Amor Towles – Lincoln Highway

Vier Jungen ohne Väter, eine Reise in zehn Tage. Dazwischen ein Bogen aus Geschichten, Schicksalen und antiken Mythen. Mit Lincoln Highway gelingt Amor Towles ein Gegenentwurf zu seinem vorhergehenden Roman Ein Gentleman in Moskau – und ein Buch mit fast klassikerhaften Zügen und dem Zeug zum Bestseller.


„Das ist der Lincoln Highway“, erklärte Billy und fuhr an der schwarzen Linie entlang. „Er ist 1912 erfunden worden und nach Abraham Lincoln benannt, die erste Straße, die Amerika von Osten nach Westen durchquert.“

Billy setzte die Fingerspitze auf den Anfang am Atlantik und fuhr an der Linie entlang.

„Der Lincoln Highway fängt in New York am Times Square an und geht bis zum Lincoln Park, San Francisco, der dreitausenddreihundert Meilen weiter westlich liegt. Und er führt durch Central City, das ist nur zwanzig Meilen von unserem Haus entfernt.“

Amor Towles – Lincoln Highway, S. 32 f.

Saß Graf Rostov, der Held von Amor Towles letzten Roman Ein Gentleman in Moskau im Hotel Metropol fest und verbüßte seine lebenslange Haft in statischer Verdammtheit, so ist in Lincoln Highway nun alles beständig in Bewegung. Es beginnt schon mit einer Autofahrt zu Beginn des Romans, der noch viele weitere Kilometer folgen werden.

Von Nebraska bis San Francisco (eigentlich)

Nach einem unglücklichen Zufall, der zum Tod eines anderen Jungen führte, befand sich Emmet in der Besserungsanstalt Salina, die er nun im Juni des Jahres 1954 als 18-Jähriger verlässt. Auf der elterlichen Farm in Nebraska wartet allerdings nur sein Bruder in Begleitung eines benachbarten Farmers – und ein Banker, der Emmett über die Schulden seines verstorbenen Vaters unterrichtet.

Amor Towles - Lincoln Highway (Cover)

Auf der elterlichen Farm hält Emmett nach seiner Vorgeschichte nicht mehr viel – besonders als sein kleiner, hochintelligenter Bruder Billy zehn Postkarten enthüllt, die ihnen ihre Mutter einst schrieb und die Stationen des Lincoln Highways markieren. Billy vermutet seine Mutter in San Francisco, weswegen die Brüder in zehn Tagen von Nebraska gen Westen reisen wollen. Der Studebaker, den Emmetts Vater seinem Sohn vererbte, steht bereit und so könnte es eigentlich losgehen. Doch statt eines brüderlichen Roadtrips durch die Weiten der USA kommt alles ganz anders.

Denn kurz nach der Ankunft auf der heimischen Farm klopft es an der Tür und es stehen zwei weitere Insassen der Besserungsanstalt von Salina vor Emmetts Haustür. Woolly und der Ich-Erzähler Duchess erweisen Emmett die Ehre, nachdem sie als blinde Passagiere im Kofferraum des Direktorenwagens gereist sind. Sie haben ganz andere Reisepläne als Emmett, denn sie wollen nach New York, um an ein Erbe von Woolly zu gelangen. Und so beginnt eine Reise, die sich völlig unvorhergesehen entwickelt und die immer wieder mannigfaltige Überraschungen und Begegnungen bereithalten soll.

Stets in Bewegung

Ob im Studebaker oder als blinde Passagiere in Zügen, ob vertikal in Aufzügen oder horizontal auf Seen oder Straßen – beständig drängen die Figuren in diesem Roman voran, jagen Idealen, verschollenen Familienmitgliedern oder dem großen Geld hinterher, stets begleitet von antiken Vorbildern, die Billy im Kompendium von Helden, Abenteurern und anderen unerschrockenen Reisenden des Professors Abernathe entdeckt und seinen Reisegefährten nahebringt.

Das erinnert in seiner überstürzenden Hast und der vorwärtsdrängenden Bewegung an Klassiker der Reiseliteratur wie Jules Vernes In achtzig Tagen um die Welt, wenngleich es hier nur zehn Tage sind, die das Handlungsgeschehen bestimmen (und immer wieder als Leitmotiv in verschiedensten Abwandlungen auftauchen, von Hausregeln und Countdowns bis hin zu den Zehn Geboten, die das Personal des Romans immer wieder bricht)

Zwischen all diese Bewegungen und Reisen setzt Amor Towles mitreißende Begegnungen, die von reisenden Hobos und Illusionisten bis zu doppelzüngigen (und reichlich gefährlichen) Predigern reichen, was an einen anderen Klassiker erinnert, nämlich Mark Twains Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Das lässt trotz der Länge von fast 580 Seiten keine Langweile aufkommen, da durch die Struktur eines Countdowns, die Vielfalt der Figuren und den immensen Geschichts- und Schicksalsbogen Abwechslung ebenso wie Dramatik gegeben ist.

Weit mehr als ein schlichter Road Novel

Diese Vielfalt ist es, die Lincoln Highway auch ein Gefühl von Zeitlosigkeit verleiht, wenngleich der Handlungsrahmen des Buchs ja eigentlich mit zehn Tagen im Juni 1954 sehr eng gesteckt ist. Diese Enge weiß Amor Towles aber maximal für sich zu nutzen und erzeugt durch seine Schilderungen von Tramps und Reisenden das Bild eines nostalgischen Amerikas, das aber nie in platten Americana-Kitsch abkippt. Stets ist doch auch das Gefühl des Verlusts, des Platzens von Illusionen und des Schmerzes präsent, der besonders am Ende des Romans zum Vorschein kommt und der das Buch zu weit mehr als einem gewöhnlichen Road-Novel macht.

Auch maximiert er durch diese Vielfalt an Schicksalen das Identifikationspotenzial, das dem Buch innewohnt. Acht ebenso heterogene wie plausibel geschilderte Figuren aus ganz unterschiedlichen Gesellschaftsschichten sind es, denen man in Lincoln Highway begegnen kann und deren Schicksale und Geschichten zur Identifikation einladen. Das macht das Buch maximal anschlussfähig und sollte für viele begeisterte Leserinnen und Leser sorgen, weshalb ich Towles Buch durchaus einen ähnlichen Erfolg zutraue, wie er ihm schon in den USA beschieden war. Dort stand das Buch an der Spitze der Bestsellerlisten und verkaufte sich innerhalb weniger Monate millionenfach.

Zeitdruck bei der Übersetzung?

Schade nur, dass die Übersetzung von Susanne Höbel ins Deutsche mit der Güte von Towles Werk nicht so ganz mithalten kann. An einigen Stellen wirkt es so, als sei nicht allzu viel Zeit für gründliches Arbeiten geblieben. Die Protagonisten begrüßen sich des Öfteren mit einem „Hallo da“, was im Englischen als „Hello there“ gang und gäbe sein mag, im Deutschen allerdings etwas merkwürdig klingt und eher ein „Hallo zusammen“ oder „Hallo miteinander“ wäre.

Auch wirkt es wenig idiomatisch, wenn Emmets Bruder Billy auf Seite 405 Folgendes erklärt: „Im Jahr 49 BC war Cäsar Gouverneur von Gallien“. Before Christ hätte man hier durchaus als „vor Christus“ übersetzen können, statt den englischen Terminus stehen zu lassen. Auch andere Formulierung wirken ab und an etwas befremdlich, sodass sich der Eindruck von Übersetzungshektik in der deutschen Version manifestiert. Das ist schade, da Susanne Höbel ja ansonsten Romane wirklich gelungen ins Deutsche zu übertragen weiß.

Fazit

So bleibt festzuhalten, dass Lincoln Highway das Zeug zum Klassiker hat. Amor Towles bietet darin neben überzeugendem Erzählhandwerk eine Vielzahl an Figuren und Schicksalen auf, die die Leser*innen für sich einnehmen dürften. Er zeigt in der Tradition von Mark Twain Hobos, Dynastiesprößlinge, Farmerkinder und falsche Prediger, die sich alle auf der Suche befinden und denen allesamt Unrast und ein steter Bewegungsdrang zueigen ist. Das macht aus Lincoln Highway ein nimmermüdes Lesevergnügen, bei dem es zu keinem Zeitpunkt zu Stillstand oder gar Langeweile kommt. Es ist ein Road Novel, es ist mehr als ein Road Novel, es ist eines der Bücher, das die Bestsellerlisten erobern dürfte und auch über das kurzlebige Novitätengeschäft hinaus das Zeug zum Longseller hat.


  • Amor Towles – Lincoln Highway
  • Aus dem Englischen von Susanne Höbel
  • ISBN 978-3-446-27400-6 (Hanser)
  • 576 Seiten. Preis: 26,00 €
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Norbert Scheuer – Mutabor

Der Eifel-Schreiber ist wieder da. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor schreibt Norbert Scheuer mit seinen Romanen eine Geschichte des Urftlandes in der Eifel – und widmet sich insbesondere dem Städtchen Kall, in dem Scheuer auch selbst wohnt. Mit Mutabor führt er seine Chronik des Urftlandes fort. Nur schade, dass er diesmal seine Geschichte unter allzu viel Erzählfragmenten verbuddelt.


Mit seinem letzten, vor ziemlich genau drei Jahren erschienenen Roman Winterbienen gelang Norbert Scheuer der Durchbruch. Hatte es schon zuvor ab und an Preise und Nominierungen für sein Schreiben gegeben, wurde ihm nun für seinen Roman über einen Imker, der zugleich als Fluchthelfer im Zweiten Weltkrieg arbeitete, der Wilhelm Raabe-Literaturpreis zugesprochen. Auch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte es Scheuer mit seinem Roman. Wie schon zehn Jahre zuvor mit Überm Rauschen gelang ihm auch mit diesem Buch der Sprung auf die Shortlist, wenngleich Saša Stanišić dann das Rennen machen sollte.

Zurück im Urftland

Nun, drei Jahre später, gibt es einen neuen Roman von Norbert Scheuer, der den Erzählzyklus des Urftlandes fortsetzt und erweitert.

Mitten im verschwundenen urzeitlichen Meer, in den längst versickerten Flüssen und ausgetrockneten Seen liegt das Urftland und in ihm Kall wie eine verlassene, öde Insel im Ozean der Zeit.

Vielleicht ist auch Mutter in diesem unendlichen Ozean für immer verschwunden. Die Grauköpfe wissen möglicherweise darüber Bescheid und wollen es mir nur nicht sagen.

Norbert Scheuer – Mutabor, S. 52 f.

Das Geheimnis ihrer Herkunft, es beschäftigt die Ich-Erzählerin Nina Plisson beständig. Ihre Mutter ist verschwunden, ihren Vater kennt sie ebenfalls nicht. Minderjährig ist sie der Aufsicht durch eine Betreuungsperson unterstellt, die sich aber als missbräuchlich erweist.

Norbert Scheuer - Mutabor (Cover)

Feste Fixpunkte in ihrem Leben sind eigentlich nur ihre Schildkröte, die als Referenz zu Virginia Woolf auf den Namen Orlando getauft wurde, und ihre Tätigkeit bei Evros, dem griechischen Kneipenwirt, der seine Gedanken auf Bierdeckel stempelt und der in Nina die diffuse Liebe zu Byzanz und den Störchen weckt.

Das Kreisen um die Fragen ihrer eigenen Identität wird das ganze Buch über bleiben, wenngleich Norbert Scheuer auch noch anderes Personal wie die ehemalige Lehrerin Sophia oder die männlichen Kneipenbesucher Striegl, Vincentini oder Hillarius kurz porträtiert und zu Wort kommen lässt.

Hier beginnen aber schon die Probleme, die ich mit Scheuers neuem Roman hatte, ist die Kürze hier doch wirklich ein Schwachpunkt der Erzählung.

Leider zu kurz und zu knapp

Es sind nicht einmal knapp 190 Seiten, die Mutabor aufweist. Von diesen 190 Seiten entfallen aber schon 33 auf Bierdeckel – das sind die Seiten, die kurze Sentenzen und Fantasien des Kneipenwirts Evros nebst an Rorschachtests erinnernden Kritzeleien und Spritzzeichnungen aufweisen (die schön gestaltet auch auf dem inneren Buchumschlag fortgeführt werden).

Bleiben als noch 160 Seiten für eine wirkliche Handlung, die sich hier leider in Fragmenten erschöpft. Zwar lässt sich eine Grundgeschichte der Identitätssuche Ninas aus dem Buch herauslesen, darum herum sind aber viele wenig zielführende, teilweise assoziative Motive und Andeutungen gruppiert, die die Entwicklung einer konsistenten Geschichte immer wieder unterbrechen. So lässt sich das folgende Bild auch auf das Erzählen im Buch selbst übersetzen.

„Ach, es geht um Nina. Sie behauptet, ihre Betreuerin habe ihr den Rucksack weggenommen, da seien all ihre Schätze drin gewesen. Ich kenne die Sachen, es sind verstörende Bilder, mit Skizzen vollgekritzelte Hefte, in denen es einzig und allein um die Frage geht, was aus ihrer Mutter geworden ist.“

Norbert Scheuer – Mutabor, S. 119 f.

Mit Skizzen vollgekritzelte Hefte, das ist ein passendes Bild für die erzählerische Gestaltung des Buch. So tauchen die Störche vom Cover ab und an als Leitmotive auf, griechische Mythen spielen eine Rollen, genauso wie die archaische und kraftvolle Flusslandschaft der Urft immer wieder in Szene gesetzt wird. Daneben geht es aber auch um gefangene Marder, Missbrauch , Armbänder, Demenz, Liebe der Kategorien vergeblich und hoffnungsvoll (zwischen Nina und dem Afghanistan-Heimkehrer Paul, den Scheuer-Leser unter anderem aus Die Sprache der Vögel kennen dürften, entspinnt sich langsam eine Romanze).

All das ist für meinen Geschmack etwas zu abgehackt und eben in der Sprache des Buchs skizzenhaft erzählt, als dass sich ein wirklicher Lesefluss einstellt und man in Scheuers Erzählwelt gezogen wird (wie mir das bei den Winterbienen passierte, die ganz so ganz anders sind und den erzählerischen Sog haben, der Mutabor fehlt).

Stilistisch klar erkennbar

Der enge Lokalbezug, die Verknüpfung der Figuren über die Bücher hinweg, die Vermengung von Fiktion und Realität im Nachwort, das bekannte Personal des grauköpfigen, kommentierenden Chores, die Sprachkraft, all das bildet ja die unverwechselbare stilistische Signatur des Eifeler Schriftstellers Norbert Scheuer und ist auch in diesem Buch wieder vorhanden – nur leider viel zu verhalten, als dass sich bei mir Begeisterung eingestellt hätte.

Das Gefühl eines Mangels an Plot setzt sich so leider auch auf der stilistischen Ebene fort, unter der auch die Entwicklung der Figuren leidet.

Scheuer war schon einmal stärker, was die Wahl seiner Figuren betraf. So hat mich die Erzählperspektive der jungen Nina nicht überzeugt und hinterließ einen etwas schalen Eindruck. Und auch die übrigen Figuren bleiben hier etwas diffus und bekommen wenig Tiefe oder gar Entwicklungsmöglichkeiten zugesprochen, was bei den gerade einmal 150 Normseiten auch wenig überraschen sollte.

Fazit

Wer Norbert scheuer durch den fantastischen Roman der Winterbienen kennengelernt hat, dürfte sich hier die Augen reiben, so anders ist doch dieses Buch. Zwar bleibt sich Scheuer mit Themen und Stil treu, doch gibt er hier den Verschachtelung und den Assoziationen vor der Entwicklung einer stringenten und klar deutbaren Geschichte den Vorzug. Damit steht er zwar in einer Reihe ganz ähnlich erzählter Bücher in diesem Frühjahr, doch wirklich mitreißen konnte er mich nicht. Vielleicht bedarf es noch einer sorgfältigen zweiten oder dritten Lektüre damit Mutabor sich im Wortsinn wirklich wandelt und zugänglich wird. Ich hätte aber überhaupt nichts dagegen gehabt, mich schon im ersten Anlauf überzeugen zu lassen und einmal mehr in die Welt des Urftlandes gezogen zu werden.

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Négar Djavadi – Die Arena

Kaum bricht sie an, die Zeit der Wahlkämpfe, dann ist es auch wieder Zeit für Veranstaltungen, die gerne einmal den Titel „Die Arena“ oder „Die Wahlkampfarena“ tragen. Das Parteienpersonal nimmt in solchen Veranstaltungen Stellung und bekennt Farbe in Konfrontationen, wie es dann immer in Werbungstexten heißt. So richtig hoch her geht es bei solchen Konfrontationen selten. Ganz anders die historischen Arenen im römischen Weltreich, die noch für Massenspektakel, Gewalt und Tod standen und die von den heutigen Arenen etwa so weit entfernt sind wie Italien von stabilen politischen Verhältnissen.

Négar Djavadi hat nun einen Roman geschrieben, der ebenfalls den Titel Die Arena trägt und der sich thematisch zwischen phrasenreichem Wahlkampf und tödlichem Spektakel im alten Rom einordnet. Darin zeigt sie ein Paris im Ausnahmezustand, das wenig mit Eiffelturm und Croissant-Seligkeit zu tun hat, als vielmehr eines, das von Gangkriegen und Polizeigewalt inmitten eines Wahlkampfs um das Amt des Pariser Bürgermeisters erschüttert wird.


Dass ein Riss durch die französische Bürgerschaft geht, das haben die jüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen deutlich gezeigt. Nachdem sich Amtsinhaber Emmanuel Macron in einigen Arena-Debatten mit seiner rechten Herausforderin Marine Le Pen maß, behielt er zwar sein Präsidentenamt, wenige Wochen später verlor er allerdings die Mehrheit im Parlament und die extremen Ränder wurden durch die Wahlen gestärkt.

Dieses Gefühl gravierender politischer Veränderung, der Hinwendung zu extremen Positionen und gärende Wut im Volk scheint immer wieder in Die Arena durch, wenn diese Gefühle nicht sogar das ein ums andere Mal offen zutage treten. Négar Djavadi thematisiert dies, indem sie als Form den klassisch-realistischen Großstadtroman in der Tradition eines Émile Zola oder Honoré de Balzac wählt.

Verschiedene Figuren, verschiedene Milieus

Eine Vielzahl unterschiedlicher Figuren rückt sie in den Mittelpunkt, die pars pro toto für verschiedene Paris oder vielmehr französische Milieus und Gesellschaftsschichten stehen.

Alles beginnt dabei mit dem Mord an einem Teenager im Müllraum eines Mehrparteienhauses, für den eine verfeindete Gang wenig später Rache übt.

Ja, seit September hat es schon zwei [Abrechnungen] gegeben… Die letzte war Ende Januar, da wurde ein Jugendlicher tot im Müllraum der Cité Rouge gefunden. Le Parisien brachte keine vier Zeilen darüber, und in den anderen Zeitungen stand gar nichts! Adam hatte es mir nach der Schule erzählt… Vierte Klasse, stell dir vor…“

„Cité Rouge gegen Grange-aux-Belles, richtig?“

„Offensichtlich… Aber da ist noch die Cité Blanche, die Beihilfe leistet oder mitmacht (verdrossenes Kopfschütteln). Es ist alles so undurchsichtig, dass du nicht wirklich weißt, was vor sich geht. Issa ist der Dritte in fünf Monaten.

Négar Djavadi – Die Arena, S. 293

Die Gangs der unterschiedlichen Stadtviertel bekriegen sich – und mitten hinein in diesen Konflikt wird auch Benjamin Grossmann gezogen. Dieser ist eigentlich ein erfolgreicher Jetsetter unter Dauerstress. Für die französische Produktionsplattform BeCurrent arbeitet er als französischer Lokalchef, betreut die Entwicklung neuer Serienformate (auch hier wieder der Anknüpfungspunkt zum Serienschreiber Balzac), fungiert als Mittler zwischen vielversprechenden Kreativen und seinen amerikanischen Chefs. Kurzum, Grossmann steht für eine echte Upperclass-Existenz zwischen Schickeria und Dauerstress.

Als ihm nun sein Handy geklaut wird, potenziert sich Grossmanns Stress noch einmal deutlich. Denn für seinen Job ist das Telefon eigentlich unerlässlich, weshalb er vor seinem Umfeld den Verlust des Mobiltelefons kaschiert. Einen Jungen, den er im Verdacht hat, sein Telefon gestohlen zu haben, stellt er in der Nacht des Verlustes noch zur Rede und schreckt bei der Konfrontation auch vor körperlicher Gewalt nicht zurück.

Eine Debatte über Polizeigewalt

Négar Djavadi - Die Arena (Cover)

Als nun der vermeintliche Handydieb tot aufgefunden wird, ist Grossmann alarmiert. Doch statt ihn als Verdächtigen zu vernehmen, ist die Polizei erst einmal auf sich selbst konzentriert. Denn die Polizistin, die den toten Jungen entdeckte, hat sich zu einer Unüberlegtheit hinreißen lassen und dem Toten einen Tritt versetzt, ehe sie dessen Ableben feststellte. Dieser Tritt wurde gefilmt und verbreitet sich nun auf den sozialen Kanälen reißend schnell. Ein Shitstorm gegen die Polizei nimmt ihren Lauf, auf Twitter und Co. verbreitet sich das Video wie ein Flächenbrand und befeuert die Debatte um Polizeigewalt.

Populistische Talkshow-Gäste gießen zusätzlich noch ins Öl ins Feuer und sorgen schnell für eine Eskalation der Ereignisse, während Benjamin Grossmann hofft, sich dem Interesse in der Debatte entziehen zu können. Und das alles findet zur Hochzeit des Kampfs um das Bürgermeisteramt der Stadt Paris statt.

Von moderato bis furioso

Die Arena orientiert sich grundsätzlich an den eben schon erwähnten literarischen Vorbildern und erzählt immer wieder abwechselnd von ganz unterschiedlichen Figuren, darunter Polizist*innen, Migranten, Gangmitglieder, respektable Bürger*innen, Talkshow-Gäste, Geflüchtete und Politiker*innen. Djavadi begnügt sich aber nicht mit dem Ausfüllen der bekannten Romanstruktur, sondern entwickelt dieses Erzählkonzept weiter, indem sie den durch Twitter und einschlägige digitale Plattformen befeuerten Shitstorm anschaulich erzählt und auch Textnachrichten und Tweets in ihre Erzählung einbettet.

Gut gelingt Djavadi dabei auch zu zeigen, wie der Shitstorm in der digitalen Welt dann schließlich auf die reale Welt übergreift. Konsequent und plausibel demonstriert sie, wie die in der Gesellschaft beständig köchelnden Konflikte um die altbekannten Themenfelder (öffentliche Ausübung der eigenen Religion in einem laizistischen Staat, etc.) immer stärker befeuert werden und auch durch eine entsprechende mediale Begleitung schließlich im Straßenkampf enden (was auch an Ladi Lys Film Die Wütenden – Les Misérables aus dem Jahr 2019 erinnert).

Ganz folgerichtig ist ihr Roman innerhalb der beiden Erzählklammern Präludium und Postludium durch die inkrementalen musikalischen Bezeichnungen moderato, crescendo und furioso strukturiert, die auch stellvertretend für die öffentliche Meinung und das Erregungsniveau stehen. Diese Steigerung der Erregung und Gewalt ist eindrücklich gestaltet, wenngleich das Personenensemble das ein oder andere mal eine leichte Unwucht aufweist – angesichts der dahinterstehenden Fragen und der gesellschaftskritischen Analyse des Buchs fällt das allerdings nicht wirklich stark ins Gewicht, erzählt Négar Djavadi doch mit großem Anspruch und wagt sich an die Vermessung der gesamten französischen Gesellschaft.

Fazit

In Sachen bissiger und zeitkritischer Gesellschaftsromane sind uns die französischen Autor*innen weit voraus. Das beweist Michel Houellebecq, das beweist Karine Tuil und das zeigt nun auch Négar Djavadi auf beeindruckende Art und Weise. In ihrer Arena treffen unterschiedliche Milieus, Interessen und Persönlichkeiten aufeinander und ergeben ein düsteres Bild der französischen Gesellschaft.

Dass da etwas in unserem Nachbarland aus den Fugen gerät, illustriert die iranischstämmige Autorin und Filmemacherin eindrücklich und erweist sich damit als hellsichtige Diagnostikern bestehender Zustände. Mit Die Arena war sie den Ereignissen des französischen Wahlkampfs sogar um ganze zwei Jahre voraus.

Ein dichter, figurenreicher und sehr politischer Großstadtroman, der seinen großen Vorbildern gekonnt folgt und der trotzdem absolut zeitgemäß und eigenständig bleibt.


  • Négar Djavadi – Die Arena
  • Aus dem Französischen von Michaela Meßner
  • ISBN 978-3-406-79126-0 (C.H. Beck)
  • 463 Seiten. Preis: 26,00 €
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Stuart Turton – Der Tod und das dunkle Meer

Stuart Turton hat ein Faible für ungewöhntliche Kriminalromane. So machte er mit seinem Debüt Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle alle Leser*innen glücklich, die an den Gedanken der Wiedergeburt glauben. Seinen Ermittler ließ er immer wieder den gleichen Tag auf einem englischen Herrenhaus durchleben, nur damit dieser einen Mord aufklären konnte. Wie am Murmeltiertag musst er Tag für Tag das gleiche Szenario durchleben, allerdings immer wieder in einem anderen Körper, um so schließlich dem oder der Mörderin auf die Spur zu kommen. Vom klassischen Landhaus-Krimi mit Twist hat er sich nun verabschiedet. Diesmal sind wir in Der Tod und das dunkle Meer zu Gast auf einem Schiff namens Saardam.

Von Batavia nach Amsterdam

Dieses Schiff segelt im Jahr 1634 im Auftrag der Niederländischen Ostindienkompanie von Batavia nach Amsterdam. Eine Reise mit einer Dauer von über acht Monaten, die von Beginn an unter einem schlechten Stern steht. Schon vor Auslaufen der Flotte wird das Schiff von einem Aussätzigen verflucht, der danach spektakulär in Flammen aufgeht und eigentlich gar keinen Fluch über das Schiff aussprechen hätte dürfen, war ihm doch die Zunge war ihm zuvor herausgeschnitten worden.

Solche Begebenheiten häufen sich nach Auslaufen des Schiffs. Auf dem Segel taucht das Symbol des Alten Tom auf. Hierbei handelt es sich der Legende nach um einen schrecklichen Dämon, der offensichtlich unter der Schiffsbesatzung umgeht. Immer wieder finden sich an unterschiedlichen Orten des Schiffs solche Zeichen des Bösen. Es kommt zu grausamen Morden und es scheint, als hätte der Alte Tom schon bald sein Ziel erreicht, das Schiff untergehen zu lassen.

Stuart Turton - Der Tod und das dunkle Meer (Cover)

Für den Kampf gegen das Böse wäre eigentlich Samuel Pipps prädestiniert, eine Art Vorgänger von Sherlock Holmes von kleinem Wuchs, aber bestechenden Intellekt. Er befindet sich an Bord des Schiffs – allerdings in Ketten gelegt, denn ihn erwartet in Amsterdam seine Hinrichtung. Wessen man ihn beschuldigt, das weiß er selbst nicht. Aber so bleibt ihm nur die kriminalistische Unterstützung durch seinen Freund Arent Hayes, der Pipps an Bord begleitet und der selbst schon einmal die Bekanntschaft mit dem Alten Tom gemacht hat.

Während das Schiff nun Amsterdam entgegensegelt, spitzt sich die Lage an Bord immer mehr zu. Es scheint, als könnte das Vorhaben des Alten Tom tatsächlich gelingen, die verfluchtet Saardam in ihren Untergang zu lenken.

Der Alte Tom an Bord

Der Tod und das dunkle Meer liest sich wie eine wilde Melange aus Robert-Louis Stevensons Die Schatzinsel, etwas Horror, Anleihen an den Viktorianischen Kriminalroman und Patrick O’Briens Master and Commander. Dabei erklärt Stuart Turton selbst im Nachwort seines Romans, dass er bewusst keinen akkuraten historischen Roman schaffen wollte, sondern es vielmehr vermeiden wollte, sein Buch in das „Korsett eines Genres“ zu zwängen.

Das merkt man dem Krimi auch an, der auf über 600 Seiten auffährt, was Turtons Kreativität so hergibt. Immer mehr Mysterien und Rätsel häufen sich an Bord. Ein Aussätziger erscheint und verschwindet nach Belieben an Bord und kann sogar aus dem Wasser an Bord des Schiffs gelangen. Im Gefolge des Flottenverbands taucht immer wieder minutiös getaktet ein achtes Boot auf, Morde geschehen ohne Spuren und es scheint, als könne der Alte Tom an Bord des Schiffs beliebig umhergehen.

Da fehlen eigentlich nur noch ein paar Klabautermänner und Captain Jack Sparrow, und die Piraten-Nostalgie wäre perfekt.

Etwas zu viel Mysterien an Bord

Stuart Turton greift hier abermals in die Vollen, um Schauder und Nachdenken zu erzeugen. Dabei übertreibt er es allerdings etwas mit den unerklärlichen Rätseln und Ereignissen an Bord, sodass er diese in der Auflösung des Ganzen dann nicht wirklich plausibel und befriedigend zuende bringen kann.

Es waren zumindest meinem Eindruck nach ein paar Rätsel und Volten zu viel, als dass man Turton die vorgebrachte Auflösung dann rundherum abnimmt. Auch die völlige Verwandlung einiger Figuren, die zuvor über viele hundert Seiten völlig gegenläufig dargestellt wurden, überzeugt nicht.

Gerade auf den letzten Seiten stellt sich ein Eindruck einer gewissen Gehetztheit ein, mit der Turton seinen außergewöhnlichen Krimi abschließen wollte (oder vielleicht abschließen musste, da eventuell eine Deadline drohte). Ein paar weniger Unerklärlichkeiten zuvor und die Plausibilität des Ganzen hätte gewonnen. So aber wirkt der Krimi an sich leider nicht ganz rund und zuende gedacht.

Fazit

Mit Der Tod und das dunkle Meer untermauert Stuart Turton abermals seinen Ruf als ungewöhnlicher und wahrlicher kreativer Krimischriftsteller, der seine tollen Ideen und Fülle an Budenzauber dann aber nicht ganz ins Ziel retten kann. Die Auflösung fällt hinter den Großteil der spannenden gut 600 Seiten zurück und befriedigt nicht ganz. Da er zuvor allerdings mit seiner Fülle an Plotideen und Beschreibungskraft (Deutsch abermals von Dorothee Merkel) überzeugen konnte, fällt dies für mich nicht dramatisch ins Gewicht. Abzuwarten bleibt, mit welchem ungewöhnlich Krimi uns der Brite als nächstes überrascht!


  • Stuart Turton – Der Tod und das dunkle Meer
  • Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
  • ISBN 978-3-608-50491-0 (Tropen)
  • 608 Seiten. Preis: 25,00 €
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Damon Galgut – Das Versprechen

Mit Versprechen ist das so eine Sache. Manche dieser Versprechen würde man am liebsten wieder rückgängig machen oder ganz vergessen. Das muss auch die Hausangestellte Salome der südafrikanischen Familie Swarts in Damon Galguts Das Versprechen feststellen. Denn ein eigentlich versprochenen Häuschen lässt hier lange auf sich warten. Sehr lange.


War Südafrika in den vergangenen Jahren vor allem für seine vielen talentierten Krimiautor*innen wie Deon Meyer, Malla Nunn oder Roger Smith bekannt, ist die übrige reichhaltige Romantradition des Landes dabei fast etwas in den Hintergrund getreten. Aber seit J. M. Coetzee gibt es eine ganze Riege von Schreibenden außerhalb des Krimigenres, die des Lesens lohnen. Jüngstes Beispiel ist dabei Damon Galgut, der 1963 in Pretoria geboren wurde.

Mit 17 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman, dem Theaterstücke und zahlreiche weitere Bücher folgen sollte, die auch immer wieder für den Booker Prize nominiert waren. Im vergangenen Jahr gewann Galgut dann den wohl wichtigsten Literaturpreis der englischsprachigen Welt mit seinem Roman Das Versprechen.

Südafrika im Umbruch

Darin blickt Galgut auf die wohlhabende Familie Swarts, die im Besitz einer Farm und viel Land ist. Man schreibt das Jahr 1986, Südafrika befindet sich im Umbruch. Noch sitzt Nelson Mandela im Gefängnis, doch auch so kündigen sich große politische Umwälzungen an. Das Apartheidsystem neigt sich seinem Ende zu – und auch die Familie Swarts spürt den Umschwung des Zeitgeists am eigenen Leib.

Damon Galgut - Das Versprechen (Cover)

Nachdem gleich zu Beginn des Buchs Rachel, das weibliche Familienoberhaupt der Swarts, gestorben ist, kommen sie alle zusammen. Amor, Anton und Astrid sowie ihr Vater Manie. Der letzte Wille von Rachel war es, ihrer Haushaltshilfe Salome das von ihr bewohnte Häuschen auf dem Farmgelände zu vermachen. Sie hatte es Salome so versprochen, ihr Mann sollte ihren Willen nun umsetzen. Doch die Umsetzung des letzen Willens lässt auf sich warten.

Jahre werden ins Land gehen, weitere Familienmitglieder der Swarts ums Leben kommen – doch Salome muss auf die ihr eigentlich zustehende Immobilie verzichten. Nur Amor, die jüngste Tochter der Swarts, will sich mit diesem Zustand nicht arrangieren. Immer wieder bohrt sie nach, versucht Salome Recht zu verschaffen. Doch die Familie ist mehr als nur behäbig und so vergeht Jahr um Jahr, ohne dass das Versprechen eingelöst wird.

Ein komplexer und herausfordernder Familienroman

Damon Galgut hat einen herausfordernden und in seiner Erzählstruktur höchst komplexen Familienroman geschrieben, der über Jahrzehnte hinweg den Lebensweg der Swarts-Kinder und die konträren Versuche der Verhinderung beziehungsweise der Einlösung des Versprechens behandelt.

Um seinen Roman zu erzählen, blickt Galgut auf sämtliche Mitglieder der Familie Swarts, lässt einen randständigen Obdachlosen mit Visionen zu Wort kommen, kommentiert, wechselt immer wieder blitzartig die Perspektive teils innerhalb eines Absatzes und gönnt weder sich noch den Lesenden viel Ruhe oder Entspannung. Wörtliche Rede steht unmarkiert im Text und ab und an kippt das Erzählen von Damon Galgut fast in eine Art Bewusstseinsstrom. Das liest sich in der Übersetzung von Thomas Mohr dann manchmal so:

Ich mach das, sagt er. Gib mir ihre Nummer. Einerseits eine leidlich elegante Art, sich aus dieser rührseligen Szene herauszuretten, andererseits verspürt er in sich ein echtes, ergo interessantes Bedürfnis, seiner jüngeren Schwester die Botschaft zu überbringen. Ins Tagebuch notieren, für später. Aber jetzt erst mal raus hier. Inzwischen ist das ganze Haus auf den Beinen. Die Zwillinge Neil und Jessica, sieben Jahre alt, haben sich vom Kummer ihrer Mutter anstecken lassen und weinen bittere Tränen, während Dean hilflos daneben steht und sie anfleht, sich zu beruhigen. Anton zieht sich ans Telefon im Arbeitszimmer zurück, wo es nicht so laut ist. Schweinekalt hier drin, tiefster Winter und die kühlste Tageszeit dazu, kurz vor Sonnenaufgang. Außerdem sehr früh. Noch früher in London, ganze zwei Stunden. Aber eine Nachricht, insbesondere eine schlechte, will nun einmal übermittelt werden, das liegt in ihrer Natur, sie bedarf der Weitergabe, wie ein Virus.

Damon Galgut – Das Versprechen, S. 114

Das ist bisweilen herausfordernd, vor allem weil es so etwas wie eine Leerzeile nach einem Absatz im ganzen Buch nicht gibt. Atemlos hetzt Galgut durch die Geschichte, verschränkt Perspektiven, taucht tief in die so unterschiedlichen Welten seiner Figuren, beobachtet deren Leben und Sterben – und das über einen großen Zeitraum von fast 30 Jahren hinweg.

Neben der Eigenschaft als Familienroman ist Das Versprechen aber auch das Dokument eines Wandels. Das Buch zeigt Südafrika inmitten eines großen Umbruchs, bei dem alten Eliten, wie sie von der weißen und selbstherrlichen Familie Swarts in Teilen verkörpert werden, nicht mehr gelten. All das starre Beharren auf Privilegien und die Überlegenheit der eigenen Existenz mitsamt seinen rassistischen Denken, es kollidiert zunehmend mit einem System im Wandel.

Die schwarze Bevölkerung drängt an die Macht, das System der Apartheid kollabiert – und auch innerhalb der Swarts findet von einer Generation zur nächsten ein Paradigmenwechsel statt. Astrid pflegt eine Affäre mit einem Schwarzen, Amor die Ausgestoßenen und Armen. In den Widersprüchen und den Lebenswegen der jüngeren Swarts zeigen sich die Verwerfungslinien eines ganzen Landes, die bis heute spürbar sind. Und natürlich ist auch das der Hausangestellten gegebene und nicht eingelöste Versprechen eines, das sich auch auf die südafrikanische Gesellschaft und die aufrichtige Beteiligung aller Bürger*innen in Sachen Chancengleichheit und Teilhabe übertragen lässt.

Fazit

Das macht aus Das Versprechen eine doppelt interessant, wenn bisweilen auch sehr herausfordernde Lektüre, für die Galgut völlig zurecht den Booker Prize zugesprochen bekam. Hier spiegeln sich die Entwicklungen einer ganzen Gesellschaft in einer einzigen Familie, werden Brüche und enttäuschte Versprechen erlebbar.

Erschienen ist Damon Galguts Roman neben der regulären Buchhandelsausgabe auch in der Reihe Büchergilde Welt-Empfänger und kann durch eine bibliophile Gestaltung überzeugen. Erhältlich ist es exklusiv für Mitglieder der Büchergilde hier.


  • Damon Galgut – Das Versprechen
  • Aus dem südafrikanischen Englisch von Thomas Mohr
  • Buchgestaltung von Cosima Schneider und Clara Scheffler
  • Büchergilde Gutenberg
  • 312 Seiten. Preis: 24,00 €
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