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Francesca Reece – Ein französischer Sommer

Eine junge Engländerin, die sich etwas orientierungslos durch ihr Leben in Paris schlägt. Ein arrivierter Schriftsteller, der per Anzeige jemanden als Sekretär oder Sekretärin sucht, um über die Sommermonate hinweg seine Tagebücher zu sichten und zu ordnen. Und ein Aufeinandertreffen dieser beiden Figuren in der sommerlichen Hitze der französischen Südküste. Könnte im Klischee enden? Tut es tatsächlich nicht, denn Francesca Reeces Debüt Ein französischer Sommer erzählt von Lebenslügen, der Verdrängung der eigenen Vergangenheit und der Unbeschwertheit, die natürlich kein dauerhafter Zustand ist. Kein ganz rundes Debüt, aber ein passables Sommerbuch.


Leah ist eine Figur, wie sie sich auch Sally Rooney ausgedacht haben könnte. Mitte zwanzig lässt sich die junge Britin recht orientierungslos durch ihr Leben treiben, das sie nach Paris geführt hat. Ein Job im Szenecafé, viele Gespräche mit ihrer Freundin Emma, Partys, Alkohol, Sex und Streifzüge durch die Stadt. So sieht Leahs momentanes Leben aus, dem eine Anzeige im Pariser Stadtmagazin FUSAC die Wende bringt. Dort entdeckt sie folgende Annonce:

AUTOR SUCHT ASSISTENT/IN ZUR UNTERSTÜTZUNG BEI ARCHIVARBEIT/RECHERCHE FÜR NEUEN ROMAN.

Mit einem shaekspearischen oder klassischen Namen brauchen Sie sich nicht zu bewerben.

PARIS UND SÜDEN. TEILZEIT. MICHAEL: 01.14.24.60.86

Francesca Reece, Ein französischer Sommer, S. 12

Und obwohl das Telefonat zunächst nicht den gewünschten Erfolgt zeitigt, erhält Leah die Stelle über Umwege dann doch noch. Bei ihrem Arbeitgeber handelt es sich um den Literaten und Bohemien Michael Young.

Briten in Frankreich

Seine Stimme war Teil der genetischen Ausstattung der englischen Literaturlandschaft seit Ende der Siebziger gewesen, als sein erster Roman, Richards Fall, erschienen war. Bis ins neue Jahrtausend hinein hatte er am laufenden Band zynische moderne Klassiker produziert und genoss die Bewunderung des Establishments der alten Garde genauso wie er von den gebildeten Möchtegern-Rebellen geschätzt wurde, die sich im Filmklub Apocalypse Now anschauten und für David Foster Wallace die Abkürzung DFW benutzten.

Francesca Reece – Ein französischer Sommer, S. 42

Die Arbeit für den Autor, dessen letzter Roman irgendwann um die Jahrhundertwende herum erschien, führt Leah in das Sommerdomizil von Michaels Familie an der französischen Südküste. Dort sichtet Leah die Tagebücher, die sie tief in die umtriebige Persönlichkeit des Literaten eintauchen lassen. Und Michael spürt sein literarisches Talent wiederkehren, während Partys gegeben werden, Leah im Meer badet und die einheimische Bevölkerung näher kennenlernt. Doch ein Paradies ist auch Saint Luc natürlich nicht, denn in der Vergangenheit von Michael gibt es einige dunkle Schatten, die sich dort am Meer in jenem französischen Sommer nun Bahn brechen.

Zwei Erzähler, zwei Generationen, zwei Leben

Francesca Reece - Ein französischer Sommer (Cover)

Francesca Reeve hat einen Roman geschrieben, der abwechselnd aus der Perspektive von Leah und Michael erzählt ist. Neben dem Handlungsstrang der Gegenwart spielt auch die Vergangenheit in England eine wichtige Rolle. Während Leah die Tagebücher Michael Youngs sortiert und sichtet, lernt man in Rückblenden den jungen Michael kennen, der es in Sachen Orientierungslosigkeit und Umtriebigkeit durchaus mit der Leah der Gegenwart aufnehmen kann. Während sich in Saint Luc die Situation zuspitzt, erlebt man in den Erinnerungen Michaels noch einen weiteren prägenden Sommer, der dann allerdings in Griechenland statt in England oder Frankreich spielt.

Das Ganze erinnert in manchen Passagen (besonders den in Griechenland spielenden Episoden) an die jüngst erschienen Romane Sommer der Träumer von Polly Samson oder Lawrence Osbornes Welch schöne Tiere wir sind, nicht nur aufgrund des gleichen Schauplatzes, sondern auch aufgrund der Sezierung von Gruppendynamiken, Liebe und Täuschung in der sommerlichen Hitze.

Was Ein französischer Sommer dann im Vergleich zu diesen Titeln in meinen Augen etwas schwächer macht, ist das Gefühl, hier ein paar lose Erzählstränge zu lesen, die sich als Buch nicht ganz kompakt und überzeugend runden und etwas unverbunden nebeneinander stehen.

So gibt es die Einzelteile des jungen Slacker-Lebens von Leah im Stile von Sally Rooney, die Episoden vom Dolce-Vita-Leben an der Südküste im Sommerhaus der Familie und die Episoden aus Michaels Vergangenheit. Die Teile für sich sind gut gemacht, fügen sich aber nicht immer homogen ein oder passen in ihrem Ton und dem erzählten Inhalt nicht unbedingt immer zueinander. Hier zeigt sich Optimierungspotenzial für weitere Romane von Francesca Reece, die ihre Erzählstränge noch etwas sorgfältiger miteinander verknüpfen sollte, um ein einheitliches und überzeugendes Ganzes abzuliefern.

Fazit

Zwei Leben, zwei Generationen Exilbrit*innen und dazwischen viel Diskurse um Kultur und Schreiben. Sommern an der französischen Südküste, das süße Leben der Boheme und die Frage, wie viel Sein und wie viel Schein ist, das beschäftigt Francesca Reece in ihrem Debüt, das sich als passables Sommerbuch irgendwo zwischen Sally Rooney, Claire Fuller und Miranda Cowley-Heller einordnet.


  • Francesca Reece – Ein französischer Sommer
  • Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller und Tobias Schnettler
  • ISBN 978-3-10-397068-5 (S. Fischer)
  • 448 Seiten. Preis: 24,00 €
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Gert Ueding – Herbarium giftgrün

Tübingen ist in aller Munde. Momentan ist es der vielbeachtete Modellversuch, der der Kleinstadt am Neckar deutschlandweite Aufmerksamkeit beschert. Während die Coronazahlen in die Höhe steigen, probiert man sich in Tübingen in der Rückkehr zu etwas mehr Normalität, begründet durch Testungen und damit verbundene Passierscheine. Aber auch ihr streitbarer Bürgermeister Boris Palmer sorgt ein ums andere Mal für Schlagzeilen, etwa wenn er eigenmächtig des Nachts Studenten kontrolliert. Oder wenn diese Studenten gerne einmal in steinernen Kunstwerken stecken bleiben.

Aber auch abseits von solch skurrilen Schlagzeilen ist die schwäbische Stadt bekannt. Der bekannteste Sohn der Stadt ist sicherlich Hölderlin, der 36 Jahre in einem Turm verlebte und dessen Leben und Werk im letzten Jahr zum dessen 250. Geburtstag breit gedachte wurde. Neben dessen Ruf ist es auch der der Eberhard-Karls-Universität, die entscheidend zum Ruhm der Stadt beigetragen hat. Die Liste der dort studierenden und lehrenden Denker und Denkerinnen liest sich wie ein Who’s Who deutscher Geistesgeschichte. Schelling, Hegel, Mörike, Alzheimer, Bloch, Ratzinger, Jens oder der jüngst verstorbene Hans Küng verschafften der Uni den Nimbus einer DER deutschen Top-Universitäten. Dass es an diesem Hort geistiger Schaffenskraft auch dunkle Seiten gibt, davon erzählt Gert Ueding in seinem Roman Herbarium giftgrün.

Die dunklen Seiten Tübingens

In seinem Buch ereignet sich an der Universität ein Todesfall, der schnell zum Stadtgespräch wird. Eine Studentin wird tot in einem Hörsaal aufgefunden. Bei einem Essen an der Universität bekommt der Maler Max Kersting einen Zettel der Verstorbenen zugesteckt. Das verschlüsselte Notat, in dem von einem herbarium sidereum die Rede ist, weckt das Interesse des Malers. Als der dann auf dem Nachhauseweg überfallen und ihm der Zettel entwendet wird, ist das Interesse des Künstlers vollends geweckt.

Gert Ueding - Herbarium giftgrün (Cover)

Er spürt im Umfeld der Verstorbenen den letzten Spuren nach. Diese führen ihn auf der Suche nach dem mysteriösen Herbarium genauso ins studentische Milieu wie in Bereiche des akademischen Mittelbaus. Schnell muss er erkennen, dass es auch an eine untadelige Universität von exzellentem Ruf wie die Eberhard Karls-Universität nicht vor dunklen Machenschaften gefeit ist. Der Run auf das ganz, ganz große Geld mithilfe unlauterer Mittel kann auch für Akademiker*innen zur Falle werden

Gert Ueding hat einen Roman geschrieben, der Elemente von Krimi und Campusroman in sich vereint. Und auch wenn die Anlagen des Romans wirklich nicht schlecht sind, so ist mein Leseeindruck leider kein durchwegs positiver.

Eher Meinungsbeitrag als echter Roman

Dies liegt schon zum einen daran, dass sich viele der im Buch verhandelten Themen und Thesen eher wie verklausulierte Artikel, denn genuin ins Handlungsgefüge eingepasste Plotelelemente lesen. Etwas gekünstelt wirkt es, wenn die Professoren in klandestinen Gesprächen, beobachtet von findigen Report*innen ihre Ränke um Kongresse und wissenschaftliche Fake-Buchverlage in Hinterzimmern spinnen. Passagenweise hatte ich den Eindruck, einen umgearbeiteten Debattenbeitrag über die Missstände im akademischen Wesen anstelle eines wirklichen Unterhaltungsromans zu lesen. Immer wieder spricht Kersting mit Akademiker*innen, die ihm und dem Leser seitenlang Missstände im Bildungsgefüge von der Bolognareform bis hin zu Zitationskartellen zu erklären. Eine etwas dezentere Einarbeitung der Anliegen des Romans, sie hätte hier notgetan.

Generell ist das Herbarium giftgrün auch etwas bieder geraten, sowohl als Krimi als auch Campusroman. Beginnend bei den bräsigen Kapitelüberschriften („Der Fall entwickelt sich“, „Der Verdacht wird konkreter“, etc.) setzt sich dieser Eindruck über die eigenwilligen Liebeszenen bis in die Kapitel hinein fort. Das hat zum Einen mit der recht konturlosen Figur des Max Kersting zu tun, der als Außenstehender trotz Uni- und Kriminalstikferne trotzdem permanent im Zentrum des Geschehens steht. Sowohl bei den Ermittlungsbehörden als auch im Büro des Dekans und bei den Opferfamilien geht er ein und aus. Je mehr die Handlung Blüten treibt, umso blasser wird dieser Kersting selbst.

Seine Figurengestaltung bleibt im Vergleich zum Plot deutlich zurück und ist auch nicht klischeefrei (natürlich verliebt sich der Künstler in einer junge Studentin und beginnt eine Affäre, etc.). Als recht konturlose Figur trägt er die Handlung nur schwer. Die Konturen spielen bei den Frauen im Roman hingegen wieder eine wichtige Rolle. Sie sind mitunter promiskuitiv, stets attraktiv bis „von starker erotischer Präsenz“ (S. 83), die dann im Gespräch dann zur Freude der Männer frivol an Tomaten zutzeln oder im Liebesspiel nach einem Apfel haschen dürfen. Diese Art von Schilderungen ist doch etwas überkommen und wirkte zumindest auf mich etwas verstaubt und reichlich prä-metoo-esk.

Nicht überzeugend gemacht

Zum Anderen ist auch die Machart der Kriminalerzählung nicht wirklich überzeugend. Dass ein Maler, in diese Räuberpistole hineinstolpert, stets die richtigen Schlüsse zieht und im Alleingang alles aufklärt, geschenkt. Allerdings ist neben der Plausibilität auch die Erzählweise verbesserungswürdig. So flicht Uerding immer wieder Vorausschauen ein (manche gleich zweimal auf einer Seite), wirkliche Spannung kann er daraus aber nicht generieren. Auch die Dialoge sind stellenweise doch reichlich erklärend-platt und eher auf Seifenopern-Niveau:

Fast eine Stunde später, sie hatten warten müssen, stiegen sie wieder in den Volvo. Kersting legte den Arm um Jana, zog sie an sich, dann lehnte er sich zurück.

„Wenn das kein gewöhnlicher Diebstahl war und als Warnung gedacht, dann muss das Auto so abgestellt worden sein, dass wir diese Absicht auch erkennen. Also zum Beispiel auf der Straße vor Deiner oder Lenas Wohnung.“

„Oder vor Deinem Haus in Unterjesingen“, ergänzte sie.

„Ja, oder dort“

„Dann fahren wir hin! Wir fangen hier in Tübingen an, und wenn das nichts bringt zu dir.“

Gert Ueding – Herbarium giftgrün, S. 220

In diesem Buch ruft man tatsächlich noch „verblüfft und auch bewundernd“ „Du bist ein Tausendsassa!“ aus (siehe Seite 251) oder stellt im Gespräch fest: „Es wird brenzlig, wir dürfen jetzt nicht die Ruhe verlieren.“ (S. 51). Viele Dialoge klingen völlig gestelzt, fernab jeder Gesprächsrealität. Selbst innerhalb mancher Aussagen schwankt der Ton erstaunlich von sprachlicher Gespreiztheit hin zu einem völlig umgangssprachlichen Register. Glaubwürdig ist das alles leider nicht so wirklich.

Sprachliche Schludrigkeiten und mangelndes Lektorat

„Natürlich berührt das Aufsehen, das die – ich will sie mal so nennen – Gartenhausaffäre in der Öffentlichkeit erregt hat, auch Belange der Universität, da ein Mitglied des Lehrkörpers in sie verwickelt ist, und das mindestens auf zweideutige Weise. Ich kann und will Ihnen aus diesem vertraulichen Gespräch nichts mitteilen, aber ich habe jedenfalls nichts Ihren Schlussfolgerungen Widersprechendes dabei erfahren.“

Gert Ueding – Herbarium giftgrün, S. 243

Ebenso schwankend wie der Ton der Dialoge ist auch der des gesamten Buchs. Da wird sich auf der einen Seite Musik ‚reingedudelt [sic], dann liest man wieder von „Born“, „Gepräge“ oder „Malesche“. Zu einem einheitlichen Ton findet Uerdings Prosa leider selten, was die Lektüre so zu einem wechselvollen Erlebnis macht.

Das wirkliche Ärgernis allerdings, das mir den Lektüregenuss entschieden vermiest hat, ist das nachlässige Lektorat. Da werden Boote „verteut“, Apostrophen wild gesetzt, der Name eines Protagonisten vertauscht und von einer Seite auf die andere geändert. Dabei spreche ich noch gar nicht von den Kommafehlern, eigenwillig geführten wörtlichen Reden, schiefen Bilder, fehlerhaften Groß- und Kleinschreibungen (siehe erste Dialogbeispiel) und sonstigen Fehlern, die sich haufenweise im Buch finden. Eine genauere Schlusskorrektur wäre hier von höchster Dringlichkeit gewesen, erfolgte sie doch meines laienhaften Leserblicks nach höchst unzureichend. Spätestens für die nächste Auflage des Buchs wäre sie mehr als angebracht.

Fazit

Diese Schludrigkeiten sind leider wirklich ärgerlich, mindern sie den Gesamteindruck des Buchs, das ansonsten von allen sprachlichen Fehlern und Schwankungen abgesehen durchaus eine konsumierbare Lektüre ist. Für die zweite Auflage des Buchs wäre es wünschenswert, in Sachen Lektorat noch einmal nachzubessern. Begrüßenswert wäre es, wenn dann die innere Sorgfalt der äußeren entspräche. Denn als Teil des ersten Programms der Kröner Edition Klöpfer ist das Buch ausnehmend schön gestaltet und in bibliophiler Hinsicht eine echte Zierde. Mehr Infos zum ersten Programm es Verlags gibt es hier.

Zwei ganz andere Meinungen zu Herbarium giftgrün gibt es beim Blog Aus-Erlesen und bei Esthers Bücher.


  • Gert Ueding – Herbarium giftgrün
  • ISBN 978-3-520-75301-4 (Kröner Edition Klöpfer)
  • 340 Seiten. Preis: 24,00 €
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