Category Archives: Historischer Roman

Zu Lesendes

Hier hab ich mal wieder zwei Bücher herausgepickt, die auf meinem Bücherstapel gerade darauf warten, gelesen zu werden:

 

Hakan Nesser – Die Lebenden und Toten von Winsford

Die Lebenden und Toten von Winsford - Hakan Nesser

Die Lebenden und Toten von Winsford – Hakan Nesser

Exmoor, eines Abends im November. Über dem kleinen Dorf Winsford in der südenglischen Moorlandschaft liegt dichter Nebel. Die mysteriöse Frau, die sich unter dem Namen Maria Anderson mit ihrem Hund im abseits gelegenen Haus auf der Heide niederlässt, bietet Stoff für Spekulationen. Was hat sie hier draußen in der Einöde zu suchen? Was hält ihr Mann von ihrem Aufenthalt an diesem Ende der Welt? Wo ist er überhaupt? Tatsächlich auf Reisen?

Irgendetwas Sonderbares umgibt die Fremde, die Tag für Tag im diesigen Nieselregen spazierengeht – auch wenn sie schon bald aus dem Dorfleben nicht mehr wegzudenken ist. Nicht alle scheinen ihr jedenfalls wohlgesonnen. Wie anders wäre sonst zu erklären, dass plötzlich tote Vögel vor ihrer Türe liegen und ihr Hund tagelang verschwindet? Und die seltsamen Vorfälle häufen sich. Man könnte auch sagen: Je mehr sie sich auf die kleine Gemeinschaft einlässt, desto gefährlicher wird es für sie …
Nachdem mir ja der Vorgänger Himmel über London sehr gut gefallen hat, muss das neue Buch des Schweden natürlich auch gelesen werden!

Bernd Ohm – Wolfsstadt

Wolfsstadt - Bernd Ohm

Wolfsstadt – Bernd Ohm

München, Nachkriegszeit: Die einstige »Hauptstadt der Bewegung« liegt in Schutt und Asche – aber für Fritz Lehmann könnte eigentlich alles perfekt sein, denn seitdem der Kripobeamte in den US-Kriegsgefangenenlagern Englisch gelernt und Gefallen an Jazz und Demokratie gefunden hat, ist er auf dem Weg in ein neues Leben. Dass im Krieg Dinge geschehen sind, von denen man besser nicht redet, versucht er, so gut es geht, zu verdrängen. Doch als der Mord an der Gelegenheitsprostituierten Irina Stepaschkin die Löwengrube erschüttert, hat Lehmann ein Problem, denn die Ermittlungen führen ihn zu jüdischen Überlebenden des Holocaust. Obendrein bekommt er eine Vorladung der Alliierten, die nach deutschen Kriegsverbrechern fahnden. Ehe er sich’s versieht, hat die Vergangenheit ihn wieder fest im Griff. Ein Mörder sucht einen Mörder, der Jäger wird zum Gejagten. Die Suche nach dem Täter wird zu Lehmanns persönlicher Obsession, die ihn wieder und wieder an den Abgrund bringt, der in ihm selbst lauert …

Nachdem ich Volker Kutscher und Angelika Felenda sehr gerne lese wird das ein Titel, auf den ich mich sehr freue

Was lest Ihr momentan oder worauf freut Ihr euch gerade? Ich bin auf eure Titel gespannt!

Bruce Holbert – Einsame Tiere

Der letzte Sheriff

Schon das großartig gestaltete Cover des Romans Einsame Tiere von Bruce Holbert macht klar – der Western ist nicht tot. Im Programm des Münchner Liebeskind-Verlags wird die Tradition des literarischen Western dankenswerterweise noch hoch gehalten. Autoren wie Pete Dexter, Thomas Willmann oder Donald Ray Pollock interpretieren das alte Genre auf immer neue und faszinierende Weise. Mit Bruce Holbert ist nun ein Debütant ins Programm aufgenommen worden, der zum Einen hervorragend ins Portfolio passt und zum Zweiten neben all diesen anderen Autoren auch noch eine ganz eigene Facette zum Western-Topos dazugibt.

Ein Sheriff, eine Mission

Russell Strawl, meist nur bei seinem Nachnamen gerufen, ist ein alternder Sheriff, der ebenso karg und kantig wie die Natur im Nordwesten Amerikas ist, wo dieser Roman spielt.
Von der Arthritis geplagt aber mit einem scharfen Gehör ausgezeichnet hat er sich eigentlich aufs Altenteil zurückgezogen. Ein Leben voller Höhen und Tiefen mit zahlreichen Fehlern liegt hinter ihm, doch fürs Bereuen oder Verzeihen ist Strawl viel zu stur.
Seine alten Tage könnte er nun damit verbringen, sich alte Feinde vom Leib zu halten und die Natur zu durchstreifen, doch dann kommt alles anders. Der aktuelle Sheriff heuert Strawl für seine letzte Mission an. Im Indianerreservat wurden mit unglaublicher Bestialität Menschen ermordet und skurril drapiert. Keiner kennt das Gebiet und seine Bewohner so gut wie Strawl und so lässt er sich zu seinem letzten Einsatz überreden.
Zusammen mit seinem Ziehsohn Elijah, einem bibelfesten und mit der Gabe der Prophetie gesegneten Jungen, sattelt er die Pferde und zieht los, um den Mörder in den Weiten des Westens zu stellen.

Ein Neo-Western

Holberts Debüt könnte eigentlich nicht klassischer sein – ein Mann auf seiner letzten Mission, Pferde, Gewehre, Indianer  und endlose, karge Weiten. Die Naturbeschreibungen und Szenen, in denen Strawl die Indianerreservate durchstreift und auf der Lauer liegt, zählen zu den stärksten des Buches. Dennoch würde ich das Buch eher unter dem Label Neo-Western subsumieren, denn allzu klassisch bleibt Holbert nicht lange. Die Moderne kündigt sich schon mehr als deutlich auch im Nordwestern Amerikas an – schließlich spielt der Roman bereits in den 30ern des letzten Jahrhunderts. Immer wieder fahren Autos durchs Bild – der Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten, auch nicht in Strawls Welt.
Doch nicht nur die schiere Moderne macht aus dem Western einen Neo-Western, in meinen Augen sorgt für allem die Verschmelzung der Elemente des Westerns mit denen eines rituellen Serienkillers für neue Impulse.
Dieses Amalgam funktioniert einwandfrei, auch wenn sich hier zugleich der in meinen Augen schwächste Punkt des Buches offenbart.
Die Identität des brutalen Killers, der seine Opfer quält und ausstaffiert war mir schon nach nicht einmal der Hälfte des Buches sehr klar, hier schafft es Holbert nicht, mit dem Mörder hinter dem Berg zu halten.
Eine Schwäche, die den Autoren mit dem von mir hochgeschätzten Joe R. Lansdale verbindet. Zugunsten der unglaublichen Atmosphäre wird hier immer ein bisschen an der Verschleierung des Mörders gespart. Solange diese allerdings so gelungen ist wie in Einsame Tiere bin ich gerne bereit dies in Kauf zu nehmen.

Gelungene Übertragung

Ein großes Lob ist an dieser Stelle auch (wieder) einmal dem Übersetzer Peter Torberg auszusprechen, dem es gelingt, die sprachmächtige Prosa Bruce Holberts gelungen ins Deutsche zu übertragen. Er findet den richtigen Ton für die archaische Erzählung und gibt Holbert auch im Deutschen eine unverwechselbare Sprache.
Insgesamt ein packender und bildgesättigter Western, der einmal mehr zeigt, welche klassische dieses Genre besitzen kann, wenngleich es oft als groschenromanhaft gescmäht wird. Einmal mehr zeigt der Liebeskind-Verlag, wie prall dieses Genre mit Leben gefüllt werden kann!

 

Lyndsay Faye – Die Entführung der Delia Wright

Der Polizist von New York

Nachdem in Der Teufel von New York seine Bar in die Luft geflogen ist, Timothy Anstellung bei der neugegründeten New Yorker Polizei gefunden und ein spektakuläres Verbrechen aufgeklärt hat, ist einer der ersten Polizisten New Yorks nun zurück und stürzt sich mit „Die Entführung der Delia Wright“ Hals über Kopf in seinen zweiten Fall.

Von Abolitionisten und Sklaventreibern

Die Polizeibehörde ist erst ein Jahr gegründet und schon warten schwierige Aufgaben auf die Männer, die Verbrechen aufklären und die Bevölkerung beschützen sollen. Timothy hat sich das Vertrauen seines Chefs durch eine gute Aufklärungsquote erarbeitet und wird folglich bei kniffeligen Fällen eingesetzt.
Der Hauptfall, den Timothy dem Leser aus der Ich-Perspektive schildert, ist die titelgebende Entführung der Delia Wright.
Ihre Mutter bemerkt das
Doch mit der Aufklärung der Entführung von Delia und ihrem Sohn sticht Timothy in ein Wespennest, das ihn und seinen Bruder Val in einen ganzen Strudel aus Verbrechen und Ränken stürzt.
Timothy muss feststellen, dass der Kampf der Südstaaten gegen den Norden auch vor der farbigen Bevölkerung New Yorks keinen Halt macht. Sklavenjäger machen unverhohlen Jagd auf alle ehrbaren farbigen Mitbewohner und verdienen ein gutes Geld daran, unbescholtene Menschen in den Süden zu entführen und einen Reibach mit ihrem Schicksal zu machen.
Als er wider diese Praxis Partei ergreift wird der Polizist als Abolitionist gebrandmarkt und bekommt den Gegenwind von Kollegen und der Politik zu spüren. Im Polizeiapparat ist sein Name nicht wohlgelitten und Timothys Schicksal steht auf Messers Schneide. Und zu allem Überfluss ruhen auch die Widersacher aus dem Vorgängerband nicht und bringen Timothy und seine Freunde mehrmals in die Bredouille

Ein Duo infernale

Lyndsay Faye (c) Gabriel Lehner

Lyndsay Faye (c) Gabriel Lehner

Ich schrieb es schon in meiner Besprechung des ersten Bandes um Timothy Wilde – die Dynamiken die Lyndsay Faye in ihrer Reihe zwischen Timothy und seinem großen Bruder Val entfesselt, erinnern nicht von ungefähr an die Gebrüder Sherlock und Mycroft Holmes. Wo Timothy oftmals mit seiner undiplomatischen und direkten Art gegen Wände rennt, zieht Valentin im Hintergrund die Strippen. Mit seinem promiskuitiven, spitzzüngigen und allen Wassern gewaschenen Bruder hat die amerikansiche Autorin zwei Charakterköpfe geschaffen, die sich im Gedächtnis des Lesers verankern.

Wie sich diese zwei gegensätzlichen Brüder durch New York ermitteln und ihren Spuren folgen macht einfach Spaß zu lesen. Denn bei allem Ernst und aller Schwere des Themas würzt Lyndsay Faye ihre Erzählung immer mit einem guten Schuss Humor, der nicht deplaziert wirkt.
Insgesamt ist Die Entführung der Delia Wright ein komplexer Kriminalfall, der ganz unterschiedliche Handlungsstränge miteinander verknüpft, trotzdem aber immer spannend bleibt und mit neuen Wendungen zu überzeugen weiß. Das Thema der nordamerikanischen Sklavenjäger, das dem Titel zugrunde liegt, habe ich so noch nicht in vielen Büchern gelesen. Hier erhält man erhellende Einblicke in ein dunkles amerikanisches Kapitel.
Der neue Fall für Timothy ist seinem ersten Einsatz mindestens ebenbürtig und schafft es gekonnt, Historie mit Spannung zu verquicken.
Zu loben ist auch die Übertragung ins Deutsche durch Peter Knecht, der den ironisch-treibenden Duktus von Timothys Schilderungen gut ins Deutsche rettet. Auch gelingt es ihm die im Buch teilweise verwendete Gangsterspache Flash adäquat im Deutschen wiederzugeben.
So bleibt der Lesespaß erhalten – und wer mit den im Buch eingestreuten Flash-Floskeln nichts anfangen kann, der wird Glossar des Buches, das sich im Anhang befindet, fündig.
An dieser Stelle gibt es noch mehr Infos über das Buch und seine Autorin.
NorthupWeitergehende Medientipps seien an dieser Stelle noch zwei genannt: Zum Einen das im Buch auch mehrmals zitierte Buch 12 years a slave, das auch unter der Regie von Alexander McQueen zu einem Erfolg und mit drei Oscars ausgezeichnet wurde. Dieses Buch ist ein Bericht von Solomon Northup, der ähnlich wie Delia im Buch von Sklavenhändlern verschleppt und im amerikanischen Süden in die Sklaverei gezwungen wurde.
RipperstreetZum Anderen sei an dieser Stelle auch noch auf die famose BBC-Serie Ripper Street hingewiesen, die zwar 40 Jahre nach „Die Entführung der Delia Wright“ und in England spielt, dennoch aber auch die Atmosphäre der Bücher von Lyndsay Faye verströmt. Intrigante Bordellbesitzerinnen, Polizisten, die nicht immer fair spielen und gedungene Mörder in schäbiger Umgebung. Die Ähnlichkeiten zwischen Serie und Büchern ist immens – zur weitergehenden Beschäftigung empfohlen!

 

Lyndsay Faye – Der Teufel von New York

 Der Polizist von New York

Ein junger Polizist inmitten des Big Apple – und das im Jahre 1845: Immigranten drängen in die schmutzige Metropole und ein Mörder geht um, der seine Opfer unter den Kindern in Bordellen sucht. 
Nachdem sein Laden nach einer Explosion im Big Apple nicht mehr ist, ist Timothy Wilde gezwungen sich eine neue Verdienstmöglichkeit zu suchen. Seinem Bruder kommt da die neugegründete Polizeibehörde New Yorks recht, in die er Timothy steckt. Und prompt fällt diesem natürlich auch sein erster Fall im wahrsten Sinne vor die Füße, als er über ein blutbesudeltes Mädchen stolpert.
In der Folge ermittelt sich Timothy gegen alle Widerstände einmal quer durch ein New York, das brodelt, dampft und mörderische Abgründe offenbart …



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Christoph Poschenrieder – Das Sandkorn

Eine Ménage-à-trois

Christoph Poschenrieders Talent für Sprache ist bewundernswert. Nach seinem tollen Erstling Die Welt ist im Kopf und dem nicht minder geschickt konstruierten Der Spiegelkasten legt er nun mit Das Sandkorn ein Werk vor, das sich mit den beiden vorhergehenden Monographien mindestens messen lassen kann.

In seinem neuesten Roman erzählt der Münchner Autor von Jacob Tolmeyn, der in Berlin verhaftet wird, als er Sand in den Straßen der Stadt ausstreut. Im Verhör, das als Rahmenhandlung fungiert, erzählt Tolmeyn seine Geschichte, die zurück nach Italien führt. Dort sollte er nämlich zusammen mit seinem Schweizer Kollegen Beat Imboden die Werke der Staufer dokumentieren und kartografieren. Doch der Auftrag wird durch das Auftauchen der Italienerin Letizia, die die beiden Männer vor Ort unterstützen soll, mehr als verkompliziert. Denn ehe sie sich versehen finden sich die drei Charaktere in einem Geflecht aus Anziehung, Begehren und Tabus verfangen. Allmählich entspinnt sich im Verhör das ganze Ausmaß der Beziehungen zwischen den drei Menschen. Die Rollen, die sie im Drama spielen, werden klarer.

Poschenrieder ist ein großartiger Autor, dessen fein ziselierte Sprache wirklich Hochachtung verdient. Er schafft ein eindrückliches Porträt eines jungen Mannes, für den die Liebe grobe Fallstricke bereithält, das er in eine tolle sprachliche Form gießt.

Mit Das Sandkorn ist Christoph Poschenrieder ein in formaler und stilistischer Hinsicht wirklich großartiger Roman gelungen. Eine mediterran-lockere Atmosphäre durchzieht das Buch, welche die Gerüche und Geräusche so kurz vor dem großen europäischen Weltenbrand 1914 vortrefflich einfängt.

Fazit

Ein Leckerbissen für jeden Liebhaber guter Geschichten, die im Gedächtnis bleiben. Und für Liebhaber von ästhetisch ansprechenden Sprache natürlich ebenso!