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Colson Whitehead – Underground Railroad

Bitte Einsteigen zu einer literarischen Tour der besonderen Art. Colson Whitehead lädt ein zu einer Fahrt mit der Underground Railroad zu den Wurzeln des Rassismus und ethnischen Konflikten. Doch Achtung – es wird keine gefällige Fahrt werden – Ruckeln und Bremsungen inklusive!

Sein literarischer Zug besteht aus verschiedenen Charakteren und Stationen. Die Hauptstrecke wird von Cora, einer jungen Sklavin mit unbändigem Freiheitsdrang, bestritten. Diese beschließt es ihrer Mutter nachzutun und von der Baumwollplantage in den Norden zu fliehen. Helfen soll ihr dabei die Underground Railroad, die Colson Whitehead als besonderer Kniff seines Romans einfach wörtlich genommen hat. Die Fluchtroute für die Sklaven in den Norden ist bei ihm nämlich nicht nur eine einfache Schmuggelroute, sondern tatsächlich ein unter der Erde Amerikas existierenden Eisenbahnnetz. Dieses gut geschützte Geheimnis wird von verschiedenen Stationsvorstehern bewacht. Für Cora stellt es die Lösung dar, um ihrer Baumwollplantage und ihrem Schicksal zu entkommen und nach North Carolina zu fliehen.

Dort herrscht eine mildere Form der Rassentrennung; Abolitionismus und Anerkennung von entlaufenen Sklaven kennzeichnen diesen Staat. Dass gut gemeint auch immer noch bestürzend fatal sein kann, zeigt Colson ins Szenen und Dialogen, die heute nur noch den Kopf schütteln lassen. Wie etwa denen, in denen es um Vergewaltigung und Zwangssterilisation geht:

„Die Entscheidung liegt natürlich bei dir“ sagte der Arzt. „Seit dieser Woche ist die Operation für einige im Staat zwingend vorgeschrieben. Für farbige Frauen, die schon mehr als zwei Kinder geboren habe, im Sinne der Bevölkerungskontrolle. Für Schwachsinnige und anderweitig geistig Ungeeignete, aus naheliegenden Gründen. Für Gewohnheitsverbrecher. Aber für dich gilt das nicht, Bessie.“ (Whitehead, Colson: Underground Railroad, S. 134)

Gerade in diesen Szenen und Beschreibungen gelingt es dem amerikanischen Autor, ein vielgestaltiges und nuanciertes Bild der Sklaverei- und Rassismusproblematik zu zeichnen. In diesen Szenen ist das Buch besonders stark und berührt und verstört durch die ungefilterte Darstellung der Leiden Coras, die stellvertretend für Millionen Schicksale steht.

Immer wieder wechselt Whitehead seine erzählerischen Abteile, springt von Cora zum Kopfgeldjäger Ridgeway, der die Verfolgung der jungen Sklavin aufgenommen hat. Er bremst die Erzählung manchmal auf ein gemächliches Tempo herunter, dann beschleunigt er und rafft die Handlung, sodass der Leser sich manchmal anstrengen muss, um an Bord zu bleiben. Durch verschiedene Staaten geht es, verschiedene Menschen erzählen (Deutsche Übersetzung durch Nikolaus Stingl).

Mit der ganzen Fülle der Details gelingt ihm ein umfassendes Porträt des zentralen (amerikanischen) Problems, das bis heute in die Gesellschaft fortwirkt. Erschütternd zu sehen, welchem Leid und welcher Verfolgung die farbige Bevölkerung ausgesetzt war – und noch erschütternder zu sehen, dass auch heute noch genau die gleichen Probleme existent sind. Ein amerikanischer Präsident, der das Wirken des KuKluxKlans nicht verurteilen mag, White Supremacists und die Black Lives Matter Bewegung – all das sind nur einige Schlagworte, die zeigen, wie immanent wichtig Whiteheads Buch ist, um die amerikanische Gesellschaft in Ansätzen verstehen zu wollen. Deshalb ist das Buch für mich auch ein Schlüsselroman Amerikas und unbedingt zu empfehlen

Ein sperriges Buch, eine fantasievoller Roman – oder um mit den Worten Colson Whiteheads zu schließen:

Wenn man sehen will was es mit diesem Land auf sich hat, dann muss man auf die Schiene. Schaut hinaus, während ihr hindurch rast und ihr werdet das wahre Gesicht Amerikas sehen (Whitehead, Colson: Underground Railroad, S. 301).

 

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Richard Flanagan – Der schmale Pfad durchs Hinterland

Krieg und Poesie

Spätestens nach diesem Buch des tasmanischen Autors Richard Flanagan kann ich konstatieren, dass ich einen neuen Lieblingsschriftsteller gefunden habe. Riss mich bereits das im Original 2002 erschienene Buch Goulds Buch der Fische mit seiner barocken Sprachgewalt und Konstruktion mit, so hat es Flanagan nun abermals geschafft, mich zu fesseln und in die von ihm geschilderte Welt hineinzuziehen.

Richard Flanagan - Der schmale Pfad durchs HinterlandHintergrund für Der schmale Pfad durchs Hinterland ist Flanagans eigene Familiengeschichte, um die herum er diese mit dem Man-Booker-Prize ausgezeichnete Erzählung baut. Sein eigener Vater war damals im Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangener und musste beim Bau der Thailand-Burma-Eisenbahnstrecke mithelfen. In diesem Buch trägt der Held nun den Namen Dorrigo Evans und ist ebenfalls japanischer Kriegsgefangener, obwohl ihm eigentlich eine Karriere als vielversprechender Chirurg in Aussicht stand. Unter der Extrembelastung eines unmenschlichen Arbeitslagers wächst jener allerdings über sich hinaus und bewährt sich als Vorsteher der Kriegsgefangen. Diese sollen nämlich in einer Art Sisyphosarbeit einen Eisenbahnlinie durchs japanische Hinterland bauen, und das in einem Rekordtempo. Als Puffer zwischen den japanischen Offizieren und seinen von Hunger, Krankheit und Elend zersetzen Mitgefangenen versucht Dorrigo dabei den Spagat und verzweifelt bei seinem Kampf, möglichst viele seiner Männer am Leben zu erhalten. Kraft schöpft er aus einer vor dem Krieg erlebten Affäre, die ihm inmitten der tiefsten Stunden voll Leid noch Hoffnung und Zuversicht spendet.

Eine gewagte Mischung

Der schmale Pfad durchs Hinterland ist eine gewagte Mischung aus Kriegsbericht, Liebesgeschichte und Poesie. In den Händen von Richard Flanagan wird daraus eine herausragende Erzählung, die die Balance zwischen Leid und Liebe, zwischen brutalem Grauen und Poesie schafft. Seine Helden sind keine strahlenden Gewinner, die Lageraufseher keine rein bösen Gestalten. Immer wieder flicht er in die Beschreibungen des Vegetierens und des Leids im Lager auch Haikus und poetische Gedanken ein – und schafft so eine ausgewogene Balance zwischen den unterschiedlichen Polen.

Diese Mischung geht auch deswegen vollkommen auf, da sich Flanagan hier einmal mehr als Meister der Konstruktion entpuppt. In verschiedene Teile aufgebaut erzählt er von Dorrigos Leben, wobei er gleich auf den ersten Dutzend Seiten die gesamte Biografie anreißt und dann im Folgenden diese Skizze mit Farbe und Leben füllt. Seine Erzählung zehrt auch wieder von einer präzisen Sprache (Übersetzung durch Eva Bonné) und der Fähigkeit von Flanagan, Szenen auf den Punkt zu verdichten. Ihm gelingen Beschreibungen, die auch über das Buchende hinaus im Kopf bleiben und nachhallen (wie etwa die Notoperation eines Kameraden inmitten von Chaos und Leid).

Zudem macht für mich dieses Buch besonders, dass es mich in ein Kapitel der Geschichte mitnahm, das ich so nicht kannte. Die Betrachtung des Zweiten Weltkriegs aus australisch/tasmanischer Perspektive war neu für mich und auch das Thema der australischen Strafgefangenen, die in Lagern in Japan leiden musste, kam mir so noch nicht unter.

Hier kommen somit zwei Dinge zusammen: ein unbekanntes Kapitel der Geschichte, das mit einer makellosen Prosa verschmilzt und so unterhält, Einblick verschafft und neue Horizonte eröffnet. Das muss besondere Literatur leisten und Der schmale Pfad durchs Hinterland tut genau das. Zurecht mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet!

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