt Christina Walker, indem sie das Bild von Busch wie ein hingetupftes Aquarell zeichnet. Die Sätze sind zumeist kurz, viele Absätze vermischen Vergangenes und Gegenwärtiges. Wie Busch ins Auto kam, was er bei seinem Eremitendasein im Auto so erlebt, das zeigt die Augsburgerin nur in kurzen Skizzen oder Schlaglichter. Übergreifende Erzählbogen oder tiefenscharfe Ausleuchtung der Protagonisten gibt es in diesem gut 200 Seiten starken Buch nicht. Stattdessen fokussiert sie sich stärker auf die Eindrücke und Erlebnisse, die Busch durch den Kopf schießen und die ihn zu seinem Ausstieg beziehungsweise Einstieg ins stillgelegten Auto bewogen haben.

Das befördert die Interpretationsmöglichkeiten dieses Buchs, die von Businessfabel bis zu psychologischer Fallstudie reichen. Dies ist ein Buch, das einlädt, nach der Lektüre in den Austausch zu treten ob der unterschiedlichen Lesearten und dem persönlich grundierten Blick, der aus Auto sicherlich vielgestaltige Lektüreeindrücke entstehen lässt.

Fazit

Die Geschichte dieses modernen Klausners Busch, dem alles zu viel geworden ist, und der in der Einsamkeit seines Autos Trost und Therapie findet ist eine vieldeutige Lektüre. Christina Walkers Debüt erzählt von Einsamkeit, Stillstand und dem Heraustreten aus unserer Hochleistungsgesellschaft. Eine zarte Lektüre, konzentriert und auf viele Arten lesbar. Walker besitzt den Mut, genau hinzuschauen und ihre Geschichte konsequent zu entwickeln. Dass ihr für den Anfang des Romans der Vorarlberger Literaturpreis und im vergangenen Jahr der Schwäbische Literaturpreis zuerkannt wurden, das ist eine kluge Entscheidung, wie dieser Roman beweist.


  • Christina Walker – Auto
  • ISBN 978-3-99200-309-9 (Braumüller)
  • 208 Seiten. Preis: 20,00 €

Eva Menasse – Dunkelblum

Etwas wächst und wuchert da im Dunkeln. Ist es eine Blume oder doch eher dicht verflochtenes Wurzelwerk, kaum zu durchdringen, tückisch und an der Oberfläche fast nicht sichtbar? Eva Menasse erzählt in Dunkelblum von der Vergangenheit, die doch nicht tot ist, vielleicht noch nicht einmal vergangen. In Dunkelblum, kommen Knochen ans Tageslicht und mit ihnen viele Geschichte, die man in dort im kleinen österreichischen Dorf an der Grenze zu Ungarn doch lieber vergessen hätte.


Eigentlich ist es ein ganz unscheinbares Dorf, dieses Dunkelblum. Gelegen an der österreichisch-ungarischen Grenze im Burgenland wirkt es auf den ersten Blick recht austauschbar. Früher gab es ein wenig Adel, eine Synagoge und als besondere Sehenswürdigkeit eine Pestsäule. Erstere sind verschwunden, die Pestsäule in der Dorfmitte hat Bestand. Dass der Zahn der Zeit allerdings stark an dieser genagt hat, ist nicht nur für die Säule bezeichnend. Das ganze Dorf ist im Niedergang inbegriffen, so ganz weiß man auch nicht, wo man sich hinentwickeln will. Risse durchziehen hier nicht nur Bauwerke, sondern die ganze Gemeinschaft.

Es gibt einen historischen Ortskern und einen neueren Teil, den Bahnhof hat man gleich mehrfach abgerissen und neugebaut (immer schiacher allerdings, wie man dort sagen würde). Man ist sich uneins ob der Schwerpunktsetzung eines geplanten Museums (soll es eher die Geschichte der Grafen Dunkelblums oder handwerkliche Aspekte in den Vordergrund rücken?), man separiert sich in Stammtischbrüder und Auswärtige, der geografisch nicht weit von Dunkelblum entfernte Grenzzaun, er lässt sich in vielen Abwandlungen überall in Dunkelblum finden.

Sauber abgegrenzte Geschichte

Auch die Vergangenheit hat man dort im Burgenland sauber abgegrenzt und hinter sich gelassen. So meint man jedenfalls, bis einige Ereignisse beweisen, dass die Vergangenheit eben nicht tot ist, nicht einmal vergangen. Bei Probegrabungen auf einer Dorfwiese tauchen alte Knochen auf, die unschöne Erinnerungen wecken. Zudem ist es die Tochter einer Dorfbewohnerin, die sich ebenfalls sehr für die Dunkelblum’sche Vergangenheit interessiert. Flocke Malnitz tut sich mit dem Besitzer des Reiseladens zusammen, um die Geschichte ihres Heimatortes zu ergründen.

Das schmeckt nicht jedem in Dunkelblum, die die Vergangenheit lieber ruhen lassen würden. Schließlich gibt es einiges zu verbergen. Da war dieses Fest der Gräfin von Dunkelblum, in dessen Folgen es zu einem Massenmord kam, über den man sich lieber ausschweigt. Dass die jüdischen Mitbewohner aus Dunkelblum auf mal mehr oder weniger subtile Art und Weise einst aus dem Dorf verschwanden, auch das möchte man besser nicht so genau hinterfragen. Die letzten Tage vor dem Einmarsch der Russen, die Endphaseverbrechen, all das hat man recht erfolgreich aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt.

Da passt es jetzt ganz schlecht ins Bild, dass die junge Frau alten Staub aufwirbelt und hartnäckig die Nerven der Dunkelblumer und Dunkelblumerinnen strapaziert. Noch dazu kümmern sich plötzlich junge Menschen um den vergessenen alten jüdischen Friedhof, der doch so pittoresk vor sich hinverfallen ist und. Vom honorigen Alt-Nazi bis zum überforderten Ersatz-Bürgermeister – sie alle sind beunruhigt. Kann man es nicht einfach gut sein lassen mit diesen alten Geschichten?

Von der Kontinuität der Geschichte

Dunkelblum ist ein Roman, der sich mit der Kontinuität von Geschichte sowie der kollektiven Verdrängung beschäftigt. Die große Kunst des ganzen Buchs ist dabei die Tatsache, dass der Kern ihres Buchs ausgespart und nahezu gar nicht berührt wird. Die schier unfasslichen Verbrechen in der Endphase des Kriegs, die ihr historisches Vorbild im Massaker von Rechnitz haben, werden hier nur touchiert, manchmal in Gesprächen angerissen, ansonsten wird das Verbrechen hier gar nicht ausbuchstabiert. Menasse interessiert sich in Dunkelblum mehr für den Umgang mit dieser Schuld, die viele im Dorf auf sich geladen haben. Die Verarbeitung bzw. Verdrängung sind Themen, die die Österreicherin vielschichtig und nuanciert herausarbeitet.

Dabei gibt es zahlreiche Aspekte, die man an Eva Menasses Roman rühmen kann. Die Mühelosigkeit, mit der sie von Vergangenem zu Gegenwärtigem und wieder zurück wechselt. Die Sicherheit, mit der sie diese verschiedenen Zeitebenen verbindet und aus ihnen das Zeitlose destilliert. Die Frage von Schuld und Verdrängung. Die, welchen Preis Aufarbeitung haben kann und die, wie man sich mit dem Bösen arrangiert. Ihr Werk ist in viele Richtungen deutbar, besitzt Anknüpfungspunkte zu vielen Debatten unserer Tage und ist darüber hinaus nie schwer, sondern nur böse, unterhaltsam und von großem Anspruch.

Die Vermessung der österreichischen Seele

Ihr gelingt es hier, die österreichische Seele aus einem Dorfroman herauszudestillieren. Während die DDR-Flüchtlinge am Grenzzaun zu Österreich rütteln und ein leibhaftiger Flüchtling sogar im Dorf auftaucht, ist schon klar, dass mit aller Macht eine neue Zeit heranbricht. Dennoch versucht man in Dunkelblum alles so handzuhaben, wie man es immer schon gemacht hat. Nicht von ungefähr wird hier kurz auf den unseligen Kurt Waldheim und die damit verbundene Waldheim-Affäre angespielt. Erst diese Affäre, immerhin schon Anfang der 90er Jahre, setzte in Österreich einen Prozess der Aufarbeitung der eigenen Geschichte während des Dritten Reichs in Gang. Der falsche Mythos, dass Österreich immer Opfer gewesen sei, er wird auch in Eva Menasses Buch thematisiert und deutlich widerlegt.

Aber die in Berlin lebende Autorin blickt in Dunkelblum nicht nur zurück auf die dunklen Kapitel der Geschichte Österreichs – sie schafft auch Anknüpfungspunkte in die Gegenwart, etwa dann, wenn Nazi-Schmierereien auf dem jüdischen Friedhof auftauchen. Eine „b’soffene G’schicht“ sei das, nicht mehr, so redet der Bürgermeister dieses antisemitische Delikt klein. Jener Ausruf lässt doch dann sehr an H.C. Strache und dessen Verteidigungslinie im Ibiza-Skandal denken, der unlängst die Alpenrepublik erschütterte. Und so gibt es in diesem Buch viele Beispiele von Anknüpfungspunkten aus der Vergangenheit bis hinein in unsere Gegenwart. Das verleiht dem Buch in seiner Offenlegung historischer Kontinuitäten etwas Zeitloses, das ihn zum Klassiker der österreichischen Literatur bzw. Anti-Heimatliteratur machen könnte.

Auch sprachlich überzeugend

Auch auf der sprachlichen Ebene überzeugt ihr Buch vollends. Sie schafft ein gut lesbares österreichisches Kunst-Idiom, das vor wunderbaren Einfällen und (im Appendix erklärten) Austriazismen nur so strotzt. So verkündet etwa ein Nachfahre des Dunkelblumer Adels, dass die lokale Gruft dringend renovierungsbedürftig sei, da „die Vorfahren safteln“. Immer wieder sind es originelle Sprachbilder und Vergleiche, die Eva Menasse für ihre Erzählung findet. Gedanken „sedimentieren“ da bei einer Frau, der Aushilfsbürgermeister erinnert an ein Murmeltier, dass hilflos mit seinen Händchen ringt, der Geruch eines geschälten Eis ist hier „mephistophelisch“. Hier offenbart eine Autorin einen originellen Zugriff auf die Sprache, die ihre Erzählung zu jedem Zeitpunkt unterstützt.

Umso bedauerlicher der Umstand, dass dieses Buch für keinen großen Buchpreis in diesem Jahr nominiert wurde. mit diesem Roman nicht auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, lässt einen doch verwundert die Augen reiben. Dass dieser Roman dann noch nicht einmal für die Auswahl des Österreichischen Buchpreises beachtet wurde, lässt einen dann gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommen. Wie konnten all die Jurys die Qualität verkennen, die diesem Werk innewohnt? Man sollte den Fehler dieser Literaturjurys nicht machen und in diesem Herbst an diesem Buch vorübergehen. Man würde es bereuen.

Fazit

Eigentlich bietet dieses Buch alles, was Literaturjurys hierzulande mögen und was im Trend liegt. Dunkelblum ist die Aufarbeitung von Historie, vom Dritten Reich bis zum Fall des Eisernen Vorhangs. Dunkelblum ist ein Dorfroman, der eine ganze Gesellschaft mithilfe einer Dorfgemeinschaft vor Augen ruft. Dunkelblum ist eine Erzählung von Erinnern und Vergessen, von Verdrängung und Aufdeckung. Ein stilistisch großartiger Roman, der zum besten zählt, das die österreichische Literatur seit Langem hervorgebracht hat. Dass er für die großen Preise in diesem Herbst übergangen wurde, man muss es nicht verstehen.


  • Eva Menasse – Dunkelblum
  • ISBN 978-3-462-04790-5 (KiWi)
  • 528 Seiten. Preis: 25,00 €