Monthly Archives: September 2023

Philipp Oehmke – Schönwald

Alle glücklichen Familien gleichen einander – aber jede unglückliche – na ja, man kennt es. Lew Tolstoi hat es in seinem Jahrhundertwerk Anna Karenina einst vorgemacht – und vor allem die amerikanischen Autoren von Jonathan Franzen bis zu Richard Ford tun es ihm bis heute nach – große Familienromane zu schreiben. Familienromane, die über die familiäre Introspektive hinausweisen und zugleich Zeitgeistvermessung und Gesellschaftsanalyse sind. Nur hierzulande tun wir uns schwer mit dem Genre, eifern in Ansätzen dem Ganzen nach – aber so richtig eine literarische Antwort auf die Great Novels haben wir hierzulande noch nicht gefunden. Philipp Oehmke will das (mit entsprechend fokussiertem Marketing seines Verlags Piper) nun ändern und schickt sich an, mit Schönwald einen deutsche Antwort auf Die Korrekturen und Co. zu verfassen. Gelingt ihm das?


Es ist auf Twitter und anderen Plattformen ein beliebtes Muster. Man nimmt einen oder bekannten Prominenten oder ein Popprodukt meist amerikanischer Prägung – und das Ganze dann mit dem Verweis „Deutsche …“ ein lokales (meist völlig überzogenes) Äquivalent gegenüber. Herausgestellt werden soll neben der Fallhöhe der Vergleiche auch die Lächerlichkeit und die Piefigkeit deutscher Personen und Themen, die gerade im Vergleich mit dem amerikanischen Vorbild besonders ärmlich wirken. Siehe Beispiel unten.

Aus solchen Vergleichen spricht auch neben allen humorproduktiven Umtrieben der Neid, so etwas Ikonisches oder auch nur „Cooles“ hierzulande nicht zu haben.

Auch der Familienroman ist so etwas, bei dem man hierzulande den Vergleich mit den amerikanischen Größen nicht anzutreten braucht. Der „Deutsche Korrekturen“-Roman ist bislang ausgeblieben. Der Buchmarkt wirft lieber dutzende und dutzende Familiensagas als Variation des Immergleichen auf den Markt – die von qualitativen Abstufungen von Peter Prange oder Daniel Speck bis ganz nach unten reichen. Ein stilistisch überzeugender und ambitionierter Roman, der literarisch dem Vergleich mit den Werken Franzens, Eugenides, Morrison und Co. statthält, ist bislang ausgeblieben.

Philipp Oehmke als deutscher Jonathan Franzen?

Auch im Piper-Verlag hat man diese Lücke erkannt, weshalb man nun prononciert Philipp Oehmke zu einer Art „Deutscher Jonathan Franzen“ aufbauen möchte und seinen Roman bereits im Vorfeld als „Großer Familien-Roman in der Tradition amerikanischer Literatur“ bewarb. Reichlich große Fußstapfen also, in die der 1974 geborene Reporter mit seinem als Spitzentitel ausgerufenen Debüt nun treten soll.

Philipp Oehmke - Schönwald (Cover)

Die in seinem Roman im Mittelpunkt stehende Familie hört auf den Namen Schönwald. Vater Hans-Harald und Mutter Ruth, beide inzwischen schon über Siebzig, leben in Köln. Er pensionierter Staatsanwalt, sie Hausfrau, Mutter und verhinderte Germanistik-Professorin. Drei Kinder haben sie, die sich alle anlässlich der Eröffnung eines queeren Buchladens namens They/Them in Berlin eingefunden haben. Eröffnen möchte diesen die einzige Tochter der Schönwalds, Karolin. Neben ihr gibt es noch den Nachzügler Benni und den Ältesten der drei Geschwister, Chris. Er ist extra aus den USA nach Deutschland geflogen, besitzt – oder besser gesagt: besaß – eine Professur dort. Nun verdingt er sich allerdings als intellektueller Einpeitscher der MAGA-Bewegung rund um Donald Trump, wovon niemand in Deutschland etwas mitbekommen soll.

Der unter dem Motto „Never explain. Never complain“ zusammengehaltene Familienverbund ist schon recht bröckelig, wenn er denn überhaupt jemals fest gefugt war. Die abendliche Intervention einer jungen Aktivistengruppe, die die Eröffnung des Buchladens mit dem Vorwurf von Nazi-Geld als Finanzierungsgrundlage des Buchladens stört, bringt das instabile Familiengefüge noch mehr ins Wanken.

Ein bröckelnder Familienverbund

Denn wie Oehmke in diesem überwiegend aus Rückblenden bestehenden Roman zeigt, hat jede der Figuren eigene Geheimnisse oder Probleme, die sie mit viel Tünche und Selbstverleugnung zu wahren versucht. Doch durch die Geschehnisse rund um den Buchladen und das Aufeinandertreffen aller fünf Schönwalds kommen viele dieser sorgsam gehüteten Geheimnisse ans Tageslicht. Da gerät der Vorwurf des Nazigeldes und die Befassung mit der eigenen Familiengeschichte fast ins Hintertreffen.

Philipp Oehmke hat einen Roman geschrieben, der tatsächlich von seiner Erzählweise und dem schichtweisen Freilegen der Erzählfiguren und ihrer Biografien in der Tradition amerikanischer Romane steht (nicht umsonst wird auf den ersten Seiten schon Jonathan Franzen erwähnt, dessen Leserin Ruth Schönwald ist). Dabei setzt Oehmke allerdings auf ein Erzählkonzept, das seine Figur Ruth an einer späten Stelle im Roman selbst mit folgenden Worten kritisiert:

Sie hatten über Der Zauberer gesprochen, eine neue Biografie über Thomas Mann, und Harry hatte den Damen dabei zugehört, wie sie darüber diskutierten, dass der Autor das Buch als Roman deklarierte und sich damit die Freiheit verschaffte, basierend auf Briefen und Tagebucheinträgen Szenen und Dialoge auszuschmücken und zu erfinden. Ruth hatte dieser Hybridform kritisch gegenübergestanden, Fiktives und Faktisches ließe sich nicht mischen, es sei unfair Mann und seiner Familie gegenüber und im Übrigen ein Betrug am Leser. Sie würde es ja auch nicht wollen, dass jemand ihr Leben nähme und einfach ein paar Sachen dazuerfinde.

Philipp Oehmke – Schönwald

Faktisches und Fiktives

Tatsächlich setzt auch Schönwald auf eine Vermengung von Realien und Fiktion. Denn die initiale Attacke auf die queere Buchhandlung aus einer „woken“ Aktivistengruppe mit dem Vorwurf des Nazi-Geldes als Startkapital erinnert an den fast deckungsgleichen Fall der Berliner Buchhandlung She Said. Damals wurde die Gründerin Emilia von Senger vor allem in den sozialen Netzwerken stark für die Gründung des queeren Buchladens angegriffen. Der damalige Vorwurf: Finanzierung des Geschäfts durch Geld aus einem Nazi-Erbe, schließlich war von Sengers Vorfahre Panzergeneral im Zweiten Weltkrieg.

Nicht nur diese im Buch verhandelte Causa weist verblüffende Kongruenz mit den damaligen Geschehnissen auf, auch die auftretenden Aktivisten und ihr Sprech von „Menschen mit Nazihintergrund“ erinnert stark an das vielbeachtete Gespräch, das die Künstler*innen Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah im Nachgang im Zuge der Debatte um She Said führten.

Hier kommt es zu einer Verschmelzung des Faktischen und Fiktiven, wie es Ruth Schönwald nicht gefallen hätte – und auch für das Buch selbst geht diese literarische Übermalung nicht ganz auf.

So gleicht die Moshtari Hilal abgeschaute Aktivistin Malala einem Fremdkörper, dessen Einbindung in den engsten Familienverbund nach den Vorfällen um die Attacke auf den Buchladen nicht wirklich plausibel erscheint. Auch andere Nebenfiguren bleiben im Gegensatz zu den Schönwalds selbst unkonturiert. So wirkt Chris‘ Freundin und Trump-Flüsterin Kimberley Conway ein jüngeres Abziehbild von Kellyanne Conway. Es scheint, als müssten sich alle Figuren, die nicht zur Kernfamilie zählen, mit einem unscharfen Standort am Rande des Familienporträts begnügen.

Noch nicht wirklich ausbalanciert

Ob in Bezug auf die Figuren oder den Plot selbst, vieles ist hier noch nicht wirklich hundertprozentig ausbalanciert. Die erzählte Gegenwart verliert gegen die Rückblenden haushoch, das Ende ist in seiner Seelenstriptease-Stimmung etwas zu überhastet und zu kitschig. Das Faktische rund um den Buchladen verhält sich zum Fiktiven nicht ganz rund und ganz generell gesprochen: der Versuch der Gleichstellung Philipp Oehmke mit Jonathan Franzen tut diesem Debüt nicht wirklich gut, provoziert es doch immer den direkten Vergleich mit den „Originalen“. und weckt zu hohe Erwartungen.

Für sich genommen ist Schönwald ein mehr als solides Debüt, das gutes Erzählhandwerk zeigt und eine Familie in der Innensicht schildert, die vielleicht nicht auf ihre eigene Art traurig ist, aber doch genug Probleme mitbringt, auf dass sich viele Leser*innen mit diesen so unterschiedlichen Charakteren identifizieren oder einfühlen können. Mag Philipp Oehmke auch (noch) nicht der „Deutsche Jonathan Franzen“ sein, so ist er doch ein Autor, der gut unterhält. Er liefert einen gelungenen Familienroman ab, der zumindest im nationalen Vergleich weit oben anzusiedeln ist.


  • Philipp Oehmke – Schönwald
  • ISBN 978-3-492-07190-1 (Piper)
  • 544 Seiten. Preis: 26,00 €
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Sarah Moss – Sommerwasser

Sommerurlaub – das kann eine traumhafte Angelegenheit sein. Außer man reist nach Schottland, mietet sich eine Hütte und erlebt dann tagelangen Dauerregen. So ergeht es den Urlaubern, die Sarah Moss in ihrem neuen Roman Sommerwasser porträtiert und einmal mehr ihre genaue Beobachtungsgabe unter Beweis stellt.


Schottland ist wohl nicht das erste Reiseziel, das einem in den Sinn kommt, wenn es um Sommerurlaub im herkömmlichen Sinn geht. Durchschnittstemperaturen von 15 bis 17 Grad im Sommer und wechselhaftes Klima haben wohl eher für Wanderer und Outdoorfreunde ihren Reiz denn für Familien, deren Kinder gerne die Sommertage mit Baden und Aktivitäten am Strand verbringen. Und doch hat es einige Urlauber in den Norden Großbritanniens verschlagen, die dort in einer an einem See gelegenen Feriensiedlung ihre freien Tage verbringen und auf Entspannung und Abstand vom Alltag hoffen.

Dabei macht Schottland den Klischees von kaltem und regnerischen Wetter allerdings alle Ehre und beschert den Urlaubern jede Menge Sommerwasser. Kräftige Schauer sorgen in Sarah Moss‘ neuem Roman für viel Niedergeschlagenheit und Frust anstelle von unbeschwerten Sommertagen. So sind die Urlauber gezwungen, auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit der Malaise umzugehen. Und dann passiert im schottischen Dauerregen auch noch eine Katastrophe. Aber alles der Reihe nach.

Mütter, Ärzte, Teenager im schottischen Dauerregen

Die schottische Autorin beginnt ihren Reigen mit dem Versuch einer Mutter, der Enge der Holzhütten zu entfliehen, indem sie morgens zu einer Joggingrunde aufbricht, um sich etwas zu sortieren und die Gedanken fließen zu lassen. Der Dauerregen sorgt für viel Anspannung im familiären Verbund und so macht sich die Frau zu einer frühmorgendlichen Runde auf, bei der ihr Bewusstseinsstrom zu fließen beginnt. Durch ihre Wahrnehmungssplitter und Gedankenfetzen entstehen erste Eindrücke der Feriensiedlung, die für sie längst zum Hort von Frustration und angespannten Nerven geworden ist.

Und los, Füße trappeln, Herz und Lunge, überrascht, arbeiten. Kaltes Wasser auf bettwarmer Haut, und warum genau macht sie das nochmal? Die Ferienanlage liegt im Schlaf, Vorhänge zugezogen, Autos voller Regenperlen. Die Blockhütten, denkt sie wieder, sind eine dumme Idee, Amerika oder vielleicht Skandinavien entliehen, jedenfalls einem Land, in dem es seltener regnet als in Schottland, wann hat man irgendwo in Großbritannien schon Gebäude aus Holz gesehen? Torf, wennschon, hier oben, Stein, wenn man hat, der verrottet nicht. Sie sehen aber nicht skandinavisch aus – nicht dass sie schon mal da gewesen wäre, aber sie hat Fotos gesehen -, sie sehen alt aus, eine unattraktive Mischung aus weich werdenden Holzwänden und billigen Plastikfenstern, die Art Gartenschuppen, die man früher oder später abreißen muss.

Sarah Moss – Sommergäste, S. 12 f.

Vor der Tür der See voller Wasser, von oben der Regen, der nicht nur die Substanz der Häuser angreift. Im Folgenden beginnt Moss einen Reigen von frustrierten Urlaubsgästen und deren Gedanken, immer wieder unterteilt von kleinen Splittern Nature Writing, die die einzelnen Episoden unterteilen (übersetzt von Nicole Seifert).

Unterschiedliche Menschen, präzise beobachtet

Sarah Moss - Sommerwasser (Cover)

So springt die Autorin etwa zu einem pensionierten Arzt, der morgens die Joggingrunde der Mutter beobachtet. Von ihm geht es beispielsweise weiter zu seiner malenden Gattin. Ein junges Pärchen beim Liebesakt, eine ukrainische Familie, die mit ihren lauten Feierorgien die Nerven zusätzlich strapaziert oder ein Teenager, der angeödet von der Monotonie dort am See kurzerhand ein Boot schnappt, um auf dem See der Enge der Hütten zu entkommen. Zwar befindet sich unweit von der Feriensiedlung noch ein Pub, inklusive WLAN-Zugang, damit hat es sich dann aber auch in der schottischen Wildnis.

Immer wieder springt Sarah Moss von Hütte zu Hütte, blickt durch die Augen eines Feriengastes und beweist damit ihr großartiges Talent zur Beobachtungsgabe und Personenzeichnung – vom Kleinkind bis zum Senior, egal ob Mann oder Frau. Innerhalb weniger Seiten entstehen präzise Zeichnungen von Charakteren, in denen Moss auch erneut das Thema der Mutterschaft und aller Einschränkungen der eigenen Bedürfnisse, die damit einhergehen, aufgreift.

Sie zeigt wie schon in ihrem Debüt Schlaflos Mütter an der Belastungsgrenze, bedingt durch Dauerregen, Enge in der Unterkunft, Kinder, die sich nicht bewegen können und Männer, die es zwar gut meinen, aber nicht unbedingt Hilfen für die Frauen sind.

Fazit

So entsteht allmählich das Bild eines Urlaubs, den sich wohl fast alle Beteiligten anders vorgestellt hätten. Dauerregen, kleine Ferienhütten die Unmöglichkeit, sich für längere Zeit mal aus dem Weg zu gehen sorgen für das Gegenteil der Entspannung, die der Sommerurlaub für alle Beteiligten doch eigentlich hätte bereithalten sollen. Hier schlagen nicht nur Wellen an den See, pladdert der Regen auf Hausdächer – auch ganz unterschiedliche Bewusstseinsströme der Figuren ergießen sich hier und ergeben ein ganz besonderes Sommerwasser. Durch die präzisen Porträts entsteht ein Figurenreigen von einem Urlaub, wie man ihn sich eigentlich nicht wünscht, einmal mehr grandios eingefangen von Sarah Moss.


  • Sarah Moss – Sommergäste
  • Aus dem Englischen von Nicole Seifert
  • ISBN 978-3-293-00609-6 (Unionsverlag)
  • 192 Seiten. Preis: 24,00 €
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Luca Kieser – Weil da war etwas im Wasser

Dass sich Oktopusse faszinierende Wesen sind, das bewies zuletzt Sy Montgomery in ihrem Buch Rendezvous mit einem Oktopus, in dem sie literarisch ihrer Faszination für die Tiere nachspürte und das zu einem Bestseller avancierte. Im Debüt des Tübingers Luca Kieser ist es nun ein Oktopus selbst, der erzählt – beziehungsweise seine Arme. So entsteht ein vielstimmiges, postmodernes Werk, das inhaltlich wie auch stilistisch so vielfältig ist, wie es die erzählenden Arme des Kraken selbst auch sind. Weil da war etwas im Wasser.


Es gibt da eine Szene in der Mitte des Romans, da liegt der Oktopus im Widerstreit mit sich. Unter Wasser ringen seine Arme, die auf Namen wie „Süßer Arm“ oder „Schüchterner Arm“ hören, um die weitere Richtung, in die man sich unter Wasser bewegen soll. Während einige Arme die eine Richtung bevorzugen, sind es die anderen seiner insgesamt acht Arme, die die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Ebenso wie die Gliedmaßen mit sich um die richtige Richtung ringen, sind es auch die Erzählungen im Buch selbst, die sich teilweise überlagern und miteinander im Wettstreit liegen. So entsteht ein postmodernes Werk, das ebenso eine Familiensaga wie Naturewriting, ökologisches Sachbuch wie Autofiktion in sich vereint.

Auslöser des Erzählstroms ist der Kalmar, der unter Wasser ein Tiefseekabel ertastet. Die verschiedenen Arme, beginnen nun zu reagieren und erzählen die Geschichte ihrer Arme, was in ihrer unbändigen Erzähllust zu einem Ansinnen wird, das die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Lesers benötigt.

Erzählende Arme

Luca Kieser - Weil da war etwas im Wasser (Cover)

Denn die Arme wechseln sich in ihren erzählerischen Strängen immer wieder ab und führen die einzelnen Episoden abwechselnd fort. Genauso fallen sie sich aber auch ins Wort, schreien geradezu nach Aufmerksamkeit, wenn sie sich mithilfe von Fußnoten zu Wort melden und die Leser*innen auf ihre eigene Geschichte verweisen, die an anderen Stellen im Buch einsetzen. Mal führt das Erzählen des einen Arms in letzter Konsequenz zu einer Globuliverarbeitung, mal berichtet ein Arm vom Krill und den Abhängigkeiten der ökologischen und insbesondere maritimen Systeme, was auch Alexander von Humboldt mit Stolz erfüllt hätte.

Von Jules Verne über die Schwäbische Alb bis zum Weißen Hai führen die Erzählungen der mitteilungsfreudigen Arme, die mit ihrem Erzählern an manchen Stellen geradezu im Wettlauf miteinander zu liegen scheinen.

Was sich nun auf dem Papier nach einem wilden Durcheinander anhören mag, weist aber doch immer wieder verbindende Elemente auf. Die meisten der Fäden münden in der Figur von Sanja, einer jungen Frau, die auf einem großen Fischtrawler ein Praktikum ableistet und Tagebuch führt. Dabei spielt ihr familiäres Erbe genauso eine entscheidende Rolle wie die Krillsammeltätigkeit des Trawlers, der der Schriffscrew den von Sanja „Ariel“ getauften Riesenkalmar ins Netz spült.

Alles ist miteinander verbunden, die Begegnung eines Matrosen vor hunderten von Jahren führt letztendlich bis zum Schiffspraktikum, das Sanja dann aufs Meer bringt. Nur ein Beispiel der großen Zusammenhänge, die Luca Kieser auf persönlicher Ebene neben die der ökologischen Pfadabhängigkeiten setzt (und die auch eine abermalige Lektüre interessant erscheinen lassen)

Erzählerische und ökologische Netze

Hätte ich persönlich auch manche postmoderne Finte wie die reichlich urologisch geprägte Autofiktion des „Spanischen Kragens“ nicht unbedingt gebraucht, entschädigt dann doch das wirklich gelungen jugendlich daherkommende Tagebuch Sanja wieder für die ein oder andere Finte zu viel, die Kieser in seinem Debüt schlägt.

Es ist ein vielstimmiger und inhaltlich wie stilistisch genresprengender Roman, mit dem es Kieser aus dem Stand auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2023 geschafft hat. Schon zuvor hatte er mit einem Auszug aus dem Buch den FM4-Wortlaut-Wettbewerb gewonnen, ehe nun gleich der ganz große Aufmerksamkeitsschub für sein außergewöhnliches Erzählwerk folgte.

Vom Erfinder des Weißen Hais bis zu Sindbad, von einer Phimose bis zum Blick in die Erzählwerkstatt des Autors reicht das erzählerische Netz, das Kieser über uns wirft, das wiederum von ökologischen Netzen, unserer Verstrickung in Gegenwart und Vergangenheit und vom großen Ganzen erzählt, das sich erst einmal hinter einem Erzähldurcheinander verbergen mag, dann aber klarer zutage tritt. Eben so wie der Sand, den Wasserströmungen am Boden aufwirbeln mögen, der sich aber dann auch wieder setzt und klare Sicht ermöglicht, Weil da war etwas im Wasser!


  • Luca Kieser – Weil da war etwas im Wasser
  • ISBN 978-3-7117-2137-2 (Picus)
  • 320 Seiten. Preis: 26,00 €
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R. C. Sherriff – Zwei Wochen am Meer

Eine mittelständische englische Familie fährt in den Urlaub ans Meer. Aus dieser einfachen Ausgangslage macht R. C. Sherriff einen berührenden Roman, der vom Glück des unbeschwerten Sommerurlaubs erzählt, der zugleich aber auch vom Wissen um die Vergänglichkeit des Urlaubs im Kleinen und die des Lebens im Großen kündet. Große Literatur – und eine echte Wiederentdeckung!


Mit dem Sommerurlaub ist es ja so eine Sache. Liegt er noch vor einem, scheint der Sommer unendlich lang, die Tage glutheiß, das Jahr auf seinem Höhepunkt und der Herbst noch ganz weit weg. Kehrt man dann Ende August oder im September wieder in den normalen Alltagstrott zurück, so mehren sich die Zeichen, dass die schönsten warmen Tage des Jahres hinter einem liegen.

Es wird abends wieder früher dunkel, die Sonne hat ihre Kraft verloren und an manchen Orten zeigen sich schon wieder die ersten Nebelfelder, die die Gedanken an die kommenden kalten Tage ins Bewusstsein rufen. Der Sommerurlaub, er trägt neben aller scheinbaren Ewigkeit eben auch das Wissen um die Endlichkeit der Sommeridylle in sich.

Auch R. C. Sherriff weiß um die Vergänglichkeit, die allem Sommern eingeschrieben ist. Bei ihm ist es die mittelständische Familie Stevens, die einen unbeschwerten Sommer an der Südküste Englands erleben möchte. Dabei ist aber auch sie trotz aller Sehnsucht nach Idylle und dem Bemühen um die Bewahrung derselben auch vor Enttäuschungen und dem Vergehen der Zeit nicht gefeit.

Noch einmal gemeinsam auf nach Bognor

R. C. Sherriff - Zwei Wochen am Meer (Cover)

So sind die beiden älteren Kinder eigentlich schon zu alt für einen gemeinsamen Familienurlaub am Meer und haben andere Prioritäten, als so wie all die Jahre zuvor wieder mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder die Ferien an der Südküste in Bognor zu verbringen. Und doch soll es nun im September noch einmal wie früher sein, so wünschen es sich die Eltern. Man teilt sich in einer angestammten Pension Zimmer, kennt seine Vermieterin ebenso wie den Strand in- und auswendig und hat in jahrelanger Verfeinerung eine Art To Do-Liste erarbeitet, die die Familie nun am Vortag des Urlaubs Stück für Stück abarbeitet. Von der Nahrung für die Katze bis zur Übergabe des Schlüssels ihres Vorstadthäuschens will alles bedacht sein.

Mit einem Kofferträger geht es zur U-Bahn, man steigt in Clapham Junction ein, versucht sich mit Tricks ein familieneigenes Bahnabteil zu besorgen und schon setzt sich die Bahn in Richtung Bognor in Bewegung.

Es sind Ferien, die in krassem Widerspruch zur heutigen Spaß- und Eventkultur an Badestränden stehen, die R. C. Sherriff hier beschreibt. Bekocht von der Vermieterin wird die Frage der Anmietung eines eigenen Strandhäuschens zum fast überlebensgroßen Thema, das die Familie Stevens beschäftigt. Man badet, besucht ein Konzert der Kurkapelle und erlebt entschleunigte Tage am Meer, über denen eine starke Ahnung der Vergänglichkeit liegt.

Die Vergänglichkeit der Sommeridylle

Bei allem Staunen hatte sie jedoch tief drinnen gewusst, dass etwas passieren würde. Seit ihrer Abreise aus Dulwich wusste sie, dass noch vor Ferienende etwas Gewaltiges geschehen würde. Sie wusste es, als sie alle zusammen auf den Zug in Clapham Junction gewartet hatten, sie wusste es, als sie hinter Horsham ihre Sandwiches gegessen hatten, sie wusste es, als sie durch die Straßen von Bognor zum „Seaview“ gelaufen waren. Jedes Mal hatte sie gespürt, dass es zum letzten Mal war und dass sie das nie wieder zusammen mit ihrem Vater und ihrer Mutter tun würde und auch nicht mit Dick und Ernie. Es hatte sich so traurig angefühlt, dass sie sich all das sofort wieder zurückwünschte. Jetzt aber wusste sie erst, was das alles zu bedeuten hatte. Es war immer schön gewesen in Bognor, und trotzdem hätte es nicht ewig so weitergehen können. Sie hätten nicht weiterhin Jahr für Jahr mühsam versuchen können, den verglimmenden Funken der Kindheit neu zu entfachen. Was inhen aber immer bleiben würde, waren die Erinnerungen – auch daran, wie wundervoll alles zu Ende ging.

R. C. Sherriff – Zwei Wochen am Meer, S. 287

Immer wieder tauchen im Buch Themen und Motive des Abschieds auf, die den Urlaub begleiten. Stevens senior laboriert noch immer an seinem unsanften Ausscheiden aus dem von ihm mitbegründeten Fußballverein, der einen Generationenwechsel einleiten sollte. Der Mann der Vermieterin ist gestorben und die Pension verschleißt Stück für Stück. Es mehren sich die Indizien, dass der Urlaub der Familie in dieser Form der letzte sein wird, den die Stevens gemeinsam verleben. Die beiden älteren Kinder treiben verstärkt Fragen wie ihr berufliches Glück oder Freundschaften um.

Und auch wenn es Vater Stevens gelingt, der Urlaubsidylle noch einen zusätzlichen Tag abzugewinnen, so schwingt doch in den Tagen eine Ahnung mit, dass ein solch sparsamer und selbstgenügsamer Urlaub lange noch vor der Phase des Massentourismus schon bald Geschichte sein wird, ebenso wie es darüber hinaus für die im Buch repräsentierte Epoche des Kleinbürgertums gilt.

Eine feinsinnige Wiederentdeckung

Wie feinsinnig, gut beobachtet und meisterhaft introspektiv R. C. Sherriff dies schildert, das ist wirklich große Kunst. Und auch wenn Sherriff normalerweise eher Drehbücher schrieb und in Hollywood sein Glück suchte, so erfuhr er in seinem Leben doch ähnliche Sehnsucht nach Nostalgie und Vertrautheit, wie er sie in Zwei Wochen am Meer schildert.

Davon erzählt der Autor und Übersetzer Karl-Heinz Ott in seinem Nachwort, in dem er auch die Geschichte des Romans erzählt, der eine wirkliche Wiederentdeckung ist. So gab der Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro auf eine Umfrage des britischen Guardian, die nach literarischen Entdeckung von Schriftsteller*innen während der Coronazeit fragte, die Entdeckung dieses Romans aus dem Jahr 1931 zu Protokoll. Dies sorgte für eine Renaissance des Buchs, das Ishiguro für die Kunst lobte, „die wunderbare, im täglichen Leben anzutreffende Würde feinfühlig[..] auf einer völlig undramatischen Ebene“ einzufangen.

Die Parallelen zwischen Ishiguros Schreiben und Zwei Wochen am Meer arbeitet Ott sehr schön heraus und analysiert Werk und Wirken Sherriffs in seinem Nachwort sorgfältig.

Kleine Mängel in der Übersetzung

Noch schöner wäre es dabei allerdings gewesen, wenn Ott und das Lektorat die gleiche Sorgfalt auch auf den übersetzten Text angewendet hätten. Denn die Übersetzungsleistung weist ein paar Defizite auf und mengt dem rundum positiven Eindruck des Romans so selbst einen Hauch der Kritik bei.

Denn Ott trifft mitunter eigenwillige übersetzerische Entscheidungen, indem er beispielsweise den im Zuge der Weltausstellung in London erbauten Crystal Palace als Kristallpalast übersetzt, um nach zweimaliger Erwähnungen desselbigen dann umzuschwenken und diesen doch als Crystal Palace zu titulieren. Kann man im Deutschen mit dem Begriff der Landlady wenig anfangen, wäre doch hier der übersetzerische Griff zur Vermieterin idiomatischer gewesen, ebenso wie im Deutschen der Begriff der Sperrstunde wohl deutlich geläufiger sein dürfte als die von Ott gewählte „Polizeistunde“, die etwas seltsam für sich steht.

Es mögen nur Marginalien sein, im Text fallen sie in ihrer Häufigkeit dennoch auf und mindern den ansonsten fabelhaften Eindruck dieses Buchs und der vom Unionsverlag herausgegebenen Ausgabe um einen kleinen Hauch.

Fazit

Ein fabelhafter Roman und eine echte Wiederentdeckung. Wie zart und genau beobachtend R. C. Sherriff in Zwei Wochen am Meer über seine Figuren schreibt, einen Familienurlaub vor Bettenburgen und Eventfixierung beschreibt und wie er es schafft, dass über allem der Hauch der Vergänglichkeit liegt, das ist ganz große literarische Kunst! Und auch wenn die Übersetzung ein wenig sorgfältiger hätte ausfallen dürfen, so mindert das den Gesamteindruck dieses großartigen Sommerurlaubs nur marginal. Für mich ganz klar ein literarischer Sommerhit!


  • R. C. Sherriff – Zwei Wochen am Meer
  • Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karl-Heinz Ott
  • ISBN 978-3-293-00604-1 (Unionsverlag)
  • 352 Seiten. Preis: 25,00 €
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Serhij Zhadan – Internat

Am 24.02.2022 begann der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Eine Satz, den man so seit Kriegsbeginn immer wieder lesen konnte. Doch dass in Teilen der Ukraine schon deutlich länger zuvor kriegsanähnliche Zustände herrschten, diesen Zustand blendeten die westlichen Staaten weitgehend aus, ehe man dann im Feburar durch den direkten russischen Angriffskrieg nicht mehr wirklich die Augen vor den Zuständen im Land verschließen konnte.

Serhij Zhadan, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2022, beleuchtet diese Zustände in seinem bereits 2017 erschienen Roman Internat eindrücklich. Ihn jetzt zu lesen, macht betroffen und lässt die Schrecken des Krieges für die Zivilbevölkerung eindrücklich erlebbar werden.


„Fahr und hol ihn“, brüllt der Alte.

„Ist doch ihr Sohn“, brüllt Pascha zurück, „soll sie ihn doch selbst holen.“

„Er ist dein Neffe“, erinnert ihn der Alte.

Serhij Zhadan – Internat, S. 7

So hebt der 2017 im Original und 2018 schließlich in der preisgekrönten Übersetzung von Juri Durkot und Sabine Stöhr erschienene Roman Internat von Serhij Zhadan an. Lehrer Pascha soll sich im Auftrag seines Vaters aufmachen, und seinen Neffen aus dem Internat heimholen, in dem sich dieser befindet. Denn der Krieg ist über das Land gekommen. Plötzlich haben Truppen Teile der Ukraine besetzt – und das Internat befindet sich hinter der Kampflinie. Der Junge schwebt in großer Gefahr. Und so ist es an Pascha, die Worte Hölderlins mit Leben zu füllen, der einst feststellte, dass auch da das Rettende wächst, wo die Gefahr ist.

Ein Höllentrip durch besetztes Gebiet

Widerwillig beginnt er seine Reise, die zu einem mehr als bedrohlichen Trip wird. Per Bus und Taxi gelangt Pascha ins Kriegsgebiet, schlägt sich unter ständiger Gefahr bis zum Bahnhof vor, von wo aus er in Richtung Internat gelangen möchte. Doch selbst als die gefährliche Mission gelingt und er das Internat erreicht, ist damit die Gefahr nicht gebannt, im Gegenteil. War der erste Teil seiner Reise schon riskant, so steigert sich die Gefahr noch einmal, als er den Jungen nun heimbringen möchte. Denn marodierende Truppe, ausgebrannte Häuser, herumstreundende Hunde und eine völlig zerstörte Umgebung lassen die Heimreise zu zweit vollends zu einem Höllentrip werden, die an manchen Stellen wie ein Computerspiel in einem Endzeit-Setting wirkt.

Sie treten aus dem Park auf die Straße, gelangen durch die Lindenallee zur Wendeschleife der Straßenbahn, springen geduckt auf die Fahrbahn, laufen in kurzen Etappen bis zum Platz und versuchen dabei, an keiner ungeschützten Stelle anzuhalten. Beliben unter den Tannen stehen, verstecken sich.

Auf der anderen Seite des Platzes der Kulturpalast. Schwarz von innen ausgebrannt. Die Fenster von einer Druckwelle weggefegt. Sieht wie ein Fernseher ohne Bildröhre aus. Dahinter schon die Höfe der fünfstöckigen Backsteinhäuser, duch die man weiter in Richtung Boulevard gelangen kann. Nachdem man es über den Platz geschafft hat. Pascha schaut sich aufmerksam um. Anscheindend keiner da. Der Platz ist ruhig und leer. Ihn rennend überqueren ist eine Sache von Minuten. Trotzdem haben sie Angst: Niemand sieht dich, aber auch du siehst niemanden. Der Mond hängt direkt über dem Palastgebäude, als wolle er ihnen sagen: Los, verschwendet keine Zeit, lauft direkt auf mein totes Licht zu. „Laufen wir“, flüstert Pascha, ohne die Hand des Jungen loszulassen, und sie stürmen voran. Sobald die rettenden Tannen, hinter denen sie sich versteckt haben, zurückbleiben, hören sie irgendwo jenseits des Platzes das scicksalhafte Rattern von Raupenketten auf dem Asphalt.

Serhij Zhadan – Internat, S. 164 f.

Wenig Realien, dafür umso mehr Zeitlosigkeit

Serhij Zhadan - Internat (Cover)

Serhij Zhadans Prosa ist eine, die auf Realien wie Lokalkolorit oder klare Benennung der Figuren weitgehend verzichtet. Erscheint die Kriegssituation anfangs noch unspezifisch, schält sich aber bald der Ukrainekrieg im Oblast der besetzten Krim als Handlungsort heraus.

Ganz eng auf seinen Helden Pascha auf dessen Heldenreise fokussiert erzählt er von der ständigen Gefahr, die das Leben und Überleben im Kriegsgebiet bedeutet. Wie ein Tier muss sich der kurzsichtige Pascha durch das Gelände schlagen, immer wieder abtauchen, sich verstecken oder auch gegen andere Menschen und Tiere wehren. Die Gefahr ist in diesem schon fast dystopischen Setting omnipräsent.

Bestes Beispiel ist das Internat, das Pascha und der Junge dann bei einem ersten Versuch verlassen, um wenige Stunden später noch einmal hier zurückzukehren, als sich das Vorhaben, die besetzte Stadt hinter sich zu lassen, als unmöglich herausgestellt hat. Plötzlich ist auch das Internat zerstört und von seinen Bewohnern keine Spur mehr. Rasend schnell ändern sich die Zustände hinter der Frontlinie, werden Häuser zerbombt, marodieren die Truppen, fliehen Menschen, wie man es seit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs eigentlich überwunden glaubte.

Die Prophetie Serhij Zhadans

Der hier beschriebene Zustand ist einer, der sich nun fünf Jahre nach dem Erscheinen des Buchs in anderen Teilen des Landes leider wiederholt hat, man denke nur an Butscha oder die Schlacht um Mariupol. Alles liegt hier in diesem Roman schon offen und lesbar, nur verschlossen wir trotz der eindrücklichen Mahnung des Dichters und Romanciers Serhij Zhadan konsequent die Augen.

Aber man kann Internat nicht nur als frühe Dokumentation und Mahnung der Kriegszustände lesen. Auch heute angesichts des über ein Jahr andauernden Kriegs besitzt Internat eine große Wucht, die sich vor allem durch die Allgemeinheit der Erzählung dieses Überlebenskampfs im Krieg speist. Immer wieder schafft Zhadan eindringliche Bilder, zeigt, wie Pascha ums Überleben seines Neffen und sein eigenes Überleben kämpft. Wie die Zivilbevölkerung unter der Gewalt und Zerstörung leidet, das macht der ukrainische Autor hier eindringlich bemerkbar.

Und auch die Übersetzung von Juri Drukot und Sabine Stöhr bildet diese eindringlichen Bilder und die dystopische Szenerie großartig ab. Dass sie für ihre Übersetzung den Preis der Leipziger Buchmesse erhielten, erscheint mir (allerdings ohne Kenntnis des ukrainischen Originals) richtig.

Fazit

So wohnt dieser Prosa über die konkrete Situation im Kriegsgebiet auf der Krim hinaus etwas Zeitloses inne. In starken Bildern zeigt Zhadan den Kampf eines Mannes in einem Krieg, dessen Regeln nicht immer klar sind. Nur ein Primat gilt – und das ist das des Überlebens. Davon erzählt Internat beeindruckend und widerspricht öffentlichen Erkärungen, dass der russische Angriffskrieg überraschend über das Land kam.


  • Serhij Zhadan – Internat
  • Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr
  • ISBN 978-3-518-47233-0 (Suhrkamp)
  • 300 Seiten. Preis: 12,00 €
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