Tag Archives: Queere Literatur

Sang Young Park – Love in the big city

Es war eine interessante Frage, die mit vor wenigen Tagen auf Twitter begegnete. Da stellte eine Nutzerin folgende Frage:

Gerade in Bezug auf die Literatur fielen ganz unterschiedliche Titel, die sich dann aber doch ähnelten: Hanya Yanagiharas Ein wenig Leben wurde genauso wie Sally Rooneys Normal People oder Sasa Stanisics Herkunft genannt. Auch Leif Randts Werk Allegro Pastell fand sich unter den Antworten. Doch nicht nur Europa und Amerika prägen gerade den Massengeschmack, auch sollte man Südkorea mit in den Blick nehmen. Denn sowohl in der Musik (K-Pop á la BTS) als auch im Film (Bong Joon-hos Parasite oder die Netflixserie Squid Game) setzt dieses Land aktuell Trends und prägt die globale Kultur.

Möchte man darüber hinaus noch ein literarisches Werk von dort aussuchen, dass den Zeitgeist in thematischer und ästhetischer Weise gerade am besten einfängt, dann sollte man diesen Namen in den Kanon aufnehmen: Sang Young Park mit Love in the big city. Er erzählt darin vom Großstadtleben, queerem Begehren, Dating und der Orientierungslosigkeit junger Erwachsener in der Gegenwart.

Young in Seoul

Er tut dies, indem er den Ich-Erzähler Young in den Mittelpunkt seines Romans stellt. Jener Young ist Anfang dreißig, homosexuell und macht vieles wenig und weniges viel. Er studiert ein wenig, schreibt ein wenig, feiert aber viel, zieht durch die Clubs und Betten der Stadt, sucht immer nach dem nächsten Abenteuer und dem nächsten Mann.

Diese Routine verliert aber schon zu Beginn des Buchs etwas an Schwung, nämlich als seine beste Freundin Jaehee überraschend zu heiraten beschließt. Zuvor wohnten die beiden in einer Wohnung, feierten rauschende Partys und tauschten sich über ihre männlichen Liebhaber aus. Doch damit ist nun Schluss, Jaehee tritt in den Stand der Ehe ein und Young verliert damit eine wichtige Stütze in seinem Leben.

Fortan probiert er sich aus und erzählt von anderen Männern, die ihn seitdem auf seinem Lebensweg begleiteten. Hier ein dogmatischer und theoretisierender Liebhaber mit anti-imperialistischer Einstellung, da ein Workaholic, mit dem Young sogar zusammenzieht. Darüber steht aber stets die Frage, was er Young will und wo er seinen Platz im Leben findet. Und auch von seiner Mutter kann er sich nicht wirklich lösen, zumal das Verhältnis der beiden nicht unproblematisch und vorwurfsvoll ist, besonders nach einer schlimmen Krebsdiagnose, die Youngs Mutter ereilt.

Ästhetisch vordergründig kunstlos

Sang Young Park - Love in the big city (Cover)

Von all dem erzählt Sang Young Park auf eine ästhetisch vordergründig recht kunstlose und flache Art und Weise. Der Erzählton dieses Buchs plätschert vor sich hin, Young und seine Gegenüber führen teilweise recht banale bis flache Gespräche, die Erzählstruktur ist ebenfalls recht monoton. In vier Kapiteln wird beginnend bei Jaehees Hochzeit der Taumel Youngs durch die Betten und sein Leben inszeniert. Einige Liebhaber prägen ihn, so etwas wie einen Spannungsbogen gibt es in diesem Buch nicht. Auch fehlt es den Figuren an Schärfe und Tiefe, sie alle sind etwas amorph und blass.

Love in the big city steht für eine Ästhetik, wie man sie heute vielmals findet und liest. Am prominentesten wohl bei der eingangs erwähnten Sally Rooney, die ihre Figuren oftmals Dialoge sprechen lässt, die sich nicht grundlegend von einer Daily Soap unterscheiden. Aber auch Leif Randt, Marius Goldhorn, Dolly Alderton oder Sofia Rönnow Pessah stehen für diese Art von moderner Mid-30-Befindlichkeits-Prosa, die meistens in Großstädten spielt und deren Personal sich aus Akademiker*innen speist.

Neue Popliteratur

Man tut Love in the big city in meinen Augen nicht unrecht, wenn man das Buch unter dem Genre der neuen Popliteratur einordnet. Die eigene Befindlichkeit und das Liebesleben werden hier mit dem Suchen der Liebe in großstädtischem Milieu verknüpft. Etwas Sex and the city, etwas queere Community, etwas Lebenstaumel junger Großstädter und Gesellschaftsanalyse – angesiedelt an einem austauschbaren Erzählort (vom Schauplatz Seoul und der südkoreanischen Gesellschaft bekommt man nur wenig mit, dafür kreist Young als Erzähler viel zu sehr um sich).

Es sind diese Zutaten, die Sang Young Park für seinen Roman nutzt und die gerade sowohl im westlichen als auch offensichtlich im asiatischen Literaturraum en vogue sind. Damit ist das Buch in meinen Augen ideal für die Frage prädestiniert, die am Eingang dieser Besprechung stand. Will man in der Zukunft wissen, welche Art von ästhetischem Erzählen Anfang der 20er Jahre beliebt war, dann sollte man zu Love in the big city als Paradebeispiel greifen. Dass Sang Young Parks Roman bereits für den International Booker Prize nominiert ist, überrascht nicht, so nah wie dieses Buch am ästhetischen Zeitgeist unserer Tage dran ist.

Fazit

Wer sich darauf einlassen mag und die Abenteuer eines queeren Südkoreaners in der anonymen Gesellschaft Seouls nacherleben will, der hat an Love in the big city sicherlich seine Freude. Stellenweise gelingt Park ein berührendes Buch, dass mich persönlich aufgrund seiner monotonen Erzählstruktur und dezenten literarischen Ausgestaltung aber auch etwas ermüdet hat. Davon abgesehen gelingt es Sang Young Park allerdings wunderbar, den aktuellen großstädtischen (queeren) Zeitgeist zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, irgendwo zwischen Popliteratur, Sinnsuche und Sex and the city.

Aus dem Koreanischen wurde das Buch von Jan Henrik Dirks übersetzt.


  • Sang Young Park – Love in the big city
  • Aus dem Koreanischen von Jan Henrik Dirks
  • ISN 978-3-518-47228-6
  • 251 Seiten. Preis: 16,00 €

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Kristen Arnett – Ziemlich tote Dinge

Diese Familie ist wirklich mehr als außergewöhnlich. Kristen Arnett in ihrem Debütroman „Ziemlich tote Dinge“ über eine reichlich dysfunktionale Dynastie von Taxidermisten, die Kunst der Tierpräparation, die Verarbeitung von Verlusten und die Frage nach einem möglichen Neuanfang. Großartige und eigenwillige Literatur aus Amerika, die es sich zu entdecken lohnt.


Jessa-Lynn Morton entstammt einer Familie von Taxidermisten. Ihr Vater hat ihr einst die Kunst der Präparation von Tieren nahegebracht, seitdem verdingt sie sich im familieneigenen Geschäft in Florida als kunstvolle Handwerkerin, die den toten Tieren noch einmal Leben einhaucht. Bei ihrem Vater kann sie allerdings auch mit jeglicher Kunstfertigkeit nichts mehr ausrichten. Sie findet ihn erschossen in den Arbeitsräumen des Geschäfts vor.

Der Suizid ihres Vaters wirft in der Folge nicht nur Jess aus der Bahn. Alle Familienmitglieder geraten ins Taumeln und begegnen dem Verlust auf ganz eigene Art und Weise. Jess‘ Mutter rasiert sich eine Glatze und beginnt, sich künstlerisch auszuleben. Im Schaufenster ihres Geschäfts modelliert und gruppiert sie ausgestopfte Tiere zu freizügigen bis obszönen Gesamtensembles, die schon bald die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft auf sich ziehen.

Milo, der Bruder von Jess, ist sowieso schon aus der Bahn geworfen. Seine Frau Brynn hat ihn verlassen, die Kinder sind bei ihm geblieben. Ein Verlust, den aber nicht nur Milo nicht verwinden kann, auch Jess macht dieser Verlust noch immer zu schaffen. Denn auch sie pflegte eine intensive Affäre mit Brynn…

Viele eigenwillige Figuren

Kirsten Arnett - Ziemlich tote Dinge (Cover)

Es sind viele eigenwillige Figuren, die uns Kristen Arnett in ihrem Debüt präsentiert. Die queere Jess, die die Frau ihres Bruders liebt. Die exzentrische Mutter, deren Kunst schon bald auch eine lokale Galeristin begeistert. Die lokale Galeristin, die wiederum sehr von Jess begeistert ist. Und dazwischen allerhand ausgestopfte Waschbären, Alligatoren, Pfaue und Bären.

Höchst anschaulich schildert Arnett die Kunst, die es bedeutet, Ziemlich tote Dinge wieder zum Leben zu erwecken. Den Prozess dahin, bis ein Tier ausgestopft an der Wand hängt oder als Trophäe ausgestellt wird, das dekliniert die amerikanische Autorin hier bis ins Kleinste vor. Hier werden überfahrene Tiere von der Straße geklaubt, Skelette geformt und präpariert – aber nie so, dass sie dieses Handwerk platten Grusel- oder Ekeleffekten opfert. Stattdessen zeichnet sie dieses Handwerk als Kunst, das in vielfacher Hinsicht bei der Trauerbewältigung helfen kann.

Interessant wird Ziemlich tote Dinge zudem durch die Kombination von Eros und Thanatos. Während der Tod sowohl in die Familie als auch das Handwerk und die Kunst der Mortons bestimmt, ist dieses Buch auch stark vom Begehren und Sexualität geprägt. Die gleichzeitige Liebe von Bruder und Schwester zur gleichen Frau, die Affäre von Jess mit der Kuratorin der kleinen Galerie, die Suche nach einer eigenen queeren Identität, das alles prägt dieses Buch ebenfalls sehr. Gelungen schafft es Kristen Arnett, diese schwierige Suche nach dem eigenen Ich und die Kalibrierung der eigenen Bedürfnisse nachvollziehbar zu machen. Arnetts Buch ist voller Szenen, die von anrührend bis hin zu grotesk reichen.

Von tierischer Wiederbelebung und menschlichem Sterben

In dieser Engführung von tierischer Wiederbelebung und menschlichem Sterben, Begehren und Abschied ist Arnetts Buch wirklich gelungen. Zudem verfügt die 1980 geborene Autorin über eine wirklich gute Schreibe (übersetzt von Brigitte Jakobeit), die die Natur Floridas, die Kunst der Taxidermie und das Leiden und Begehren nachvollziehbar in Worte kleidet. Das dieses wie in einem sog lesbare Buch ein New York Times-Bestseller war, das verwundert nicht.

Kristen Arnett gelingt das Portrait einer eigenwilligen Familie voller eindringlicher, manchmal geradezu skurriler Figuren, die vom Tod und dem Leben erzählen. Dieses Buch ist wirklich eine Wunderkammer, die nicht nur mit vielen ausgestopften Tieren, sondern auch einer ganzen Füller unterschiedlicher Themen aufwarten kann. Queere Identität. Trauerarbeit. Die Kunst der Taxidermie. Eine Hymne auf die Fauna Floridas und die Kraft der Versöhnung.

Ein außergewöhnliches Buch das zeigt, dass nicht nur die großen Namen Jonathan Franzen und Co. das Metier des Familienromans beherrschen. Hier lernt man eine Sippe kennen, die man auf keinen Fall schnell vergisst – und besonders nicht dieses Cover!


  • Kristen Arnett – Ziemlich tote Dinge
  • Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
  • ISBN 978-3-7530-0007-7 (Ecco-Verlag)
  • 416 Seiten. Preis: 22,00 €
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Naomi Alderman – Die Lektionen

Manche Bücher finden auf verschlungenen Wegen zu mir. So traf ich auf Naomi Aldermans Roman Die Gabe auf dem Grund einer Grabbelkiste. Für den Betrag von einem Euro konnte ich so der neue Besitzer des Buchs werden. Alderman sorgte im letzten Jahr mit ihrem Roman Die Gabe für Aufsehen. Das Buch fand sich auf Bestsellerlisten, wurde mit vielen Artikeln bedacht und gewann den Baileys Women’s Prize for Fiction. Nur ich habe dieses Werk bis heute nicht gelesen.

Dafür widmete ich mich nun The Lessons, so der Titel des Buchs im Original. Übersetzt wurde das Buch von Christiane Buchner und es spielt in einem Milieu, in dem sich Alderman auskennt: nämlich an der Universität von Oxford. Im Original erschien das Buch 2010, 2012 lag es dann in deutscher Übersetzung vor.

Der Schauplatz Oxford und die Gestaltung sowie der Klappentext des Buchs legen gleich den Verdacht nahe: bei Die Lektionen handelt es sich um einen Campusroman. Das ist nicht wirklich falsch, aber auch nicht ganz zutreffend. Denn Aldermans Roman spielt nur zur Hälfte in Oxford, die zweite Hälfte des Buchs beschäftigt sich mit den Freundschaften, die in Oxford entstanden, sich nun aber teilweise weit von der einstigen Alma Mater entfernt haben.

Nicht immer wie aus dem Bilderbuch: Studieren in Oxford

Im Mittelpunkt steht der Erzähler James Stieff, der von großen Hoffnungen seiner Familie begleitet nach Oxford kommt. Dort muss er allerdings schon recht schnell feststellen, dass es in Oxford nie genügt, gut zu sein. Es geht immer darum, besser als die anderen zu sein. Ein Mensch, der sich diesem Druck nicht beugen will und durch seine Unangepasstheit fasziniert, das ist Mark. Reich, sexy, ein bisschen geheimnisumwittert – da ist es kein Wunder, dass auch James in den Dunstkreis von Mark gerät.

Freundschaften in Oxford

Zusammen mit weiteren Freunden beschließen sie, ein altes Haus im Besitz von Marks Familie zu bewohnen und dort eine WG zu gründen. Chronologisch nach Trimestern geordnet erzählt Alderman in der Folge von den Unternehmungen und Schwierigkeiten der Clique. Der besondere Schwerpunkt liegt dabei klar auf der Freundschaft von Mark und James, die komplex und kompliziert ist. Begehren, Abstoßung und Anziehung über das Ende von Oxford hinaus: als Leser ist man eng in die Freundschaft der beiden Männer eingebunden, die in ihrem Fortschreiten dann sogar etwas an Hanya Yanagiharas Ein wenig Leben erinnert.

DER Campusroman oder DER große literarische Wurf ist Die Lektionen nicht. Dazu ist die Sprache etwas zu gewöhnlich und auch die Figurenzeichnung generell etwas zu oberflächlich. Lediglich James und Mark bekommen so etwas wie Widersprüche und Tiefe verpasst, die restlichen Figuren bleiben Abziehbilder, die Handlung versumpft stellenweise, manchmal wirkt alles etwas bemüht oder unglaubwürdig.

Dennoch unterhält Aldermans zweiter Roman wirklich und ist zumindest partiell ein schöner (queerer) Campusroman, der sich dem Mythos Oxford auf lesenswerte Art und Weise nähert.

Wer Campusromane á la Evelyn Waughs Wiedersehen mit Brideshead oder Donna Tartts Eine geheime Geschichte mochte, der könnte auch hier zugreifen. Allerdings muss man dann eher bei Antiquariaten oder Wühltischen die Augen offen halten, denn das Buch ist im normalen Buchhandel nicht mehr lieferbar und nur noch aus zweiter Hand zu beziehen.

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