Vor dem Hintergrund eines Besuchs von Martin Luther King im vom Rassismus geprägten Los Angeles des Jahres 1963 erzählt Gary Phillips von seinem rasenden Reporter Harry Ingram, der nicht nur als Reporter bei geschehenem Unrecht ganz genau hinsieht und der als One-Shot Harry tief in den Kosmos der Stadt eintaucht.
Mit One-Shot Harry hat Gary Phillips einen Kriminalroman der Sorte verfasst, der neben seinen Figuren auch den Handlungsort als ebenbürtigen Spielpartner der Handlung begreift. Im Falle von Phillips heißt dieser Partner Los Angeles im Jahre 1963. Besonders gut gelingt es dem US-amerikanischen Autoren, die Vielgestaltigkeit der Stadt einzufangen, indem er seinem Helden Harry einen Job zuweist, der ihn in fast alle Ecken der Stadt bringt, nämlich einen Job als Reporter.
Als wäre das nicht genug, arbeitet Harry Ingram zusätzlich auch als Zusteller von juristischen Dokumenten und Bescheiden. Eigentlich erreicht er damit qua Job eine optimale Abdeckung der Stadt und ihrer Bewohner*innen. Und doch bleibt sein Zugang zur Stadt ein limitierter – denn Harry ist Schwarz. Damit bleiben viele Türen für den Reporter verschlossen, der sich zudem noch immer dem Rassismus, Racial Profiling und Polizeigewalt ausgesetzt sieht. Da hilft es auch nur wenig, dass Harry für sein Vaterland im Koreakrieg sein Leben riskiert hat – die Gesellschaft lässt ihn immer wieder spüren, dass er nur ein Mensch zweiter Klasse ist.
Los Angeles im Jahr 1963
Von solchen Widrigkeiten lässt sich Harry allerdings nicht aufhalten. So elektrisiert der in drei Wochen bevorstehende Besuch des Bürgerrechtlers Martin Luther King halb Los Angeles, darunter auch Harry, der im Lauf des Romans direkt in ein Komplott um den Aufenthalt Luther Kings gezogen wird.
Bis es allerdings soweit ist, vergeht einige Zeit. Denn zunächst bekommt es One-Shot Harry mit einem Todesfall zu tun, der ihn persönlich betrifft. So verunglückte sein guter Freund Ben Kinslow mit seinem Auto am Mulholland Drive in den Hollywood Hills. Harry ist als einer der ersten am Tatort und von der Todesnachricht mehr als erschüttert. Denn so kämpften Kinslow und er nicht nur in einem gemeinsamen Bataillon in Korea, auch war Ben ein leidenschaftlicher Trompetenspieler, der sich nicht um die immer noch untergründig herrschende Segregation scherte und auch in Schwarzen Clubs auftrat und dort Jazz spielte.
Der Verdacht, dass es sich bei dem Todesfall nicht um einen Unfall, sondern eine gezielte Sabotage und damit einen Mordanschlag handeln könnte, lässt Harry nicht ruhen. Und so macht er sich auf, die Kontakte von Ben abzuklopfen und herauszufinden, wem der Veteran auf die Füße gestiegen sein könnte.
Ein Schwarzer Reporter als Ermittler
Damit ist One-Shot Harry natürlich ein klassischer Ermittlerkrimi, nur mit dem Unterschied, dass Harry nicht als Teil der rassistischen Polizeibehörde seine Ermittlungen vorantreibt, sondern als Reporte ganz eigene Ermittlungsansätze hat. Dabei stößt er immer wieder auf die Unterdrückung von Schwarzen, die sich diesen Zustand aber nicht mehr länger gefallen lassen wollen. Hierbei findet Gary Phillips viel Raum für Nuancen, indem der das Bild des Schwarzen Widerstands differenziert zeichnet.
So streitet die Schwarze Community über die richtige Strategie gegen den allgegenwärtigen Rassismus und bevorzugt in Teilen Martin Luther King und dessen gewaltlosen Weg. Andere Teile der Community neigen Malcolm X und dessen Nation of Islam zu und sind auch der Anwendung von Gewalt gegenüber nicht abgeneigt. In diesen Richtungsstreit hinein führen Harrys Recherchen, der sich darüber hinaus auch noch im Auftaktband dieser als Reihe konzipierten Romane verliebt und dank seiner neuen Freundin Zugang zu weiteren Kreisen von Los Angeles findet.
Es ist ein schon fast soziologisch geschulter Ansatz, der One-Shot Harry kennzeichnet und mit dem Gary Phillips dem genauen fotografischen Blick seines Helden um nichts nachsteht. Vom japanisch geprägten Vierteln wie den J-Flats am Rande des Echo Park über Schwarze Viertel wie Sugar Hill im Stadtteil West Adams bis hin zu mexikanischen Stadtteilen führen die Schauplätze des Romans, der mit Sinn für Szenen und Timing geschrieben ist. Die verschiedenen Ethnien im Schmelztiegel Los Angeles fängt Phillips ebenso genau ein, wie er Zeitgeschichte und Lokalkolorit in diesen gelungenen Krimi einfließen lässt.
Fazit
So entsteht ein starker historischer Krimi, der besonders durch die Perspektive seines Schwarzen Helden und den genauen Blick auf die Milieus und deren Zusammenwirken in der Stadtgesellschaft von Los Angeles überzeugt. One-Shot Harry lässt auf weitere Bände dieser Reihe hoffen, deren Auftakt von Karen Gerwig ins Deutsche übertragen wurde.
- Gary Phillips – One-Shot Harry
- Aus dem Englischen von Karen Gerwig
- ISBN 978-3-948392-98-7 (Polar)
- 312 Seiten. Preis: 26,00 €