Tag Archives: Liebesgeschichte

Gina Schad – Nach einem Traum

Wird das was oder wird es nichts? Die junge Marie verliebt sich in Simon, doch der hat eine Familie und macht ihr nicht wirklich Hoffnung auf mehr. In der Folge entspinnt sich in Gina Schads Debütroman Nach einem Traum ein ambivalentes Verhältnis der beiden, das sich auch im Digitalen fortsetzt.


Zu den auffälligen Trends auf dem Literaturmarkt in diesem Frühjahr zählt die Häufung junger Debütautorinnen, die mit ihren Romanen die Lebenswelt der Millenials ausleuchten und vom Ver- und Entlieben aus weiblicher Perspektive bisweilen auch radikal erzählen.

Esther Schüttpelz wäre zu nennen, die in ihrem Debüt Ohne mich die Geschichte einer jungen Frau beschreibt, die jung heiratete und nun nach der Trennung ihr erstes Jahr als Single erlebt. Caroline Schmitt erzählt in ihrem Debüt Liebewesen von der jungen Mariam, deren Liebe von einem Tinder-Date ausgehend über ein Date in der Badewanne bis hin zu einer Abtreibung alle Facetten einer Liebesgeschichte und Trennung reicht.

Caroline Wahl nimmt in 22 Bahnen die junge Tilda in den Blick, die für ihre Mutter und ihre Schwester verantwortlich ist und für die eine mögliche Promotion in Berlin und die Begegnung mit einem jungen Mann im Schwimmbad Aufbruch aus dem bisherigen Leben verheißt. Und auch Gina Schad fügt sich mit ihrem Debüt Nach einem Traum in diese Riege junger Debütantinnen ein.

Schad ist studierte Medienwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit Netzkultur. Das zeigt sich nicht nur auch auf dem Umschlag des Buchs, auf dem Marcus Beckedahl, der Gründer von netzpolitik.org, mit einem Blurb abgedruckt ist. Auch im Inneren des Buchs spielen Chats und eine App eine zentrale Rolle.

Ein Date im Café nahe der Charité

Doch zunächst beginnt auch in ihrem Roman alles eigentlich recht klassisch. Marie trifft sich mit Simon in einem Café unweit der Berliner Charité. Dort ist er als Belegarzt tätig und hat eine eigene Hausarztpraxis. Nach einem kurzen Abtasten und Smalltalk stellen sie fest, dass sie gut miteinander harmonieren und da durchaus mehr entstehen könnte. Zwar schreckt sie die Mitteilung, dass Simon Zwillinge hat und in einer festen Verbindung steckt etwas ab, aber dennoch beschließen sie, in Kontakt zu bleiben.

Das verstehst du doch hoffentlich, fährt er fort. Wir können uns nicht mehr treffen. Das ist zu gefährlich. Eine kleine Unachtsamkeit in deiner Nähe reicht schon aus, um meine Familie zu zerstören. Aber ich will auf jeden Fall weiter mit dir schreiben! Und darf ich dir noch eine App auf dein Handy laden? Lass uns doch bitte darüber kommunizieren. Das ist sicherer.

Gina Schad – Nach einem Traum, S. 27

Nach dem Date dort in der Charité beginnen die beiden mit ihrer Konversation. Marie teilt ihre Gedanken aus dem Alltag – Schwierigkeiten mit ihrer Mutter, ausstehende Abschlusskonzerte für die Beendigung des Cello-Studiums -, er erzählt von seinem Alltag mit Frau und Kindern. Beide schleichen umeinander herum, man möchte sich wieder sehen, doch das geht nur unter Schwierigkeiten. Marie möchte mehr als nur Küsse – doch Simon kann und will ihr das nicht geben.

Annäherungen und Abstoßungen, digital und manchmal real

In den Chats nähern sie sich an, suchen nach Pausen, stoßen sich wechselseitig an und ab, treffen sich wieder mal kurz real in Berlin oder am Flughafen – eine wirkliche Entwicklung hin zu einem klaren Verhältnis der beiden ist aber nicht absehbar. Marie möchte unbedingt mehr, kreist in ihren Gedanken und ihrem Verlangen um Simon bis hin zu Fantasien, in das Haus von Simons Familie einzusteigen.

Gina Schad - Nach einem Traum (Cover)

Er lockt, macht dann aber auch wieder schmerzhaft klar, dass sie weiter nichts von ihm erwarten kann und die Turteleien enden müssen. Das ambivalente Verhalten der beiden arbeitet Gina Schad im Laufe des Romans sehr gut heraus. Sehnsucht, Begehren an der Grenze zum Stalking, dann aber auch wieder der Versuch der Ablenkung und der Besinnung. Das Überinterpretieren von Bildern, ausbleibenden Nachrichten oder unachtsamen Sätzen, die jeweils passend zur Gemütslage ausgelegt werden oder schlimmste Befürchtungen wecken können. Davon erzählt Nach einem Traum und zeigt dazu in Ansätzen, wie uns die digitalen Medien selbst zu Stalkern light gemacht haben.

Da kann man schon einmal die Gattin des Angebeteten recherchieren, ihre Werke und das im Digitalen abgebildete Familienleben studieren, intime Wünsche via App austauschen oder mit Likes von Bildern dem Gegenüber seine Aufmerksamkeit und dessen Sichtbarkeit demonstrieren. Nach einem Traum zeigt, welche neuen Möglichkeiten uns die digitalen Welten eröffnen, wie das Ganze aber auch in Überwachung und Spionage kippen kann und man aus einem Stalker light schnell zu einem „richtigen“ Stalker werden kann.

Ein ambivalentes Verhältnis

Hier wie auch in der Darstellunge des ambivalenten Verhältnisses der beiden Protagonist*innen hätte Schads Debütroman in meinen Augen noch etwas Tiefe verdient. So fliegt man dank der schnellen Chat-Einsprengsel und kurzen Kapitel rasch durch den Roman – ein wenig mehr Widerhaken in Form von krasserem Verhalten der Beteiligten oder der Mut, die anfängliche Liebesgeschichte noch etwas mehr abgleiten zu lassen hätten dem Text vielleicht gut getan und ihm ein paar mehr erinnerungswürdigere Momente beschert.

Abgesehen davon ist Nach einem Traum ein Roman, der das Hoffen und Bangen, Recherchemöglichkeiten, die uns der digitale Raum ermöglicht, sowie das Abgleiten von unerfüllten Sehnsüchten in übergriffiges Verhalten beschreibt. Viele Leser*innen dürften sich und ihr Datingverhalten in Gina Schads Beschreibungen widergespiegelt sehen – und auch ich kann das nicht verneinen.

Fazit

Vom Daten im Digitalen, von enttäuschten Hoffnungen und Selbsttäuschung, vom Warten auf den nächsten Chat oder ein Like, davon erzählt Nach einem Traum, was ihn zu einem sehr aktuellen und zeitgeistigen Buch der Generation Y macht. Damit schreibt sich Gina Schad in die eingangs erwähnte Riege junger Debütantinnen ein und legt ein schwebendes Buch vor, das viele Sichtweisen und Interpretationen zulässt.


  • Gina Schad – Nach einem Traum
  • ISBN 978-3-8337-4612-3 (Goya Lit)
  • 226 Seiten. Preis: 22,00 €

Diesen Beitrag teilen

Hanna Bervoets – Dieser Beitrag wurde entfernt

Kaum ein Buchtitel verursacht einem Buchblogger ein derartig flaues Gefühl als der des Romans der Niederländerin Hanna Bervoets. In Dieser Beitrag wurde entfernt erzählt sie aber nicht von der immanenten Bedeutung von Back-Ups und Sicherungskopien, die digitales Schreiben und Publizieren erheblich vereinfachen, sondern wirft einen Blick hinter die Kulissen des Arbeitsalltes von Content Moderator*innen, die in sozialen Netzwerken gemeldete Beiträge sichten und kategorisieren – mit schlimmen Folgen für die Psyche, wie Bervoets zeigt.


Fand das Themenfeld der Digitalität zunächst recht spärlich einen Widerhall auf dem Feld der Literatur, so lässt sich in letzter Zeit hier langsam ein echter Wandel beobachten. Berit Glanz überführte in ihrem Debüt Pixeltänzer die Welt des Digitalen in die der Literatur und beschrieb eine Schnitzeljagd zwischen digitaler und echter Welt. In ihrem zweiten Buch Automaton, das in diesem Frühjahr im Berlin-Verlag erschien, zeigt sie in Form einer Spurensuche die Abgründe eines jener Tätigkeitsfelder auf, das uns die Digitalisierung beschert.

Bei ihr ist es die junge alleinerziehende Tiff, die für eine anonyme Firma als Micro-Job Überwachungsvideos hinsichtlich bestimmter Merkmale sichtet. Eine ebenso eintönige wie schlecht bezahlte Arbeit, die Glanz sehr eindrücklich schildert.

Im Buch von Hanna Bervoets steht nun eine sogenannte Content-Moderatorin im Mittelpunkt, die wie eine Schwester zur Heldin aus Glanz‘ Roman wirkt. Dass Glanz selbst einen Werbespruch für Bervoets Roman auf dem Buchumschlag beisteuert, ist da angesichts der Kongruenz der Themen nur konsequent.

Schöne neue Arbeitswelt

Okay. Und jetzt ein paar Dinge, die Sie bestimmt brennend interessieren, Herr Stitic – sind Sie bereit? Also: Alles, was meine ehemaligen Kollegen über die schlechten Arbeitsbedingungen erzählen, ist wahr. Hatten wir wirklich nur zwei Pausen, eine davon kaum sieben Minuten, die damit vergingen, dass wir an den zwei einzigen vorhandenen Toiletten anstehen mussten? Jep. Saßen sie uns im Nacken, wenn wir weniger als fünfhundert Tickets pro Tag schafften? Natürlich. Bekamen wir eine ernste Verwarnung, sobald unsere Trefferquote auf unter neunzig Prozent sank? Ganz bestimmt. Kam es zu Entlassungen, wenn manche regelmäßig einen zu niedrigen Score hatten? Ist vorgekommen. Und eine Stoppuhr, die anfing zu laufen, sobald wir unseren Bildschirm verließen, und sei es nur, um kurz mal die Beine zu strecken? So war das bei Hexa.

Hanna Bervoets – Dieser Beitrag wurde entfernt, S. 19

So war das bei Hexa, wie uns Kayleigh berichtet. Sie schreibt einen langen Brief über die 107 Seiten des Buchs, gerichtet an Herrn Stitic, einen Rechtsanwalt, der gerade eine Sammelklage gegen die Firma Hexa vorbereitet. Warum Kayleigh trotz aller Erfahrungen nicht Teil dieser Sammelklage sein möchte, das legt sie im Folgenden dar.

Ich bin doch keine Maschine

Hanna Bervoets - Dieser Beitrag wurde gelöscht (Cover)

Sie erzählt von den harten Arbeitsbedingungen und den noch härteren Belastungen für die Psyche, die die Arbeit der Content-Moderatorinnen bedeutet. Tag für Tag sichten sie als menschliche Maschinen gemeldete Beiträge, überprüfen sie hinsichtlich alles andere als nachvollziehbarerer Richtlinien, heben oder senken den digitalen Daumen, ob die Inhalte weiterhin auf den digitalen Plattformen gezeigt werden dürfen.

Sie erzählt von den Verformungen der Seele, die diese Arbeit bedeutet. Immer wieder gleiten psychisch Kolleg*innen ab, reagieren zunehmend rassistisch, stumpfen ab oder erleiden anderweitigen Schaden an Körper und Seele.

Ehemalige Kollegen gehen nur noch mit Elektroschocker ins Bett oder vor die Tür, andere finden gar keinen Schlaf mehr, so hat sie das Erlebte und das Gesehene mitgenommen. Aber inmitten dieser Menschenpresse aus Unmenschlichkeit, Leid und jedweder Grausamkeit ist auch Platz für die Liebe.

So verliebt sich Kayleigh an ihrem Arbeitsplatz in Sigrid, eine Kollegin, mit der sie eine stürmische Romanze beginnt. Doch ist die Beziehung der Beiden vor dem Druck ihres täglichen Erlebens und der Flut der Bilder gefeit? Oder kann man den Verformungen der eigenen Seele durch die Arbeit nicht einmal durch die Kraft der Liebe entkommen?

Wie kann ein Mensch das ertragen?

Das ist die Frage, die für mich den Kern von Dieser Beitrag wurde entfernt ausmacht. Was kann man als Mensch ertragen, wann schaut der Abgrund aus einem heraus, in dem man bei solcher Arbeit tagtäglich stundenlang hinschaut und sich dabei auf Regeln stützt, die ebenso widersinnig wie willkürlich sind?

Das beleuchtet Hanna Bervoets in ihrem Briefroman, ihrer langen Selbsterklärung ihrer Heldin Kayleigh sehr eindringlich. Sie richtet ähnlich wie Berit Glanz ihren Blick auf ein Tätigkeitsfeld, das durch die (vermeintlich) Sozialen Netzwerke erst erschaffen wurde, und das die meisten von uns weit wegschieben. Wen interessiert schon, was nach dem Klick auf einen „Melden“-Button auf einer Plattform passiert? Was sich Menschen anstellen von Maschinen ansehen, sichten und bewerten müssen?

Es ist so weit weg und fern von uns, ganz wie andere Teilbereiche – vom Sterben bis hin zur Fleischherstellung, deren Hintergründe wir so gut es geht ausblenden und uns nur mit den Endprodukten solcher Prozesse befassen wollen, seien es nun Würste, ein Grabstein oder eben eine saubere Timeline, in der alle zweifelhaften oder gewaltverherrlichenden Beiträge verschwunden sind.

So blenden Facebook, Twitter und Co ja alle weiteren Schritte nach dem Melden eines Beitrags aus und wahrscheinlich hat man selbst die Meldung rasch wieder vergessen. Aber wenn diese Meldungen dann eben Tag für Tag in höchster Schlagzahl auf fühlende Menschen einprasseln, hier lässt es sich eindrücklich nachvollziehen.

Fazit

In diesem Sinne ist Dieser Beitrag wurde entfernt ein aufklärerisches und engagiertes Buch, das für die Arbeit von Content-Moderator*innen sensibilisiert und die prekären Arbeitsbedingungen und das völlige Fehlen von psychologischer Unterstützung und Supervision beleuchtet. Und ein Buch, das inmitten von allem psychischen Leid und Druck aber auch die Möglichkeit einer Liebe eröffnet und so nuanciert von Schönem in Schrecklichem erzählt – und das knapp und präzise, ohne viel Rahmenhandlung oder Ausdeutungen. Fokussiert auf den Kernkonflikt zwischen Leid und Begehren, stabiler Arbeit und Druck auf der Seele erzählt Bervoets eine eindringliche Geschichte, die durch Form und Inhalt besticht.


  • Hanna Bervoets – Dieser Beitrag wurde entfernt
  • Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten
  • ISBN 978-3-446-27379-5 (Hanser)
  • 112 Seiten. Preis: 20,00 €

Diesen Beitrag teilen

Franziska Fischer – In den Wäldern der Biber

Der deutschen Literatur gebricht es an Weltläufigkeit. Es sind die immergleichen Berlin- und Dorfromane, die die deutsche Literatur hervorbringt, so lautet der oftmals vorgebrachte Vorwurf gegenüber der hiesigen Literaturproduktion. Und nun kommt Franziska Fischer daher und liefert noch einen weiteren Dorfroman. Den obigen Vorwurf kann dieses Buch nicht entkräften – aber gut unterhalten, wenn auch nicht klischeefrei. In den Wäldern der Biber.


Spechtenhausen ist ein Dorf im Brandenburgischen. In der Nähe von Eberswalde gelegen kann man dieses Nest wahrlich als Provinz bezeichnen. Dort lebt der Großvater von Alina, zu dem die junge Frau lange keinen Kontakt mehr hatte. Als sie sich nun von ihrem Freund in Frankfurt trennt, erinnert sie sich ihrer alten Familienbande und reist als kopfüber in die ostdeutsche Provinz.

Dort in Spechtenhausen will sie Abstand zum Erlebten gewinnen und ein paar Tage bleiben. Doch aus den Tagen werden Wochen, nachdem sie im renovierungsbürftigen Haus ihres Großvaters als Untermieterin Quartier bezogen hat. Während ihr Großvater in den Wäldern als lokaler Biberexperte die Population der Nager im Blick hat, lebt sich Alina langsam im Dorf ein und macht alte und neue Bekanntschaften.

Natur, Essen und Liebe

Um In den Wäldern der Biber in seiner Schwerpunktsetzung und Erzählweise zu untersuchen, genügen exemplarisch zwei Absätze aus dem Buch, die sich im Kapitel 20 auf Seite 263 finden:

Ich schmiege mich an seinen Rücken und umschlinge mit den Armen seinen Bauch, während der den letzten Teigrest verarbeitet. Parallel dazu wärmt er goldene Herbsthimbeeren aus Opas Garten mit etwas Ahornsirup in einem winzigen Topf auf, bis sich ein Teil in Sauce aufgelöst hat. Die Stirn zwischen seine Schulterblätter gelehnt, atme ich seinen Geruch ein und nehme seine Wärme auf, und für einen Moment habe ich das Gefühl, all das seit Ewigkeiten vermisst zu haben, obwohl man doch nichts vermissen kann, das man nicht kennt.

Wir frühstücken draußen, der Morgen ist noch frisch. Der Herbst tastet sich langsam näher, und ich habe das Gefühl ,so viel Wärme und Draußenluft und Sonne aufnehmen zu müssen wie nur möglich, um alles über die folgenden Monate versprenkeln zu können.

Franziska Fischer – In den Wäldern der Biber, S. 263
Franziska Fischer - In den Wäldern der Biber (Cover)

In den Wäldern der Biber legt – wie der Titel schon andeutet – einen großen Schwerpunkt auf die Natur dort im Brandenburgischen. Immer wieder streut Fischer Naturbetrachtungen der sommerlichen Lebenswelt im Garten und im angrenzenden Wald ein. Und auch wenn es einmal stürmt und sich der Wald in bedenklichen Zustand befindete – eigentlich ist die ganze Natur im Buch nur positiv assoziiert und wirkt auf Alina stimulierend (hier die Sonne und die Draußenluft, die für sie eine krasse Abwechslung zum stickigen und zubetonierten Frankfurt sind).

Neben der Natur spielt auch die Liebe ein große Rolle. Schon am ersten Abend landet Alina im falschen, da ursprünglichen Haus ihres Großvaters und macht die Bekanntschaft mit einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Bruder Elias, der ebenfalls in der Hausgemeinschaft wohnt. Es ist nicht überraschend, wohin Fischers Roman mit dieser Personenkonstellation steuert. Natürlich nähern sich die beiden Singles an und es entspinnt sich eine Romanze, bei der sich die Frau dann natürlich an den Rücken des Mannes schmiegt.

Goldene Herbsthimbeeren und ein Foodtruck

Der dritte Faktor, der sich aus dem obigen Absatz herauslesen lässt, ist das Essen, das ebenfalls eine elementare Rolle spielt. Manchmal kommt man sich im Buch wie in der Wochenmarkt-Kolumne der Zeit vor, so regional und bio ernährt man sich hier und achtet den Wert der Lebensmittel. Alina konsumiert kaum tierische Produkte, was sie mit der Schwester von Elias verbindet. Man bereitet leichte Speisen zu, genießt gemeinsam und bekommt von der Nachbarin schon einmal Lasagne an den Zaun geliefert. Hier hält man sich Hühner, lässt Saucen einreduzieren und nimmt sich Zeit zum Essen und Genießen. So sind die Himbeeren dann ja auch nicht einfach Himbeeren, sondern eben goldene Herbsthimbeeren.

Der Singlemann selbst arbeitet in einer Pizzeria, experimentiert stundenlang in der heimischen Küche an Rezepten und brütet ob des richtigen Verhältnisses von Cassia- und Ceylonzimt und hegt einen großen Businessplan: die Selbstständigkeit mit einem Foodtruck.

Und auch wenn das alles natürlich begrüßenswert ist, so wirkte In den Wäldern der Biber auf mich doch stellenweise wie, ich mir im Kopf klischeehaft eine Familie auf dem Dorf mit Biokisten-Abo und indirekt beleuchteten Ottolenghi-Kochbuchregal vorstelle. Die eigene gut ausgestattete Küche im Eigenheim mit Blick ins Grüne, die Zeit für perlende Gespräche am Nachmittag, Ausflüge zur einer Freundin an die Ostsee. Das ist die Lebenswelt, die Alina in Spechtenhausen vorfindet und in die sie sich nahtlos einfügt. Zwischen all den teifsinnigen Gesprächen und Essensdates findet sie sogar noch Zeit zur Renovierung des großväterlichen Hauses und plant dessen Ausbau.

In seiner Betulichkeit und Erwartbarkeit war das für mich teilweise doch eher der Wohlfühl-Freitagsfilm in der ARD statt ein überzeugender Roman, der die Brüche im Dorfleben und im Charakter von Alina herausarbeitete. Verödung und Vereinsamung, Probleme mit Rechtsextremismus, Abwanderung, die Frage der eigenen Identität, soziologische Verwerfungslinien auf dem Land in Ostdeutschland – nichts hiervon findet sich im Buch, stattdessen las sich das Ganze für meinen Geschmack deutlich zu glatt und verklärend. Das Buch ist eine feelgood-Hymne auf das Dorfleben, dem ein paar kritischere Töne auch gut angestanden hätten.

Fazit

Franziska Fischer ist Lektorin und versteht ihr Erzählhandwerk, daran lässt In den Wäldern der Biber keine Zweifel. Rhythmus, Naturschilderungen, alles passt und ist sauber gearbeitet. Immer wieder gibt es genau beobachtete Formulierungen und ansprechende Beschreibungen, die überzeugen. Als Unterhaltungsroman funktioniert das Buch auch sehr gut – alleine ich hätte mir etwas mehr Tiefe und Brüche anstelle von betulicher Dorfromantik und erwartbaren Entwicklungslinien erhofft.

Mit In den Wäldern der Biber kann man sicherlich nicht den Gegenbeweis zur Provinzialität der deutschen Literatur antreten. Als Unterhaltungsroman und Hymne auf das Dorfleben in Brandenburg geht das Buch absolut in Ordnung, auch wenn ich mir mehr Tiefgang und Widerhaken gewünscht hätte. Diese subjektiven Wünsche und fehlgeleiteten Erwartungen meinerseits dürften dem Erfolg des Buchs auf dem Buchmarkt aber nicht im Wege stehen. Als feelgood-Roman ist Franziska Fischer Buch für eine breite Leserschaft sicherlich ein potentieller Konsens- und Erfolgstitel.


  • Franziska Fischer – In den Wäldern der Biber
  • ISBN 978-3-8321-6592-5 (Dumont)
  • 320 Seiten. Preis: 20,00 €
Diesen Beitrag teilen

Ann Petry – The Narrows

„Es ging nicht nur um den Kai. Es ging um die ganze Gegend hier.“

„Die Narrows. Ganzunten. Little Harlem. Die Höhle. Nadelöhr. Manche sagen einfach Dumble Street. Gemeint ist immer dasselbe. Und wo hast du was darüber gelesen?“

„Im Chronicle. Die hatten eine Artikelserie über den Zusammenhang von schlechten Wohnverhältnissen und Kriminalität hier. Mit ein paar wunderbaren Fotos…“

Ann Petry – The Narrows, S. 82

The Narrows, so heißt das übel beleumundete Stadtviertel in Monmouth, dessen Name Ann Petry aus William Shakespeares Drama Heinrich V. entlehnt hat. Hier wächst Lincoln „Link“ Williams auf. Wirkliche Erziehungsberechtigte hat er nicht, stattdessen hat er bei Bill Hod, dem Besitzer der Bar The Last Chance und dessen Mannen so etwas wie eine Ersatzfamilie gefunden. Trotz der vermeintlich stigmatisierenden Herkunft aus den Narrows erweist sich Link allerdings als brillanter Schüler, dem mithilfe von Bildung eine ansehnliche Karriere gelingt.

„Der war PhiBetaKappa-Student in Dartmouth, Hauptfach Geschichte, mit Auszeichnung von der Monmouth Highschool abgegangen, Footballstar, Basketballstar in der Highschool und in Dartmouth. War vier Jahre bei der Marine, Postüberwachung, Marinestützpunkt in Hawaii.

Ann Petry – The Narrows, S. 446

Eine Liebesgeschichte gegen alle Gepflogenheiten

Ann Petry - The Narrows (Cover)

Doch trotz der akademischen Karriere hat Link die Narrows nicht wirklich hinter sich lassen können. Er verbringt viel Zeit in Bill Hods Bar, promeniert auf der Franklin Avenue herum und hat eines nachts eine denkwürdige Begegnung. Er treibt sich auf den Kais von Monmouth herum, als ihm eine junge Frau sprichwörtlich in die Arme rennt. Im Nebel auf den Kais ist sie vor einem Invaliden auf der Flucht, als Link zu ihrem Retter wird.

Beide nehmen in der Bar Moonbeam einen Drink, Link besteht darauf, die junge Frau nach Hause zu fahren – und so beginnt eine turbulente und aufwühlende Liebesgeschichte zwischen den beiden. Bei einer der nächsten Begegnungen fällt es Link dabei wie Schuppen von den Augen – die junge Frau namens Camilo ist weiß, im Gegensatz zu Link selbst. Doch die beiden lassen sich von den Äußerlichkeiten nicht beirren und stürzen sich energisch in ihre Affäre, die sich dramatisch entwickelt, als Link das Geheimnis von Camilos Herkunft erfährt. Plötzlich ergibt es auch Sinn, warum Camilo Link bei seinem impulsiven Heiratsantrag vertröstete.

Die Fortführung von Ann Petrys literarischem Schaffen

Ann Petry führt mit The Narrows die Themen ihres literarischen Schaffens eindrucksvoll fort. Sezierte sie in ihrem 1946 erschienen Bestseller The Street den Rassismus und die Frauenfeindlichkeit in Harlem, nahm sie im ein Jahr später erschienenen Roman Country Place eine bigotte und rassistische weiße Stadtgesellschaft in den Blick. Die Themen der Ausgrenzung und des Rassismus, die auf einzelne Figuren einwirken, führt sie in The Narrows noch weiter und ergänzt das Ganze neben einem gesellschaftlichen Blick um das Element der öffentlichen Berichterstattung.

Denn ähnlich wie Ann Petrys anderen Werken ist auch hier ein Krimielement inkludiert, auf das The Narrows hinausläuft und das aus der Spannung zwischen Link und Camilo entsteht. An der sich entwickelnden Dynamik und dem dramatischen Ausgang des Ganzen hat hier die Presse in Form des Fotografen Jubine und des jähzornigen Redakteurs Bullock einen erheblichen Anteil. Sie zeigt, wie die einzelnen Klassen ob weiß oder schwarz die Beziehung beäugen und verurteilen und wie dann die Berichterstattung ihr übriges zur verhängnisvollen Dynamik tut, die sich rund um das gegensätzliche Paar entspinnt.

Kein Platz für Glück und Romantik

Einmal mehr zeigt dieses Buch eindrücklich, dass es in Ann Petrys Welt für ein wirkliches Glück und Romantik keinen Platz gibt. Das zeigten The Street und Country Place – und The Narrows macht es noch einmal eindringlich klar. Auch wenn man im Buch das Jahr 1951 schreibt, das großstädtische New York ganz nah ist und Rassismus eigentlich keine Rolle mehr spielen dürfte, so kommen die Figuren in The Narrows doch nicht gegen die Umstände der Gesellschaft und ihrer Zeit an.

Dabei verhandelt Ann Petry so deutlich wie in keinem ihrer Bücher zuvor die Frage von Race (die hier von Pieke Biermann eingedenk eines fehlenden deutschen Begriffs nicht übersetzt wird). Link Williams wird in der Bar von Bill Hod und dem Koch Weak Knees auf die Feinheiten der Race eingeschworen und erlebt am eigenen Leib die Ausgrenzung, die es für ihn bedeutet, Schwarz zu sein. In der Schule muss er in einer Minstrel-Show den tumben Sambo geben, immer wieder wird ihm auch später zu verstehen gegeben, dass er als Schwarzer nicht die gleiche Anerkennung wie Weiße verdient.

Die (sprachliche) Vielfalt schwarzer Identität

Ann Petry fächert sämtliche Schattierungen von Schwarzer Identität in diesem Roman auf, verhandelt ihn auf identitätspolitischer und begrifflicher Ebene, was mich bei der Übersetzung zunächst etwas stutzen ließ. Da liest man von Farbigen, Ni***rn und Ne**rn, Coloured, Negros und vielen weiteren Bezeichnungen, mit denen sich die Protagonist*innen gegenseitig versehen. Pieke Biermann erklärt im Nachwort, wie sie es versucht hat, diese teilweise im deutschen gar nicht wiederzugebende Fülle an idiomatischen und community-spezifischen Bezeichnungen, Schmähbegriffen und stehende Wendungen im Deutschen abzubilden. Auch den Soziolekt der verschiedenen Milieus überträgt sie so ins Deutsche:

Als er ins Auto stieg, sah auch Al ihn merkwürdig an.

„Irgnwas los, Mal?“

Er sagte ohne nachzudenken: „Meine Frau“.

„Isse krank?“

„Naja,“ er zögerte, „nicht richtig.“

„Was’n los mit ihr?“

Er schüttelte den Kopf, stirnrunzelnd. „Es ist – es ist das Herz“.

„Is wahrscheinlich zu sehr auf Touren, Mal. Genau wie du. Schafft wahrscheinlich zu viel. Man muss sich ja auch mal ne Pause gönnen. Steht nemmich kein reicher Drecksack anner Ecke und schenkt ei’m ne neue Pumpe, wenn die alte ein‘ im Stich lässt.“

Ann Petry – The Narrows, S. 434 f.

Ebenfalls im Anhang sind Quellen und Erklärungen für zahlreiche Stellen und Ausdrücke im Text angegeben, die zwar im Text selbst nicht kenntlich gemacht werden, dann aber im Anhang noch einmal auftauchen. Hier zeigt sich dann auch, dass William Shakespeare für das schriftstellerische Oeuvre der 1908 geborenen Amerikanerin einen großen Einfluss hat. Immer wieder tauchen Motive wie aus Othello oder Der Sturm in Petrys Schaffen auf – in The Narrows sind es auch wieder gleich mehrere Zitate und Anspielungen, die sich auf das Werk des Barden beziehen. Darüber hinaus sind es auch zahlreiche andere versteckte Hinweise auf Christopher Marlowe, Märchen, die Bibel oder afroamerikanische Gospel, die im Anhang des Buchs erläutert werden.

Fazit

Was mir persönlich etwas fehlte, war ein einordnendes Nachwort, wie es bei den bisher neu aufgelegten Roman von Ann Petry stets der Fall war. Warum gilt The Narrows als Ann Petrys Meisterwerk und wie fügt sich das Werk in ihr literarisches Oeuvre ein? All das hätte ein Nachwort, geschrieben mit kundiger Feder, beantworten können. So steht das Werk für sich alleine und bleibt jedem Leser und jeder Leserin selbst überlassen.

Als Einstieg in den Kosmos von Ann Petry würde ich ob des reichlich ausufernden Erzählstils und des großen Personaltableaus in der ersten Hälfte des Buchs immer noch The Street oder Country Place aufgrund von deren erzählerischen Präzision und Kompaktheit vorziehen. Hat man sich aber in den unerbittlichen Kosmos von Petry eingelesen, dann beschert The Narrows viele neue Aspekte im Schaffen der afroamerikanischen Autorin und bleibt auch 69 Jahre nach Erscheinen ein lesens- und nachdenkenswertes Buch, das schon damals viele Themen unserer Tage thematisierte und vorwegnahm.


  • Ann Petry – The Narrows
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Pieke Biermann
  • ISBN 978-3-7556-0016-9 (Nagel & Kimche)
  • 576 Seiten. Preis: 28,00 €
Diesen Beitrag teilen

Agnes Krup – Leo und Dora

Das ist nun wirkliches Pech. Nach einer langen Überfahrt aus Tel Aviv nach New York möchte Leopold Perlstein eigentlich bei seiner bei seiner Agentin Alma und deren Mann absteigen. Doch ein Feuer hat deren Haus und Auto vernichtet. Beide sind abgereist und haben ihm stattdessen eine Unterkunft im Roxy organisiert. Das im Bundestaat New York an der Grenze zu Connecticut gelegene Hotel hat schon bessere Tage gesehen. Die Hotelbesitzerin Dora und der unter Schreibblockaden leidende Perlstein gewöhnen sich langsam aneinander und entdecken dort in Neuengland Gemeinsamkeiten. Leo und Dora von Agnes Krup.


Man muss unweigerlich an zwei der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts denken, wenn Agnes Krup auf den ersten Seiten ihren Protagonisten Leopold Perlstein einführt. Ein schreibender Versicherungsangestellter, der nach seiner Flucht aus Wien in Tel Aviv eine Anstellung gefunden hat. Ein Mann, der bei seiner Überfahrt in ein neues Leben im Jahr 1948 von einem Schachbrett und seiner Leidenschaft für das Spiel der Könige begleitet wird. Und ein Mensch, der im Exil wieder schriftstellerische Erfüllung sucht und auf Drängen seines Verlegers ein neues Werk vorlegen soll, um sich endgültig von seiner Herkunft und seinem Brotberuf freimachen zu können. Das sind die Nöte und biographischen Hintergründe, mit denen Krup ihren Helden versieht und die mich an Franz Kafka und Stefan Zweigs Schachnovelle erinnerten – wenngleich, so viel so schon verraten, Agnes Krup literarisch nicht in deren Nähe kommt.

Ein Hotel mit eigenen Regeln

Agnes Krup - Leo und Dora (Cover)

Das heruntergekommene Hotel Roxy fordert den frisch angekommenen und auf Konstanz bedachten Perlstein nun ganz gehörig heraus. So stehen die Tische mal zusammen, mal am Wochenende allein, das Essen, von einer aus Plochingen stammenden Schwäbin zubereitet, ist nahezu ungenießbar. Und vom Esprit der gehobenen europäischen Boheme ist die Hotelgemeinschaft so weit entfernt wie New York von Tel Aviv.

Nur das Ehepaar Geringer mit der jungen Asha und ihrem deutlich älteren Professoren-Gatten, dessen Passion inzwischen der Klematiszucht gilt, verheißt Perlstein Ansprache und intellektuellen Austausch. Allmählich lernt er die Hintergrundgeschichte des Hotels, die seiner Besitzerin und die der Geringers kennen. Er fährt Automobil, geht baden und versucht sich sogar einer Geisteraustreibung, da es im Hotel immer wieder spukt.

Eine nette Geschichte

Agnes Krup hat mit Leo und Dora eine nette und unterhaltsame Geschichte geschrieben. Sie erzählt von der langsamen Annäherung der unterschiedlichen Figuren Leopold und Bernstein, sie lässt ein Exilantenschicksal aufscheinen, reißt die Geschehnisse in Wien an, die Leo zur Flucht gezwungen haben. Auch als Sommerbuch oder Hotelroman lässt sich Krups Roman lesen. Und doch vermisste ich das gewisse Etwas an der Erzählung, das mir Leo und Dora über das Buchende hinaus im Kopf verankert.

Krups Sprache passt, die formale Gestaltung ist durch die chronologische Einteilung in Tage gediegen, die innere Struktur ist durch die Annäherung von Leo und Dora vorgegeben und wird gut befolgt. Dagegen lässt sich wirklich nicht viel einwenden – und doch hätte ich mir etwas mehr gewünscht, damit dieses Buch aus dem guten Mittelmaß herausragt. Besondere Figuren mit Ecken und Kanten, eine Sprache, die sich nicht nur mit der Auskleidung der Erzählung begnügt, ein überraschendes Ende oder etwas anderes Unerwartetes.

Fazit

Aber das Unerwartete blieb leider aus, sodass ich nicht davon ausgehe, die Leo und Dora lange über die Lektüre hinaus im Kopf zu behalten. Das mag vielleicht ungerecht erscheinen, macht das Buch doch nichts falsch und ist als Roman wirklich nicht schlecht. Nur das Besondere, das Bedenkenswerte, ich habe es hier leider nicht gefunden. Und so bleibe ich immer noch ins Sachen Hotelroman bei James Gordon Farrells Troubles, in Sachen Exilantenschicksal bei Ulrike Draesners Schwitters oder bei Ulrich Becher mit seiner Murmeljagd, die sich für mich intensiver im Lesegedächtnis verankerten, als das, was Leo und Dora bietet. Gewiss, es ist kein schlechtes Buch, aber es hält eben auch nur das bereit, was Cover und der Titel schon andeuten und versprechen. Wem das genügt, der dürfte zufrieden sein. Ich hätte mir mehr gewünscht.


  • Agnes Krup – Leo und Dora
  • ISBN 978-3-351-03899-1 (Aufbau)
  • 285 Seiten. Preis: 22,00 €
Diesen Beitrag teilen