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Vom Werden und Vergehen

Zeit für einen echten Klassiker in der Buch-Haltung: Giuseppe Tomasi di Lampedusas Der Leopard, in einer Neuübersetzung von Burkhart Kroeber. Ein Meilenstein der italienischen Literatur und auch über 50 Jahre nach seinem Erscheinen immer noch mehr als lesenswert.

Wir schreiben das Jahr 1860. In Italien regiert König Vittorio Emmanuele II.. In ganz Italien? Nein, die Macht des Königs bröckelt zusehends, denn die Truppen Garibaldis blasen zum Kampf auf die Monarchie. Die von Garibaldi angezettelten Unabhängigkeitskriege haben die Einheit Italiens zum Ziel. Denn noch ist Italien in einzelne Provinzen aufgesplittert. Im Norden bekommt man wenig vom Süden mit – und umgekehrt. Neapel und Sizilien sind eine eigenständige Provinz, die von Fürsten als Abgesandte des Königs verwaltet werden. So auch die Insel Salina, die dem König untersteht und die von Don Fabrizio Corbera, dem Prinz von Salina, verwaltet wird.

Don Fabrizio Corbera, der Leopard

Dieser lebt in mit seiner Familie in einem verwinkelten Palast auf der Insel. Seine Frau, seine drei Töchter, der verhätschelte Neffe Tancredi – alle haben Platz in dem hochherrschaftlichen Anwesen. Neben dem Hauptsitz der Familie gibt es auch noch ein weiteres Sommerdomizil im ländlichen Donnafuggata. Und überall prangt der Leopard als Insigne des Herrschers von Salina.

Doch ebenso wie die königliche Herrschaft über den Stiefelabsatz Italiens bröckelt, so schwindet auch die Kraft und die Macht des Leoparden. Garibaldis Truppen landen in Sizilien an und beginnen ihre Eroberungsfeldzüge, die später unter dem Begriff Risorgimento zusammengefasst werden sollten. Das Land ist im Umbruch, die alte Ständeordnung verliert zusehends an Bedeutung. Der Leopard kann sich damit nicht wirklich anfreunden. Er gibt lieber Bälle, geht auf die Jagd, besucht Laufhäuser in Palermo und pflegt den Lebensstil seiner Ahnen.

Ganz anders da sein Neffe Tancredi. Er sympathisiert mit den Truppen Garibaldis und wird Kämpfer in ihren Reihen. Auch sucht er das Glück in der Liaison mit der Tochter des Bürgermeisters von Donnafugata. Don Fabrizio sieht hier die neue Zeit heraufdämmern, in der wendige Menschen wie sein geliebter Neffe ihren Platz finden. Doch die Zeit des Leoparden, sie geht zuende, woran wir als Leser teilhaben.

Giuseppe Tomasi di Lampedusas Buch ist ein Werk, das vom Werden und Vergehen kündet. Meisterhaft fängt er die alte, zerbröckelnde Welt der Monarchie ein. Symbolhaft der Palast des Leoparden, der langsam so zerfällt, wie es die royale italienische Welt auch tut. In der Gestalt des Tancredi stellt er zugleich einen wendigen und anpassungsfähigen Mann dem Leoparden gegenüber, der sich die Zukunft untertan macht.

Aus dieser Dichotomie zieht der Roman einen großen Reiz. Aber nicht nur in dieser Gegenüberstellung ist Der Leopard sehr präzise. Auch in der Darstellung der höfischen Welt, den Ritualen und des Alltags im Hause Salina ist Di Lampedusa ausnehmend detailfreudig. Förmlich meint man selbst mit dem Leopard durch Palermo und die Berghänge Siziliens zu streifen. Der auktoriale Erzähler führt kundig durch die Handlung und auch einige Vorgriffe in der Zeit (Sergej Eisenstein, Flugzeuge, etc.) hat di Lampedusa eingearbeitet.

Eine hervorragende Neuübersetzung

Die Qualität dieses Romans ist völlig offensichtlich- Di Lampedusa zeigt im Kleinen, wie sich die großen Machtverhältnisse ändern und umgekehrt. Besonders erhellend ist neben der fraglosen Klasse des Werks auch die Neuübersetzung und das Nachwort Burkhart Kroebers. In diesem schildert er die Motivation seiner Übersetzung (schließlich liegen schon zwei Übersetzungen durch Charlotte Birnbaum und Giò Waeckerlin Induni vor). Seine Bemühungen, die verschiedenen Sprachebenen und damit die ganze literarische Klasse des Werks zugänglich zu machen, sind absolut gelungen.

Fürderhin wird diese Übersetzung als Referenz gelten, davon bin ich überzeugt. Auch ist der Blick in die Übersetzerwerkstatt wirklich erhellend. Die Probleme bei einem Text, dessen Verfasser schon vor dem Erscheinen seines Werks verstorben ist, macht Kroeber nachvollziehbar deutlich. So schildert er die Schwierigkeiten des richtigen Titels (eigentlich wäre der titelgebende Gattopardo eher ein Pardellkatze oder ein Ozelot, oder wortspielerisch übertragen gar ein Katzopard). Er erzählt von Recherchen über schmerzensreiche und glorreiche Mysterien und dergleichen mehr.

Dieses Nachwort zu lesen ist eine wahre Freude und macht klar, welche Aufgabe die Neuübersetzung eines Klassikers bedeuten kann. Ein literarischer Diamant, der durch die Übersetzung Burkhart Kroebers wieder einen neuen Schliff und damit wirkliche Brillanz erhalten hat.

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Donna Tartt – Der Distelfink

Die Kunst eines Lebens

Was für ein Buch. Über 1000 Seiten, ein Leben voller Kunst, Gefahr, ein Porträt Amerikas, eine Einführung in die Kunst des Goldenen Zeitalters der Niederlande, und nicht zuletzt die sogvolle Schilderung eines kriminellen Lebens und einer Spirale, der sich niemand entziehen kann.

Kurzum: ein Roman, der seinesgleichen sucht.
Geschrieben hat ihn Donna Tartt, die sich für ihre Bücher in der Regel ein Jahrzehnt Zeit lässt. Ohne Druck entstehen dabei Epen, die im Literaturbetrieb etwas ganz besonderes sind. 1992 debütierte sie mit dem Roman Die geheime Geschichte, 2002 ließ sie Der kleine Freund folgen, ehe nun 2013 Der Distelfink erschien.

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Peter Høeg – Der Susan Effekt

The Great Danish Family

Susan Svendsen ist eine mehr als ungewöhnliche Frau: sie ist Experimental-Physikerin, hat eine Vorliebe für das physikalisch korrekte Kochen und Backen und spielt die Hauptrolle in Peter Høegs neuem Roman Der Susan-Effekt.
http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/der-susan-effekt/978-3-446-24904-2/
Nach seinem Welterfolg Fräulein Smillas Gespür für Schnee handelt es sich nun bei seinem neuen Roman wieder um eine Mischung aus Thriller und philosophischem Roman, der eine starke Frauenfigur in den Fokus stellt. Der titelgebende Susan-Effekt wurde dabei von Susans wissenschaftlicher Ziehmutter Andrea Fink entdeckt, die erstmals ein Phänomen klassifizierte, das Susan umgibt: sämtliche Menschen in Susans Umgebung geben im Gespräch mit ihr nämlich das Innerste preis, ähnlich wie bei einem Wahrheitsserum. Und dieser Effekt ist es auch, der die Dänische Regierung brennend interessiert, da er Susan für eine ganz bestimmte Mission prädestiniert. Sie soll sich auf die Suche nach verschwundenen Dokumenten der sogenannten Zukunftskommission machen. Wie Susan langsam herauszufinden beginnt, hat diese Kommission nämlich vor Jahrzehnten zahllose Prognosen und Vorhersagen gemacht, die nahezu komplett so eintraten. Doch während Susan mit Hilfe ihrer hochkriminellen Great Danish Familiy den Dokumenten und Mitgliedern auf die Spur zu kommen versucht, sterben die Mitglieder der Zukunftskommission hintereinander.
Peter Høeg hat einen Roman geschrieben, der Elemente eines Thrillers mit physikalischen Erklärungen und philosophischen Betrachtungen paart. Seine Heldin Susan Svendsen ist dabei eine Alleskönnerin, die mit dem Kuhfuß in ihrer Tasche genauso umzugehen weiß wie mit Männern oder kalibrierten Herden.
Diese fast übermenschlich anmutendende Heldin strapaziert mit ihren ellelangen Ausführungen zu physikalischen Phänomenen und Ähnlichem die Geduld des Leser das ein um das andere Mal. Dann gibt es aber auch wieder Passagen, die zum Nachdenken anregen oder innehalten lassen.
Realismus ist Peter Høegs Sache aber nicht: was Susan angeht, das gelingt ihr. Sie entgeht professionellen Killern, schafft es, im Getriebe der Macht zu bestehen und sogar die Croissants im Backofen gehen bei ihr auf. Glaubwürdig ist an Der Susan-Effekt nahezu nichts.
Das Showdown-Ende in bester James-Bond-Manier lässt den Roman, der Potential zu etwas Ungewöhnlichem gehabt hätte, leider dann doch sehr konventional und fast ein wenig enttäuschend enden.
Generell liegt das Problem des Buchs in seinem Bogen, den Høeg zunächst sehr groß anlegt (die Zukunftskommission, Morde an den Mitgliedern, die Lebensgeschichte von Susans Familie, die Leichen im Keller der dänischen Politik, etc.), dann aber nicht konsequent auserzählt. Stränge laufen ins Leere und für den Budenzauber, den er betreibt, endet das Ganze dann höchst profan.
Ein Lob an dieser Stelle gebührt der Lesung durch Sandra Schwittau. Die ungekürzte Lesung wird von der Schauspielerin mit Nüchternheit, manchmal auch sanfter Ironie oder knallharter Strenge vorgetragen. Sie verleiht Susan Svendsen eine schroffe, markante Stimme. Eine gute Wahl für das neun CDs und über elf Stunden umfassende Werk des dänischen Starautoren!

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