Monthly Archives: Februar 2018

Nickolas Butler – Die Herzen der Männer

Ja darf man das denn überhaupt noch? Bücher über Männer und ihre Gefühle Schreiben? #Metoo? Toxische Männlichkeit? Geht da überhaupt noch was? Natürlich geht da noch was – gerade in Zeiten, in denen Männer, Weltbilder und Rollen hinterfragt werden, scheint dies auch wieder vermehrt in der Literatur zu geschehen. Als Beispiel sei hier das in Kürze erscheinende und für den Man-Booker-Prize nominierte Buch Was ein Mann ist von David Szalay genannt – genauso wie das neue Buch von Nickolas Butler, auf das hier genauer eingegangen werden soll.

Butler gelang mit seinem deutschen Erstling Shotgun Lovesongs ein beachtetes Buch, das von der Freundschaft von fünf Menschen aus Wisconsin erzählte. Das Buch sollte gar eine Verneigung vor dem Folkmusiker Bon Iver sein, dessen literarische Wiedergänger einige Kritiker im Buch ausgemacht haben wollten. Meine Begeisterung für den Roman war damals durchaus vorhanden, wenngleich ich dem Roman in der B-Note ein paar Pünktchen abgezogen habe.

Nun gibt es nach fünf Jahren also mit Die Herzen der Männer Nachschub für alle Fans von Butler – die Übersetzung des Buchs kommt abermals von Dorothee Merkel. Eine inhaltliche Einordnung und Zusammenfassung des Buchs fällt dabei doch recht schwer – im Grunde erzählt Butler von Vätern und Söhnen, von Rollenmodellen und missbräuchlichem Verhalten. Er tut dies, indem er seinen Roman in drei Großteile gliedert, die stellvertretend für drei Generationen Männer stehen. Ein Teil des Romans spielt in einem Pfadfinderlager 1962, der zweite Teil springt in den Sommer des Jahres 1996, ehe Butler dann 2019 endet, wo er die große Klammer des Romans schließt, da er wieder im Pfadfinderlager in Chippewa ankommt. Dieses Lager und sein Leiter Nelson sind das Leitmotiv des Buches. Eingangs fungiert Nelson noch als Trompeter des Pfadfinderlagers, dessen Aufgabe es ist, den morgendlichen Weckruf auf seiner Trompete zu spielen. Als Außenseiter leidet er unter Mobbing und häuslichen Spannungen – und auch im Pfadfinderlager sieht er sich einigen Schikanen ausgesetzt.

Auch wenn die Handlung im Folgenden einige Jahrzehnte voranspringt – Nelson ist immer präsent, auch wenn Butler gerade gar nicht direkt bei ihm verweilt. Indirekt und in Rückblenden erfährt man immer mehr aus Nelsons Leben und dem seiner Freunde – der Vietnam-Krieg spielt dabei genauso eine Rolle wie seine Versuche, dem familiären Umfeld zu entfliehen. Am Ende wird jener Nelson gar selbst der Leiter des Pfadfinderlagers in Chippewa. Doch die Spuren der Zeit und die veränderten gesellschaftlichen Muster machen auch ihm und dem Lager zu schaffen. Deutlich wird dies, wenn beispielsweise die eingangs noch von Nelson selbst gespielte Trompete nur noch vom Band ertönt. Viele solche kleiner Inszenierungsideen begegnen dem Leser im Lauf des Buchs. Das ist wunderbar gemacht und fällt vor allem dann auf, wenn ansonsten die Rollenmuster zwischen Eltern und Kindern gleich bleiben.

Nickolas Butler besinnt sich in seinem Roman auf einige immer wiederkehrende Motive, die dem Buch Rhythmus und Tiefe verleihen. Männer, Freundschaft, Krieg, Natur sind omnipräsente Themen, die die Seelen seiner ProgatonistInnen eingehend prägen und kerben. Wer aber nun eine Art Mischung aus Timbersports und Landser-Heftchen erwartet, der sollte schleunigst seine Finger von diesem Buch lassen. Denn Die Herzen der Männer ist vor allem eins: sehr feinfühlig. Butler zeigt gebrochene, widersprüchliche Menschen, die oftmals an ihren eigenen Ansprüchen scheitern. Besonders der dritte, aktuellste Teil scheint dabei wie für all unsere aktuellen Debatten geschrieben. Dieser Teil ist nämlich aus Sicht einer alleinerziehenden Frau erzählt und bringt all diese Themen aufs Tapet, die unsere gesellschaftlichen Debatten der letzten Zeit prägten: Sexismus, Misogynie und Machotum. Eindringlich zeigt der amerikanische Schriftsteller, wie die Mutter im Pfadfinderlager unter dem Sexismus der Väter leiden muss, wie sich Männer einfach über Frauen erheben und ihre Sicht der Dinge zur allesgültigen Hypothese erklären.

Das ist stark gemacht und passt einfach nahezu prophetisch in diese diskursintensive Zeit. Dieses Buch zum schlichten Männer- oder Frauenbuch erklären zu wollen, das greift hier viel zu kurz. Die Herzen der Männer ist eine Meditation darüber, was Männer ausmacht, wie sie ihre Rolle in der Gesellschaft definieren, wie die Geschlechter zueinander stehen, was Einsamkeit und Ausgrenzung mit Menschen machen kann, wie das Leben aussieht. Und somit sollte das Buch von allen gelesen werden: Männern und Frauen!

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Preis der Leipziger Buchmesse | Die Nominierten

Und schon steht die nächste Buchmesse vor der Tür. In der Zeit vom 15. bis zum 18. März findet auf dem Messegelände zu Leipzig wieder die Leipziger Buchmesse statt, bei der die ganze Literaturbranche zum Austausch zusammenkommt. Am Vorabend der Messe wird wie jedes Jahr der Preis der Leipziger Buchmesse vergeben, und zwar in den drei Sparten Belletristik, Sachbuch und Übersetzung.

Heute nun wurden die jeweils fünf Nominierten der drei Bereiche bekanntgegeben. Diese sind:

Belletristik

 

Sachbuch

Übersetzung

  • Robin Detje für seine Übertragung von Joshua Cohen: Das Buch der Zahlen (Schöffling)
  • Olga Radetzkaja für ihre Übertragung von Viktor Schklowskij: Sentimentale Reise (Die andere Bibliothek)
  • Sabine Stöhr und Juri Durkot für ihre Übertragung von Serhij Zhadan: Internat (Suhrkamp)
  • Michael Walter für seine Übertragung der Werkausgabe in 3 Bänden von Laurence Stern (Galiani)
  • Ernest Wichner für seine Übertragung von Cătălín Mihuleac: Oxenberg und Bernstein

 

 

Einen herzlichen Glückwunsch an alle Nominierten an dieser Stelle!

 

[Titelfoto: Pressematerial Leipziger Buchmesse]

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Hans Pleschinski – Wiesenstein

Da liegt es also, dieses Haus namens Wiesenstein: tief im Riesengebirge verborgen, die Schneekoppe in Sichtweite, abgelegen an einem Berghang befindlich. Erker, Türmchen, im Keller sogar ein Schwimmbad – und der Bewohner dieser mondänen Villa im Schlesischen ist kein Geringerer als Gerhart Hauptmann. Jener Gerhart Hauptmann, der 1912 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, Erschaffer von Dramen wie Vor Sonnenaufgang, Die Weber oder Bahnwärter Thiel. Seine letzten Jahre wird er umgeben von seiner Entourage in diesem Häuschen leben, das ihm zum Refugium vor Krieg und Bedrohung wird. Wie er diese Jahre verbringt, das zeigt Hans Pleschinski eindringlich in seinem neuesten Roman, der nach des Dichters Wohnstätte benannt ist.

Schon hochbetagt weilt Gerhart Hauptmann mit seiner Frau Margarete 1945 in einem Sanatorium in Dresden, als das Bombardement der Alliierten die Stadt in Schutt und Asche legt. Unter größten Mühen wird der Dichter mitsamt seiner Frau, Sekretärin und dem fahnenflüchtigen Masseur Metzkow aus der Stadt evakuiert und zurück in sein Haus in Agnetendorf gebracht. Fortan harrt ganz Wiesenstein der Dinge, die da kommen. Könnte man anfänglich Hauptmanns Haus für das Paradebeispiel eines weltfernen Gelehrten in seinem Elfenbeinturm halten (der Dichter pflegte sich nächtens zum Dichten und Philosophieren in sein Turmzimmer zurückzuziehen, gewandet in eine Mönchskutte), so lässt Pleschinski aber sehr schnell die grausame Realität in Wiesenstein einbrechen. Die Alliierten erobern langsam die deutschen Gebiete im Westen, der Volkssturm wirft mit Kindern und Greisen dem Feind sein letztes Aufgebot entgegen. Die Rote Armee nähert sich von Osten und schiebt panisch flüchtende Menschenströme vor sich her. Inmitten dieses Orkans liegt Wiesenstein zunächst noch relativ geschützt. Doch schon bald dringen die fatalen Nachrichten von der Kapitulation der Deutschen und den nahenden Truppen auch bis ins Haus zu Hauptmann und seinem Gefolge. Ängste und Panik erfassen auch Wiesenstein.

Wie werden die russischen Besatzer mit Hauptmann verfahren? Während die Rote Armee brandschatzt, vergewaltigt, Deutsche aus ihren Häusern vertreibt und ihre Besitztümer akquiriert, bangt man in Wiesenstein um das Leben und wirft alles in die Wagschale. Hat man doch an des Dichters Tafel Kommunisten genauso wie Gauleiter beherbergt, sich einst für Frieden mit Russland eingesetzt und unauffällig die von Hauptmann kommentierte Ausgabe von Mein Kampf verschwinden lassen. Pleschinski zeigt über dieses Bangen und Warten sehr geschickt die schwankende moralische Haltung Hauptmanns selbst. Er zeichnet einen widersprüchlichen Menschen, dessen Sympathien und Unterstützung nicht weniger verworfen sind, als es die Frontlinien vor der Haustür in Agnetendorf sind. Mal ganz stolz-national, dann aber wieder mit dem kommunistischen Dichter Johannes R. Becher befreundet und in Austausch stehend – Hauptmanns Leben ist kompliziert und findet in Wiesenstein ein angemessenes literarisches Abbild.

Immer schwankend lässt Pleschinski seinen greisen Dichter räsonieren, umgeben von seiner zweiten Ehefrau und einem Ensemble von Figuren mit ganz eigenen Schicksalen. Neben der angemessen-ambivalenten Annäherung an Hauptmann gelingt Pleschinski über diese Figuren auch eine höchst eindrückliche Schilderung der Schrecken und des Terrors, der durch den Begriff der Vertreibung noch viel zu harmlos umschrieben ist. Das unermessliche Leid der Menschen, aber auch das Mitläufertum und die Verehrung der Nationalsozialisten in der breiten Bevölkerung – Pleschinski bringt hier ein ebenso glaubhaftes wie detailliertes Zeit- und Sittengemälde aufs Tapet.

Margarete und Gerhart Hauptmann

Er findet hierfür genauso wie für das alltägliche Leben in Wiesenstein eindrückliche Bilder und inszeniert seine Erzählung meisterhaft. Immer wieder fließen bisher unveröffentlichte Stücke aus dem Tagebuch Margarete Hauptmanns in die Erzählung ein, die das fiktionale Werk stringent ergänzen. Auch fügt Pleschinski immer wieder Auszüge aus dem reichhaltigen und teilweise schon wieder vergessenen Ouevre des Dichters ein (das in seiner Qualität und Stilistik nicht minder schwankend wie Hauptmanns Haltung und Einstellung ist). Dem normalen Leser mögen naturalistische Werke wie Der Biberpelz oder das eingangs erwähnte Sozialdrama Die Weber wenn schon nicht aus dem Schulunterricht, dann zumindest dem Namen nach bekannt sein. Andere Werke aus dem Schaffen des schlesischen Dichters hingegen sind schon lange dem Vergessen anheimgefallen und dürften wirklich nur noch in Germanistenkreisen bekannt sein. Ein Beispiel hierfür ist das mehrmals im Buch zitierte dichterische Werk Till Eulenspiegel. Hier lässt sich vieles entdecken, was auch Pleschinski in seinem Nachwort noch einmal betont. Wiesenstein steckt voller Wiederentdeckungen und lädt zum erneuten Kennenlernen dieses Dichters ein, den einige Protagonisten im Buch auch als Sprachmagier rühmen.

Der Fairness halber sollte man aber auch erwähnen, dass die Bezeichnung des Sprachmagiers nicht nur auf Hauptmann zutrifft, sondern auch auf Hans Pleschinski selbst. Denn die Sprache, in die er seine Annäherung an Gerhart Hauptmann kleidet, ist von größter Brillanz und Eindringlichkeit. Wiesenstein bietet Sprachkino auf höchstem Niveau. Wie fein der Münchner seine Sätze, Sprachbilder und Szenen webt, das ist mehr als meisterlich. Auf jeder Seite versteckt sich eine Fülle an Anspielungen und Metaphern, sodass man diesen 520 Seiten starken Roman wirklich langsam und aufmerksam genießen sollte, um die ganze Detailfülle an Eindrücken aufnehmen zu können.

Wiesenstein ist so vieles: Dokumentation des Kriegsjahres 1945 und der Vertreibung im Osten, Hauptmann-Biografie, Sprachfest – schon jetzt ein Anwärter für den Roman des Jahres (mit einer Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse oder den Deutschen Buchpreis sollte man auf alle Fälle rechnen) – und ein Geschenk für jeden Germanisten und für alle Liebhaber guter Literatur!

 

 

 

[Quelle Foto Margarete und Gerhart Hauptmann: Bundesarchiv, Bild 102-14016 / CC-BY-SA 3.0]

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Elizabeth H. Winthrop – Mercy Seat

And the mercy seat is waiting
And I think my head is burning
And in a way I’m yearning
To be done with all this measuring of proof.
An eye for an eye
And a tooth for a tooth
And anyway I told the truth
And I’m not afraid to die.
(Nick Cave & The Bad Seeds – The mercy seat)

Dieser Song war es, der die amerikanische Autorin Elizabeth H. Winthrop zu ihrem Roman Mercy Seat inspirierte. Sie überführt damit den Text Nick Caves in Romanform – und das gelingt ihr bravourös!

Multiperspektivisch blickt sie in das kleine Städtchen St. Martinsville in Louisiana im Jahr 1943. Wie aus der Zeit gefallen wirkt dieser Ort, die Segregation zwischen Weiß und Schwarz ist unvermindert im Gange. Fast meint man, den Ku Klux Klan jeden Moment um die Ecke biegen zu sehen. Doch auch ohne Pferde und Masken gärt es inmitten der Bevölkerung. Auslöser ist der junge Schwarze Will, der ein Mädchen vergewaltigt haben soll. In der Folge tötete sich das Mädchen selbst – und nun wollen die Bewohner St. Martinsville Blut sehen.

Will sitzt in Untersuchungshaft, ein Elektrischer Stuhl wird aus der Nachbarstadt zur Hinrichtung gebracht – und der zuständige Staatsanwalt zweifelt. Nicht nur er hat seine Zweifel, auch andere Dorfbewohner stehen der drohenden Exekution kritisch gegenüber. Elizabeth H. Winthrop lässt hierfür eine Vielzahl von unterschiedlichsten Menschen zu Wort kommen – vom Sohn des Staatsanwaltes bis hin zum trinkenden Pfarrer, der frisch nach St. Martinsville versetzt wurde. Die Bewohner des Bayous begegnen sich immer wieder, beeinflussen sich gegenseitig und erzeugen so ein nuanciertes Bild von Verbrechen, Strafe und dem, was die Hinrichtung für die Gesellschaft bedeutet.

Der Autorin gelingt dabei das Kunststück, jeder Figur trotz des sehr begrenzten Spielzeit ein eigenständiges Profil und Tiefe zu verpassen. Eindrucksvoll fängt sie die brodelnde Stimmung tief im Süden der USA ein und erschafft ein Stück Literatur, das an andere Größen wie etwa William Faulkner erinnert. Eine packende Geschichte, ein Dorfporträt, eine Studie über Rassismus und Ausgrenzung, die auch als Nukleus der gegenwärtigen Probleme der USA funktioniert. Toll von Hansjörg Schertenleib übersetzt ist das Buch eine wirkliche Entdeckung – gerne empfohlen!

 

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