Monthly Archives: Februar 2020

Blogbuster – Auf zu Runde 2

Vor einiger Zeit berichtete ich an dieser Stelle über meine Jurytätigkeit beim Blogbusterpreis 2020. Nachdem ich in der ersten Runde nicht fündig wurde und keines der Manuskripte so überzeugend fand, um mit ihm ins Rennen um den Preis zu gehen, wagte ich den Sprung in den Manuskripte-Pool. In diesen Pool legten die anderen Blogger*innen Manuskripte ab, die sie für vielversprechend hielten, für die sie sich sellbst aber nicht entschieden hatten. Und in diesem Pool wurde ich nun auch schlussendlich fündig.

Drei Manuskripte waren es, die meine Neugier weckten und die ich zur vollständigen Lektüre anforderte. Dabei war die stilistische und inhaltliche Breite wirklich erstaunlich. Hier ein paar ausführlichere Worte zu meinen Entdeckungen.

Tina Ger – Berlin City Blues

Eine alte Bekannte in Sachen Blogbuster ist Tina Ger. Die Autorin landete schon vor zwei Jahren auf der Longlist des Blogbuster. Damals hatte sich Uwe alias Kaffeehaussitzer für ein Manuskript der in Los Angeles lebenden Autorin entschieden. Auch ich habe im Manuskripte-Pool einen Text von Tina entdeckt und zwar Berlin City Blues. Darin entführt Tina Ger uns Leser*innen ins West-Berlin der 80er Jahre. Ihre zwei Helden bekommen es im Roman mit einer Mordserie zu tun, die sowohl der Polizei als auch der Berliner Unterwelt schlaflose Nächte bereitet. Als Vergleichstitel für ihren Roman nennt Tina Ger selbst Bücher wie etwas Clemens Meyers Im Stein oder Als wir träumten. Obwohl damals noch nicht geboren, hat mir die Autorin ein Gefühl davon gegeben, wie es gewesen sein muss, in der alten BRD, als plötzlich in ganz West-Berlin Leichen auftauchten und die Unterwelt noch etwas anders funktionierte als heute.

Andrea Dennemann – Rosario

Einen ganz anderen Tonfall machte ich in der Leseprobe zu Rosario aus. Hier steht ein Bahnwärter im Mittelpunkt, der im italienischen Hinterland der 50er Jahre seinen Dienst versieht. Dieser Rosario Giuseppe Castino geht seinem recht unspektakulären Broterwerb nach, bis die Liebe und eine Kündigung sein Leben durcheinanderwirbeln und es ihn nach Rom verschlägt. Die Autorin Andrea Dennemann selbst nennt im Exposé ihren Roman „leise“ und „poetisch“ – und so ruhig lesen sich auch die ersten Seiten, die Rosarios Leben beschreiben.

Ein Entwicklungsroman im Stile von Pablo d’Ors Die Wanderjahre des August Zollinger, irgendwo zwischen Giuseppe Tornatore und Bahnwärter Thiel.

Yannick Dreßen – Verdichtet

Der Dritte im Bunde ist Yannick Dreßen. Wer sich für Literaturblogs interessiert, könnte vielleicht schon einmal seinen gleichnamigen Blog besucht haben. Auf dem Blog erzählt Dreßen von seinen letzten Lektüren und den entsprechenden Urteilen. Unter dem Reiter Bücherei finden sich auch seine Prosaveröffentlichungen. Eine noch nicht veröffentlichte Arbeit ist sein Roman Verdichtet. In diesem Buch steht der Schriftsteller Friedrich im Mittelpunkt. Eigentlich hat er alles: Erfolg, Familie, Glück. Doch dann erwacht er plötzlich in einer anderen Realität, in der Friedrich Insasse einer Heilanstalt ist. Man eröffnet ihm, dass seine Frau und seine Tochter nicht mehr leben. Doch welche der beiden Welten ist die wahre ? Ein Spiel um Schein und Sein beginnt, bei der ich schon bald nicht mehr sicher war, in welcher Welt der Dichter nun lebt.

Fazit

Das sind die drei Manuskripte, die ich las und für die ich mich bei allen drei Autor*innen von Herzen bedanken möchte. Eine derartige Vielfalt zu entdecken, das hat mir große Freude bereitet.

Wofür hättet ihr euch entschieden? Was spricht euch an? Und was eher nicht?


Ein Wort an dieser Stelle noch zur Kritik, die ich für den vorhergehenden Artikel erhielt: ja, ich zitierte nur Negativbeispiele in meinem Artikel (womit ich nicht hoffe, das Selbstbewusstsein der Autor*innen in ungebührlichem Maße verletzt zu haben, aber deshalb wählte ich ja auch nur einzelne, nicht zuordenbare Zitate). Nach wie vor halte ich dieses Vorgehen für geboten, um deutlich zu belegen, warum in dieser ersten Auswahlrunde nichts für mich dabei war. Persönliche Kritik liegt mir fern und auch eine verletzende Sezierung der einzelnen Leseproben möchte ich (im Gegensatz zu anderen) nicht. Im Gegenteil, wie schon erfolgt, stehe ich auch für privates Feedback der Teilnehmer*innen zu Verfügung, solange dies meine Zeitkapazitäten nicht sprengt. Der Respekt vor der Arbeit, die in den Manuskripten steckt, ist groß. Aber manchmal passt das einfach nicht mit einem Manuskript und mir. Wie das auch des Öftern so bei Büchern der Fall ist. Umso schöner, dass ich nun trotzdem noch drei für mich passende Manuskripte entdecken konnte. In Bälde gibt es dann auch meinen favorisierten Text hier zu lesen. Man darf also gespannt sein!

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Roadtrip mit Huhn und Hund

Jasmin Schreiber – Marianengraben

Die Trauer und der Verlust, sie haben ja immer etwas Schweres. In der Behandlung des Themas schwingt zumeist viel Gravitas mit. Bedrückte Mienen, Anteilnahme, gesenkte Stimmen. Der Tod als grausiger Schnitter und Sensenmann, die Beerdigung als Trauerspiel. So war es und so ist es zumeist.

Dass dieses Thema langsam etwas aus der tabuisierten Zone geholt wird, ist vermehrt feststellbar. Bestatter, die Bücher über ihren Broterwerb und ihre Erfahrungen schreiben (zuletzt etwas Eric Wrede in The End, Heyne) oder Forscherinnen, die sich mit dem Tod auseinandersetzen (Sue BlackAlles was bleibt, Dumont) bevölkern neuerdings die Buchlandschaft. Sogar der Tod selbst wird zum Protagonisten und Erzähler, wenn man an eines der erfolgreichsten Jugendbücher der letzten Zeit denkt, nämlich Markus Zusaks Die Bücherdiebin.

Ein Enttabuisierung dieser Themen ist vermehrt zu beobachten – und auch Jasmin Schreiber leistet in ihrem Debütroman Marianengraben einen Beitrag, um den Umgang mit Verlust und Trauer zu normalisieren.

Schreiber arbeitet als ehrenamtliche Sterbebegleiterin und bloggt auch über dieses Thema. Sie beschäftigt sich besonders mit Kindern, die jung sterben, sogenannte Sternenkinder. Daneben veröffentlicht sie literarische Miniaturen auf ihrem Blog La vie vagabonde, wofür sie im Jahr 2018 als Bloggerin des Jahres ausgezeichnet wurde. Viele ihrer Texte berühren und treiben den Lesern Tränen in die Augen, so die Begründung der Jury für die Auszeichnung Schreibers. Eine Aussage, die ich nach der beendeten Lektüre ihres Romans bestätigen kann. Aber der Reihe nach.

Eine Depression, tief wie der Marianengraben

Die Geschichte, die Jasmin Schreiber in ihrem Buch erzählt, ist die von Paula. Eigentlich studiert Paula Biologie und könnte das unbeschwerte Student*innenleben genießen. Doch in Paula herrscht nur Schwere und Trauer. Denn ihr geliebter Bruder Tim ist verstorben. Beim Schwimmen im Urlaub ist er ungekommen – und seitdem ist für Paula nichts mehr wie zuvor. Sie steckt in einer tiefen Depression, so tief wie der Marianengraben, wie sie selbst bemerkt. Denn der Graben ist mit einer Tiefe von über 11.000 Metern ein gutes Symbol ihrer Trauer. Zudem war ihr Bruder ein großer Fan der Meere und ihrer Bewohner – weswegen Paula nun in Erinnerung an ihren Bruder ihren eigenen Marianengraben bewohnt.

Im Lauf des Buchs beginnen wir mit Paula aus diesem Graben aufzusteigen. Allmählich löst sich der Druck, der auf ihr lastet. Dies resultiert aus einer absurd-komischen Begegnung. Denn als Paula nachts auf dem Friedhof einsteigt, um ungestört am Grab ihres Bruders zu trauern, bemerkt sie in unmittelbarer Nachbarschaft einen alten Herren. Dieser müht sich gerade, die Urne einer Frau auszubuddeln. Paula beschließt ihm zu helfen und bildet in der Folge mit Helmut, so der Name des Urnendiebs, ein reichlich ungewöhnliches Tandem. Denn Helmut möchte die Asche von Helga, seiner Exfrau, in den Bergen verstreuen. Paula beschließt, ihm zu helfen, und so begeben sich die beiden auf einen skurrilen Roadtrip. In Helmuts Wohnmobil geht es durch Deutschland gen Berge, und das im Schneckentempo. Zahllose Pinkelpausen, ein Schäferhund namens Judy und ein Huhn namens Lutz inklusive.

Von der Trauer und dem Umgang mit ihr

Wie sich aus meiner kurzen Zusammenfassung der Handlung schon entnehmen lässt, ist es auch die Komik und das Absurde, dem bei Jasmin Schreiber eine große Bedeutung zukommt. Wie im thematisch ähnlich gelagerten Rückwärtswalzer von Vea Kaiser aus dem letzten Jahr geht es auch hier um die letzte Ruhe, die einer Leiche auf rechtlich fragwürdigen Wegen verschafft werden soll. Auch Dirk Pope mit seinem für den Jugendliteraturpreis nominierten Roman Abgefahren über den Leichtransport der eigenen Mutter wäre in dieser Reihe zu nennen, in der auch Marianengraben steht.

Vom Tonfall und vom Setting gehört Schreibers Debüt für mich ebenfalls in die Kategorie Jugendbuch. Der Roadtrip und der Blick in die jugendliche Psyche Paulas sind gelungen. Der Humor wird gut mit der Trauer verbunden, der Verlust mit dem Aufbruch, der Tod mit der Freiheit. So deckt das Buch viele Facetten ab, ohne zu sehr in eine Richtung das Übergewicht zu bekommen und ist auch durchaus für Jugendliche geeignet (eine Nominierung zum Deutschen Jugendliteraturpreis würde ich hier durchaus in Betracht ziehen).

Leichte Unstimmigkeiten

Allerdings: alles ist noch nicht ganz glatt, rund, stimmig. Eine Biologiestudentin, die sich mit allen möglichen maritimen, neuronalen und sonstigen biologischen Eigenschaften von Mensch und Tier auskennt, dann aber nicht weiß, „wer, was oder wo Bozen“ ist (S. 152), das ließ mich stutzen. Solcherlei Inkonsistenzen in der Figurengestaltung bleiben allerdings die Ausnahme.

Auch konnte ich folgendem Bild nicht viel abgewinnen:

Doch in mir gab es nichts zu schöpfen, ich saß im Marianengraben mit einer kleinen Suppenkelle und sollte damit all das Wasser und den Schmerz aus mir herausholen, damit es mir besser ginge, ich sollte alles hochholen und zur Betrachtung ausbreiten und zeigen. Doch das funktionierte nicht. Ich saß elftausend Meter weit unten der der Druck war so hoch, dass von außen sofort wieder alles in mich einströmte, sobald ich ein bisschen abschöpfte.

Schreiber, Jasmin: Marianengraben, S. 15

Schlägt man im Duden unter dem Verb (ab)schöpfen nach, so sagt das Buch Folgendes: schöpfen = (etwas oben Befindliches schöpfend von etwas) herunternehmen.

Da sich Paula in diesem Bild allerdings unter Wasser befindet und der Druck von abertausenden Tonnen Wasser auf ihr lastet, kann sie ja schlecht etwas abschöpfen. Dies würde funktionieren, wenn sie in einem Boot säße oder eine sonstige Oberfläche in der Nähe wäre. Aber unter Wasser schöpft es sich schlecht. So ist das hier ein Bild, das für mich nicht funkioniert.

Dann gibt es aber auch wieder unglaublich eindringliche Szene und Bilder, die im Kopf bleiben. Sicher, alles an Schreibers Buch ist noch nicht rund, Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann, sind durchaus vorhanden. Sprachlich ist auch noch etwas Luft nach oben. Aber bei einem Debütroman darf das meiner Meinung nach auch so sein.

Fazit

Mit Marianengraben gelingt Jasmin Schreiber ein gut ausbalanciertes Buch, das unverkrampft von Tod und Trauer erzählt. Schreibers Buch rührte mich zu Tränen, ohne rührselig zu sein, und spendet Trost. Im besten Sinne gelingt der Debütantin ein All-Age-Roman, der den Tod und das Trauern in den Mittelpunkt stellt und zeigt einen ungewöhnlichen Verarbeitungsprozess. Jasmin Schreiber ist mit diesem Buch ein großer Erfolg zu wünschen.

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Katya Apekina – Je tiefer das Wasser

… desto hässlicher der Fisch

So lautet der Originaltitel von Katya Apekinas Buch in ganzer Länge. Ursprünglich in Amerika in einem Kleinverlag erschienen, hat sich das Buch laut dem Suhrkamp-Verlag zu einem Überraschungserfolg in den USA entwickelt. Nun liegt das Buch in der deutschen Übersetzung durch Brigitte Jakobeit vor. Es erzählt auf formal interessante Art und Weise von einer Familie in Trümmern.


Heute kann ich leicht sagen, dass ich wünschte, ich wäre netter zu meiner Schwester gewesen, aber damals war mir das nicht möglich. Unser Vater hatte mir gerade das Herz gebrochen, unsere Mutter hatte sich gerade umgebracht, und ich hatte mich gerade verbrennen wollen. Ich konnte mir nicht leisten, großzügig zu sein.

Apekina, Katya: Je tiefer die Wasser, S. 343

Katya Apekinas Buch gleicht einer Puzzleschachtel. Sie kippt dem Lesenden eine ganze Menge dieser Puzzlestückchen in Form von multiperspektivisch erzählten Kapiteln entgegen. An uns Leser*innen ist es dann, aus dieser Unzahl an Stimmen und Kapiteln die Haupthandlung zusammenzubasteln. Allzu schwer macht es die Autorin den Leser*innen dabei allerdings nicht.

Denn die Hauptarbeit in Apekinas Erzählung übernehmen Mae und Edith, zwei Schwestern. Am Anfang des Buchs lernen wir sie in New York kennen. Dort haben sie bei Dennis Unterschlupf gefunden, der als Schriftsteller in der Stadt lebt. Er hat die beiden Mädchen zu sich genommen, nachdem die Mutter der beiden einen Suizidversuch unternommen hat.

Sowohl der Suizidversuch ihrer Mutter als auch das plötzliche Auftauchen Dennis‘, der sich als Vater der beiden vorstellt, wirft die beiden Mädchen aus der Bahn. Abwechselnd berichten sie aus ihren Perspektive von ihrem neuen Leben und den zaghaften Annäherungen an ihren Vater, von dem sie bislang nichts ahnten.

Eine Erzählung wie ein Puzzle

Diese Grundkonstellation reichert Apekina mit zahlreichen anderen Stimmen an. So ergänzen Briefe von Dennis an Edith und Maes Mutter die Handlung, Freundinnen der Mädchen und von Dennis erzählen. Die Autorin springt auch von der erzählten Gegenwart im Jahr 1997 zurück in die Jahre 1961 und 1968 sowie nach vorne ins Jahr 2012.

Diese Vielzahl an Facetten der Geschichte glieder die russischstämmige Autorin darüber hinaus in vier Teile, die wiederum noch von zahlreichen Kapiteln unterteilt werden. Viele der erzählten Episoden sind dabei allerdings nicht einmal eineinhalb Seiten lang. Großes Chaos und erzählerische Konfusion? Nicht doch.

Gleicht Je tiefer das Wasser auch einem Puzzle, so ist es ingesamt gesehen doch eher ein 500- denn 2000-Teile Puzzle. Denn die Erzählung ergibt sich trotz der Fülle an Stimmen doch recht klar schon von den ersten Seiten an. Da Edith und Mae als Haupterzählerinnen fungieren, hat man einen klaren roten Faden, an dem man sich orientieren kann.

So richtig warm geworden bin ich mit dem Roman trotz dieser spannenden Erzählkonstruktion nicht wirklich. Zwar unterscheidet sich die Erzählstimme von Mae und ihrer älteren Schwester Edith etwas. Generell klangen mir aber die meisten Protagonist*innen viel zu ähnlich. Auch gelingt es Apekina nicht, ihnen Tiefenschärfe zu verleihen. Um die Familie herum werden alle Erzähler*innen zunehmend blass und hinterließen bei mir keinen großen Eindruck. Auch ist der Roman sprachlich nicht besonders herausragend, sodass das Buch in meinen Augen nicht über den Durchschnitt hinauskommt.

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Verena Güntner – Power

Wenn die Suche nach einem Hund die ganze Dorfgemeinschaft auseinanderzureißen droht – Verena Güntners zweiter Roman „Power“.


Wenn man im namenlosen Dorf Verena Güntners jemanden etwas wiederfinden will, dann betet man nicht zum Heiligen Antonius. Kerze ist es, die man fragen muss. Die junge Schülerin hat ein Talent im Auffinden von Dingen. Und so ist es auch sie, die von der alten Frau Hitschke kontaktiert wird. Denn ihr geliebter Hund Power ist verschwunden. Hatte sie ihn kurz vorher noch vor dem Edeka angebunden, findet sich von ihm nach dem Supermarktbesuch keine Spur mehr. Jetzt soll Kerze helfen, den Hund wiederzufinden. Und Kerze stürzt sich gleich in die Ermittlungen, die am Ende zu einem völligen Riss zwischen den Generationen im Dorf führen werden.

Dabei ist eigentlich der Rahmen der Geschichte schon nach wenigen Seiten klar. Der verschwundene Power und die Tatsache, dass Kerze nach sieben Wochen den madenzersetzten Leib Powers gefunden haben wird. Doch die Zeit dazwischen ist es, für die sich Verena Güntner in ihrem Buch interessiert. Dabei beschränkt sie sich hauptsächlich auf drei Figuren, mithilfe derer sie ihre Geschichte erzählt. Da ist die alte Hitschke, die nach dem Tod ihres Mannes isoliert in ihrem Haus lebt. Dann gibt es noch den Sohn des Bauern Huber, der neben dem teuren Fendt 1000 Vario-Traktor, Freiwild und der Abrichtung des hofeigenen Hundes keine großen Hobbys hat. Er fungiert als Bindeglied zwischen Alt und Jung. Und da ist zu guter Letzt noch Kerze, die im Lauf des Buchs zur Anführerin der Dorfkinder wird.

Aufstand der Kinder

Glaubt man sich zunächst in einem schon hundertmal gelesenen Coming-of-Age Roman (das sommerliche Dorf fernab der Zivilisation, die kindliche Protagonistin, die scheinbare Ereignislosigkeit, geschildert in eigenwillig-jugendlicher Sprache), kippt das Ganze schon bald. Denn aus Kerzes Suche wird etwas sehr Eigentümliches. Kerze fühlt sich nämlich auf beängstigende Art und Weise in Power ein. So wird sie sukzessive selbst zum Hund und eignet sich tierische Verhaltensweisen wie etwa den Gang auf vier Beinen oder Bellen zur Kommunikation an. Und mit dieser Nachahmung ist sie nicht alleine. Immer mehr Kinder schließen sich ihr an, die schließlich dahin flüchten, wo schon seit den Gebrüdern Grimm die meisten Märchen spielen – in den Wald. Dort werden die Kinder zum wilden Rudel, die versuchen, Powers Spuren aufzunehmen.

Power

Versucht man Power auf realistische Art und Weise zu lesen, dann scheitert man schnell. Weder kann oder will Verena Güntner die Motivation Kerzes und ihrer Gefolgsleute erklären, noch spielen äußere Ordnungsmächte wie Lehrer*innen oder die Polizei eine Rolle. Auch kommen Medien, die eine solche Entwicklung aufgreifen würden, allenvoran die sozialen, überhaupt nicht vor. Die Lösung des Problems wird nur unter den Erwachsenen und den Kindern des Dorfs ausgemacht. Während die alte Hitschke als Verursacherin der Entwicklungen im Dorf langsam ausgehungert wird, rotten sich die Kinder im Wald zusammen. Schon bald wird klar, dass man mit den Kriterien des Realismus an Power scheitert.

Vielmehr muss man Power in meinen Augen als Generationenfabel oder Groteske lesen. Der Wald als Schauplatz setzt schon einen gewissen märchenhaften Ton, der durch das Tun und Treiben der Kinder verstärkt wird. Durch die Fokussierung auf die drei Hauptfiguren Hitschke, Hubersohn und Kerze zeigt die Berliner Autorin und Schauspielerin das Auseinanderdriften der Generationen, in deren Mitte der Hubersohn steht, der symbolhaft selbst ganz zerrissen ist, zwischen Vater und Hund, zwischen dem potentiellen Erbe des Hofs und dessen Zerstörung.

Zwischen den Generationen

Wie weit das Verschwinden eines Hundes zu einer Radikalisierung auf beiden Seiten der Demarkationslinie Generation führen kann, das exerziert die Autorin in Power durchaus eindrücklich durch. Aber hat das Buch neben dieser Schilderung der Radikalisierung mehr zu bieten? Ich finde leider nein. Denn eine allzu tiefe Bedeutung sollte man in Güntners Fabel nicht suchen (zumindest habe ich sie nicht gefunden). Bezeichnend war für mich ein Dialog, der am Ende des Buchs steht.

Kerze läuft an ihr vorbei, die Treppe hinauf, wirft einen Blick ins Zimmer der Mutter, sieht die Monstera auf dem Sims stehen, halb vertrocknet wie immer.

„Schön, dass die noch da ist“, ruft sie nach unten.

„Bitte?“

„Ach, Egal“

Im Badezimmer macht sie das Duschwasser an, geht kurz in ihr Zimmer, in dem die Geister nicht mehr sind.

Güntner, Verena: Power, S.

Irgendwo zwischen skurril, beunruhigend, grotesk und märchenhaft ordnet sich dieses Buch mit seiner Handlung ein. In welche Richtung Verena Güntner am Ende damit wollte, könnte ich selber nicht sagen. Einen wirklichen Angriffspunkt für eine stringente Lesart habe ich leider nicht entdeckt. Für mich eine interessante Stimme mit einem originellen Plot. Vollkommen überzeugt hat es mich dennoch leider nicht, weshalb ich auch nicht glaube, dass Güntner mit Power den Preis der Leipziger Buchmesse erringen wird. Aber vielleicht hat Güntner doch die Power, um mich zu überraschen? Am 12.03 um 16:00 Uhr wissen wir dann mehr, wenn die Jury in der Glashalle der Leipziger Buchmesse verkündet, wer den Preis der Buchmesse erringen konnte.

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Neu: das Literaturfestival Nordschwaben

Literaturfans aus Schwaben aufgepasst! Hier in Nordschwaben geht im März ein neues Literaturfestival an den Start. Mit dabei sind Größen aus der Literaturbranche und andere bekannte Namen wie Denis Scheck, Joachim Gauck, Vea Kaiser, Tom Hillenbrand oder Harald Lesch. Rund um die Städte Höchstädt, Dillingen, Donauwörth und Nördlingen wird Mitte bis Ende März das Festival über die Bühne gehen, das in unterschiedlichsten Spielstätten gastiert.

Das Logo des Literaturfestivals Nordschwaben

Oder wie es die Planer*innen des Festivals selbst ausdrücken:

Über das Literaturfestival Nordschwaben

Nach über einjähriger Vorbereitungszeit ist jetzt die Website des 1. Literaturfestivals Nordschwaben online geschaltet. Literaturinteressierte finden dort das Programm, das von 16. März bis 4. April die Landkreise Dillingen a.d.Donau und Donau-Ries erstmals zum Zentrum der Literatur in Schwaben macht. Das Literaturfestival Nordschwaben bringt renommierte deutschsprachige Autorinnen und Autoren in die Region, die aus ihren aktuellen Büchern lesen und mit dem Publikum ins Gespräch kommen. Im Dreieck zwischen Nördlingen, Dillingen und Donauwörth treten so namhafte Persönlichkeiten auf wie Harald Lesch, Joachim Gauck oder Denis Scheck. Für Spannung sorgen unter anderem Romy Hausmann, Vea Kaiser und Melanie Raabe. Mit insgesamt 14 Lesungen und einem abschließenden Tag der Regionalliteratur zeigen die Veranstalter – darunter Kulturämter, Bibliotheken, Buchhandlungen, Volkshochschulen und gemeinnützige Vereine –, wie lebendig Bücher sein können. Die Lesungen des neuen Festivals führen dabei an kulturhistorisch bedeutende Orte Nordschwabens, sowohl zu vertrauten Bühnen als auch zu Spielstätten, die es zu entdecken gilt.

Der künstlerische Leiter des Literaturfestivals Nordschwaben Dr. Thomas Kraft ist überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit Literatur wesentlich dazu beitragen kann, das Interesse für eine Region und ihr vielfältiges Kulturangebot zu wecken und zu verstärken.

Karten zu den Veranstaltungen gibt es jeweils vor Ort oder bei den zentralen Vorverkaufsstellen unserer Partnerbuchhandlungen. Alle Informationen finden Sie unter www.literaturfestival-nordschwaben.de und dem in Kürze erscheinenden Programmheft.

Pressemitteilung des Literaturfestivals Nordschwaben

Einige der Veranstaltungen sind schon im Vorfeld ausverkauft. Ich freue mich aber auf die große Vielfalt, die den Machern da gelungen ist. Vom Krimi über den Physikvortrag bis hin zum Ex-Bundespräsidenten. Ich schau es mir auf alle Fälle einmal an – und vielleicht ihr auch, wenn ihr eh in der Gegend wohnt?

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