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Markus Thielemann – Von Norden rollt ein Donner

Es ist ein Thema, das gerade in ländlichen Gegenden sehr polarisiert: die Rückkehr des Wolfs. Die bayerische Staatsregierung erließ beispielsweise medienwirksam eine neue Wolfsverordnung zum Abschuss der Beutegreifer (die sie dann wieder wegen Formmängeln wenig später nicht ganz so medienwirksam wieder einkassieren musste), Diskussionsgruppen laufen heiß, wenn in der Nähe eine Wolfssichtung vermeldet wird. Auch Markus Thielemann behandelt dieses Thema in seinem Roman Von Norden rollt ein Donner. Doch nicht nur dieses Thema schwingt in seinem vielschichtigen Roman mit – vom Mythos der Lüneburger Heide bis hin zur Verwurzelung neurechten Gedankenguts in der Provinz reicht der erzählerische Bogen seines Romans.


Pittoreske Szenen sind es, die sich den Ausflüglern in der Lüneburger Heide bieten. Eine Schafherde, dazu Herdenhunde und ein junger Schäfer, der mit einem Stock ausgestattet die Schafe über die Heide treibt und so einen wichtigen Beitrag zum Schutz und Erhalt dieser Kulturlandschaft leistet. Doch ganz so heiter-bukolisch ist dieser Anblick nicht, wie Thielemann in seinem Roman zeigt, mit dem er sich – so tief wie er sich in das Thema eingearbeitet hat – glatt als Landschreiber der Region beweisen könnte.

Denn Jannes, so der Name des jungen Schäfers, hat mit Problemen zu kämpfen, wie eigentlich seine ganze Familie, die seit Generationen in der Heide verwurzelt ist und dort eine Schafzucht betreibt. Die Sichtungen des Wolfs auf dem nahegelegenen Truppenübungsplatz sind dabei nur eine Facette des Bündels an Problemen. Der Großvater beäugt die jüngeren Generationen mit Argusaugen, die Großmutter ist dement und fristet ihr Dasein in einem Altersheim.

Auch Jannes Vater plagen neurologische Probleme, diese werden aber von der Familie ausgeschwiegen und Termine beim Arzt ausgesessen. Und Jannes kapselt sich zunehmend von seinen Freunden ab, besonders, nachdem er bei der Halloweenfeier auf einem nahegelegenen Hof fast so etwas wie eine Psychose hatte und immer wieder eine Frau sieht, die die über die Heide und die Wälder streift. Halluzination oder Manifestation eines neurologischen Defekts, der sich durch die Generationen zieht?

Probleme auf der Heide

Da verbessert ein Fernsehdreh des NDR nicht unbedingt die Lage, auch wenn der Vater darin seine Chance sieht, vor der Gefahr des Wolfs zu warnen. Während sich der Vater in seine Angst vor dem Wolf immer weiter hineinsteigert, sind es Vision der geheimnisvollen Frau, die Janne stetig peinigen und deren Geheimnis er im Lauf des Romans langsam ergründet.

Markus Thielemann - Von Norden rollt ein Donner (Cover)

Denn die Vergangenheit wirkt auch in Von Norden rollt ein Donner noch höchst lebendig in die Gegenwart hinein. Zwischen NATO-Übungsplatz, Rheinmetall-Schmiede und dem ehemaligen KZ-Außenlager Bergen Belsen taucht Jannes in die Geschichte der Heide und der eigenen Familie ein. Dies verbindet er mit lokalen Schauergeschichten wie der der Roggenmuhme und schafft dann auch noch Anschluss an die Diskurse der Gegenwart.

Obschon der Roman in den Jahren 2013/14 angesiedelt ist und die deutsche Fußballnationalmannschaft mit ihrem Sieg bei der WM das Land in einen patriotischen Freudentaumel stürzt, zeichnet sich bei Markus Thielemann in diese Freude über das eigene Land bereits der Anfang einer subkutane Verschiebung des Heimatbegriffs ab. Eine Verschiebung, deren Ausmaß nun nach der Europawahl und kurz vor den Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern in diesem Land immer stärker zutage tritt. Bei Thielemann dräut diese Veränderung in Form des Nachbars Karl Röder , der sich in der Südheide in unmittelbarer Nachbarschaft zu Jannes´ Familie niedergelassen hat und der das Thema der Bewahrung der Heimat ganz eigen interpretiert.

Von der Bewahrung der Heimat

Dessen traditionell gekleidete Familie, der Hof mit der wehenden Deutschlandflagge und der Schützenscheibe über der Tür sowie der omnipräsenten Wolfsangel gibt hier schon einen Eindruck jener völkischen Siedlungsbewegung, die an unterschiedlichen Stellen im Land in den Folgejahren immer unverhohlener auftreten sollte.

Wenn Röder sein Gedankengut äußert, dann ist man sich an vielen Stellen unsicher, ob man hier noch Tiraden über den Wolf liest oder ob dieser schon längst zur Chiffre für alles Fremde geworden ist, das hier abgelehnt wird. Liest man im folgenden Jahr durch die Fluchtbewegungen verstärkt wurde und für den Auftrieb der im Buch als „Professorenpartei“ auftauchenden politischen Neugründung sorgen sollte. Das Aufstieg des Wutbürgertums und die Radikalisierung von Sprache und Handeln, sie schwingt in Von Norden rollt ein Donner mit.

„Tja“, sagt Wilhelm und setzt sich seinen Gut auf. „Hab nicht schießen gelernt, damit ich dumm zugucke, wenn die Viecher sich hier frei bedienen an meinem Vieh.“

„Seh ich ganz genauso, Herr Volker“, sagt Röder. „Ganz genauso. Sie lassen einem keine Wahl mehr: Wenn man sich auf keinen verlassen kann, muss man die Dinge selbst in die Hand nehmen. So wird’s gemacht.“

„Tse. Ist doch eh gleich. Wenn man schon dafür bestraft wird, dass man sich selbst verteidigt in diesem Land, dann geht eh alles den Bach runter. Sollen die alle machen, was sie wollen. Ich mach’s anders. Früher hätte man über so was gar nicht diskutiert. Da wär man direkt los.“

„Und der größte Witz ist doch, dass man sich am Ende gegen das verteidigen muss, was uns die Politik erst eingeschleppt hat. In vollem Wissen und in voller Absicht hat man sich den Wolf nach Deutschland geholt“, sagt Röder. „Aber wir sollen bloß alle schön brav bleiben. Bloß alles abnicken. Und dann wundern die sich, wenn es am Ende knallt.“

„Und knallen wird’s, das glaubt man.“ sagt Wilhelm, dreht sich um und tritt ab.

Markus Thielemann – Von Norden rollt ein Donner. S. 251 f.

Ein eminent politischer Roman

Nicht nur in solchen Passagen ist Von Norden rollt ein Donner auch ein eminent politischer Roman. In Zeiten des Erstarkens neurechter Kräfte und Bauernproteste, deren Wut ebenjene Kräfte auch gerne schürten, kommt Thielemanns Buchs fast so etwas wie eine Erklärung, zumindest eine Beschau von deren Ursprüngen zu. Mit unterschiedlichen Motiven gearbeitet betrachtet Thielemann so zudem die Kipppunkt von Patriotismus hin zu Geschichtsvergessenheit, von Naturliebe und Herdenschutz hin zu bedenklichen Formen des Bewahrung einer eigenen Identität und eine Ablehnung des Fremden.

Über die Problematik des Wolfs in der Landwirtschaft informiert und den Umgang mit der Thematik informiert Thielemanns Roman ebenso gut wie der Roman die Anfänge neurechter Siedlerbewegungen behandelt, die keineswegs nur auf den Osten beschränkt sind, auch wenn in Diskussionen gerne dieser Eindruck erweckt wird. Seine Geschichte erzählt Markus Thielemann in einem präzisen Tonfall, der für die raue Natur der Heide ebenso ein sprachliches Register einfängt wie für die Visionen in Jannes Kopf oder die kargen Dialoge, mit denen die Familie miteinander in Kontakt tritt.

Fazit

Von Norden rollt ein Donner ist ein vielschichtiges, aktuelles Buch, das hinter die Fassade der vermeintlich so idyllischen Lüneburger Heide und des Schäfergeschäfts blickt. Thielemann gelingt politischer Roman, der eine Familie in den Mittelpunkt rückt, zu deren Stärken nicht unbedingt die Kommunikation zählt, sondern die Verdrängung der Vergangenheit schon besser funktioniert. Vom fragilen Gleichgewicht der Natur und des Miteinanders, dem Spuk in Geschichte und Geist erzählt handelt sein Buch, bei dem die Vergangenheit immer noch in die Gegenwart hineinwirkt. Eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis wäre für diesen Roman durchaus gerechtfertigt.


  • Markus Thielemann – Von Norden rollt ein Donner
  • ISBN 978-3-406-82247-6 (C. H. Beck)
  • 287 Seiten. Preis: 23,00 €
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Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind

Wo ist die Literatur, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt? Das fragte sich Bernd Ulrich im vergangenen Jahr und beklagte im Feuilleton der Zeit, dass uns die Literatur in Zeiten der ökologischen Krise alleine lasse. Dass diese Klage ziemlicher Unfug ist, zeigt ja schon die Fülle an Büchern, die den Klimawandel und dessen Folgen für unser Zusammenleben thematisieren.

Das reicht von „gehobener“ Literatur wie etwa Roman Ehrlichs Malé, Jonathan Franzens Freiheit oder John von Düffels Der brennende See über das Gebiet der Lyrik (hier wäre beispielsweise Marion Poschmann eine Autorin, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt) bis hin zur Genreliteratur. Egal ob Wolf Harlanders 42 Grad, Uwe Laubs Dürre oder Dirk Rossmann mit seinen Oktopus-Thrillern – Literatur, in der der Klimawandel und seine Folgen präsent sind, gibt es en masse – und massentauglich ist sie noch dazu.


Das Feld der Klimawandel-Literatur ist ein weites, das qualitativ und in Sachen Anspruch viele unterschiedliche Schattierungen aufweist. Neben den eingangs genannten Namen gibte s ja auch noch viele weitere Titel, die auf breites Interesse stoßen und vielfach rezipiert werden. Maja Lunde wäre hier ein Name, die mit ihrem Klimaquartett zeigt, dass sich ökonomischer Erfolg und ökologischer Anspruch in der Themenwahl überhaupt nicht ausschließen, sondern breit nachgefragt werden. Der erste Teil ihres Klimaquartetts Die Geschichte der Bienen war schließlich das meistverkaufte Buch des Jahres 2017, das geschickt Unterhaltung mit einer Botschaft verband.

Auch die 1988 geborene Autorin Charlotte McConaghy ist eine Autorin, die die These von der Ignoranz des Klimawandels durch die Literatur erheblich zum Wanken bringt. Ihr Debüt Zugvögel war vor zwei Jahren ein großer Überraschungshit, der nicht nur hierzulande viele Leser*innen begeisterte, sondern auch in vielen anderen Ländern große Erfolge erzielte und in den Bestsellercharts weit nach oben kletterte.

Wölfe in Schottland

Nun ist sie zurück und legt mit Wo die Wölfe sind ihren zweiten Roman vor. Spielte ihr Debüt in einer nahen dystopischen Zukunft, in der die Vögel nahezu vollkommen verschwunden war, ist ihr neues Setting deutlich konkreter in der Gegenwart verhaftet, genauer gesagt in den unwegsamen Highlands von Schottland.

Charlotte McConaghy - Wo die Wölfe sind (Cover)

Dort lebten einst die Wölfe, wie der Originaltitel im Präteritum erklärt. Dass aus dieser Vergangenheit wieder ein gegenwärtiger Zustand wird, wie ihn der deutsche Titel andeutet, dafür will Inti Flynn sorgen. Sie ist wie ähnlich wie Charlotte McConaghys Debütheldin Franny Stone eine kantige und sozial nicht immer ganz trittfeste Frau, die sich mit Leib und Leben dem Schutz der bedrohten Tierarten verschrieben hat.

Für ein Umweltschutzprojekt wollen Inti und ihre Mitstreiter Wolfsrudel in den Highlands ansiedeln. Ein Projekt, das auf den Erfahrungen aus einem Projekt im Yellowstone-Nationalpark basiert. Dort wurden Wolfsrudel freigelassen, die für eine Renaturierung der ganzen Umgebung sorgten, dezimierten sie doch die Wildherden, was wiederum für gesunde Herdengrößen und weniger Verbiss im Park sorgte, was schließlich Flora und Fauna merklich guttat.

Eine widerständige Heldin

So soll es jetzt auch im schottischen Hinterland laufen, wie sich die Projektverantwortlichen ausgerechnet haben. Gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung, die um ihre Schafherden und die eigene Sicherheit fürchtet, lassen Inti und ihre Mitstreiter die Wölfe unter permanentem Monitoring frei.

Während sich die Wölfe nun in der kargen Umgebung zurechtfinden, ihr neues Leben beginnen und in den Rudeln die sozialen Ordnungen festlegen, brodelt die Stimmung im Dorf, insbesondere, als es zu den ersten toten Tieren und einem gelynchten Wolf kommt. Nicht einfacher wird die Lage durch Intis Affäre mit dem lokalen Polizeichef und die Tatsache, dass sie einen toten Farmer verscharrt hat, der zu Gewalt neigte und dessen Leiche Spuren von Wölfen aufweist. Würde dieser Umstand publik, wäre das Projekt vorzeitig gescheitert, weshalb Inti schroff und abweisend alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um am Projekt festhalten zu können.

Nature Writing und Krimi

In der Folge wechselt Charlotte McConaghys Roman zwischen Nature Writing und Krimiermittlungen, während in Inti ihr Kind heranwächst und die Dorfbevölkerung zunehmend aggresiv gegen die Biolog*innen und Forscher*innen rebelliert. Auch die Fragilität unseres Ökosystems und der Kampf um dessen Bewahrung sind Themen, die sich durch Wo die Wölfe sind ziehen.

Dabei gelingt McConaghy einmal mehr ein fesselndes Buch, das die mit seinen Schilderungen des Soziallebens der Wölfe ebenso überzeugt wie mit Rätselraten über die Hintergründe des Todes des Farmers. Inty ist eine widerborstige und doch sympathische Heldin, die im Zusammenleben mit anderen Menschen zu wenig Diplomatie und viel Vehemenz neigt, wenn es um ihr Anliegen der Wiederansiedelung der Wölfe geht.

Zudem katapultiert sich die Autorin mit dem Beginn ihres Buchs auf einen der ausichtsreichsten Plätze, was den besten ersten Satz des Jahres angeht:

Wir waren acht Jahre alt, da schnitt mein Vater mich auf, von der Kehle bis zum Bauch.

Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind, S. 9

Fazit

Zwischen krimitypischen Ermittlungen, Familiengeheimnissen, Wolfsrudeln und unwegsamer Natur sortiert sich dieses Buch ein, das abermals ein echter Pageturner ist, der die Fragen des Klimawandels und Möglichkeiten, diesem entgegenzuwirken, ebenso mitreißend wie engagiert verhandelt. Mit Wo die Wölfe sind beweist Charlotte McConaghy, das sich Anspruch, Massenkompatibiltät und solides Erzählhandwerk nicht ausschließen müssen und straft alle Debatten um mangelnde Repräsentation des Ökologischen und des Klimawandels in der Literatur Lügen. Da verzeiht man ihr sogar den einen Kitschausrutscher ganz am Ende des Romans.

Weitere Meinungen zu Wo die Wölfe sind gibt es unter anderem bei Constanze Matthes und Eulenmatz.


  • Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind
  • Aus dem Englischen von Tanja Handels
  • ISBN 978-3-10-397100-2 (S. Fischer)
  • 432 Seiten. Preis: 22,00 €
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Roland Schimmelpfennig – An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Vertane Wolfs-Chance

„An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts überquerte ein einzelner Wolf kurz nach Sonnenaufgang den zugefrorenen Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen.“

Schimmelpfennig, Roland: An einem klaren, eiskalten Januarmorgen (…), S. 5

Was für ein Auftaktsatz, der den ersten Roman des deutschen Dramatikers Roland Schimmelpfennig (der meistgespielte deutsche Theaterautor, wie der Klappentext stolz kündet) einleitet. Man denkt an Musils Mann ohne Eigenschaften: „Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen.“

Eiskalt

Ein großartiger erster Satz aus der Feder Schimmelpfennigs, der damit schon ein Gefälle einstellt, auf dem alles, was danach folgt, hinunter rutscht. Der Debütant erzählt von eben jenem Wolf, der als Leitmotiv durch das Buch streift und unaufhaltsam auf Berlin zuhält. Immer wieder kreuzen Menschen den Weg des Wolfs und werden mit dem Schicksal des Raubtiers verknüpft. Diese Menschen sind Ausreißer, Späti-Besitzer oder Zeitungsvolontäre, die alle in diesem Wolf etwas anderes sehen. Doch leider lässt Schimmelpfennig seinen verschiedenen Charakteren, die immer wieder im Buch auftauchen, wenig mehr als ihre Berufe. Namen hält der Autor so gut wie immer für überbewertet, was dazu führt, dass das Ausreißerpärchen meistens nur als der Junge und das Mädchen tituliert wird. Es erfordert Aufmerksamkeit vom Leser, die verschiedenen Lebens- und Erzählstränge auseinander zuhalten, da Schimmelpfennig neben der minimalen Namensgebung auch auf so etwas wie Biographien hinter den Namen verzichtet und so keinerlei Tiefenwirkung erzielt. Ein weiteres Ärgernis, das ich bei einem Dramatiker eines Ranges von Roland Schimmelpfennig so niemals erwartet hätte, ist auch die Lustlosigkeit und Banalität der Dialoge. Jeder spricht mit jedem gleich, kein Soziolekt, keine Charakterisierung durch das gesprochene Wort – nichts.

Dies ist ärgerlich, da sich An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts wie ein einziges Fest der Klischees liest. Natürlich stammt das Ausreißerpärchen aus verschiedenen Welten (da der Vater des Jungen als Alkoholiker und Psychatrieinsasse, dort die Mutter des Mädchens als Bauhaus-Villa-Bewohnerin), natürlich arbeitet der Pole auf dem Bau und seine Frau putzt Wohnungen, natürlich hat der Vater der türkischstämmigen Zeitungsvolontärin einen Dönerimbiss am Kottbusser Tor. Munter reiht Schimmelpfennig Klischee an Klischee und auch zu Berlin fällt ihm nichts Neues ein. Mehr als eine Revue von Ortsnamen und Banalitäten ist das Ganze leider nicht (die Gentrifizierung greift in der Bundeshauptstadt um sich? Welch hellsichtige Analyse). So liest man das Buch merkwürdig distanziert und wird von nichts wirklich berührt. Was die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse zur Nominierung dieses Titels bewogen hat, bleibt auch nach der Lektüre mehr als schleierhaft. Eine wahrhaft vertane Wolfs-Chance, trotz all des Potentials, das die Erzählung geboten hätte!

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Elisabeth Herrmann – Der Schneegänger

Sanelas zweiter Einsatz

Der Schneegaenger -Elisabeth Herrmann

Der Schneegänger -Elisabeth Herrmann

Nachdem sie ihren letzten Einsatz im Dorf der Mörder nur knapp überlebt hat, will Sanela Beara eigentlich nichts mehr mit dem Streifendienst zu tun haben. Stattdessen büffelt sie lieber kräftig, um ihr Polizisten-Studium gut über die Bühne zu bringen. Doch trotz aller Ambitionen hat sie nicht die Rechnung mit dem KHK Lutz Gehring gemacht, der bei einem schwierigen Fall auf Sanelas Hilfe angewiesen ist. Ein Jäger hat in einem Waldstück die verscharrte Leiche eines kleinen Jungen gefunden. Eben dieser Junge wurde vor vier Jahren und entführt und trotz aller Ermittlungen konnte die Polizeidamals kein Lebenszeichen des Jungen geschweige denn Informationen über die Entführer ermitteln. Nun bietet sich für Gehring  die Möglichkeit, den Cold Case aufzuklären, indem er auf die Hilfe von Sanela Beara zurückgreift, denn diese verbindet mit dem Jungen die kroatischen Wurzeln.

Gegen den Willen von Gehring beschließt Sanela sich undercover in das Haus einzuschleusen, in dem der Junge mit seiner Mutter wohnte. Denn offensichtlich lauern hinter der Fassade der Prachtvilla dunkle Geheimnisse, die die Familie des Opfers und die Besitzer der Villa lebten. Schon bald gleichen Sanelas Ermittlungen einem Drahtseilakt.

Eine unangepasste Ermittlerin

Mit Sanela Beara hat Elisabeth Herrmann neben ihrem Anwalt Joachim Vernau eine zweite große Figur geschaffen, die die Leser für sich einnimmt. Mit ihrem unangepassten Wesen, mit dem sie nicht nur den Kriminalhauptkommissar Gehring immer wieder auf die Palme bringt, bleibt sie im Gedächtnis der Leser.

Erreicht nicht die Klasse des Vorgängers

Leider muss ich konstatieren, dass Der Schneegänger mitnichten so packend gelungen ist wie Sanelas erster Fall Das Dorf der Mörder. Zwar vermag es Elisabeth Herrmann auch in diesem neuen Buch wieder gekonnt, Atmosphäre zu schaffen, leider trägt der Handlungsbogen nicht über die Dauer des Buches. Einige Längen haben sich in das Buch eingeschlichen – und auch an die Originalität von Das Dorf der Mörder reicht der Fall nicht heran. Stattdessen meinte ich eher des Öfteren eine bräsige Folge von Der Alte oder Der Kommissar zu lesen, als die beiden Polizisten in der Reichen-Villa ermittelten. Die Motive und Charaktere sind für meinen Geschmack leider zu stereotyp geraten (der geheimnisvolle Wolfsforscher, der abgefeimte reiche Villenbesitzer, der verschlagen-manipulatorische Zögling, etc.) und so bleibt mir nur die Hoffnung dass es bei Sanelas drittem Einsatz wieder bergauf geht!
Wer dem Roman (der trotz aller Mängel immer noch besser als die andere kriminelle Dutzendware ist) eine Chance geben möchte, erhält hier noch einen kleinen Teaser: Die Autorin Elisabeth Herrmann schildert höchstselbst den Plot von Der Schneegänger und gibt Einblicke in das Buch.

Viel Spaß beim Schauen und bei der Lektüre des Buches wünsche ich!

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