Tag Archives: England

Daniel Clay – Die Bewohner von Drummond Square

Die Asozialen

Wehe dem, der solche Nachbarn hat. Gegen die Oswalds, die eine tragende Rolle in Daniel Clays Debütroman Die Bewohner von Drummond Square verblassen alle Nachbarschaftstreite, die vorzugsweise im Privatfernsehen ausgetragen werden.

Daniel Clay wirft einen Blick in den Mikrokosmos des Drummond Square, einer trostlosen englischen Vorstadt in Southhampton. Dort leben die Oswalds, eine typische Familie der Gattung White Trash. Die Familie besteht aus dem kriminellen Vater Bob Oswald und seinen fünf Töchter, die von der Sozialhilfe leben und ihr Umwelt terrorisieren. Die anderen Kinder und deren Eltern fürchten die asozialen Nachbarn, aber niemand wagt es gegen die verhassten Nachbarn aufzubegehren. Das Recht des Stärkeren regiert und was mit Schlägen gegen ein Kind durch Bob Oswald beginnt wird am Ende des Buches in einer großen Katastrophe enden.

Vorab: Der Originaltitel „Broken“ wäre deutlich besser als der in der deutschen Übersetzung gewählte Titel „Die Bewohner von Drummond Square“. „Broken“ ist nicht nur der Name eines Charakters, dem große Bedeutung zukommt, sondern zeigt auch den Verlust von Stabilität und Verlässlichkeit.

Dysfunktionale Familien, Gewalt und keine Hoffnung

Mag das Cover auch noch relative Ordnung symbolisieren, im Buch ist nichts mehr davon übrig. Tristesse dominiert und manchmal erwischte ich mich als ich das selbe Ohnmachtsgefühl während der Lektüre verspürte, wie es die Akteure in „Die Bewohner von Drummond Square“ verspüren. Es ist kein Buch, das gute Laune macht oder dem Leser eine gute Zeit beschert – dafür ist es zu realistisch und schon nahezu naturalistisch.

Insgesamt ein Debüt, das noch Ecken und Kanten und offenbart und Steigerungspotential aufweist. Für einen ersten Wurf allerdings schon erstaunlich weit und mit einem Willen zum Realismus, den man nur bewundern kann. Ins Deutsche übertragen wurde dieses Buch von Rudolf Hermstein.

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Reginald Hill – Rache verjährt nicht

Wolf ha(c)kt die Sache ab

Es ist einer der menschlichen Grundtriebe und das Grundthema dieses großartigen Romans: Rache.

Ähnlich wie im weltberühmten Roman Der Graf von Monte Christo von Alexandre Dumas – auf den auch Reginald Hill anspielt – wurde auch in Rache verjährt nicht ein Mann hereingelegt und um seinen Ruf gebracht.

Wilfred Hadda, genannt Wolf, stieg mit seiner Firma Woodcutter Enterprises in die höchsten finanziellen Sphären auf, um anschließend tief zu fallen. Nach einer Razzia auf seinem Grundstück wird er mit einem ungeheuerlichen Vorwurf konfrontiert: er soll der Konsument von Kinderpornographie sein. Der anschließende Leidensweg des Mann hätte von Kafka nicht besser ersonnen werden können. Verurteilt und nach einer vergeblichen Flucht körperlich entstellt harrt Hadda seiner Entlassung um anschließend Rache zu nehmen.

Ein Mann will Rache

Was sich nach der Beschreibung des Klappentextes wie ein unbarmherziger und blutiger Rachefeldzug anliest, ist in Wahrheit etwas anders. Der elegante Stilist Reginald Hill erzählt eine aus mehreren Teilen bestehende Geschichte. Diese ist die Biographie eines gefallenen Mannes , eine Ode an Hills Heimat Cumbria im Norden Englands und eine Studie über Rache.

Wer ein Metzelmassaker mit der Axt im Stile eines Charles-Bronson-Films erwartet, dürfte sich schnell enttäuscht sehen. Anstelle von Gewalt dominiert die Auseinandersetzung zwischen dem einsitzenden Wolf und seiner Psychiaterin Alva Ozigbo. Dies mag nicht spektakulär sein, doch packend ist es auf jeden Fall.

Reginald Hill - Rache verjährt nicht (Cover)

Die Geschichte ist voller Esprit, witzig, mit sensationell ausbalancierten Dialogen und Bonmots versehen und nicht zuletzt auch gut ins Deutsche übertragen (übersetzt von Ulrike Wassel und Klaus Timmermann). Das macht aus Rache verjährt nicht ein besonderes Buch, das britisch im besten Sinne ist und zugleich über die ganze beachtliche Länge von knapp 700 Seiten. Ein geistreicher Roman bei dem ich sehr darüber geärgert habe, Reginald Hill erst jetzt entdeckt zu haben, obwohl er wahrlich schon einige Bücher veröffentlicht hat.

Über die ganze Lektüre hinweg hatte ich nur einen traurigen Gedanken im Hinterkopf. Dieser großartige Roman wird der letzte von Reginald Hill gewesen sein. Leider verstarb Hill im Jahr 2012. Ich hätte mir noch zahlreiche weitere Bücher von diesem eleganten Romancier gewünscht!


  • Reginald Hill – Rache verjährt nicht
  • Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
  • ISBN: 978-3-518-46473-1 (Suhrkamp)
  • 683 Seiten, Preis: 9,99 €
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John Lanchester: Kapital

Ein kapitaler Roman

Leider lässt sich der wunderbar zweideutige Titel Capital im Original nur ungenügend ins Deutsche übertragen. Dennoch trifft auch Kapital fast den Kern der Sache, auch wenn das Buch noch einen zweiten Hauptdarsteller kennt, nämlich die Finanzkapitale London.
Diese bricht John Lanchester gekonnt auf die Pepys Road herunter, die Hauptdarsteller im Buch ist. In ihr lebt ein buntes Panoptikum an Londoner Bürgern an deren täglichen Leben und Sorgen Lanchester uns teilhaben lässt. Es wird geliebt, gestorben, getäuscht und gespielt. Der Autor berichtet von Bankern, Senioren, illegalen Immigranten und Fußballtalenten. Stets souverän erzählt ihr von ihren kleinen und großen Sorgen und entwickelt so einen höchst ansprechenden Episodenroman. Kapital kann als literarische Antwort auf die Finanzkrise gelesen werden – spielt ja ein Banker mit großen Problemen eine der zentralen Rollen im Buch. Ebenso kann der Roman aber auch als Panorama unserer Zeit und unserer Probleme gelesen werden, will man nicht unbedingt die Verbindung zur akuten Finanzkrise herstellen.
Als subtiles Thema flicht John Lanchester den Erzählstrang von mysteriösen Briefen und Nachrichten ein, die verkünden „Wir wollen was ihr habt“. Mal droht diese Strang ganz zu verschwinden, dann mäandert er wieder in voller Breite durch das Buch, immer um zu zeigen, wie die Bewohner die Pepys Road verändert haben und wie die Pepys Road die Menschen geändert hat. Deshalb aber aus dem Buch einen Krimi stricken zu wollen, wäre verkehrt. Vielmehr zeigt Lanchester in diesem kurzen Stück Literatur gewordener Gegenwart auf, wie sich unsere Leben gegenseitig beeinflussen und welche Folgen manche Handlungen haben können. Besonders eindrücklich wird dies an den Stellen, an denen der Engländer von einer illegalen Immigrantin oder von einem unter Terrorismusverdacht geratenen muslimischen Bürger berichtet.
Ein fesselndes Buch, da es nicht mehr sein will als eine kurze Skizze unseres täglichen Lebens. Ein Buch über Einzelschicksale, London und über das Leben allgemein!

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Rose Tremain: Adieu, Sir Merivel

Überzeugend bis zur letzten Seite

„Adieu, Sir Merivel“ ist mitnichten ein Abgesang auf einen gealterten Helden, vielmehr ist Rose Tremains neuer Roman ein überbordendes gewitztes Panorama der englischen und französischen Adelswelt des 17. Jahrhunderts. Filmfreunde könnten beim Namen Robert Merivel hellhörig werden – dieser wurde nämlich im Film „Zeit der Sinnlichkeit“ von Robert Downey jr. verkörpert. Dieser Film wiederum basiert auf dem gleichnamigen Roman von Rose Tremain aus dem Jahr 1989, der nun im Insel-Taschenbuch erschien.
Auch wenn mir die Vorgängergeschichte des gealterten Lebemanns nicht bekannt war, kann man mühelos auch mit dem vorliegenden Roman beginnen, denn die Autorin vermittelt durch immer wieder eingestreute Rückblenden geschickt das nötige Hintergrundwissen.
Die englische Autorin berichtet in gewählter Sprache von ihrem melancholischen und höchst sympathischen Sir Robert Merivel, der es auf seine alten Tage noch einmal wissen will. Seine Tochter Margaret ist aus dem Haus und nun möchte er mit der Erlaubnis seines Königs Charles II. nach Versailles aufbrechen. Dort möchte er das höfische Leben unter dem Sonnenkönig Louis XIV. kennenlernen. Doch seine Reise wird von allerlei Ereignissen überschattet und nicht zuletzt bekommt es der Freund des englischen Königs dann auch noch mit der Liebe zu tun …
Rose Tremain ist ein absolut stimmiger Roman gelungen, der dem Leser viel Freude und Trauer präsentiert und der nicht zuletzt auch ein realistisches Bild einer vergangenen Epoche zeichnet. Bei ihr hat die Liebe genauso Platz wie Beschreibungen der damaligen hygienischen Zustände – ohne jemals die gewählte Sprache zu vernachlässigen. Für die großartige Übertragung des Romans ins Deutsche sei an dieser Stelle auch ausdrücklich Christel Dormagen hervorgehoben und gelobt, da ihr das Kunststück gelingt, die teilweise dünkelhaft-gestelzte Sprache des Merivel in ein flüssiges Deutsch zu übertragen.
So ist „Adieu, Sir Merivel“ ein Filetstückchen für jeden Freund der Monarchie, des Mittelalters und nicht zuletzt der guten Literatur – ein absolute Leseempfehlung!

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Cathi Unsworth: Opfer

Eher Jugendroman als Krimi

Sie sind zweifelsohne das Jahrzehnt mit der absonderlichsten Mode und dem bizarrsten Geschmack gewesen – die Rede ist von den 80ern. In diesem Jahrzehnt ist auch der eine der beiden Stränge von Opfer von Cathi Unsworth angesiedelt.

Damals wurde im kleinen englischen Städtchen Ernemouth Corinne Woodrow festgenommen, da sie im Verdacht stand, einen Jungen ermordet zu haben. Der zweite Strang, der zwanzig Jahre später im Jahr 2003 spielt, präsentiert nun Sean Ward, einen versehrten Privatermittler, der sich mit dem damaligen Mord beschäftigt.

Neue Spuren haben ergeben, dass Corinne Woodrow unter Umständen für eine Tat zur Rechenschaft gezogen wurde, die sie vielleicht gar nicht begangen hat. Dies ist ein schon fast klassischer Plot – ein einsamer Ermittler, der einen alten Fall neu aufrollt und dabei Überraschendes zutage fördert.

Doch leider vermag Cathi Unsworth in Opfer diesem altbekannten Muster keine neue Facetten abzugewinnen. Sie beschreibt detailliert die Dynamiken innerhalb der Jugendclique um Corinne Woodrow 1983 und lässt auch Sean Ward ausführlich herumschnüffeln. Leider geht ob der ausführlichen Beschreibung ihrer beiden Hauptcharaktere die Spannung über die ganze Länge des Buches ab. Als Kriminalroman würde ich deshalb Opfer mitnichten bezeichnen. 

Es ist ein ruhiger Roman über das Erwachsenwerden und den Sinn, der darin liegt. Cathi Unsworth vermag gekonnt von den Sehnsüchten und Taten der jungen Engländer in den 80ern zu erzählen – ein spannendes Buch wird daraus trotzdem nicht. Wer einen Coming-Of-Age-Roman sucht, der könnte mit Opfer sein Buch in Händen halten, allen anderen, denen die Spannung wichtig ist, sollten diesem Buch nicht unbedingt den Vorzug geben!    

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