Mein Lieblingsbuch des Jahres
Subjektive Buchkritik seit 2013
Ostende, 1936: Hier versammeln sie sich ein letztes Mal, all die Autoren, die wir heute unter dem Begriff der Exil-Autoren bündeln: Arthur Koestler, Hermann Kesten, Irmgard Keund und allen voran das ungleiche Duo Joseph Roth und Stefan Zweig.
In jenem kleinen belgischen Strandort treffen sich diese unterschiedlichen Figuren, die die Flucht vor dem Naziregime eint, das seine gierigen Finger über den gesamten europäischen Kontinent ausstreckt.
Als jüdische Schriftsteller verfemt gelingt es den Autoren kaum mehr, ihre Bücher abzusetzen – nur die Publikation im Ausland verspricht noch einen Erfolg. Doch von Fatalismus merkt man den Zusammenkünften in Ostende nicht viel an. Die SchriftstellerInnen feiern ein letztes Mal das Leben in dem kleinen Städtchen, helfen sich gegenseitig mit Ideen aus und machen sich gegenseitig Aufwartungen.
So könnte es gewesen sein, wie es Volker Weidermann in Ostende beschreibt. Vom Umfang her eher eine Novelle, berichtet der kommende Chef des Literarischen Quartetts von den einzelnen Figuren, die das Strandbad bevölkern. Seinen Schwerpunkt legt er hierbei auf die Freundschaft zwischen Jospeh Roth, dem schweren Trinker, und Stefan Zweig, dem Autorenstar, der später nach Südamerika emigrieren wird. Er zeigt zwei Schriftsteller, die sich gegenseitig Inspiration schenken (Joseph Roth wird Zweig bei einer literarischen Passage weiterhelfen, an der der Großmeister zu scheitern drohte), und die sich gegenseitig noch etwas Halt geben, auch wenn eigentlich alles schon zu spät ist.
Was das Buch besonders traurig macht, sind die Schicksale, die den Autoren und Autorinnen allesamt bevorstehen. Alt werden die wenigsten der Ostende-Gruppe, Suizid und das Verscheiden in jungen Jahren ist den meisten der Exil-Autoren gemein. Umso wichtiger, dass Weidermann ihnen noch einmal ein Denkmal gesetzt hat.
Im Nachklapp versammelt er noch einmal kurz die Lebensläufe der Autoren und ihr Ende. Dies macht betroffen, sind doch viele der Autoren und Werke aus dem allgemeinen Bewusstsein schon wieder verschwunden. Die Lektüre von Ostende regt auf jeden Fall dazu an, sich einmal mit dem Opus eines Stefan Zweigs oder Joseph Roths zu beschäftigen. Doch bei allen Fakten: So etwas wie Quellenangaben fehlen seinem Buch hingegen vollständig, womit es für mich irgendwo zwischen Nacherzählung und Biografie zu verorten ist. Als reines Sachbuch funktioniert Ostende nicht, vielmehr hätte es so gewesen sein können, wie Weidermann schreibt.
Wollte man mit den Mechanismen eines großen digitalen Buchhändlers operieren, müsste man sagen: Lesern, denen 1913 von Florian Illies gefiel, gefällt auch Ostende von Volker Weidemann. Nicht zu anspruchsvoll geschrieben vereint das Buch in Schlaglichtern zahlreiche Autorenschicksale und ist eine gute Einführung in das Genre der deutschen (und jüdischen) Exilliteratur.
Faulheit kann man Friedrich Ani wirklich nicht vorwerfen: über 100 Bücher weist die Deutsche Nationalbibliothek in ihren Katalogen nach, die Ani geschrieben bzw. an denen er mitgewirkt hat. Nun startet der produktive Münchner Krimiautor im Suhrkamp-Verlag eine neue Reihe, die den Ermittler Jakob Franck einführt.
Jakob Franck ist ein pensionierter Kriminalbeamter, der sich im Münchner Polizeipräsidium als Überbringer von schlechten Nachrichten einen Ruf geschaffen hat. Stets überbrachte er den Hinterbliebenen Todesmeldungen und andere Hiobsbotschaften und half ihnen, den Schmerz zu lindern. Geblieben ist ihm eine kaputte Ehe und die Geister der Toten, die ihn immer mal wieder besuchen kommen.
Ein besonderer Fall ruft ihn nun im Ruhestand. Vor zwanzig Jahren erhängte sich in einem Park ein junges Mädchen. Kurz darauf brachte sich ihre Mutter um – und der Witwer Ludwig Winther kann mit dem Verlust auch nach 20 Jahren nicht abschließen. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass seine Tochter umgebracht wurde. Seine letzte Hoffnung heißt Jakob Franck. Und dieser hat auch eine persönliche Bindung zu dem Fall – er überbrachte der Mutter des Opfers damals die schlechte Nachricht. Wenig später erhängte sich die Mutter ebenfalls. Franck beginnt den kalten Spuren noch einmal nachzugehen.
Bereits das Cover macht Lust auf den geheimnisvollen Krimi. Was hat sich in der Familie von Ludwig Winther zugetragen? Kann es sein dass Winthers Tochter damals wirklich ermordet wurde und der Mörder mit seiner Tat bis heute davongekommen ist? Geschickt legt Ani seine Spuren, die zwanzig Jahre zurückführen.
Dass Ani schreiben kann, davon zeugte nicht zuletzt die Auszeichnung mit dem Deutschen Krimipreis, den der Müncher mit seinem letzten Tabo-Süden-Krimi errang.Gerade die lebensnahen Dialoge sind eine große Stärke von Der namenlose Tag. Wie Franck in alten Wunden bohrt und in Gesprächen versucht Widersprüche aufzudecken, das liest man so in der deutschen Krimiliteratur selten. Die Realitätsnähe macht den Fall für Jakob Franck aus, sucht man doch gewiefte Serienkiller oder übermenschliche Ermittler vergeblich. Vielmehr kämpft der ehemalige Todesbote mit seinen inneren Dämonen und versucht etwas Frieden zu finden.
Mit seinen knapp 300 Seiten hat der Krimi genau die richtige Länge, bevor ins Langweilige kippen könnte. So ist der Reihenauftakt eine spannende Spurensuche in längst Vergangenem geworden, die bis zu ihrer Auflösung den Leser in Neugierde zu versetzen weiß.
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