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Gert Ueding – Herbarium giftgrün

Tübingen ist in aller Munde. Momentan ist es der vielbeachtete Modellversuch, der der Kleinstadt am Neckar deutschlandweite Aufmerksamkeit beschert. Während die Coronazahlen in die Höhe steigen, probiert man sich in Tübingen in der Rückkehr zu etwas mehr Normalität, begründet durch Testungen und damit verbundene Passierscheine. Aber auch ihr streitbarer Bürgermeister Boris Palmer sorgt ein ums andere Mal für Schlagzeilen, etwa wenn er eigenmächtig des Nachts Studenten kontrolliert. Oder wenn diese Studenten gerne einmal in steinernen Kunstwerken stecken bleiben.

Aber auch abseits von solch skurrilen Schlagzeilen ist die schwäbische Stadt bekannt. Der bekannteste Sohn der Stadt ist sicherlich Hölderlin, der 36 Jahre in einem Turm verlebte und dessen Leben und Werk im letzten Jahr zum dessen 250. Geburtstag breit gedachte wurde. Neben dessen Ruf ist es auch der der Eberhard-Karls-Universität, die entscheidend zum Ruhm der Stadt beigetragen hat. Die Liste der dort studierenden und lehrenden Denker und Denkerinnen liest sich wie ein Who’s Who deutscher Geistesgeschichte. Schelling, Hegel, Mörike, Alzheimer, Bloch, Ratzinger, Jens oder der jüngst verstorbene Hans Küng verschafften der Uni den Nimbus einer DER deutschen Top-Universitäten. Dass es an diesem Hort geistiger Schaffenskraft auch dunkle Seiten gibt, davon erzählt Gert Ueding in seinem Roman Herbarium giftgrün.

Die dunklen Seiten Tübingens

In seinem Buch ereignet sich an der Universität ein Todesfall, der schnell zum Stadtgespräch wird. Eine Studentin wird tot in einem Hörsaal aufgefunden. Bei einem Essen an der Universität bekommt der Maler Max Kersting einen Zettel der Verstorbenen zugesteckt. Das verschlüsselte Notat, in dem von einem herbarium sidereum die Rede ist, weckt das Interesse des Malers. Als der dann auf dem Nachhauseweg überfallen und ihm der Zettel entwendet wird, ist das Interesse des Künstlers vollends geweckt.

Gert Ueding - Herbarium giftgrün (Cover)

Er spürt im Umfeld der Verstorbenen den letzten Spuren nach. Diese führen ihn auf der Suche nach dem mysteriösen Herbarium genauso ins studentische Milieu wie in Bereiche des akademischen Mittelbaus. Schnell muss er erkennen, dass es auch an eine untadelige Universität von exzellentem Ruf wie die Eberhard Karls-Universität nicht vor dunklen Machenschaften gefeit ist. Der Run auf das ganz, ganz große Geld mithilfe unlauterer Mittel kann auch für Akademiker*innen zur Falle werden

Gert Ueding hat einen Roman geschrieben, der Elemente von Krimi und Campusroman in sich vereint. Und auch wenn die Anlagen des Romans wirklich nicht schlecht sind, so ist mein Leseeindruck leider kein durchwegs positiver.

Eher Meinungsbeitrag als echter Roman

Dies liegt schon zum einen daran, dass sich viele der im Buch verhandelten Themen und Thesen eher wie verklausulierte Artikel, denn genuin ins Handlungsgefüge eingepasste Plotelelemente lesen. Etwas gekünstelt wirkt es, wenn die Professoren in klandestinen Gesprächen, beobachtet von findigen Report*innen ihre Ränke um Kongresse und wissenschaftliche Fake-Buchverlage in Hinterzimmern spinnen. Passagenweise hatte ich den Eindruck, einen umgearbeiteten Debattenbeitrag über die Missstände im akademischen Wesen anstelle eines wirklichen Unterhaltungsromans zu lesen. Immer wieder spricht Kersting mit Akademiker*innen, die ihm und dem Leser seitenlang Missstände im Bildungsgefüge von der Bolognareform bis hin zu Zitationskartellen zu erklären. Eine etwas dezentere Einarbeitung der Anliegen des Romans, sie hätte hier notgetan.

Generell ist das Herbarium giftgrün auch etwas bieder geraten, sowohl als Krimi als auch Campusroman. Beginnend bei den bräsigen Kapitelüberschriften („Der Fall entwickelt sich“, „Der Verdacht wird konkreter“, etc.) setzt sich dieser Eindruck über die eigenwilligen Liebeszenen bis in die Kapitel hinein fort. Das hat zum Einen mit der recht konturlosen Figur des Max Kersting zu tun, der als Außenstehender trotz Uni- und Kriminalstikferne trotzdem permanent im Zentrum des Geschehens steht. Sowohl bei den Ermittlungsbehörden als auch im Büro des Dekans und bei den Opferfamilien geht er ein und aus. Je mehr die Handlung Blüten treibt, umso blasser wird dieser Kersting selbst.

Seine Figurengestaltung bleibt im Vergleich zum Plot deutlich zurück und ist auch nicht klischeefrei (natürlich verliebt sich der Künstler in einer junge Studentin und beginnt eine Affäre, etc.). Als recht konturlose Figur trägt er die Handlung nur schwer. Die Konturen spielen bei den Frauen im Roman hingegen wieder eine wichtige Rolle. Sie sind mitunter promiskuitiv, stets attraktiv bis „von starker erotischer Präsenz“ (S. 83), die dann im Gespräch dann zur Freude der Männer frivol an Tomaten zutzeln oder im Liebesspiel nach einem Apfel haschen dürfen. Diese Art von Schilderungen ist doch etwas überkommen und wirkte zumindest auf mich etwas verstaubt und reichlich prä-metoo-esk.

Nicht überzeugend gemacht

Zum Anderen ist auch die Machart der Kriminalerzählung nicht wirklich überzeugend. Dass ein Maler, in diese Räuberpistole hineinstolpert, stets die richtigen Schlüsse zieht und im Alleingang alles aufklärt, geschenkt. Allerdings ist neben der Plausibilität auch die Erzählweise verbesserungswürdig. So flicht Uerding immer wieder Vorausschauen ein (manche gleich zweimal auf einer Seite), wirkliche Spannung kann er daraus aber nicht generieren. Auch die Dialoge sind stellenweise doch reichlich erklärend-platt und eher auf Seifenopern-Niveau:

Fast eine Stunde später, sie hatten warten müssen, stiegen sie wieder in den Volvo. Kersting legte den Arm um Jana, zog sie an sich, dann lehnte er sich zurück.

„Wenn das kein gewöhnlicher Diebstahl war und als Warnung gedacht, dann muss das Auto so abgestellt worden sein, dass wir diese Absicht auch erkennen. Also zum Beispiel auf der Straße vor Deiner oder Lenas Wohnung.“

„Oder vor Deinem Haus in Unterjesingen“, ergänzte sie.

„Ja, oder dort“

„Dann fahren wir hin! Wir fangen hier in Tübingen an, und wenn das nichts bringt zu dir.“

Gert Ueding – Herbarium giftgrün, S. 220

In diesem Buch ruft man tatsächlich noch „verblüfft und auch bewundernd“ „Du bist ein Tausendsassa!“ aus (siehe Seite 251) oder stellt im Gespräch fest: „Es wird brenzlig, wir dürfen jetzt nicht die Ruhe verlieren.“ (S. 51). Viele Dialoge klingen völlig gestelzt, fernab jeder Gesprächsrealität. Selbst innerhalb mancher Aussagen schwankt der Ton erstaunlich von sprachlicher Gespreiztheit hin zu einem völlig umgangssprachlichen Register. Glaubwürdig ist das alles leider nicht so wirklich.

Sprachliche Schludrigkeiten und mangelndes Lektorat

„Natürlich berührt das Aufsehen, das die – ich will sie mal so nennen – Gartenhausaffäre in der Öffentlichkeit erregt hat, auch Belange der Universität, da ein Mitglied des Lehrkörpers in sie verwickelt ist, und das mindestens auf zweideutige Weise. Ich kann und will Ihnen aus diesem vertraulichen Gespräch nichts mitteilen, aber ich habe jedenfalls nichts Ihren Schlussfolgerungen Widersprechendes dabei erfahren.“

Gert Ueding – Herbarium giftgrün, S. 243

Ebenso schwankend wie der Ton der Dialoge ist auch der des gesamten Buchs. Da wird sich auf der einen Seite Musik ‚reingedudelt [sic], dann liest man wieder von „Born“, „Gepräge“ oder „Malesche“. Zu einem einheitlichen Ton findet Uerdings Prosa leider selten, was die Lektüre so zu einem wechselvollen Erlebnis macht.

Das wirkliche Ärgernis allerdings, das mir den Lektüregenuss entschieden vermiest hat, ist das nachlässige Lektorat. Da werden Boote „verteut“, Apostrophen wild gesetzt, der Name eines Protagonisten vertauscht und von einer Seite auf die andere geändert. Dabei spreche ich noch gar nicht von den Kommafehlern, eigenwillig geführten wörtlichen Reden, schiefen Bilder, fehlerhaften Groß- und Kleinschreibungen (siehe erste Dialogbeispiel) und sonstigen Fehlern, die sich haufenweise im Buch finden. Eine genauere Schlusskorrektur wäre hier von höchster Dringlichkeit gewesen, erfolgte sie doch meines laienhaften Leserblicks nach höchst unzureichend. Spätestens für die nächste Auflage des Buchs wäre sie mehr als angebracht.

Fazit

Diese Schludrigkeiten sind leider wirklich ärgerlich, mindern sie den Gesamteindruck des Buchs, das ansonsten von allen sprachlichen Fehlern und Schwankungen abgesehen durchaus eine konsumierbare Lektüre ist. Für die zweite Auflage des Buchs wäre es wünschenswert, in Sachen Lektorat noch einmal nachzubessern. Begrüßenswert wäre es, wenn dann die innere Sorgfalt der äußeren entspräche. Denn als Teil des ersten Programms der Kröner Edition Klöpfer ist das Buch ausnehmend schön gestaltet und in bibliophiler Hinsicht eine echte Zierde. Mehr Infos zum ersten Programm es Verlags gibt es hier.

Zwei ganz andere Meinungen zu Herbarium giftgrün gibt es beim Blog Aus-Erlesen und bei Esthers Bücher.


  • Gert Ueding – Herbarium giftgrün
  • ISBN 978-3-520-75301-4 (Kröner Edition Klöpfer)
  • 340 Seiten. Preis: 24,00 €
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Mithu Sanyal – Identitti

Was für ein Buch. Bericht aus dem Inneren eines Shitstorms, Soziologie-Gender-Idenitäts-Proseminar, (über)forderndes Gedankenexperiment, Roman-Twitter-Medien-Schnittstelle und noch so viel mehr. Das alles steckt im literarischen Debüt Identitti von Mithu Sanyal. Ein Buch auf Höhe der Zeit und auf Höhe so ziemlich aller gegenwärtiger Diskurse.


Die Welt ist kompliziert geworden. Nichts darf man mehr sagen, Cancel-Culture, Sprechverbote, Toiletten für das Dritte Geschlecht, die Political Correctness greift um sich. So ruft es von der einen Seite. Die andere Seite entgegnet, Geschlecht sei nur ein Konstrukt, Sprache formt die Realität, deshalb brauche es mehr Rücksichtnahme, Inklusivität, Überprüfung der eigenen Privilegien. Der Diskurs wird energisch geführt, wie immer gilt: so einfach wie es sich oft anhört, ist alles nicht. Und dann kommt jetzt auch noch dieser Roman daher. Ein Buch, das mit großer Lust und viel Verve wie ein Kind in die Wasserpfütze springt und das auf die Debatten zielt, die das gesellschaftliche und universitäre Leben momentan dominieren.

Auslöser des Ganzen ist dabei ein Schwindel. Denn die Professorin Saraswati ist nicht das, was sie scheint. Sie, die sich in publikumswirksamen Streitgesprächen mit Jordan Peterson duelliert und deren Engagement für die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität ein echter Coup war, ist nämlich gar keine Person of Color, kurz PoC. Stattdessen hieß Professorin Sarawasati eigentlich Sara Vera Thielmann, ehe sie sich entschloss, eine neue Identität anzunehmen.

Der Fall, der an den ähnlich gelagerten Fall von Rachel Dolezal in den USA erinnert, ruft einen Shitstorm hervor. Wie kann es eine weiße, privilegierte Frau wagen, sich die Identität einer Person of Color aneignen? Wie kann sie auf Kosten marginalisierter Gesellschaftsgruppen ihre eigene Karriere aufbauen und sich als Schwarze produzieren? Und überhaupt, warum spielte sie jahrelang den Menschen und ihren Student*innen eine Rolle vor, die sie qua Geburt nicht besitzt?

Im Auge des Shitstorms

Diese und andere Fragen treiben die Öffentlichkeit um. Schnell greift die Empörung um sich. Ein Shitstorm nimmt seinen Lauf. Nicht nur an der Uni wird diskutiert und gestritten, auch im digitalen Raum findet der Fall viel Echo. Auf Twitter streiten sich die Wortführer, vom Spiegel bis zur taz wollen alle ein Interview oder eine Story ergattern. Und wenn schon Saraswati nicht zur Verfügung steht, dann versuchen die Medien und sozialen Netzwerken über Nivedita einen Zugang zur Professorin zu finden.

Mithu Sanyal - Identitti (Cover)

Denn Nivedita studiert bei Saraswati und vergöttert diese. In ihrem Blog „Identitti“ schreibt sie über ihr Leben, Identitätsfragen und ihre Bewunderung für Saraswati. In Unkenntnis der folgenden Enthüllungen hat sie dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben, in dem sie den Kritiker*innen Saraswatis vorhielt, sie wissen nichts, was Weißsein für Saraswati bedeutet.

Und so steht Nivedita als Ich-Erzählerin nun inmitten des Shitstorms, der sich immer bedrohlicher auflädt. Die Uni will von Saraswati eine Erklärung, die AfD hetzt und auch im linken (digitalen) Milieu weiß man nicht so richtig, Antworten auf die Causa Saraswati zu finden.

Und tatäschlich sind die Fragen und Antworten im Falle der täuschenden Professorin alles andere als leicht. Das müssen Nivedita und auch wir als Leser*innen schon bald erfahren. Die junge Studentin konfrontiert Saraswati in ihrer Düsseldorfer Wohnung mit den Vorwürfen. In der Folge entspinnt sich ein Gedanken- und Thesenstreit zwischen den beiden Figuren.

Was bedeutet das überhaupt, race? Gibt es so etwas wie Rassen überhaupt, wer darf bestimmen, wozu man sich zugehörig fühlt? Wer definiert die Grenzen von Weiß- und Schwarzsein, wie wirkt sich unser koloniales Erbe auf unser Denken aus?

Ein Füllhorn an Ideen und Theorien

Manchmal wirkt Identitti, als wäre man gerade noch draußen vor dem Club Rauchen gewesen und hätte danach seinen Kopf wieder durch die Eingangstür ins Innere gesteckt. So blinkend, so lärmend, so schweißgetränkt und so ohrenbetäubend laut ist auch dieses Buch – im positiven Sinne.

Hier fliegen die Gedanken hin und her. Saraswati ist eine Professorin, gegen die man in einer Debatte schlechte Karten hätte. Immer hat sie eine Antwort, weiß ihren Kopf aus einer argumentativen Schlinge zu ziehen und überfordert mit ihren Gedanken und Thesen das ein ums andere Mal. Mithu Sanyals Herkunft als Sachbuchautorin und schnelle Denkerin kann und will Identitti dabei nicht verhehlen. Sieben Seiten Literaturliste mit Inspirationen und Zitaten ergänzen den Band (gefolgt vom Hinweis „und viele, viele mehr“). Sie gießt ein ganzes Füllhorn an Themen und Ideen aus.

Mithu Sanyal bespielt in ihrem Romandebüt den Dreiklang der aktuelle so heiß diskutierten Themen race, class und gender. Sie erzählt von Bewunderung, Liebeskummer und davon, warum man in außerafroamerikanischem Kontext nicht von Soul Food sprechen sollte.

Sie plädiert für Ambivalenz in Fragen der Identität und des Selbstverständnisses und führt in die Themenkomplexe der Dekolonialisierung, Identitätspolitik und Postkolonialismus ein.

Der Ton, in dem sie dies tut, ist durchaus auch anstrengend, etwa wenn Nivedita mit ihrer aus Birmingham stammenden Cousine Priti in deutsch-englischem Kauderwelch konversiert. Auch sind die Zwiegspräche und Auftritte der Göttin Kali etwas gewöhnungsbedürftig und die erzählerische Hektik regiert.

Oftmals ähnelt das Buch in den Dialogen eher einer akademischen Denkschrift oder Erörterung denn einem nach vorne erzählenden Roman. Auch ist das Vokabular in seiner Begriffsfülle von BiPoC bis hin zu BAME nicht immer leicht zu lesen, wenngleich Sanyal auch klar macht, weshalb so eine präzise Benennung not tut.

Ein Erzähl- und Denkabenteuer

Wer sich auf das Erzähl- und Denkabenteuer namens Identitti einlässt, bekommt einen Roman, der den eigenen Blick auf die Welt hinterfragt (und zumindest in meinem Falle damit auch Erfolg hatte). Ähnlich wie Zinzi Clemmons interessiert sich Mithu Sanyal auch für das Dazwischen, das Ambivalente und die Übergänge. Ihr Buch steckt voller Anregungen und ist durch seine Einbindung von gespendeten Tweets, Gastauftritten und Anküpfungspunkte an Realien wie den Fall Rachel Dolezal sehr aktuell.

Schön ist auch, dass Mithu Sanyal für ihr erzählerisches Debüt solche Aufmerksamkeit aus den Medien und der Literaturblase zuteil wird. Schließlich weist auch Saraswati im Buch selbst auf den Umstand hin. Der erste Roman eines Mixed-Race-Autors, in die eigenen Erfahrungen thematisiert wurden, datiert gerade einmal zurück ins Jahr 1990. Der Titel damals: Der Buddha aus der Vorstadt von Hanif Kureishi. Dass diese Erzählperspektiven zu lange ausgeblendet und marginalisiert wurden, wirft kein gutes Licht auf den Literaturbetrieb. Umso wichtiger nun, dass sich der Literaturmarkt für dieses Erzählen öffnet. Spannender und wichtiger als noch ein Walser oder Mosebach ist das auf alle Fälle!

Weitere Meinungen zum Roman gibt es unter anderem bei Letteratura und bei Seitenhinweis.


  • Mithu Sanyal – Identitti
  • ISBN 978-3-446-26921-7 (Hanser)
  • 430 Seiten. Preis: 22,00 €
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R. O. Kwon – Die Brandstifter

Was passiert, wenn sich zwei labile Menschen zu einer Partnerschaft zusammenfinden? Und was, wenn zu dem fragilen Doppel auch noch eine dritte, toxische Partei dazustößt? Das erkundet R. O. Kwon in ihrem Debüt Die Brandstifter (Liebeskind-Verlag, Deutsch von Anke Caroline Burger).


Beziehungen können Ruhepol und Kraftorte sein. Inkubatoren des Verständnisses oder auch Wohlfühloasen. Dann gibt es aber auch Beziehungen, die durch das genaue Gegenteil gekennzeichnet sind. Ständige Streitereien, knallende Türen, Beziehungsgefälle. Statt Kraft bedeuten solche Beziehungen ständiges Aufreiben. Wenn sie schon nicht auf der Tagesordnung stehen, dann sind Kämpfe aber mindestens an der Monatsordnung.

Erstere Art der Beziehungen mag harmonischer und konfliktfreier sein – die andere Sorte bietet aber literarisch deutlich mehr Potential. Das hat auch R. O. Kwon erkannt, die zwei völlig gegensätzliche Personen in den Mittelpunkt ihres Romans stellt. Abwechselnd erzählen immer Will und Phoebe von ihrem Leben und ihrer Sicht auf die Beziehung, die sie beide so Vieles kostet. Phoebe hatte in jungen Jahren den Plan, Starpianistin zu werden, woraufhin sie sich einem drakonischen Übungsplan unterwarf und alles ihrem Ziel unterordnete, eine herausragende Pianistin zu werden.

Und dann ist da Will, der das Gegenteil von Phoebe verkörpert. Ein armer Student, Slacker, der antriebslos zwischen Kellnerjob und Studentendasein oszilliert. An der Universität des fiktiven Städtchens Noxhurst lernen sich die beiden kennen und lieben. Die etwas abgegriffene Binsenweisheit der Gegensätze, die sich gegenseitig anziehen, trifft auch hier einmal mehr zu.

Phoebe, Will und ein Sektenführer

Doch dazu kommt dann noch ein weitaus stärkerer Magnet, der in das Anziehungsfeld der beiden eingreift. Dies geschieht in Form des mysteriösen John Leal, eines charismatischen Anführers, der die Sekte Jejah gegründet hat. Beide geraten ins Strömungsfeld dieses Mannes, der angebliche für sein missionarisches Wirken schon in einem nordkoreanischen Gulag saß.

Fortan beobachtet R.O. Kwon die Entwicklungen und Turbulenzen in diesem Gefüge, wobei sie immer abwechselnd aus Phoebes und Will Perspektive erzählt. Und auch von John Leal wird immer wieder berichtet. Dabei treibt R. O. Kwon ein interessantes Spiel mit den Perspektiven. Das Wirken John Leals wird auktorial erzählt, Will ist ein klassischer Ich-Erzähler. Nur bei Phoebe ist alles nicht ganz so klar, wer hier erzählt. Zwar ist der Großteil in der Ich-Perspektive geschildert, die Einleitung der Kapitel macht allerdings klar, dass sich hier jemand anderes in sie einzufühlen versucht. Ist es Will, der hier Phoebe zu verstehen such? Möglich ist es, Zweifel bleiben.

Generell blieben während der Lektüre viele Fragen. Das liegt daran, dass R. O. Kwon nicht erzählt, indem sie eine durchgängige Handlung schildert, sondern immer wieder kleine Miniskizzen von John, Will und Phoebe anfertigt und diese hintereinandermontiert. Dass das Ganze kein gutes Ende nimmt, das ist ja schon nach der ersten Seite klar. Aber wie es zu den Entwicklungen kam, das muss man sich auch selbst ein Stück weit erschließen.

Es fehlt das Fleisch auf den Rippen

Für mich las sich Die Brandstifter eigentlich wie ein Skelett einer Geschichte, bei dem mir dann aber das Fleisch auf den Rippen fehlte. Denn das Buch umfasst gerade einmal 240 Seiten – und dafür ist zu viel anerzählt, als was dann auserzählt wird. Dabei böte die Geschichte viele Chancen, gerade der migrantische Blick einer Koreanerin auf das (Campus)Leben in den USA und die Dynamiken in Sekten sind hochspannende Themen. Nur macht R. O. Kwon für mein Empfinden zu wenig daraus.

Schlecht ist das Buch sicher nicht, aber die vielen Lobeshymnen, das großartige Cover und die Bewerbung des Buchs weckten viele Erwartungen in mir, die der Titel dann aber nur unzureichend erfüllen konnte. Schade!

Etwas anders sieht das im Übrigen Christian Buß, der auf Spiegel Online ebenfalls eine Besprechung zu dem Buch verfasst hat.

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Klaus Modick – Die Schatten der Ideen

In seinem Buch Die Schatten der Ideen verknüpft Klaus Modick die Lebensgeschichte des jüdischen Emigranten Julius Steinberg mit der des Universitätsdozenten Moritz Carlsen zur Zeit des Irakkriegs 2003/2004.

Aufhänger ist die Schaffenskrise des Autoren Moritz Carlsen. Dieser mag und mag kein Thema für seinen neuen Roman finden, sodass ihm der Anruf eines alten Freundes gerade recht kommt. Dieser lotst ihn als Artist in Residence in die abgelegenen Berge von Vermont, wo Carlsen am Centerville-College Kurse geben soll. Dem Ruf seines alten Freundes kann er sich nicht widersetzen, besonders, da auch berühmte Literaten wie Robert Frost oder sogar Carl Zuckmayer in Vermont Unterschlupf fanden. Eine gute Region also, um auf den Musenkuss zu warten. Und bis der kommt, gibt Carlsen Vorlesungen zum Thema Übersetzung und versucht sich in Vermont einzuleben.

Dabei stolpert er just eines Tages in dem vom College zur Verfügung gestellten Zuhause im Keller über ein Konvolut voller Briefe und Aufzeichnungen. Diese geben Einblick in das bewegte Leben des jüdischen Emigranten Julius Steinberg, der von Deutschland aus zur Zeit der Nationalsozialisten nach Amerika emigrierte. Dabei ist der Großteil des Konvoluts eine Art eigene Autobiographie, die Steinberg in seiner Gefängniszelle schrieb, in der er zur Zeit der McCarthy-Ära gelandet war. Carlsen beschließt, über das Leben des Verfassers selbst Nachforschungen anzustellen, doch je weiter er mit seinen Nachforschungen kommt, umso mehr Gegenwind gibt es. Continue reading

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