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Robert Menasse – Die Hauptstadt

Von Brüsseler Schweinen

Ein Schwein läuft durch Brüssel – und die belgische Hauptstadt steht Kopf. Mit „Die Hauptstadt“ hat Robert Menasse einen so bunten wie vielfältigen Roman vorgelegt, der sich um die europäische Hauptstadt und ihre Bewohner dreht. Ein Roman der Stunde – im wahrsten Sinne des Wortes saustark!

Der furiose Prolog führt gleich das Leitmotiv des Romans ein – ein Schwein, das auf dem Platz vor St. Catherine im Herzen Brüssels auftaucht. Alle Menschen, denen das Schwein auf seinem Weg durch die Innenstadt begegnet, werden auf den folgenden 450 Seiten des Romans entscheidende Rollen spielen, als da wären, eine griechische EU-Beamtin mit Ambitionen, ein Professor für Volkswirtschaftslehre, ein Kommissar und ein Holocaust-Überlebender (nebst ein paar weiteren Charakteren).

Sie alle leben und arbeiten in Brüssel und sind durch das Schicksal und ihr Wirken miteinander verknüpft. Wie genau, das zeigt sich nach und nach. Menasse springt in seinem 11 Kapitel starken Roman immer wieder von Handlungsstrang zu Handlungsstrang und verwebt so seine Protagonisten in ein dichtes Netz. Den Hauptverbindungsknoten bildet dabei das sogenannte Jubilee-Projekt, mit dessen Durchführung die griechische EU-Beamtin Fenia Xenopolou betraut ist.

Stetig sinkt das Ansehen der Euopäischen Institutionen, das Wirken derer da oben in Brüssel erscheint der Bevölkerung soweit von der eigenen Wirklichkeit entfernt wie der EU-Machtapparat von Transparenz. Deshalb soll Xenopolou ein Projekt initiieren, das die Arbeit und die Vorteile der EU in ein besseres Licht rückt. Die Griechin wittert darin eine Chance um die Vorgesetzten auf sich aufmerksam zu machen, möchte sie doch unbedingt aus dem ungeliebten und machtlosen Kulturressort in ein vielversprechenderes Ressort wechseln.

Derweil bereitet sich der österreichische Volkswirtschaftsprofessort Alois Erhart auf einen Vortrag vor, den er vor einem EU Think-Tank halten will. Thema: Nationalökonomie und Entwicklung einer supranationalen EU der Zukunft. In einem Hotelzimmer liegt eine Leiche – und Kommissar Brunfaut soll den Mord zu den Akten legen und den Fall vergessen. Und der Holocaust-Überlebende David de Vriend zieht aus seiner Wohnung im Zentrum Brüssels aus, um seine alten Tage in einem Altersheim zu verbringen. Und dann ist da noch dieses Schwein, das durch Brüssel rennt und von den Medien buchstäblich durch das Dorf getrieben wird.

(c) Flickr, Eogann O’Lionnain

Die Kunst Robert Menasses ist es nun, aus diesen sperrigen und auf den ersten Blick völlig disparaten Themen und Figuren einen Roman zu stricken, der wunderbar funktioniert und aufs Beste unterhält. Die Hauptstadt will vieles sein – und fast alles dabei gelingt Robert Menasse auch: das Buch ist eine EU-Studie, eine Bestandsaufnahme Europas und Brüssel zugleich, ein Buch mit sachbuchähnlichen Passagen, ein Roman mit Krimielementen, ein Gedenken an die unermesslichen Schrecken des Holocausts, eine Komödie – eben die literaturgewordene Antwort auf den Pluralismus der Europäischen Union.

Dass die EU ein Leib-und Magen-Thema Menasses ist, merkt man diesem Roman stets an. Vor diesem Roman veröffentliche der Österreicher bereits Streitschriften wie Der europäische Landbote oder Kritik der Europäischen Vernunft. Darin zeigt sich Menasse als engagierter Reformer und Streiter für die Europäische Union. Das profunde Wissen um Abläufe und Schwächen jener Union merkt man auch der Hauptstadt an. Die Passagen über bürokratische Prozesse und Absurditäten wie etwa die Importe von Schweineohren (siehe schweinisches Leitmotiv) sind erhellend. Sie bieten eine (dringend benötigte) Einführung in die Arbeit und Wirken der EU und schaffen Sensibilität.

Eine Sensibilität, die gerade in den aktuellen Zeiten mehr als benötigt wird. In Zeiten, in denen immer mehr Kräfte und Parteien auf eine Schwächung Brüssels drängen, Staaten die EU verlassen und sich der Eindruck von Korrosion gemeinsamer Werte und Verbindlichkeiten verfestigt, kommt Die Hauptstadt also genau zur rechten Zeit

Dass das neue Buch des Österreichers auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2017 gelandet ist, kommt nicht von ungefähr. Für mich ist dieses schön komponierte Buch ein Füllhorn von Gattungen und Figuren. Ein im besten Wortsinn politisches Buch, das auf den Nacht- oder Schreibtisch jedes engagierten Europäers gehört!

 

 

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Walter Lucius – Schattenkämpfer

Farah Hafez ist wieder da. Die niederländische Journalistin und Kampfsportlerin mit afghanischen Wurzeln, die der geneigt Leser bereits aus Schmetterling im Sturm kennt, kehrt zurück. Und wie! Gleich auf den ersten hochtourigen Seiten des neuen Romans von Walter Lucius gerät sie in eine Geiselnahme von tschetschenischen Terroristinnen, die nicht von Ungefähr an Szenarien wie die Katastrophe von Beslan erinnert. Durch einen perfiden Winkelzug der Terroristinnen wird Farah plötzlich auch als Strippenzieherin des Anschlags gebrandmarkt und muss nach der Befreiung durch russische Einsatzkräfte fliehen.

Dies ist nur einer von vielen Strängen, die in Schattenkämpfer das Gerüst bilden. Walter Lucius spannt seinen Thriller zwischen Amsterdam, Südafrika, Moskau und Indonesien auf. Denn dorthin flieht Farah, während in den Niederlanden Polizei und Journalisten versuchen, die turbulenten Ereignisse des Vorgängerbuchs weiter aufzuklären. Denn was in diesem schon angelegt war, entfaltet sich nun weiter: ein Geflecht aus Korruption und Abhängigkeiten, das von der niederländischen Politik aus bis zu russischen Energieriesen reicht. Farah und Kollegen versuchen in bester Lisbeth-Salander-Tradition, in dieses Hornissennest hineinzustechen, doch dies führt im Lauf des Buchs zu weiteren Toten und lebensbedrohlichen Situationen.

Schattenkämpfer (Deutsch von Ilja Braun) ist der Mittelteil der als Heartland-Trilogie betitelten Dreierreihe des niederländischen Autors Walter Lucius. Eingangs hatte ich ein Problem mit den Anschlüssen an den ersten, 700 Seiten starken Thriller Schmetterling im Sturm, lag die Lektüre doch schon drei Jahre zurück. In der Zwischenzeit wurde der Roman dann vom Verlag auch noch um ein Jahr nach hinten geschoben, was die Veröffentlichung anging – und so musste ich mich erst wieder im Universum von Farah Hafez einfinden.

Die Verbindung an den ersten Teil gelingt Walter Lucius dann aber im Lauf des Buchs sehr gut unter Rekursion derbisherigen  Geschehnisse, die immer wieder einfließen und für die Fortschreibung der Geschichte essenziell sind. Das macht das Buch auch für Neulinge interessant, wenngleich ich unbedingt die vorherige Lektür von Schmetterling im Sturm empfehlen würde um des maximalen Genusses wegen.

Insgesamt ist das Buch abermals ein höchst globaler Thriller, der diesmal noch etwas stärker aufs Gaspedal drückt und beständig von Ort zu Ort springt und so für hohes Tempo sorgt. Manche Szenen oder Zusammenhänge erfordern schon eine gewisse Akzeptanz des Lesers, was die Verkettungen und Zufälle angeht. Abgesehen von kleinen handwerklichen Fehlern ist Schattenkämpfer genauso wie sein Vorgänger ein lesenswerter Thriller, der die Leser auf Abschlussband 3 hoffen lässt. Hoffentlich dauert es nur nicht wieder drei Jahre, ehe es soweit ist!

 

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Karine Tuil – Die Zeit der Ruhelosen

Die richtungsweisenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich stehen kurz bevor – da erscheint nun im Ullstein-Verlag der passende Roman, der sich mit der sozialen Gemengelage in Frankreich auseinandersetzt. Geschrieben hat ihn die Autorin Karine Tuil, die deutsche Übersetzung besorgte Maja Ueberle-Pfaff.

Die Zeit der Ruhelosen setzt sich mit wichtigen und prägenden Themen der Zeit auseinander und kreist um vier ProtagonistInnen, die da wären: der Afghanistan-Veteran Romain Roller, der unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die Journalistin Marion Decker, die wiederum mit dem Milliardär Francois Vély liiert ist, sowie der verstoßene Politiker Osman Diboulla, der einst Teil des Beraterstabs des französischen Präsidenten war.

Vier Menschen und ihre Beziehungen

Karine Tuil - Die Zeit der Ruhelosen (Cover)

Diese vier Protagonisten bilden das Gerüst des Romans. Wie sich die vier gegenseitig beeinflussen, das beobachtet Karine Tuil ausgehend von einem Fenstersturz. Die Frau des Milliardärs Francois Vély hat sich umgebracht, indem sie aus dem eigenen Wohnungsfenster in den Tod sprang. Folglich driftet dessen Familie nun völlig auseinander. Vély, dessen Geburtstagsname eigentlich Lévy ist, pflegt eine Affäre mit der Journalistin Marion Decker, um sich über den Verlust seiner Frau und die Entfremdung seiner Kinder hinwegzutrösten. Jene beginnt nun wiederum eine Affäre mit dem Soldaten Romain Roller, dem die Journalistin in Afghanistan begegnete, als sie eine Reportage schrieb.

Der verstoßene Politiker Osman Diboulla kommt nun ins Spiel, als über Francois Vély ein Shitstorm hereinbricht, der ihn zu verschlingen droht. Infolge eines Interviews präsentierte sich Vély sehr ungeschickt und hat nun Rassismus- und Sexismusvorwürfe am Hals. Immer größer wird der Shitstorm – in dem Osman seine Chance erkennt, sich gesellschaftlich und politisch zu rehabilitieren. Der Politiker springt für Vély in die Bresche und setzt sich mit Verve für den gefallenen Magnaten ein.

Gesellschaftlich auf der Höhe der Zeit

In Die Zeit der Ruhelosen verhandelt Karine Tuil viele Fragen, die die Zeit und Frankreich prägen. Rassismus in den Gesellschaftsschichten, Antisemitismus, Kriegsheimkehrer, Radikalismus, die prekäre Lage in den Banlieues – es sind viele Themen, die Tuil in ihrem Roman anschneidet. Auch wenn das ganze manchmal in sehr theatrale, an Yasmina Reza geschulte Dialoge und Szenen kippt, in denen sämtliche Argumente verhandelt werden, unterhält der Roman doch im Großen und Ganzen sehr gut.

Ähnlich wie im hier schon besprochenen Roman Die Gierigen ist Tuil hier auf Höhe der Zeit und porträtiert eine zerrissene Gesellschaft und ein zerrissenes Land. Der Autorin ist ein wirklicher Gesellschaftsroman gelungen, der viel über unser Nachbarland Frankreich, aber auch viel über unser eigenes Denken und Handeln verrät.

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Reginald Hill – Die letzte Stunde naht

Was hat der Dicke nicht schon alles überlebt – einen Bombenanschlag (Der Tod und der Dicke), eine Kur (Der Tod heilt alle Wunden) – und nun auch noch das. Kaum genesen verwechselt das kriminalistische Schwergewicht den Wochentag und landet so statt montags im Büro am Sonntag in der Kirche. Dort macht er die Bekanntschaft einer jungen Dame, die Andy Dalziel um Hilfe bittet. Ihr Ehemann Alex ist vor sieben Jahren verschwunden, nun will sie ihn für tot erklären lassen. Denn sie lebt inzwischen mit einem anderen Polizisten zusammen und will die alten Zöpfe abschneiden. Dalziel soll ihr helfen, das Verschwinden ihres Ex-Mannes aufzuklären.

Dies ist allerdings alles andere als einfach, denn nachdem Dalziel noch verwirrt von seiner Wochentag-Verwechslung der Dame seine Hilfe zusichert, wird die Sache wirklich kompliziert (und tödlich). Denn hinter der Frau ist ein Killer-Duo her, das Böses im Schild führen. Und dann mischen auch noch weitere Polizisten, Reporter und aufstrebende Politiker mit, sodass der Fall zum Mahlstein für Dalziel und Pascoe zu werden droht. Wem naht die letzte Stunde?

Acht Jahre hat es gedauert, bis nun auch der letzte Fall des legendären Duos Dalziel/Pascoe auf Deutsch vorliegt. Übersetzt wurde der finale Band erneut von Karl-Heinz Ebnet. Gelohnt hat es sich auf alle Fälle.

Der letzte Fall des ungleichen Duos hat es wieder in sich – hier zeigt sich Reginald Hill voll auf der Höhe seiner Könnerschaft. Wie er den zunächst recht abstrusen Plot immer dichter verwebt und zusammenführt, sodass auch die einzelnen Exkurse und Stränge am Ende zusammenpassen und einen Sinn ergeben, das ist meisterhaft. Eine Besonderheit dieses Abschlussbandes ist es auch, dass Hill die gesamte Handlung an einem einzigen Tag spielen lässt. Die von Accelerando bis Furioso reichenden Kapiteleinteilungen bilden die Grobgliederung, die einzelnen Kapitel selbst werden einfach mit den Uhrzeiten benannt, zu denen sich die aktuelle Handlung abspielt. Das sorgt für Tempo und Abwechslung.

Schade, dass es nun mit Dalziel und Pascoe ein Ende hat – der großartige Autor Reginald Hill verstarb ja bereits 2012. Wünschenswert wäre es, nun da der Abschlussband endlich vorliegt, dass die Vorgängerbände noch einmal als Gesamtausgabe veröffentlicht werden, liegen doch fast alle Bücher der Dalziel/Pascoe-Reihe nur noch antiquarisch vor. Die Qualität dieser Reihe würde dies definitiv rechtfertigen!

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Horst Eckert – Wolfsspinne

Crystal Meth, NSU-Terror und rechte Gewalt in Deutschland – für seinen neuen Krimi um den Düsseldorfer Kommissar Vincent „Che“ Veih hat sich Horst Eckert viel vorgenommen. Und das Gute an Wolfsspinne ist, dass ihm damit auch fast alles gelingt. Aber nun der Reihe nach.

In Düsseldorf wird in der Szenekneipe Greens die Wirtin Melli Franck erschlagen. Vincent Veih bekommt den Fall zugeteilt und hat schnell eine heiße Spur. Denn gegen den Druck in der Gastronomie scheint die Wirtin oftmals Crystal Meth konsumiert zu haben. Führt diese Spur zu den Mördern von Melli Franck?

Derweil rollt Eckert parallel die Lebensgeschichte von Ronny Vogt auf, der als V-Mann des Verfassungsschutzes bei der Morderserie und der Unterstützung des NSU seine Finger im Spiel hatte. Momentan hat ihn sein Kontaktmann beim LKA ins rechtsradikale Milieu in Düsseldorf eingeschleust, wo sich seine Wege schon bald mit Vincent kreuzen werden. Nicht einfacher wird es dadurch, dass beide Kriminalbeamten entfernt miteinander verwandt sind und Ronnys Deckung aufzufliegen droht.

Und dann sind da auch noch berufliche Probleme, mit denen sich Vincent Veih konfrontiert sieht – er hat mit seiner Freundin an einer Demonstration gegen Nazis und PEGIDA teilgenommen und wurde infolge dieser Demo als Antifa-Anführer und Unruhestifter gebrandmarkt. Veihs Chef drängen auf die Versetzung des Ermittlers, der eigentlich gerne den Mord an Melli Franck in all seiner Tiefe aufklären möchte, doch nun plötzlich auch noch um seinen Ruf kämpfen muss. Continue reading

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