Tag Archives: Liebe

Tinder und Terror

Wie lernt man als mittelalter Mann in Scheidung lebend neue Frauen kennen? Und wie soll man das bewerkstelligen, wenn nebenbei im Job noch eine weitere Herausforderung wartet, etwa ein potentieller Terroranschlag in Deutschland? Darüber hat Ute-Christine Krupp einen Roman geschrieben. Punktlandung heißt er und ist bei Wallstein erschienen.


Behörden haben in Deutschland meist keinen guten Ruf. Zu unüberschaubar, zu bürokratisch, zu anonym. Meist in grauen, brutalistischen Bauten untergebracht fristen sie ein Dasein am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das ändert sich meist nur, wenn etwas passiert ist, man denke nur aktuell an das Paul Ehrlich-Institut oder das Robert Koch-Institut, die nun im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stehen. Meist aber bleiben die Behörden in Deutschland in Sachen Wahrnehmung äußert unkonkret und pflegen dieses Image teilweise auch bewusst. Wer weiß schon genau, was etwa der Bundesnachrichtendienst in seinem neuen Bau in Berlin so treibt? Wenn nicht gerade ein Untersuchungsausschuss nach einer Panne etwas Licht ins Dunkel bringt, bleibt für uns Otto Normalverbraucher das Tun und Treiben in den Bauten der Behörden sehr uneinsichtig. Wer wertet eigentlich die Telefondaten aus? Wer ordnet Überwachungen an und wer trifft Entscheidungen, ob die Organe der Exekutive in Aktion treten sollen?

Es sind immer Menschen. Menschen mit Stärken und Schwächen, mit Privatleben und Sehnsüchten. Keine wirklich bahnbrechende Erkenntnis, zu der Ute-Christine Krupp in ihrem Roman gelangt. Aber doch interessant erzählt.

Im Dienst der öffentlichen Sicherheit

Ihr Protagonist heißt Paul Jost. Er arbeitet in Berlin und ist in den bürokratischen Apparat für die öffentliche Sicherheit eingebunden.

Er schiebt Protokolle und Auswertungen mit einer fahrigen Bewegung zur Seite. Dafür wird in den nächsten Tagen nicht viel Zeit sein. Er setzt sich aufrecht hin, atmet einmal tief durch und schaltet den Computer an. Zuständig ist er bisher für die Erarbeitung von Aussteigerprogrammen im Bereich Islamismus und für die Vorbereitung von Entscheidungen der G10-Kommission, die einmal im Monat hinter schusssicherne Scheiben tagt und festlegt, wer in welchem Umfang abgehört und wessen Mails mitgelesen werden. Er prüft vorab die Anträge nach juristischen Kriterien. Wenn sich die Hinweise von heute Morgen verdichten, die Gefahr sich weiter konkretisiert, wird er zum ersten Mal an einem Krisenstab teilnehmen.

Ute-Christine Krupp – Punktlandung, S. 7

Und ja, Paul Jost wird tatäschlich am Krisenstab teilnehmen. Denn die Hinweise verdichten sich, dass ein Anschlag in Deutschland droht. Der Reichstag und damit auch die ganze öffentliche Sicherheit ist in Gefahr. Und so rückt er in die erste Reihe des Krisenstabs und ist für die Überwachung der potentiellen Attentäter zuständig. Immer mit dem Handy in Griffweite muss er entscheiden, ob eine weitreichende Abhöraktion der möglichen Terrorzelle gerechtfertigt ist. Ist es zu vertreten, die Überwachung massiv auszuweiten, auch ohne juristische Befugnis? Schlägt die öffentliche Sicherheit den Datenschutz?

Wie sich ein neues Leben aufbauen?

Ute-Christine Krupp - Punktlandung (Cover)

Nicht nur mit diesen Fragen muss sich Jost befassen. Noch mehr beschäftigt ihn die Frage, wie man als mittelalter Mann noch einmal eine Frau kennenlernt. Er lebt in Trennung von seiner Frau, für die beiden Kinder teilen sie sich das Sorgerecht. Mit einer Durchschnittswohnung in Berlin, einem Job in einer anonymen Behörde und dem Wunsch nach einer einer Beziehung tut er sich im Privaten um. Es gilt, sich ein neues Leben aufzubauen. Aber geht das überhaupt parallel? Dating, während da draußen eine diffuse Lage herrscht und ein Anschlag droht? Tinder und Terror?

Ute-Christine Krupp wählt für ihren Roman eine interessante Erzählweise. In kurzem, stakkatohaftem Ton erzählt sie im Präsens von Paul Jost. Überwiegt zunächst die Schilderung seiner Tätigkeit im Berliner Behördenapparat, übernimmt bald das Privatleben eine immer zentralerer Rolle. Seine Ehe mit Gesine, deren Scheitern, seine Midlifecrisis. All das überlagert im Buch langsam das Berufliche. Seine Dates, das schwierige Kennenlernen von Frauen, das scheint Jost immer mehr zu beschäftigen als der mögliche Anschlag. Zunehmend verschränken sich die Ebenen. Privates vermengt sich mit Öffentlichem, Vergangenheit mit Gegenwart, das Sehnsucht nach einer Beziehung mit dem Bedürfnis von Überwachung. Auch der Text bildet dieses Assemblage nach. Die Erzählebenen überlagern einander und die hastige und verknappte Syntax drängt voran.

Behördendeutsch und Liebe

Diese ist im Falle von Punktlandung wirklich doppelt spannend. Denn Krupp versucht sich mit ihren Schilderungen auch an einer Nachahmung der überhasteten und sachlichen Behördensprache, die vom Horror eines möglichen Anschlags geprägt ist.

Alle Orte, an denen sich diese Person aufhält, dargestellt auf einer Karte. Paul Jost parkt sein Fahrrad an einer Laterne und läuft durch die Straße. Eine lange und ruhige Straße. Der Mann wohnt unweit der Moschee, in der er betet. Die Moschee ist ein rechteckiges Gebäude mit Wendeltreppe. Geschlossen, wenn nicht gebetet wird. Bei dem Mann handelt es sich um einen Deutschen, der zum Islam konvertierte. In einem Eckhaus wohnt er. Blickdichte Gardinen. An einem der Fenster des Hauses im oberen Stockwerk hängt ein gebastelter Stern.“

Ute-Christine Krupp – Punktlandung, S. 74

Zugleich erzählt sie in dieser technokratischen Sprache von Liebe und dem Wunsch, eine passende Partnerin zu finden. Kann das funktionieren? Und prägt die Sprache der Juristerei und Behörden das eigene Denken und Handeln? Das untersucht Ute-Christine Krupp auf spannende Art und und Weise. Wie verhält sich ein Überwacher, wenn er nun in die Welt des digitalen Kennenlernens vorstößt? Und kann man sich die Ruhe für ein Date nehmen, wenn jeden Moment das Handy mit einer Schreckensnachricht von den eigenen Kollegen klingeln kann?

Fazit

In der Überführung dieser behördlichen Hast und Anspannung auf einen Mann in der Midlifecrisis ist diese Erzählanordnung namens Punktlandung wirklich spannend. Persönlich fand ich Paul Jost als Erzählfigur nicht sonderlich aufregend (Anzugträger, deren größte Obsession die Ordnung der eigenen Krawatten nach Schattierung ist, wecken in mir kein gesteigertes Interesse). Und auch hätte ich mir noch etwas mehr Erkenntnisgewinn angesichts Gegenüberstellung der Themen der öffentlichen Sicherheit und der privaten Gebundenheit gewünscht. So bleiben in Punktlandung doch auch zahlreiche Leerstellen und Auslassungen, bei denen ein wenig mehr Füllung wünschenswert gewesen wäre. Ansonsten gibt es an Krupps Roman wenig zu kritteln.

Natürlich kann man einwenden, dass die Grundhypothese des Buchs (oder die, die ich aus dem Buch herausgelesen habe), nicht zwingend neu ist – man denke beispielsweise auch nur an die Homeland-Serie mit Claire Danes, die ähnliche Themen verhandelt. Dennoch gelingt die Umsetzung ihrer Themen auf interessante eigene Art und Weise, sodass ich Ute-Christine Krupp auch den mausgrauen Midlife-Krisenpatienten Paul Jost gerne nachsehe (der sich ja wiederum sehr gut in das Erzählkonzept einpasst, das muss man auch zugeben). Ein Buch, das Terrorüberwachung und den Wunsch nach einem Neuanfang in gelungener Form zusammenbringt, das einem Beamten ein Gesicht gibt, das sprachlich interessant gearbeitet ist und sich seine Vorstellung hier deshalb redlich verdient hat!


  • Ute-Christine Krupp – Punktlandung
  • ISBN 978-3-8353-3888-3 (Wallstein)
  • 159 Seiten. Preis: 20,00 €
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Isaac Rosa – Glückliches Ende

Und schon wieder ein gebrochenes Herz,
Tränen, Trauer, unerträglicher Schmerz,
Wut, Verzweiflung, Leid und Frust…
Ach, hätte man doch vorher schon Bescheid gewusst.
Ach, hätte man doch vorher schon Bescheid gewusst.

Warum kann es nicht einfach mal klappen
Statt von einer bösen Falle in die andere zu tappen?

Warum kann es sich nicht einfach ergeben?
Dann könnte man ganz entspannt weiterleben.

Warum kann es sich nicht einfach mal fügen?
Dann müssten wir uns nicht mit Kompromissen begnügen.

Warum isses nicht so, wie man’s aus’m Kino kennt?
Zwei treffen sich, küssen sich… Happy End.

Bodo Wartke – Happy End

So ist einfach es tatsächlich nicht mit der Liebe, wie es Bodo Wartke in seinem Lied „Happy End“ reimt. Weiterhin stellt der Berliner im Lied Klavierkabarettist fest: Von A bis Z über Ypsilon // Geschichten wie diese, es gibt sie schon // Solange wie es uns Menschen gibt // Man liebt und wird nicht zurückgeliebt.

Dem kann man nicht widersprechen. Liebesgeschichten gibt es ja tatsächlich wie Sand am Meer. Das Kennenlernen, die Unsicherheiten, das Zusammenkommen, Kinder, Streit, Versöhnung. Die Motive dieser Liebesgeschichten sind hinlänglich bekannt. Auch Isaac Rosas Roman macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme und variiert diese Motive nur. Allerdings ist die Art und Weise seiner Erzählung anders – denn Rosa erzählt seine Liebesgeschichte vom Ende her. Eine invertierte Beziehungsgeschichte sozusagen.

Eine invertierte Beziehungsgeschichte

Alles beginnt mit dem Epilog und der Trennung von Ángela und Antonio. Der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung und das Anerkennen des eigenen Scheiterns. Damit nimmt in Glückliches Ende alles seinen Anfang, wobei es mit dem Glück am Ende der Geschichte weit her ist. Doch wie konnte es zu dieser Trennung und dem Versickern der Liebe kommen? Davon erzählen uns Ángela und Antonio abwechselnd, indem sie ihre Sicht der Dinge schildern.

Isaac Rosa - Glückliches Ende (Cover)

Immer weiter reist man dabei an den Beginn ihrer Beziehung zurück. Außereheliche Affären, fremdes Begehren, Renovierung eines gemeinsamen Eigenheims, die Geburt der Kinder und deren Zeugung, Heirat, Kennenlernen. Wie im Zeitraffer geht es rückwärts bis zum Prolog, der zugleich das Ende des Buchs markiert.

Das ist nicht nur von der Erzählweise her ungewöhnlich. Auch formal ist Isaac Rosas Glückliches Ende besonders. Denn die beiden Ich-Erzähler begegnen sich auch im Text. Während Ángela ihre Sicht der Dinge kursiv gesetzt schildert, ist es Antonio, der in den normal gesetzten Passagen zu Wort kommt.

Im Gegensatz zu anderen Beziehungsromanen mit zwei Erzähler*innen wie etwa Amity Gaiges Unter uns das Meer oder Lauren Groffs Licht und Zorn geht der Spanier Rosa hier allerdings einen Schritt weiter.

In den schwierigen Phasen des Misstrauens und der Abneigung stehen die beiden Perspektiven unverbunden nebeneinander. Als sie feststellen, dass sie sich auf verschiedenen Umlaufbahnen bewegen, werden ihre Schilderungen in zwei Spalten nebeneinander gerückt. In harmonischen Phasen ergänzen sich die Schilderungen mitunter, fallen sich ins Wort, umtanzen einander. So schafft es Rosa, auch auf formaler Ebene die momentanen Bindungskräfte ihrer Beziehung zu illustrieren. Das ist keine Spielerei sondern sinnvoll dosiert eingesetzt und unterstützt den Erzählinhalt.

Von schmerzhafter Genauigkeit

Das Identifikationspotenzial von Glückliches Ende ist hoch. Irgendwo dürfte sich wohl jeder in diesem Text wiederfinden. Sei es in der schmerzhaften Ergründung des Scheiterns, den Fährnissen in einer eingespielten Beziehung oder dem Rausch des Verliebtseins. Rosas Schilderungen sind präzise, manchmal fast etwas zu explizit und von gnadenloser Präzision.

Durch den Kniff, die Liebesgeschichte vom Ende her zu erzählen, gelingt es dem spanischen Autor, sich von der Vielzahl an thematisch ähnlich gelagerten Romanen abzusetzen. Auch nutzt er den Film Viaggio in Italia von Roberto Rossellini als wiederkehrende Stütze für den Roman, in dem das von George Sanders und Ingrid Bergmann gespielte Paar auf seiner Reise durch Italien miteinander und aneinander scheitert. Immer wieder nimmt Rosa in seiner Erzählung auf den Film Bezug und verwebt Film- und Buchrealität ein Stück weit miteinander. So ist Glückliches Ende die rückwärts erzählte Chronologie eines Scheiterns – eben aber auch einer Liebe, die mit Fortschreiten des Buchs intensiver wird.

Oder um noch einmal Bodo Wartke zu zitieren – Geschichten wie diese, es gibt sie schon. Aber wenn sie so präzise und klug gestaltet erzählt werden, dann sind sie doch etwas besonderes und verdienen Aufmerksamkeit. Wie eben im Falle dieses Romans!


  • Isaac Rosa – Glückliches Ende
  • Aus dem Spanischen von Marianne Gareis und Luis Ruby
  • ISBN 978-3-95438-124-1 (Liebeskind)
  • 352 Seiten. Preis: 22,00 €
Bodo Wartke – Happy End
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Maya Angelou – Was für immer mir gehört

Wenn es noch eines Beweises für die Berühmtheit Maya Angelous bedurft hätte, hier wäre er. Der Puppenhersteller Mattel hat sich entschieden, im Rahmen der Reihe „Inspirierende Frauen“ auch eine Maya Angelou nachempfundene Puppe auf den Markt zu bringen.

Während sie in den USA als Ikone gefeiert wird, für ihr Engagement geehrt wurde und als erste schwarze Frau bei einer Präsidenten-Inauguration in den USA sprechen durfte, ist sie in Deutschland deutlich unbekannter. 2018 legte der Suhrkamp-Verlag die 1980 von Harry Oberländer für den Verlag Stroemfeld/Roter Stern übersetzte Fassung von Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt noch einmal neu auf.

Im Rahmen des Lesekreises des Blogs 54Books entstand damals meine Besprechung des Buchs. Es handelt sich bei diesem Buch um den ersten Teil ihres insgesamt sieben Bände umfassenden Erinnerungszyklus. Sämtliche weitere Teile dieser Memoiren wurden nicht mehr ins Deutsche übertragen. Allerdings wagt sich nun der Suhrkamp-Verlag sukzessive an die Veröffentlichung des Werks. Melanie Walz übertrug nun zum ersten Mal das ursprünglich 1974 erschienene Gather together in my name ins Deutsche. Und im Gegensatz zu der altmodischen und überholten Übersetzung Harry Oberländers gelingt ihr diese Aufgabe deutlich besser.

Mehr als ein Leben

Das Buch setzt an der Stelle ein, an der Angelou ihren ersten Band beendete. Sie ist als Siebzehnjährige mit ihrem Sohn Guy alleinerziehend und hat beschlossen, ihre Herkunft hinter sich zu lassen. Weit weg vom rassistischen Süden, dem Krämerladen ihrer Großmutter und der Gefahr durch den Ku-Kux-Klan will sie in Kalifornien ein neues Leben beginnen. Doch dass Träume manchmal Schäume sein können, das zeigt sich sehr schnell. So versucht sich Maya als Köchin, als Zuhälterin oder als Tänzerin. Zweimal verliebt sie sich in die falschen Männer. Lässt ihren Sohn in der Obhut anderer Frauen zurück, um Geld zu verdienen.

Maya Angelou - Was für immer mir gehört (Cover)

Und auch wenn es effektiv nur zwei Jahre sind, die Angelou in ihrem Buch beschreibt, so bekommt man doch den Eindruck, dass sie in einem Jahr mehr erlebt hat, als es den meisten Menschen in einem ganzen Leben vergönnt ist. Schonungslos berichtet sie von fataler Liebe, Fehlentscheidungen, ihren Versuchen, sich zu prostituieren, Drogen und der Beziehung zu ihrer Familie. Das Scheitern ist in diesem knapp 250 Seiten starken Buch genauso Thema wie ihr unverzagtes Sich-Ausprobieren und Neuerfinden. Man kann Maya Angelou nur bewundern, wie klar sie ihren Lebensweg hier offen legt und zeigt, wie wechselvoll ihre Geschichte war und ist.

Sie beschönigt nichts, schont weder sich selbst noch andere und schreibt so ein lebenspralles Buch, das eine Ahnung auf die Fülle gibt, die die weiteren Memoirs von Maya Angelou bereithalten.

Ein Nachwort von Verena Lueken

Maya Angelou - Nur mit meiner Stimme (Cover)

Verena Lueken erzählt in ihrem Nachwort vom Einfluss, den Maya Angelou auf das schwarze Leben in Amerika hatte. Für Persönlichkeiten wie James Baldwin, Malcom X., Barack Obama oder Toni Morrison stellte sie eine Inspiration dar. Sie schrieb Reden, Gedichte, Theaterstücke, spielte in Filmen mit, engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung. Kurz, und das macht auch Luekens Nachwort klar: sie führte ein überreiches Leben, das sich jeder Einordnung oder Kategorisierung entzog.

Gespannt bin ich deshalb auch schon auf die weiteren Werke Maya Angelous, die nun auch hierzulande langsam etwas bekannter werden. Im Juni folgt im Suhrkamp-Verlag dann ebenfalls in der Übersetzung von Melanie Walz der nächste Band des Angelou’schen Erinnerungszyklus. Er trägt den Titel Nur mit meiner Stimme. Man sollte ihn auf dem Zettel haben, nicht nur wenn man sich für Schwarze Identität oder Empowerment interessiert!


  • Maya Angelou – Was für immer mir gehört
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Melanie Walz
  • ISBN: 978-3-518-47082-4 (Suhrkamp)
  • 247 Seiten. Preis: 16,00 €

Titelbild: „Maya Angelou“ von Burns Library, Boston College lizenziert unter CC BY-NC-ND 2.0

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Ilja Leonard Pfeijffer – Grand Hotel Europa

Es gibt Bücher, die haben es mir in letzter Zeit deutlich leichter gemacht als dieses. Fast hätte ich nach gut fünfzig Seiten aufgegeben und Grand Hotel Europa aus Ärger über seinen Ich-Erzähler Ilja Leonard Pfeijffer abgebrochen. Gut, dass ich es nicht getan habe. Denn obschon das Buch in meinen Augen durchaus Schwächen hat, belohnt Grand Hotel Europa auch reichlich. Und so steht am Ende ein Leseerlebnis mit Höhen und Tiefen.


Da steigt ein Schriftsteller in einem Hotel namens Grand Hotel Europa ab. Der genaue Ort, die Umgebung oder die Zeit des ganzen bleiben abstrakt. Dort im Hotel beginnt der Schriftsteller zu schreiben und offenbart dadurch eine Romanze, die ihn schlussendlich einsam in das Hotel getrieben hat. Die Hintergründe der Geschichte des Schriftstellers offenbaren sich in der Folge genauso wie die Veränderungen, die das Hotel durchläuft. Denn ein chinesischer Investor hat im Hotel das Zepter übernommen und gestaltet es nun fleißig gemäß seiner modernen ästhetischen Vorstellungen um.

Das sind die erzählerischen Grundpfeiler von Ilja Leonard Pfeijffers Roman. Der niederländische Schriftsteller ersinnt für seine Geschichte einen Ich-Erzähler, der seinen Namen teilt. Und dieser Pfeijffer sorgte bei mir fast für einen Leseabbruch des Buch, schon auf den ersten Seiten dieses 550 Seiten starken Romans. Woran liegt das? Ganz klar am zur Schau gestellten Charakter eines alten weißen Mannes, dessen Weltbild voller Vorurteile steckt und vor Sexismen und Klischees schier überquillt.

So mokiert er sich über Touristen, die er schon einmal als „Koch-Homos“ betitelt, Frauen verfallen ihm, wobei er sich deutlich mehr für ihre sexuellen Reize als ihren Charakter erwärmt (so reist er beispielsweise zu einem Vortrag einer Koryphäe namens Deborah Drimble, um mit dieser eine Affäre wieder aufzuwärmen. In ihrer Beschreibung spielen für Pfeijffer ihre Initialen allerdings stets die wichtigste Rolle, da diese ihre körperlichen Reize abbilden, wofür er sich am meisten interessiert. Auch andere Frauen betrachtet er meist hauptsächlich auf ihre köperlichen Reize hin). Banal, paternalistisch, homophob, sexistisch und dergleichen mehr. Sollte ich wirklich mehr Zeit mit einem solch reaktionären Erzähler von vorgestern verbringen?

Im Grand Hotel Europa

Ich habe mich dafür entschieden – und diese Entscheidung nicht bereut. Denn dieses krasse Bild Pfeijffers eines Mannes von vorgestern schwächt sich im Fortgang merklich ab. Es wird nach und nach durchaus geschickt gebrochen. Pfeijffer erweist sich im Laufe des Buchs durchaus als beobachtungsstarker und vielschichtigerer Charakter. Vielschichtiger und interessanter, als ich das zunächst wahrgenommen habe.

Natürlich, es gibt absurde Sexzenen, die teilweise durchaus heiße Kandidaten für den Bad Sex in Fiction-Award wären. Der Eros dieses Mannes und seine Bettgeschichten sind mitunter grotesk. Auch stopft Pfeijjfer seine Erzählung neben der Rahmen- und der Binnenhandlung mit weiteren Erzählsträngen voll, die nicht immer ganz aufgehen. So reichert er seine Liebesgeschichte um einen Caravaggio-Erzählstrang an. In diesem erzählt vom Leben des berühmten Malers sowie der Suche nach einem verschollenen Gemälde, auf dessen Spuren sich Pfeijffer und seine Freundin Clio begeben. Daneben gibt es auch ein Medien-Projekt, von dem Pfeijffer erzählt. Zusammen mit einem kreativen Duo möchte er eine Reportage über den Tourismus und Europa anstrengen. Das beschwert das Buch mitunter, dann lassen sich aber auch wieder reizvolle Querverbindungen zwischen den Themen finden.

Quo vadis Europa

Dieses von Touristen heimgesuchte Europa ist auch in zahlreichen Diskussionen und theoretischen Erörtungerungen im Grand Hotel Europa selbst Thema. Während Pfeijffer von all den oben geschilderten Dingen erzählt, trifft er sich häufig mit dem betagten Hotelgast Patelki, mit dem er über den Zustand und das Wesen Europas debattiert. George Steiner, berühmte Epen der Geschichte oder Exkurse zu Oswald Spengler sind in den langen Dialogen Thema. Das klingt dröge. Ist es aber abgesehen von ein paar zu lang geratenen Ausführungen aber nicht.

Ilja Leonard Pfeijffer - Grand Hotel Europa (Cover)

Denn Pfeijffer gelingt das Kunststück, diese scheinbar disparaten Themen und Erzählstränge dann doch zu verbinden. Und zwar so, dass sich im Lauf des Buchs bei mir ein echter Leseseog einstellte. Was ist unser Europa heute noch wert und worauf gründen seine Werte? Wie umgehen mit Flüchtlingen in der EU? Wie sollte man dem überbordenden Tourismus in Regionen wie Cinque Terre oder Amsterdam Herr werden? Und welchen Einfluss nimmt Asien, insbesondere China, auf die Entwicklung des alten Kontinents? Darüber macht sich Pfeijffer Gedanken und schafft so den Spagat zwischen Erzählung, Sachthemen und philosophischen Exkursen.

Dass dies gelingt, ist auch dem schriftstellerischen Vermögen Ilja Leonard Pfeijffers geschuldet. Denn wo Robert Seethaler in seinem mediokren Der letzte Satz zuletzt postulierte, dass man über Musik nicht schreiben könne, beweist Pfeijffer das Gegenteil. Seine Schilderung eines Konzerts im Grand Hotel Europa ist derart packend und plastisch, dass man meint, selbst im Auditorium zu sitzen. Seine Beschreibungen von Orten wie etwa Venedig oder Amsterdam sind farbenreich, sein Sprachwerkzeug vielgestaltig. Mal elegisch, mal selbstironisch, mal vorwärtsdrängend, dann auch wieder reflektiert präsentiert sich der niederländische Schriftsteller. Dass sich das auch im Deutschen so gut liest, verdanken wir der Übersetzung von Ira Wilhelm.

Fazit

Hatte ich zunächst persönliche Probleme mit dem Buch und sehe auch durchaus Schwachstellen, so muss man objektiv gesehen auch konstatieren, dass Pfeijffer sein Handwerk als Schriftsteller gänzend beherrscht.

Ihm gelingt ein Buch, das postmodern und verwinkelt wie das Grand Hotel Europa selbst ist. Sein Buch steckt voller Themen und Fragen. Die Referenzen zu anderen Werken der Literaturgeschichte sind spannend eingearbeitet. Mal ist das Werk eine Suche nach Identität, dann wieder ein doppelbödiges und autofiktional gespiegeltes Porträt eines Mannes und eines Kontinents mit Geschichte. Philosophisch, auf der Höhe der Zeit, romantisierend, mitunter etwas anstrengend und dann wieder ironisch – das alles ist Grand Hotel Europa!

Weiter Meinungen zum Buch gibt es bei Letteratura, Buchpost und Libertine Literatur.


  • Ilja Pfeijffer – Grand Hotel Europa
  • Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm
  • ISBN 978-3-492-07011-9 (Piper)
  • 560 Seiten. Preis: 25,00 €
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Auf Robinsons Spuren

Jane Gardam – Robinsons Tochter

Es ist eine beliebte Frage in Interviews mit Buchbezug: Gibt es ein Buch, das Ihr Leben verändert hat? Polly Flint, die Ich-Erzählerin in Jane Gardams Roman Robinsons Tochter hätte eine klare Antwort darauf. 34 Jahr nach dem Erscheinen ist Gardams Buch nun in der deutschen Übersetzung von Isabel Bogdan zu entdecken. Und das Buch ist nicht weniger als ein echtes Meisterwerk, das von einer lebenslangen Literaturliebe, einer geistigen Entwicklung, weiblicher Selbstermächtigung und Emanzipation erzählt. Es bleibt nur die Frage: warum hat es so lange gedauert, bis dieses Buch den deutschsprachigen Leser*innen zugänglich gemacht wurde?


Reichlich spät wurde Jane Gardam für den deutschen Buchmarkt entdeckt. Erst 2015 entschied man sich im Hanser-Verlag nach einer zuvor publizierten kurzen Weihnachtsgeschichte, diese Autorin dem deutschen Buchmarkt zugänglich zu machen. Gerade mal ein Buch der 1928 geborenen Autorin war zuvor in furchtbarer Aufmachung und Betitelung erschienen. 1999 gab es im Bastei-Lübbe-Verlag den Roman Himmlische Aussichten zu lesen, dessen kitschiges Cover zusammen mit Titel und Untertitel (Ein turbulenter Roman um ein Baby) ganz eigenes Kunstwerk ergab.

Dass es nach einer solchen Art der Veröffentlichung über eineinhalb Jahrzehnte brauchte, bis man die Autorin in angemessener Art und Weise in einem anderen Hause publizierte, das verwundert nicht.

2015 war es dann so weit und der erste Band der Trilogie um Old Filth, den Kronanwalt Edward Feathers, erschien. Befeuert auch durch die Diskussion im damals unter großer Aufmerksamkeit neu aufgesetzten Literarischen Quartett gelang dem Buch der Einstieg in die Bestsellerlisten. Die zwei weiteren Bände der Reihe, die Gardam aus Sicht von Edwards Frau (Eine treue Frau) und Edwards Rivale (Letzte Freunde) schilderte, wurden ebenfalls zu Bestsellern.

Seitdem ist der Name Jane Gardam auch auf dem deutschen Buchmarkt gesetzt und wird vom Hanser-Verlag durch eine kontinuierliche Publikation früherer Werke der englischen Schriftstellerin unterfüttert.

Eine Entdeckung aus dem Jahr 1986

Diese Art der Publikation ist ein großer Glücksgriff, denn dadurch ist nun auch „Crusoe’s daughter“nun auch auf Deutsch als Robinsons Tochter zu entdecken. Ürsprünglich 1986 erschienen ist das Buch ein Werk, das eindrucksvoll die Meisterschaft Jane Gardams beweist.

Jane Gardam - Robinsons Tochter (Cover)

Nicht weniger als ein ganzes Leben schildert sie in ihrem Roman. Es ist das Leben von Polly Flint. Diese lernen wir im Alter von sechs Jahren kennen. Wir schreiben das Jahr 1904, Pollys Mutter ist verstorben und ihr Vater ein Seemann, der wenig Vaterqualitäten an den Tag legt. Und so wird Polly im Gelben Haus untergebracht, einem Haus, das in der englischen Marschlandschaft liegt. Dort kümmern sich ihre beiden Tanten um sie. Besonders kindgerecht oder freudvoll ist das Aufwachsen dort in der Marsch allerdings nicht.

Die Tanten erziehen Polly streng und wollen sie unbedingt konfirmieren lassen. Doch das möchte Polly nicht. Sie legt einen beharrlichen Eigensinn an den Tag und findet Unterstützung in der großen Bibliothek ihres Großvaters Younghusband. Dieser interessierte sich zwar mehr für den Glauben und für Steine, aber auch weltliche Lektüre findet sich in der Bibliothek. Und so wird Polly Daniel Defoes Robinson Crusoe zu ihrem Herzensbuch, das sie ihr ganzes Leben lang begleiten und bestärken soll.

Kriege kommen und gehen, Familie und Mitmenschen sterben, Polly verliebt sich, wird enttäuscht, driftet in übermäßigen Alkoholkonsum ab und wird erst am Ende ihres Lebens zu ihrer Bestimmung finden. Immer ist da aber auch Robinson Crusoe, der ihr in der Einsamkeit ihrer Existenz beisteht und ihr Trost spendet. Eben ein wirkliches Buch der Kategorie Lebensbuch für Polly.

Ein Buch, tausend Lesarten

Es ist nicht nur so, dass Gardams Roman als Entwicklungsroman und Schilderung eines komplexen Lebens stilistisch und inhaltlich vollauf überzeugt. Robinsons Tochter ist auch ein Roman, der davon erzählt, wie verschieden die Lektüre ein und desselben Buchs ausfallen kann.

Robinsons Tochter demonstriert, wie unterschiedlich wir lesen und Bücher eingedenk unserer eigenen Biografie interpretieren. Alle Menschen, mit denen Polly im Laufe des Buchs über ihre Leidenschaft für Robinson Crusoe spricht, ordnen Defoes Werk unterschiedlich ein und sehen etwas anderes im Buch. Polly selbst zieht ihr Empfinden, ihre Bildung und ihr Beharren auf weiblicher Eigenständigkeit auch aus dieser Lektüre.

Deutlich wird das etwa im folgenden Dialog. Ein Freund spricht sich für die Prosa Jane Austens aus, als Polly zu einer vehementen Verteidigung des Defoe’schen Werks ansetzt:

„Freitag, das ist doch lächerlich. „Karfreitag“ wahrscheinlich. Demnächst nennt es womöglich jemand eine religiöse Allegorie. Vielleicht es das auch – wobei ich das bezweifle, bei einem Journalisten. Crusoe-fix nochmal. Ha!“

„Das ist es natürlich nicht. Und Defoe war nicht nur Journalist. Ich glaube aürigens auch nicht, dass Robinson besonders reiligiös ist. Er ist voller Schuldgefühle und Unzufriedenheit und seiner angeborenen Reiselust. Er ist der letzte, der für so eine Gefangenschaft auf einer Insel gemacht ist, aber er arrangiert sich damit. Er wird nicht verrückt. Er ist tapfer. Er ist wunderbar. Er ist so wie Frauen fast immer sein müssen: auf einer Insel. Festgesetzt. Eingesperrt. Die einzige Möglichkeit zu überleben ist, sich zu sagen, dass es Gottes Willen ist.“

(Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass ich all das dachte!)

Gardam, Jane: Robinsons Tochter, S. 187

In unterschiedlichen Phasen ihres Lebens blickt Polly immer wieder auf das Buch und entdeckt neue Aspekte. Und auch in ihrem Beharren auf ihre weibliche Autonomie leistet ihr die Prosa Defoes Schützenhilfe.

Eine Geschichte weiblicher Emanzipation

Denn Robinsons Tochter erzählt auch von einer Frau, die sich nicht anpasst. Einer, die zwischen Unsicherheiten, Begehren, enttäuschter Liebe und versuchter Fremdbestimmung ihren eigenen Weg verfolgt. Wie es ist, als Waise sich alles selbst aneignen zu müssen und auf eigene Souveränität zu beharren, das zeigt Jane Gardam eindrücklich. Mich persönlich hat für dieses Buch sehr eingenommen, dass die Britin auch die Kunst als Wert propagiert, die dabei hilft, ein eigenes Leben zu führen. Nicht umsonst ist ein Zitat von Virginia Woolf vorangestellt, die im Roman auch eine kleine Rolle übernimmt.

Aber die Drangsal des Lebens, wenn man sich auf einer einsamen Insel gänzlich allein durchschlagen muss, ist wirklich nicht zum Lachen. Sie ist andererseits auch nicht zum Weinen.“

Virginia Woolf – Der gewöhnliche Leser

Fazit

Wenn das aus meinen Worten nun noch nicht ausreichend klar geworden sein sollte: ich halte Robinsons Tochter wirklich für ein Meisterwerk. Ein Meisterwerk, auf das wir lange warten mussten. Eines, das die Wartezeit von 34 Jahren aber wirklich mehr als belohnt.

Es spricht für die literarische Meisterklasse der Britin, dass die Vielfältigkeit und der Facettenreichtum des Robinson Crusoe, die Polly Flint im Laufe ihres Lebens entdeckt, erforscht und erfährt, auch genauso auf Jane Gardams Werk übertragbar ist

Wirklich berührend, stilistisch meisterhaft, von einer Vielschichtigkeit, die man so nicht oft in Büchern findet und einer Heldin, die in den nächsten Jahren sicher nicht aus meinem Buchregal ausziehen wird.


  • Jane Gardam – Robinsons Tochter
  • Aus dem Englischen übersetzt von Isabel Bogdan
  • ISBN 978-3-446-26783-1 (Hanser)
  • 320 Seiten. Preis: 24,00 €
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