Tag Archives: Judentum

Dana von Suffrin – Nochmal von vorne

Eine Familie, in der es schon illusorisch scheint, eine halbe Stunde in Ruhe und Frieden gemeinsam an einem Tisch zu verbringen. Eine Familie, in der Streit, Vorwürfe und Konflikte, mal subtiler mal offen ausgetragen, zur Tagesordnung zählen: sie steht im Mittelpunkt des zweiten Romans der Münchner Schriftstellerin Dana von Suffrin. Nochmal von vorne erzählt die Geschichte der Familie Jeruscher mitsamt mitsamt ihrer grundsätzlichen Dysfunktionalität und ihrem jüdischen Familienerbe.


Es ist lediglich drei Jahre her, da feierte man in ganz Deutschland 1700 Jahre jüdisches Leben. Über zweitausendvierhundert Veranstaltungen übers Jahr und das ganze Land verteilt wollten Aufmerksamkeit dieses Thema lenken. Man gedachte der Vergangenheit und Gegenwart, diskutierte und Verlage publizierten staunenswerte Bücher.

Jüdisches Leben in Deutschland – und im Roman?

Und nun, gerade einmal drei Jahre nach diesen Feierlichkeiten ist das damals zelebrierte Miteinander an zu vielen Stellen ins Gegenteil gekippt. Der brutale Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 auf ebenjenes jüdisches Leben, der in der Folge zunehmend entgleisende Diskurs, in dem Israel-Kritik nur allzu oft in Antisemitismus kippt, all das hat viele Bemühungen der damaligen Feierlichkeiten konterkariert und die Sichtbarkeit jüdischen Lebens wieder beschränkt.

Auch auf dem Buchmarkt sind – von Sachbüchern und spezialisierten Verlagen abgesehen – Romane über jüdisches Leben hierzulande noch immer eine Seltenheit. Es sind junge Autorinnen wie Dana Vowinckel oder eben Dana von Suffrin, die sich daranmachen, diesem bedauerlichen Umstand Abhilfe zu schaffen. Dabei schreiben sie Romane, die auf Pathos verzichten und souverän mit ihrer Form und dem Inhalt spielen. Mit einem Blick für das komplizierte Selbst- und Fremdverständnis der eigenen Identität, in der das jüdische Erbe qua Geburt immer Thema ist und das heute so viele Herausforderungen mit sich bringt, schwingt in ihren Büchern all das mit. Es sind Bücher, die – in Ermangelung eines besseren Wortes – modern und relevant, gut lesbar und angenehm vielschichtig daherkommen. Nochmal von vorne ist dabei das beste Beispiel.

Die komplizierte Familie Jeruscher

Bei Dana von Suffrin ist es die Familie Jeruscher, die im Mittelpunkt ihres Romans steht. Er Israeli, geboren in Haifa und nun als Chemiker bei den Stadtwerken München arbeitend, sie geboren in Landshut, studierte Soziologin und gemeinsam mit den beiden Kindern Nadja und der Ich-Erzählerin Rosa im Münchner Stadtteil Moosach wohnend. Das sind die Marker einer Familie, die zwar auf den ersten Blick recht durchschnittlich aussehen mag, bei der sich auf den zweiten Blick aber viele Risse in dieser familiären Grundkonstellation zeigen.

Dana von Suffrin - Nochmal von vorne (Cover)

Von diesen Rissen ist allerdings nichts mehr zu sehen, als dieser Roman seinen Ausgang nimmt. Das hat einen ganz einfachen Grund. Denn irgendetwas Festes in diesem familiären Verbund, das eventuell gerissen sein könnte, gibt es schon lang nicht mehr zu sehen, als die Handlung von Suffrins Buch einsetzt.

Alles ist längst zersplittert und fragmentiert. Der Vater Mordechai tot, die Schwester Nadja entzieht sich allen Kontaktaufnahmen, die Mutter möglicherweise ebenfalls tot, zumindest aber sicher verschwunden aus dem Leben der Familie. So ist die Ausgangslage dieses Romans – ein ganzer Haufen an menschlichen und zwischenmenschlichen Scherben, die sich kaum mehr auffegen, geschweige denn reparieren lassen.

Das Aufkehren familiärer Scherben

Und dennoch unternimmt Rosa den Versuch, zumindest die Scherben des einstigen familiären Verbundes zusammen mit den Leser*innen zu betrachten. Sie muss Nochmal von vorne ansetzen, um sich und damit auch uns einen Eindruck von dieser Familie zu verschaffen, auch um die Risse an ihren Entstehungspunkten zu betrachten, die dann schlussendlich zum Zerfall des Ganzen beigetragen haben.

Wir wurden eine Familie, aber erst später ist uns allen klargeworden, was das bedeuten sollte.

Dana von Suffrin – Noch einmal von vorne, S. 179

Die Familie zwischen jüdischem Erbe und Leben in Deutschland, die Familie zwischen Tod, Verlust und Weitermachen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die Familie zwischen Israel und Moosach. All das beschreibt Rosa in einem Ton, der trotz aller Schwere ihrer Themen durchaus auch mit trockenem, manchmal sogar beißenden, aber immer lindernden Humor, einer stimmigen Erzählhaltung und einem ebenso stimmigen Erzählton mit vielen treffenden Sentenzen punktet.

Dana von Suffrins erzählerische Kunst

Dana von Suffrin beherrscht die Kunst, viel zu erzählen, ohne dafür viel Raum zu benötigen. Zwar behandelt auch ihr Roman mehreren Generationen zwischen Israel und Deutschland, verzichtet dabei aber auf überflüssigen Ballast, den solcherlei Familiensagas hierzulande gerne aufweisen.

Stattdessen schafft sie es, trotzdem, trotz aller Knappheit ihre Geschichte den Fokus auf die zentralen Bruchstellen dieser Familie zu legen und unterhaltsam und mitreißend zu erzählen, ohne dass man das Gefühl hätte, es würde etwas bei ihrer Erzählung fehlen. Ihr Roman konzentriert sich auf das, was wichtig ist, und bleibt genau dadurch im erzählerischen Rahmen. Sie schafft es, die Fehler von erzählerischer Geschwätzigkeit und unnötigen Arabesken zu vermeiden, und stattdessen auch in ihrem Erzählen kleinere Lücken und Risse klaffen lassen, wie das eben in den meisten Familienerzählungen der Fall ist.

Fazit

Nochmal von vorne pendelt das erzählerische Gewicht zwischen Leichtigkeit und Schwere gut aus. Rosas zersplitterte Familie und den Versuche, wenigstens im Erzählen etwas Ordnung in diese familiäre Entropie zu bringen, verfolgt man gerne. Dabei erzählt Dana von Suffrin en passant von jüdischem Leben in Deutschland, von Sollbruchstellen in Seelen und Leben – und von der Frage, was uns eigentlich zusammenhält – und das alles ganz konzentriert und pointiert.

Weitere Meinungen zu Nochmal von vorne gibt es unter anderem bei Katharina Herrmanns Blog Kulturgeschwätz und bei Deutschlandfunk Kultur.


  • Dana von Suffrin – Nochmal von vorne
  • ISBN 978-3-462-00297-3 (Kiepenheuer & Witsch)
  • 240 Seiten. Preis: 23,00 €
Diesen Beitrag teilen

Dana Vowinckel – Gewässer im Ziplock

Die Phrase vom „Buch der Stunde“ ist schon wirklich abgenutzt – im Fall von Dana Vowinckels Debütroman Gewässer im Ziplock trifft sie aber auf besonders eindringliche Art und Weise zu. Denn ihre Geschichte ist gerade inmitten unserer Tage von großer Wichtigkeit – und zeigt eine junge Autorin mit bemerkenswertem schriftstellerischem Talent.


Vater, Mutter, Kind. Die Grundkonstellation einer Familie. Im Fall von Gewässer im Ziplock ist sich diese Familie aber so fremd, wie die Schauplätzen dieses Familienromans weit voneinander entfernt sind. Denn während sich Margaritas Vater Avi als Kantor und Vorbeter seiner Synagoge in seiner Wohnung in Berlin aufhält, ist seine Tochter nach Chicago zu ihren Großeltern mütterlicherseits geflogen. Bei diesen verbringt sie die Sommermonate, flieht aber regelmäßig vor der familiären Enge und träumt sich eigentlich zu ihrer besten Freundin nach Berlin.

Und dann ist da auch noch Marsha, die Mutter von Margarita. Schon als diese noch ein Kleinkind war, verließ die Mutter die Familie und lebt nun in Jerusalem, wo sie in universitärem Auftrag linguistische Forschung betreibt, besonders unter dem Eindruck von Noah Chomskys Theorie der Universalgrammatik. Nach Jahren der Funkstille lädt sie nun Margarita ins Heilige Land ein, wo sie vor dem Schulbeginn mit ihrer Tochter Zeit verbringen möchte.

Trotz anfänglicher Widerstände fliegt die fünfzehnjährige Margarita von Chicago nach Jerusalem zu jener Frau, mit der sie eigentlich nichts verbindet und die sie so gut wie gar nicht kennt. Während sie mit ihrem Vater in regelmäßigen Austausch steht und auch während des Aufenthalts in Chicago häufig schrieb und mit ihm in Berlin telefonierte, ist Marsha für Margarita eine Leerstelle, die durch die ausbleibende Abholung Ritas am Flughafen von Jerusalem erst einmal alle Vorurteile über die Mutter, die ihr eigenes Kind verlassen hat, zu bestätigen scheint.

Zwischen Jerusalem, Berlin und Chicago

Während Marsha und ihre Tochter aber dann doch durch Israel reisen und ein Land zwischen Akko, Jaffa und Jerusalem entdecken, lernt auch Rita ihre Mutter besser kennen, ehe unvorhergesehene Ereignisse die ganze Familie im Heiligen Land wieder zusammenführen.

Dana Vowinckel - Gewässer im Ziplock (Cover)

Im Kern ist Gewässer im Ziplock ein Familienroman, der sich auf seine kleine dreiköpfige Kernfamilie konzentriert und dabei sogar diese nicht einmal gleichwertig mit Perspektiven in den Blick nimmt. Denn während Dana Vowinckel abwechselnd aus der Sicht von Avi und seiner Tochter Rita erzählt, bleibt die Stelle der Mutter zunächst völlig außen vor. Erst nachdem diese ihre Tochter nach Israel einlädt, findet ihr Blick durch die Erzählung von Vater und Tochter in die Erzählung. Allmählich entsteht durch die drei Figuren das Bild einer Familie, bei der die Zersplitterung und das Auseinanderdriften zum Wesensmerkmal zählt.

So trifft Marsha im Gespräch mit ihrer Tochter auf Seite 328 folgende Diagnose: „Everything is falling apart“. Angesichts der Ereignisse zwischen Chicago, Jerusalem und Berlin sicherlich eine völlig zutreffende Diagnose. Die Frage, die sich im Anschluss nur stellt ist die, ob im Bezug auf diese so zerrissene Familie jemals alles Vorher zu einem Ganzen gefügt war.

Eine Familie und die Frage der jüdischen Identität

Liest man Dana Vowinckels Roman liest, dann ist man geneigt, diese Frage zu verneinen. Denn hier ist nur wenig ganz. Das Familienleben nicht wirklich intakt, die einzelnen Familienmitglieder zwischen neuer Romanze, erster Liebe, alter Schuld und Geheimnissen der eigenen Herkunft zerrissen – und auch die Frage der jüdischen Identität ist eine, die Vowinckels Figuren allesamt unterschiedlich beantworten und auf die sie ganz unterschiedlich blicken.

Er dachte an die Schreie. Er dachte an die Schmerzen.

Er dachte an die Gedenkveranstaltungen, bei denen die Hülle seines Körpers, nur getragen durch die Stimme, sang. Würde auch sein Herz singen, müsste ihm die Stimme versagen, vor dem Bundeskanzler, vor dem Bundespräsidenten, wenn sie vom „Schutz der jüdischen Mitbürger“ sprachen. Würde auch sein Herz zuhören, bräche er nicht in Gesang, sonder in hämisches Lachen aus. doch sein Herz hörte nicht, nicht einmal die Ohren hörten, was sie sagten, die immergleichen Anzüge, sie schalteten sich taub, er musste nur verstehen, was er hören wollte.

Juden, hörte er manchmal, aber nur, wenn es um die Toten ging. Die Lebenden waren jüdisch, so viel hatte er mittlerweile verstanden.

Nichts in Deutschland hatte sich geändert, alles in Deutschland hatte sich geändert.

Dana Vowinckel – Gewässer im Ziplock, S. 210

Hochaktuell und politisch

Gewässer im Ziplock ist ein hochaktueller und politischer Roman, der traurigerweise mitten hinein in unsere Gegenwart zielt, in der jüdisches Leben abermals nicht wirklich sicher scheint und in der die Politik trotz aller Rituale und formelhaften Bekenntnissen – wie am vorgestrigen 9. November wieder einmal vorgetragen – merkwürdig hilf- und tatenlos erscheint.

Während in Berlin und an so vielen anderen Stellen in unserem Land hasserfüllte Parolen gebrüllt werden und der Antisemitismus wieder unverhüllt zutagetritt, an Türen von jüdischen Mitbewohner*innen der Davidstern prangt, müssen jüdische Zeitungen anonymisiert ausgeliefert werden und Jüd*innen mit Kippa auf dem Kopf auf der Straße Beschimpfungen und Attacken erleiden.

Dana Vowinckel zeigt das Kontinuum dieses Antisemitismus beeindruckend und erzählt von schnell wieder verdrängten Episoden wie dem Terrorangriff in Halle auf eine Synagoge, die in der Öffentlichkeit schon gar nicht mehr diskutiert werden, geschweige denn, dass man Lehren aus solchen Vorfällen gezogen hätte.

Wie umgehen mit der eigenen jüdischen Identität, wie leben im Jahr 2023 mit dem Wissen um das Leid und die Verluste des eigenen Volks? Das thematisiert Gewässer im Ziplock ebenso überzeugend, wie Dana Vowinckel von jüdischem Leben hierzulande erzählt und damit in unseren Tagen so wichtige Arbeit für Verständigung und die Sichtbarkeit anderer Lebenswelten leistet.

Beeindruckende literarische Flughöhe

Ihr gelingt ein Roman über Familie, jüdische Identität und die Findung eines eigenen Umgangs mit dem familiären Erbe, der auf einer beeindruckenden literarischen Flughöhe unterwegs ist. Spielend leicht übertrumpft Dana Vowinckel mit diesem Debüt literarische Wegmarken wie Yasmina Reza, deren Auseinandersetzung mit jüdischem Leben namens Serge weit hinter diesem Roman zurückbleibt.

Souverän gelingt es Vowinckel, die beiden unterschiedlichen Erzählperspektive von Vater und Tochter einzunehmen und deren Wahrnehmungen und Gedanken dieser nicht nur durch den Altersunterschied getrennten Figuren glaubhaft zu Papier zu bringen. Sie schafft sogar die Herkulesaufgabe, angemessen und figurenpsychologisch stimmig austariert vom Besuch in Yad Vashem zu erzählen. Ein Balanceakte, der ihre ebenso wie der Rest dieses formidablen Buchs großartig gelingt.

Fazit

Man kann sich dieser Tage bei der Lektüre leider nicht freimachen vom Hintergrundrauschen der antisemitischen Exzesse, die ausgelöst vom Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober hierzulande um sich greifen. Liest man Vowinckels Debüt, dann schlägt einem die diagnostischen Schärfe entgegen, die zeigt Vorbehalte gegen Jüd*innen, die alles andere als neu sind. Diese Hellsichtigkeit und leider so große Aktualität paart sich im Falle von Gewässer im Ziplock mit souveräner Figurenführung und überzeugenden literarischem Talent, was diesen modernen Familienroman zu einer großen Empfehlung macht. Besonders jetzt, aber natürlich auch darüberhinaus. Ein außergewöhnliches und in diesen Tagen schmerzhaft aktuelles Debüt!


  • Dana Vowinckel – Gewässer im Ziplock
  • ISBN 978-3-518-47360-3 (Suhrkamp)
  • 362 Seiten. Preis: 23,00 €
Diesen Beitrag teilen

Emanuel Bergmann – Der Trick

Immer mal wieder geschieht es, dass man in der ganzen Bücherflut über Preziosen stolpert, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hatte, denen man aber eine möglichst große Leserschaft wünscht. Das im März neu erscheinende Debüt von Emanuel Bergmann fällt in diese Kategorie – erschienen ist es gleich als Hardcover bei Diogenes. Für ein Debüt spricht dies schon Bände – umso schöner dass das Buch auch alle Versprechen einlösen kann.

Von Prag bis nach Los Angeles

978-3-257-06955-6

Das Buch erzählt in zwei Strängen vom kleinen Mosche Goldenhirsch in Prag 1934 und vom kleinen Max Cohn, der dieser Tage in Los Angeles lebt.

Dessen Eltern haben sich nicht mehr viel zu sagen und stecken gerade inmitten ihrer Scheidung. Max nimmt dies alles sehr mit, sähe er doch seine Eltern am liebsten wieder zusammen. Die Rettung aus dieser verfahrenen Situation scheint eine alte Schallplatte zu sein, die Max im Gerümpel seines Vaters findet. Diese Schallplatte stammt vom Zauberkünstler Zabbatini, der in rätselhaftem Singsang von einem Liebeszauber berichtet, den er vollführen könne. Aber wie das mit alten Schallplatten so ist – an der entscheidenden Stelle hängt natürlich die Aufnahme. Für Max steht nun fest – er muss diesen Zabbatini finden, koste es was es wolle. Kurzerhand macht er sich auf die eigene Faust auf den Weg, den Zauberer zu finden. Doch wird Zabbatini die Magie noch einmal entfachen können?

Während Max nach dem Zabbatini sucht, erzählt Emanuel Bergmann derweil parallel von Mosche Goldenhirsch, den das Leben bald zu eben jenem Großen Zabbatini machen wird, der Max‘ Eltern verzaubern soll. Während der Nationalsozialismus in Deutschland um sich greift, wächst Goldenhirsch als Sohn eines Talmud-Gelehrten in Prag heran und beschließt, sich einem Zirkus anzuschließen. Langsam bewegen sich die beiden Stränge aufeinander zu und bringen Max und Mosche zusammen, die zwar Jahrzehnte trennen, die sich aber beide ähnlicher sind, als es zunächst den Anschein hat.

Magie, Humor, Drama

Seit Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke habe ich bei keinem Buch mehr so oft lachen müssen. Emanuel Bergmann hat ein tolles Gespür für Pointen, Situationskomik und humorvolle Dialoge. Das Aufeinandertreffen von Max und Mosche wird toll beschrieben und der deutsche Autor geizt nicht mit absurden Szenen. Doch was sich hier vielleicht nach überdrehtem Klamauk anhören könnte, ist es keinesfalls. Bergmann nimmt seine Figuren ernst und schafft es, im letzten Teil des Buchs noch eine todtraurige Ebene einzuziehen, die mich sehr berührte.

Sein Roman erzählt vom Zauber der Kindheit, als noch vieles möglich schien. Die Magie und die Kunst der Täuschung nehmen in seinem Roman einen großen Raum ein. Er erzählt vom zeitlosen Wunsch, seinen Träumen zu folgen und rührt damit genauso zu Tränen, wie er die Leser herzlich lachen lässt. Manchmal genügen nur kleine Andeutungen, dass der Leser weiß, was Sache ist. Sein Mosche alias Zabbatini erinnert passagenweise auch an Charlie Chaplins großen Diktator, gerade wenn Bergmann im letzten Drittel die prägenden Erlebnisse aus Mosches Leben schildert.

Mit Max und Mosche stellt er zwei schlitzohrige Helden in den Mittelpunkt, die den Leser für sich einzunehmen wissen. Der Trick ist ein buntes Buch, das viele Emotionen beim Leser zu wecken weiß. Ein großartiges und toll inszeniertes Debüt, das in den Bestsellerlisten landen sollte!

Diesen Beitrag teilen

Andrew Brown – Trost

Aufstand in Kapstadt

Mit „Trost“ lag mir das erste Buch von Andrew Brown zur Rezension vor. Ein weiterer Krimi aus Südafrika, einem Land das eine boomende Krimiszene beherbergt. Autoren wie Roger Smith, Malla Nunn, Margie Orford oder Deon Meyer sind Autoren (letztere mit besonderem Bezug zu „Trost“, siehe unten) und Aushängeschilder einer höchst lebendigen Krimiszene. Und tatsächlich eignet sich Südafrika mit seinen Ethnien, historischen Spannungen und Problematiken so gut wie kaum ein anderes Land, um mithilfe des literarischen Spannungsromans die Verwerfungslinien des Staates zu ergründen. Andrew Brown beschert seinem Inspector Eberard Februarie einen zweiten Einsatz, nachdem dieser auf Deutsch schon in Schlaf ein, mein Kind ermitteln durfte.

Ein Mord in der Synagoge

Trost - Andrew Brown

Trost – Andrew Brown

Angesiedelt in einer nahen Zukunft, in der Spannungen zwischen Israel und Palästina eskalierte und diverse ethnische Verwerfungen die Nachrichten dominieren, fällt dem angeschlagenen Inspector Februarie ein Fall in die Hände, an dem er sich die selbigen nur verbrennen kann.

In einer Synagoge in Kapstadt wurde ein Junge in muslimischer Gebetskleidung geopfert und rituell aufgebahrt. Schnell bekommen die religiösen Scharfmacher auf beiden Seiten die Neuigkeiten spitz und die Lage droht zu eskalieren. Während sich die Situation auf der Straße zwischen Juden und Muslimen immer weiter zuspitzt, muss Februarie nachbohren, wer der geopferte Junge war. Wer hat Interesse an diesem öffentlichkeitswirksamen Mord und wer zieht im Hintergrund die Fäden? Dass er privat auch zahlreiche Probleme bewältigen muss, macht die Sache nicht unbedingt einfacher.
Er stürzt sich verkatert in seine Recherchen und muss feststellen, dass die Spuren ganz nach oben in den Machtapparat weisen.

Ein solides Stück Krimikunst

Der Tafelberg in Südafrika [(c) Martin Reilly]
Hinter dem nichtssagenden Titel „Trost“ verbirgt sich ein solides Stück Krimikunst, das in klassischer Tradition einen Ermittler zeigt, der seinem Instinkt nachfolgt, egal welche Konsequenzen ihm dies auch einbringt. Geschickt verknüpft Brown immer wieder Skizzen des Aufstandes zwischen den verschiedenen Ethnien mit Februaries Fall und bringt am Ende sogar noch überraschende Aspekte in seine Erzählung ein.
Für zwei Cameo-Auftritte von anderen südafrikanischen Ermittlern hat Andrew Brown auch noch Platz gefunden. Die Ermittler Benny Griessel (Deon Meyer) und Riedwaan Faizal (Margie Orford) kreuzen auch die Wege von Eberard Februarie und tauschen einige Worte mit dem Inspector. Eine nette Idee, wie ich finde.
Insgesamt ist „Trost“ ein wirklich gut lesbarer und spannender Roman geworden, der sich im Spannungsfeld von Religion, Macht und Fundamentalismus bewegt.
Wer nun neugierig geworden ist, der kann hier noch gerne etwas in das Buch hineinschmökern:

Diesen Beitrag teilen