Category Archives: Kriminalroman

Ivy Pochoda – Diese Frauen

Manchmal kommen sie ganz unerwartet daher, die Lektüren, nach denen mir folgender Gedanke durch den Kopf schießt: Darum lese ich! Solch einen unerwarteten Glücksfall und ein lange nachhallendes Leseerlebnis bescherte mir aus dem Nichts heraus Ivy Pochoda mit ihrem Roman Diese Frauen. Ein eindrückliches Leseerlebnis, das für mich Maßstäbe setzt, wie ein guter Thriller heute aussehen muss.


Eine Kultur des Wegschauens

N.H.I – das ist ein polizeiinternes Kürzel, das man in seiner ganzen Unfasslichkeit erst einmal gar nicht erfasst. Die Abkürzung steht für den Ausdruck No humans involved, auf Deutsch etwa „Keine Menschen beteiligt“. Dieser Ausdruck kam bei Drogenabhängigen oder ermordeten schwarzen Prostituierten zur Anwendung, denen man kurzerhand ihre Menschlichkeit und damit eine notwendige Strafverfolgung absprach. Die Abwertung marginalisierter Menschen und potentiellen Straftätern war verheerend. So schlüpfte etwa der Serientäter Lonnie Franklin der Polizei von Los Angeles jahrelang durchs Netz.

Ungestraft konnte er über zwanzig Jahre in Los Angeles schwarze Frauen ermorden, ehe die Polizei 2007 die Community alarmierte. Der erste nachweisbare Morde des später Grim Sleeper genannten Mannes hatte sich bereits 1985 ereignet. Eine Überlebende eines Mordversuchs behandelte die Polizeibehörde nicht als Zeugin, sondern als Verdächtige. Allgemein herrschte in der Behörde trotz der Erkenntnis, dass ein Mörder die Straßen der Stadt unsicher machte, eine Kultur des Ignorierens. Sogar befürwortenden Stimmen für das Tun des Killers gab es im Polizeiapparat, da ja hier auch jemand „endlich einmal die Straßen aufräumen würde“.

Ein skandalöser Fall, der durch Wegschauen und das bewusste Ignorieren von Ermittlungserkenntnissen vielen schwarzen Frauen in Los Angeles das Leben kostete. Ein Fall, der aber auch Erinnerungen an eine ähnliche Mordserie an marginalisierten Personen in Deutschland wachruft, die die Behörden hier ähnlich lasch bis ignorierend verfolgten, ehe das NSU-Trio 2011 aufflog und plötzlich öffentliches Entsetzen darüber einsetzte, wie diese Mordserie all die Jahre nicht nachverfolgt werden konnte.

Und trotz Untersuchungsausschüssen, einem Mammut-Prozess und viel medialer Begleitung kam doch die Seite der Opfer zu kurz. In den USA wie auch hierzulande wird unter dem Schlagwort Say their names gefordert, den Opfern eine Stimme zu verleihen. Woran wir hier immer noch scheitern, das gelingt Ivy Pochoda in ihrem Roman Diese Frauen exzellent. Ein Buch, das lose auf dem Fall des Grim Sleepers basiert und das erfahrbar macht, wie es sich anfühlt, in Kontakt mit einem derartigen Verbrechen zu kommen.

Frauen in Los Angeles

Ivy Pochoda - Diese Frauen (Cover)

Dafür wählt Ivy Pochoda einen vielstimmigen Erzählansatz. Eingeteilt in mehrere Hauptkapitel verleiht sie Diesen Frauen eine Stimme. Da ist eine Frau, die einen Angriff des Mörders überlebt hat. Eine Polizistin mit zu vielen Gedanken im Kopf, die hinter der Mordserie ein Muster sieht. Eine junge Künstlerin, die mit ihren Arbeiten den Toten eine Stimme verleihen will. Und Dorian, eine Mutter eines jungen Mädchens, das ermordet wurde. Schon einmal gab es eine Mordserie an schwarzen Frauen entlang der Western Avenue in Los Angeles, ehe nach einer Pause wieder Frauen umkamen, diesmal eben auch die Dorians Tochter. Das nimmt die Besitzerin einer Fischbude zum Anlass, selbst zu mahnen und für Ermittlungen einzustehen.

Sie alle stehen in Kapiteln im Mittelpunkt, begegnen sich manchmal, beeinflussen sich durch ihr Handeln und treiben die Geschichte voran. Zwischen den Großkapiteln stehen dabei Gedankenfetzen und Schilderungen der Überlebenden, die dem Western-Killer entging. Generell ist festzuhalten, dass jede Figur eine eigene Ausformung ihrer Gedanken und Wahrnehmungen erhält. Die Fischbudenbesitzerin, die immer wieder tote Kolibris in ihrer Umgebung findet. Die Polizistin, der die Gedanken verrutschen und in deren Kopf ein großes Durcheinander herrscht. Die Gattin des Killers, die mit Strenge und Wegschauen ihr Leben zu ordnen versucht. Sie alle sind Figuren, die Pochoda großartig herausarbeitet, ihnen eine eigene Sprache verleiht und so Figuren erschafft, die auch über das jeweilige Kapitel und Buchende in Erinnerung bleiben.

Was eine Mordserie mit den Beteiligten macht, das lässt sich in Diese Frauen unmittelbar erspüren. Die Bräsigkeit des Polizeiapparats, dem einzelne Engagierte gegenüberstehen, die Gefahren, denen Frauen ausgesetzt sind, die systematische Abwertung von Marginalisierten, das ist es, was Ivy Pochoda interessiert und wovon sie auf großartige Art und Weise erzählt. Mag das Buch auch alle Zutaten für einen handelsüblichen Serienkiller-Thriller enthalten, schafft sie es doch, ihr Material so zu gewichten und zu erzählen, dass dieses Buch ganz anders ist als alles, was sich sonst dutzendfach in den Buchregalen findet.

Formal ambitioniert und anspruchsvoll

Ihr Buch ist formal ambitioniert und anspruchsvoll. Durch den Fokus auf die Opfer des Killers und sein unmittelbares Umfeld gelingt es ihr, neu und unmittelbar vom Bösen zu erzählen, das die Gegend rund um die Western Avenue in Los Angeles jahrelang unsicher machte. Diese Frauen ist ein Porträt der dunklen Seiten von Los Angeles, die Ivy Pochoda hier präzise vermisst. Ihr Buch lässt sich auch als feministischer Warnruf auf das Treiben des Grim Sleepers und anderer Serientäter lesen, die jahrelang ungestraft ihren Trieben nachgehen konnten. Das Buch hat mit der Frage vom gesellschaftlichen und polizeilichen Umgang mit marginalisierten Personen ein Thema, das weit über seinen eigentlichen Rahmen und Genregrenzen hinausweist.

Übersetzt wurde dieses Buch von Sigrun Arenz, die weitestgehend einen tollen Job erledigt (auch wenn ich beispielsweise den Terminus des „wildfire“ eher einem „Wildfang“ oder „Wirbelwind“ anstelle eines „Wildfeuers“ vorgezogen hätte) doch ganz großartig, den einzelnen Erzählerinnen auch im Deutschen eine markante Stimme zu verleihen.

Fazit

Wie man meinen Worten vielleicht entnehmen kann: ich bin begeistert und empfehle dieses Buch nachdrücklich. So sehen gute, gesellschaftlich relevante und moderne (Spannungs-)Romane aus. Literarisch hochspannend ausgeformt, formal überzeugend und anders als das Spannungseinerlei. Mit einem gesellschaftlichen Anliegen versehen, dass das Leseerlebnis nie übertüncht, gelingt Diese Frauen das Kunststück, zugleich höchst aktuell und zeitlos zu sein. Eines meiner ganz großen Entdeckungen in diesem Jahr!


  • Ivy Pochoda – Diese Frauen
  • Aus dem Amerikanischen von Sigrun Arenz
  • ISBN 978-3-7472-0218-0 (Ars Vivendi)
  • 356 Seiten. Preis: 23,00 €
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Didier Daeninckx – Tod auf Bewährung

Auf den kleinen Münchner Verlag Liebeskind ist Verlass. Egal ob Western, Klassiker, Krimi oder welthaltige Literatur aus Afrika oder Japan. Immer wieder gelingt es diesem Haus, spannende Perlen abseits des literarischen Mainstreams zu präsentieren. Dieses Buch macht dabei keine Ausnahme: Didier Daeninckx‚ Klassiker Le der des ders aus dem Jahr 1984, vor zehn Jahren in der Übersetzung von Stefan Linster als Tod auf Bewährung erschienen. Ein klarer Fall für #backlistlesen.

Wir befinden uns Anfang der Zwanziger Jahre in Paris. Der Große Krieg liegt zwar in der Vergangenheit, seine Auswirkungen sind aber immer noch überall zu spüren. Die Amerikaner bevölkern die Gassen von Montmatre bis Pigalle, viele Menschen tragen Traumata mit sich herum und der illegale Handel mit Waren aus Übersee boomt.

Ein Auftrag für René Griffon

Didier Daeninckx - Tod auf Bewährung (Cover)

Anfang Januar verheißt ein nächtlicher Anruf einen neuen Auftrag für René Griffon, der sich als Privatdetektiv im 19. Arrondissement verdingt. Er wird von einem ranghohen Militär angeheuert, der Untreue bei seiner Ehefrau vermutet. Ein absoluter Klassiker, der auf den ersten Fall wie leicht verdientes Geld für Griffon aussieht. Doch so einfach, wie sich der Fall zunächst darstellt – der bekennende Krimileser ahnt es längst – ist der Fall dann natürlich nicht. Seine Suche nach der Wahrheit hinter dem Fall führt ihn vom Anwesen des Colonels in Aulnay über die Kneipen von Pigalle bis zu einem Sanatorium in Villepinte. In seinem Packard Twin Six braust Griffon durch höchst unterschiedliche Orte rund um Paris, um Licht ins Dunkel dieses immer kompliziert werdenden Falles zu bringen. Hier scheint niemand mit offenen Karten zu spielen

Von der anfänglichen Untreue wächst sich der Fall zu einer Affäre aus, die zurück bis zu den Schlachtfeldern bei La Courtine führt. Dabei entfaltet Didier Daeninckx neben der Rahmenhandlung auch ein beeindruckendes Porträt von Paris mit seinen ganzen so unterschiedlichen Vorstädten. Vom industriellen Levallois bis nach Roissy en France, von Vergnügungsvierteln bis in das Sanatorium, das hier an das Batman’sche Arkham Asylum erinnert reicht der Bogen, den der Krimiautor spannt.

Bis zum bitteren Ende

Schön auch der Mut von Daeninckx, seine voranpreschende Geschichte bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Hier gibt es kein unpassendes Happy End, hier wird der Noir in seiner ganzen Düsternis durchexerziert. Dass die Farbe Schwarz dabei immer wieder als Leitmotiv auftaucht, das passt gut ins Bild.

So ist Tod auf Bewährung ein souverän mit den Themen und Motiven des Krimi Noir spielendes Buch, das einerseits als Hommage an ein (zumindest im Erscheinungsjahr 1984) nicht mehr wirklich populäres Genre funktioniert. Die Themen, die Figur von René Griffon als Privatdetektiv, das von halbseidenen Figuren bevölkerte Paris, alles das ist Noir Pur.

Dann hat das Buch neben seinem Willen zu Hommage andererseits aber auch selbst das Zeug zum zeitlosen Klassiker. Das Buch ist eine Vermessung von Paris in der Zwischenkriegszeit, ein klassischer (manchmal ja schon fast altmodischer) Krimi um einen Privatschnüffler und ein Porträt dessen, was ein Krieg mit einer Gesellschaft anstellen kann, souverän ausbalanciert durch Didier Daeninckx. Obwohl hier viele Zutaten zusammenfinden, ist das Ganze doch sehr stimmig ausbalanciert und darüber hinaus auch noch spannend. Schon ab dem Anruf, der Griffon aus seinem Trott reißt, besitzt Tod auf Bewährung einen mitreißenden Sog.

Fazit

Hervorragend, dass der Liebeskind-Verlag die Initiative gewagt hat, das Buch dem deutschen Lesepublikum zugänglich zu machen. Schade hingegen, dass das Interesse für Daeninckx‘ Krimi hierzulande eher verhalten geblieben ist. Obwohl er laut Verlagsangaben immerhin als einer der wichtigsten Kriminalschriftsteller Frankreichs gilt. Wer Tod auf Bewährung liest, wird dieser Einschätzung nicht widersprechen wollen. Ein kluges Spiel mit Genremotiven und ein überzeugender Krimi Noir aus Paris, der die Zeit der 20er Jahre schon lange vor Volker Kutscher und Co. als Spielfeld entdeckte.


  • Didier Daeninckx – Tod auf Bewährung
  • Aus dem Französischen von Stefan Linster
  • ISBN 978-3-935890-83-0 (Liebeskind)
  • 288 Seiten. Preis: 18,90
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Tade Thompson – Wild Card

Ist das eine Ermittlungsmethode? Ewige Skepsis?“. Die Frage kam leise.

„Ich habe keine Methoden“, antwortete ich wahrheitsgetreu.

Tade Thompson – Wild Card, S. 195

Mitten hinein in einen Hexenkessel aus Bürgerkrieg, Mord und Überlebenskampf führt Tade Thompson in seinem Thriller Wild Card. Bekanntheit erlangte der nigerianische Autor mit seiner Wormwood-Trilogie, die man dem Genre des Afrofuturismus zurechnen kann und deren Auftaktband Rosewater mit dem Arthur C. Clarke-Award ausgezeichnet wurde. Doch von Science-Fiction ist in seinem ursprünglich 2015 erschienen Roman Wild Card keine Spur. Stattdessen legt er hier einen Thriller reinsten Wassers vor, der in den fiktiven afrikanischen Staat Alcacia entführt.

Eine kleine Lüge mit großen Auswirkungen

Tade Thompson - Wild Card (Cover)

Dorthin fliegt Weston Kogi, um der Beerdigung seiner Tante beizuwohnen. Eigentlich lebt er inzwischen in England und verdingt sich als Wachmann, doch die familiären Banden innerhalb der Yoruba sind stark. Und so kommt Weston zurück in das Land, aus dem er einst aufgrund des Bürgerkriegs floh. Die Lage hat sich inzwischen beruhigt und auch die Beerdigung geht reibungslos über die Bühne. Doch für Kogi halten die Feierlichkeiten trotzdem ein dickes Ende bereit. Einem ehemaligen Schulkameraden gegenüber gibt er den Aufschneider. So behauptet er, bei der Mordkommission der englischen Polizei angestellt zu sein. Eine Lüge, die sich als fatal erweisen soll.

Den nach der Feier wird er von der Liberation Front of Alcacia gekidnappt. Diese möchte, dass er den Mord an einem hochangesehenen Politiker aufklärt und die Verantwortlichen für den Mord bei der People Christian’s Army findet. Doch kaum ist Weston Kogi aus den Fängen der LFA entlassen, wird er einmal mehr entführt. Nun ist es die PCA, die von Weston Kogi die Aufklärung des Mordes an dem Politiker verlangt. Und die Schuld soll er – keine große Überraschung – bei der LFA finden. So sitzt Weston Kogi gehörig in der Klemme, steht er doch zwischen den beiden verfeindeten Rebellengruppen und hat darüber hinaus keine Ahnung, wie das geht: einen Mord aufklären.

Immer wieder flackert Gewalt auf

Bei seiner Suche nach den Hintergründen für den Mordanschlag erlebt er die ganze Grausamkeit und den Wahnsinn am eigenen Leib. Banden, Geheimpolizei, Verbündete, die ein doppeltes Spiel treiben gibt es in Alcacia an jeder Ecke. Mit Weston Kogi möchte man da nicht tauschen.

Dabei scheut sich Tade Thompson auch nicht vor expliziten Szenen, um die Gräuel in Alcacia zu bezeichnen. Immer wieder flackern Momente größte Gewalt und Brutalität auf. Leichen werden zerstückelt, Menschen werden von Landminen in die Luft gesprengt. Missbrauch und Unterdrückung sind an der Tagesordnung. Das muss man aushalten können. Vor allem aber ist es die Ahnung, dass die hier beschriebenen Szenen doch wohl nur Abziehbilder der Gewalt sind, die in vielen afrikanischen Staaten tatsächlich grassiert. Das inzwischen so abgenutzt Schlagwort vom afrikanischen Bürgerkrieg wird hier wieder neu mit Bedeutung aufgeladen.

Eine bestechende Grundidee

Bestechend ist ja die Grundidee dieses Krimis. Eine aufschneiderischer Ex-Alcacianer, der nun mit den Auswirkungen seiner Flunkereien zu kämpfen hat. Allerding macht Tade Thompson für mein Gefühl zu wenig aus der Grundidee. Schnell mutiert Kogi vom Lügner zum tatsächlichen Ermittler, der sämtlichen Spuren nachgeht, Verhöre führt, die ihn weiterbringen und immer weiß, wie es gerade weitergeht in dem Schlamassel, in dem er steckt. Er liest sich dann als Ermittler wider Willen doch recht austauschbar, da er dann genau das macht, was alle anderen Ermittler*innen in solchen Situationen auch machen würden. Egal wie oft er zusammengeschlagen, misshandelt und malträtiert wird – wenig später fährt er unbeirrt und stoisch mit seinen Ermittlungen fort. Ein kriminalistisches Stehaufmännchen reinsten Wassers, dem man seinen früheren Job in England angesichts dieses Talents nicht so richtig abnimmt.

Auch wenn Kogi behauptet, dass er keine eigene Methode habe – Tade Thompson lässt ihn durchaus zielgerichtet im Nebel stochern. Hier hätte man durchaus mit Kogis Nicht-Eignung für den Job spielen können, um den Thriller noch etwas origineller und unverwechselbarer zu gestalten.

Fazit

Davon abgesehen ist Wild Card ein prima Thriller, der mit seinem Schauplatz und Thema andere Wege geht, anstelle einen weiteren Serienkiller-Thriller aus Europa oder Cop-Thriller aus Übersee zu präsentieren. Gelungene Unterhaltung mit leichten Abstrichen, relevant und außergewöhnlich.


  • Tade Thompson – Wild Card
  • Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
  • ISBN 978-3-518-47151-7 (Suhrkamp)
  • 329 Seiten. Preis: 11,95 €
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Tana French – Der Sucher

Einmal mehr tritt Tana French mit Der Sucher den Beweis an, dass nicht Blutbäder und Metzelorgien die Qualität bestimmen, sondern gelungene Spannungsliteratur auch ganz anders aussehen kann. Während sich andere Autoren daran weiden, Figuren in Häckslern zu zerkleinern oder grausamst zu pfählen und das Ganze voyeuristisch ausschlachten, setzt Tana French auf die Kraft des Untergründigen. Bei ihr gerät ein pensionierter Cop an eine Dorfgemeinschaft, die er mit seinem erlernten Handwerkszeug kaum zu knacken bekommt. Dabei wäre das von höchster Dringlichkeit, denn ein Junge ist verschwunden.


Tana Frenchs titelgebender Sucher hört auf den Namen Cal Hooper. Er ist ein pensionierter Streifenpolizist aus Chicago, der sich in der irischen Provinz niedergelassen hat. Er hat sich ein kleines renovierungsbedürftiges Haus in der Nähe des Dorfs Ardnakelty gekauft. Ein paar Farmen, Wohnhäuser, ein Pub, dessen eine Hälfte der Dorfladen ist, viel mehr ist dort nicht. Genau das Richtige für Cal, der sich nach Ruhe und einem unspektakulären Leben sehnt. Doch mit der Ruhe ist es nicht weit her. Immer wieder hat er das Gefühl, von jemandem beobachtet zu werden. Und tatsächlich kann er den Eindringling schon bald stellen. Es handelt sich um Trey, einen Jungen aus der Nachbarschaft.

Nachdem sich die beiden etwas angenähert haben, fasst Trey Vertrauen und zieht Cal zu Rate. Sein Bruder Brendan ist verschwunden – allerdings scheint dieses Verschwinden niemanden zu irritieren oder gar zu interessieren. Treys Mutter sieht keinen Grund zur Beunruhigung und auch die lokale Garda pflegt eher eine unaufgeregte Arbeitsweise. Cals Alarmglocken hingegen schrillen – und so beschließt er, selber noch einmal aktiv zu werden. Er beginnt sich umzuhören – beißt sich aber an der verschworenen Dorfgemeinschaft seine Zähne aus.

Ruhiger Aufbau und untergründige Spannung

Tana French - Der Sucher (Cover)

Das ist die Rahmenhandlung von Tana Frenchs Buch, das sich durch viel (vordergründige) Ruhe auszeichnet. French nimmt sich die Zeit, ihr Szenario ausgiebig zu entwickeln. Sie beschreibt detailliert Cals handwerkliche Tätigkeiten, seinen rituellen Tratsch mit dem Nachbar und das soziale Gefüge, das sich im Pub offenbart. Auch die Annäherung von Trey und Cal inszeniert sie behutsam und mit viel Raum für genaue Beobachtungen. Als mit blutigen Metzelorgien sozialisierter Leser kann man da schon mal die Geduld verlieren. Bis es hier zu Toten kommt (die zunächst auch nur tierischer Natur sind) vergeht viel Zeit.

Zeit, die sich lohnt, da man mit feinen Beschreibungen und Beobachtungen belohnt wird und die Spannung stets untergründig vorhanden ist. Mit Der Sucher balanciert Tana French wie gewohnt auf der Spannungsgrenze von Roman und Kriminalliteratur – ohne abzustürzen oder von ihrem eingeschlagenen Erzählpfad abzukommen.

Mit minimalen Mitteln erzielt sie hier großen Ertrag. Stets schwebt über allem ein Gefühl der Bedrohung, selbst wenn eigentlich nur wenig passiert. Egal ob Cal sich nach dem verschwundenen Jungen umhört oder im Pub eigentlich harmlose Gespräche und Frotzeleien stattfinden – man hat das Gefühl, als könnte die sich die irische Erde jeden Moment öffnen, um einen Blick auf das echte Grauen freizugeben. Dieses Erzeugen von Furcht und Argwohn ist literarische Kunst, die Tana French hier einmal mehr eindrucksvoll gelingt. Ihr ländliches Irland, die verschworene Dorfgemeinschaft, die Hartnäckigkeit Cals – all das ist großartig eingefangen und wird stets von einem Gefühl der Bedrohlichkeit grundiert, was man so erst einmal hinbekommen muss.

Fazit

Mit der Lektüre dieses Krimis ist es wie mit dem Besuch bei einem Gourmetrestaurant, nachdem man sich zuvor über lange Zeit mit Fastfood und Geschmacksverstärkern den Magen vollgeschlagen hat. Hier lässt sich wieder entdecken, wie Spannungsliteratur auch sein kann. Eben nicht platt voyeuristisch, voller Blut und Metzeleien – sondern so ganz anders als der Fitzek’sche Mainstream. Spannungsreiche Ruhe, einige punktuelle Andeutungen, Zeit für Entwicklung – das sind die Zutaten, mit denen Tana French in Der Sucher beste Spannungsqualität produziert.

Ein Buch, das die Natur Irlands genauso gut einfängt, wie die verschworenen und verschwiegenen Dorfgemeinschaften, denen man auf der Insel begegnen kann. Ein eindrucksvoller Beweis, dass es bei guten Krimis eben nicht die Leichendichte, sondern das literarische Handwerkszeug die Qualität ausmacht.


  • Tana French – Der Sucher
  • Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
  • ISBN: 978-3-651-02567-7 (S. Fischer)
  • 496 Seiten. Preis: 22,00 €
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Kyle Perry – Die Stille des Bösen

Krimis aus Übersee findet man in den Buchhandlungen en masse, auch Australien als Handlungsort ist schon gut erschlossen. Krimis aus Tasmanien hingegen sind bislang Mangelware. Generell ist Tasmanien ja ein literarischer Schauplatz, der außer von Richard Flanagan zumindest auf dem hiesigen Buchmarkt kaum bespielt wird. 68.000 Quadratmeter umfasst die Insel, deren größter Teil unter Naturschutz steht und die zumindest für uns Europäer schon fast den Rand der Welt darstellt. Nun betritt mit Kyle Perry ein Krimiautor die Bühne, der mit Die Stille des Bösen ein formidables Debüt vorlegt. Ein Debüt, dessen nichtssagender deutscher Titel noch der schwächste Aspekt des Buchs ist.


Im Original trägt Perrys Buch den Titel The Bluff. Ein stimmiger Titel, geht es doch um Täuschung, Manipulation und das Spiel mit Erwartungen und Öffentlichkeit. Ausgangspunkt ist der Schulausflug einer Gruppe von Schüler*innen in die Great Western Tiers, eine im Herzen Tasmaniens gelegene Region. Bei diesem Ausflug verschwinden vier Schülerinnen spurlos, eine betreuende Lehrerin wird vor Ort verletzt. Die beiden Polizisten Cornelius „Con“ Badenhorst und Gabriella Pakinga übernehmen die Ermittlungen und versuchen den Verbleib der Mädchen in der Wildnis Tasmaniens zu klären.

Besonders brisant wird das Verschwinden durch die Legende des „Hungermanns“. Dieser forderte schon einmal im Jahr 1985 Opfer, als Schülerinnen ebenfalls verschwanden. Seitdem wurde ein Mantel des Schweigens über die Geschehnisse gebreitet und die Legende des „Hungermanns“ war tabu. Doch mit dem Verschwinden der jungen Frauen taucht die Legende wieder auf, befeuert durch das Agieren ihrer Mitschülerin Madison. Diese betätigt sich als reichweitenstarke Influencerin und verfügt dadurch über ein nicht zu unterschätzendes Machtinstrument, nämlich die öffentliche Wahrnehmung.

Gezielt streut sie Informationen und hält andere wichtige Beobachtungen zurück, mobilisiert durch ihre Videos die lokale Bevölkerung in Limestone Creek und manipuliert ihre Mitmenschen und die Polizei. Eine echte Blufferin also, die die Suche nach ihren Mitschülerinnen als Spiel begreift.

Aufruhr in Tasmanien

Kyle Perry - Die Stille des Bösen (Cover)

Um seinen Krimi zu erzählen wählt Kyle Perry drei Perspektiven, aus denen er hauptsächlich erzählt. So erlebt man die Ermittlungen aus Sicht von Con Badenhorst. Für den Aspekt der lokalen Bevölkerung ist Murphy zuständig, er ist der Vater eines der verschwundenen Mädchen versorgt als Drogenproduzent halb Limestone Creek. Und einen Einblick in die Schulklasse erhält man durch die Lehrerin Eliza, die beim Klassenausflug niedergeschlagen wurde und die vier Mädchen als letzte Zeugin sah. Diese drei Personen sind aufeinander angewiesen, um das Verschwinden der Mädchen zu klären. Doch nicht jeder von ihnen ist ein verlässlicher und ehrlicher Zeuge, auch hier greift der Originaltitel des des Buchs.

Kyle Perry gelingt es, Stück für Stück die Wahrheit über das Verschwinden der Mädchen zu enthüllen. Er schildert die von Madisons Agieren ausgelösten Dynamiken und treibt das Buch in gutem Tempo voran. Immer wieder wechselt er die Blickwinkel, erzählt von der komplizierten Suche im unzugänglichen tasmanischen Hinterland und inszeniert diese Kulisse mit tollen Bildern. Man meint förmlich, sich in dort in den Great Western Tiers zu befinden, die dschungelartige Natur dort voller Berge, Grünzeug und Gumpen gemeinsam mit Badenhorst und Co zu durchstreifen. Das, was das Cover verheißt, liefert Kyle Perry dann im Inneren uneingeschränkt. Suspense und Natur, es ist hier alles drin.

Fazit

Vertrügen auch einige der Figuren noch ein Mehr an Profil und Hintergrund, ist das Buch doch ein erstaunlich souverän erzählter Krimi, dessen Taktung und Wendungen routiniert wirken. Themen wie das Aborigine-Erbe Tasmaniens, gefährliche Dynamiken der Sozialen Medien und der lokale Drogenhandel werden von Kyle Perry gestreift, ohne dass sie die Handlung beschweren. Der Plot ist gut entworfen, der Schauplatz plastisch eingefangen und die Lektüre von Die Stille des Bösen macht Lust auf mehr. Hier schreibt ein echtes Krimitalent, das Tasmanien mit Verve auf die kriminalliterarische Landkarte packt. Bravo!


  • Kyle Perry – Die Stille des Bösen
  • Aus dem Englischen von Sabine Längsfeld
  • ISBN 978-3-85535-117-6 (Atrium)
  • 460 Seiten. Preis: 22,00 €
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