Schon wieder ist ein Jahr vergangen, schon wieder ist es Zeit für einen Rückblick auf das literarische Jahr 2025.
Wollte man sich im wahrsten Sinne des Wortes an der Oberfläche aufhalten, so wäre 2025 als das Jahr zu benennen, in dem sich die Fülle von KI-generierten Buchcover endgültig Bahn brach. Missglückte Experimente, die die Verlage auf die Cover brachten, von Arno Franks Ginsterburg (Klett-Cotta) über Dirk Schmidts Die Kurve bis hin zu Ben Shattuck, dem der Hanser-Verlag ein KI-generiertes Cover spendierte: Während sich die renommierten Verlage im Inneren der Bücher per Disclaimer verwehren, dass die Literatur für KI-Trainingszwecke ausgebeutet wird, kleben sie derweil seelenlose und bisweilen grotesk misslungene Bilder auf die Cover, die auf der Grundlage der Ausbeutung von Kunstwerken anderer Kulturschaffender basieren und die tendenziell diese Kreative beschäftigungslos machen.
KI-„Kunst“ allerorten
Eine beklagenswerte Entwicklung, die sich 2025 Bahn bracht und die in „Kunstwerken“ endete, die bei näherer Betrachtung gar keinen Sinn ergaben, wie beispielsweise bei jener Edition, die der S. Fischer-Verlag zu Ehren seines Geburtstagskindes Thomas Mann kurz vor dem Beginn von dessen Gemeinfreiheit auf den Markt warf. Das Ergebnis verstörte mit desaströsen Covern mit zahlreichen Fehlern.
Apropos Thomas Mann: diesem konnte man weder in Periodika noch auf dem Buchmarkt entgehen. Mit dutzendfachen Publikationen feierte man den Jubilar landauf und landab, was in einem ganzen Stapel von Neuerscheinungen mündete.
Dabei reichte das Ergebnis von mittelmäßigen Ausführungen (hier sei etwa der allzu leichte, passenderweise mit KI-Cover“kunst“ gezierte Angang Kerstin Holzners genannt, die sich der Sommerfrische Thomas Mann widmete) über gelungenere Ansätze wie den der Beschau der Exilgemeinde um Thomas Mann in Los Angeles von Martin Mittelmeier bis hin zur akribische Spurensuchen im Mann’schen Oeuvre etwa von Michael Maar, die der Rowohlt Verlag noch einmal auflegte.
Auch Romane widmeten sich dem Zauberer, auf dessen Spuren auch ein junger Schweizer in diesem Jahr wandeln wollte – und dabei auch von Medien wie Buchbloggern fleißig unterstützt wurde. Nelio Biedermann sein Name, der mit viel Aplomb von seinem Verlag auf den Schild gehievt wurde. Dass sein Buch ein schlecht lektoriertes und konzeptionell verhobenes Machwerk ist, davon war nur wenig zu lesen, eher erging man sich in unkritischem Lob des Autors, hob lieber sein Alter denn die Schwächen seines Erzählens hervor und verlieh seinem Roman gar die Auszeichnung als Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels.
Thomas Mann, Psychiatrien und Die Holländerinnen
Die Ansprüche waren schon einmal höher, was sich auch bei den populären Titeln dieses Literaturjahrs zeigte.
Die Jurys des Bayerischen, des Schweizer wie auch des Deutschen Buchpreises kürten unisono Dorothee Elmigers Buch Die Holländerinnen zum besten des Jahres, andere Titel hatten bei allen drei Auszeichnungen das Nachsehen. Die Jahrescharts dürften wieder einmal von den üblichen Verdächtigen Sebastian Fitzek wie Florian Illies angeführt werden (der mit seinem Buch über die Familie Mann sein Übriges zur Schwemme der Mann-Werke beitrug).
Dazu noch ein Haufen deutschsprachiger Romane, die allesamt psychiatrische Erkrankungen zum Thema hatten und die Psychiatrie zum wohl bestbeschriebenen Handlungsort im deutschsprachigen Literaturjahrgang machten (siehe hier oder hier oder hier oder hier).
Literarische Enttäuschungen wie Caroline Wahls Die Assistentin oder das eben schon erwähnte Werk Nelio Biedermanns entwickelten sich trotz aller Schwächen im digitalen Raum zu Hype-Titeln, die auch von seriösen Vertretern der Buch-Influencerzunft reihenweise empfohlen wurden, anstelle die Chance auf die Vorstellung anderer, gelungenerer Werke zu nutzen.
Mediale Monokulturen
Generell lässt sich feststellen, dass sich das Interesse weiter auf wenige, auch von den Influencern stark überrepräsentierte Titel (bspw. Verena Keßler, Anne Sauer, Daniel Schreiber) verengt, die mit entsprechenden Marketingbudget von den Algorithmen zusätzlich mit Sichtbarkeit belohnt werden, während die originellen und kleiner Titeln abseits dieser medialen Monokultur verkümmern und zu verschwinden drohen.
Selbst sehe ich es auch durch mein Tun hier auf dem Blog wie auch bei der Blogpräsenz auf Instagram: jedes Buch in Spiegel-Bestsellernähe bekommt dutzendfach mehr Klick als das Gros der vorgestellten Titel, die (zumindest den Aufrufzahlen nach) überhaupt nicht interessieren. Große Namen klicken besser wie kleine – und im Sinne der allgemeinen Aufmerksamkeitsökonomie wäre die Besprechung solcher Titel durchaus eine Möglichkeit, der schrumpfenden Sichtbarkeit des Blogs im digitalen Raum entgegenzuwirken.
In meinen Augen ist es aber ein Weg, der wenig erfolgsversprechend ist. Aufrufzahlen und Sichtbarkeit sind schön, aber gerade Blogs sind seit jeher ja eigentlich Ermöglichungsorte, bei denen auch das Abseitige und das nicht Zeitgemäße einen Platz haben darf. Warum immer nur neue Bücher besprechen oder das präsentieren, was in Buchhandlungen wie in den Feeds und Videokacheln allerorten ventiliert wird?
Wenn es schon der Kulturstaatsminister an höchster Stelle nicht schafft, eine empfehlenswerte Sommerlektüre abseits der eh schon überhypten 22 Bahnen von Caroline Wahl zu finden, so liegt es doch eigentlich an Buch-Influencern und Buch-Bloggern, die Vielfalt des Buchs in allen Facetten zu feiern, statt stumpf mehr vom Gleichen zu liefern und so die Algorithmen weiter zu veröden?
Programmatische Versteppung
Auch auf dem Buchmarkt selbst macht sich derweil eine programmatische Versteppung bemerkbar. Originelle Stimmen wie der unabhängige Berenberg-Verlag stellen ihr Tun ein, Häuser wie Die Andere Bibliothek dünnen ihr Programm auf die Hälfte aus, in dem sie ihre Erscheinungsweise von monatlich auf zweimonatlich reduzieren, andere Verlage wie der Münchner Liebeskind-Verlag lassen nun schon seit Jahren nichts mehr von sich hören. Das ist beklagenswert, sind es doch diese Häuser, die für Innovation sorgen, neue Stimmen entdecken und auch dem Abseitigen eine Chance geben.
Das alles wäre nicht so dramatisch, würde dieses Vakuum nicht von neurechten Kräften genutzt, um diesen Raum für sich zu erobern, um über das Feld der Literatur und Kultur die eigene Agenda voranzutreiben und die es in diesem Jahr sogar fertigbrachten, in Halle eine eigene Buchmesse als Gegenprogramm zu den etablierten Messen in Frankfurt und Leipzig zu organisieren und sich dafür ausgiebig selbst zu feiern.
Im Sinne eines weltoffenen wie liberalen Verständnisses kann man diese Umtriebe nur ablehnen und ich möchte deshalb weiterhin daran mitwirken, wenigstens auch in Form dieser kleinen Privatoffensive der vielgestaltigen Literatur etwas mehr Sichtbarkeit zurückzugeben, auf dass nicht das dumpfe Deutschtum die kulturelle Deutungshoheit über das Lesen erlange.
Meine besten Bücher des Jahres
Selbst die eigentlich dringende wie lohnenswerte Debatte, warum so wenig junge Männer lesen und welche Folgen das für den Buchmarkt und letzten Endes auch für die Gesellschaft hat, sie verlief nach einigen Einwürfen im digitalen Raum wieder im Nichts und blieb ohne Folgen. Dabei müssten wir uns dringend mit dem Thema der Nachwuchsförderung in Sachen Lesen und medialer Komptenz auseinandersetzen, aber leider auch hier: nichts da.
Um gegen solch schlechte Aussichten anzukämpfen, bleibt nur das Verfechten des guten Buchs und eine Sichtbarkeitmachung desselbigen in Feuilletons wie in den Weiten des Netzes.
Ich für meinen Teil kann konstatieren, dass ich auch dieses Jahr in meiner Freizeit wieder über 110 Bücher ich auf dem Blog besprochen und gelesen habe, nebst einigen weiteren Beiträgen (wen die Geschlechterverhältnisse interessieren, so ist diesbezüglich zu vermelden, dass das Verhältnis nahezu ausgewogen war. 56 Titel stammen von Frauen, 55 von Mänern, dazu die üblichen Verlagsvorschauen und ein paar Debattenbeiträge).
Was mir im Gedächtnis geblieben ist, mich beschäftigt hat und noch länger in meinen Buchregalen verweilen darf, das hat Eingang ist die Liste gefunden, die sich wie folgt zusammensetzt (Klick auf die Cover führt zu den ausführlichen Besprechungen):
Annett Gröschner – Schwebende Lasten
Bewundernswert nah an ihrer Figur, einer Blumenbinderin aus Magdeburg, bleibt Annett Gröschner in ihrem Roman Schwebende Lasten, der die Brüche des 20. Jahrhunderts und das Leben der DDR am Beispiel ihrer Heldin nachzeichnet. Gebannt folgt man diesem Leben durch die passenderweise nach Blumen betitelten Kapitel vom Niedergang nach dem Weltkrieg bis hinauf auf die Kanzel eines Fabrikkrans.
Nirit Sommerfeld – Beduinenmilch
Auch wenn er mittlerweile wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden ist, so hat der israelische Krieg in Gaza auch dieses Jahr geprägt und auch hierzulande zu erregten Debatten, Protestaktionen und Diskussionsausladungen gesorgt. Eine Versachlichung und Multiperspektive bringt Nirit Sommerfelds, das sich erkenntnisreich von Jugendlichen bis hin an Erwachsene richtet.
Martin Mittelmeier – Heimweh im Paradies
Wie oben schon erwähnt – Bücher über Thomas Mann gab es so einige in diesem Jahr. Heraus sticht dieses Buch von Martin Mittelmeier, der seinen Blick nicht nur auf Thomas Mann im Exil in Pacific Palisades beschreibt, sondern gleich auf die ganze Exilgemeinde von Theodor W. Adorno bis hin zu Arnold Schönberg und zeigt, welche Geistesblüten das Leben der Exilgemeinde dort an der kalifornischen Küste trieb.
Anja Kampmann – Die Wut ist ein heller Stern
Ich war nicht der einzige, der den neuen Roman Anja Kampmanns auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2025 erwartet hätte. Zwar wurden diese Erwartungen enttäuscht, alle anderen Erwartungen konnte das neue Werk der Lyrikerin vollumfänglich einlösen. Ein sprachmächtiger und sprachsensibler Roman, der sich ganz auf den Blick seiner Heldin einlässt und vom Erstarken des Nationalsozialismus in Hamburg erzählt.
Audrey Magee – Die Kolonie
Ein Highlight gleich zu Jahresbeginn lieferte die Audrey Magee mit Die Kolonie. Sie erzählt von einem Maler und eine Linguisten, die beide auf die gleiche irische Insel reisen – und sich in ihrer gegenseitigen Abneigung verbunden sind. Unlösliche Konflikte, Sprache als Konfliktfeld, dazu die Frage nach verschiedenen Formen von Kolonialismus – Magees Buch ist trotz seines historischen Rahmens voller aktueller Themen und dazu höchst unterhaltsam (und fein von Nicole Seifert übersetzt).
Annegret Liepold – Unter Grund

Das braune Franken ist Thema des Debüts der Schrifstellerin Annegret Liepold. Sie erzählt von der jungen Referendarin, die ein Zwischenfall während des NSU-Prozess zurück in ihre Heimat treibt und sie mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, in der Rechtsradikalismus eine zentrale Rolle spielte. Liepold blickt auf packende Weise auf die Verstrickung rechten Denkens im Landleben und das Abgleiten in den Extremismus.
Maria Messina – Sterne, die fallen
Kurzgeschichten haben es ja immer schwer auf dem Buchmarkt hierzulande. Dass die kurze Form aber ebenfalls Raum für Tiefe und Entwicklung lässt — und das vielleicht manchmal sogar mehr als in der Langform—, das demonstrieren die Erzählungen der Sizilianerin Maria Messina, die zum Glück auch durch hartnäckige Verlagsarbeit wie der der unabhängigen Friedenauer Presse langsam wieder neu entdeckt wird – Magnifico möchte man ausrufen.
Rachel Cockerell – Melting Point
Noch einmal Israel, diesmal in ganz anderer Form. Alleine aus Quellen wie Zeitungsartikeln, Tagebüchern und Briefen zusammenmontiert erzählt Rachel Cockerell ihre eigene Geschichte und wie diese mit der Geschichte des Zionismus zusammenhängt. Von Kischinau und den USA führen die Spuren der Weltgeschichte schließlich bis zu ihrer eigenen Familiengeschichte. So wissensprall und formstark war die Erforschung eigener Familiengeschichte selten.
Svealena Kutschke – Gespensterfische
Dass ausgerechnet der literarisch anspruchsvollste und erzählerisch stärkste Psychiatrieroman zugleich der war, der unter allen zumindest gefühlt am wenigsten Widerhall fand, es gehört zu den großen Ungerechtigkeiten dieses Literaturjahres. Aber nachdem man Fehler ja manchmal auch heilen kann, sei an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich auf Gespensterfische von Svealena Kutschke hingewiesen, der höchst gelungen von Wahn und Wirklichkeit erzählt — und von der dünnen Grenze, die diese Bereiche scheidet.
Arno Frank – Ginsterburg
Noch so ein unterrepräsentiertes Buch, das auch eine Nominierung angesichts der vielen Buchpreise verdient hätte. In seinem dritten Roman Ginsterburg blickt Arno Frank auf das Leben einer fiktiven Kleinstadt namens Ginsterburg, indem er die Kleinstadt dreimal hintereinander im Abstand von jeweils fünf Jahren besucht und so Dynamiken während der Zeit des „Dritten Reichs“ anschaulich offenlegt. Ein überzeugendes Buch, bei dem nur das Cover ein Totalausfall ist.
Clara Arnaud – Im Tal der Bärin
Gleich zwei Romane um menschlich-bärige Beziehungen gab es in diesem Jahr zu lesen. Beide sehr gelungen – Eingang in die Liste gefunden hat schließlich der Roman der Französin Clara Arnaud, die von Menschen im Tal und auf dem Berg in den Pyrenäen an der Grenze zu Spanien erzählt – und wie das Auftauchen einer Bärin das Leben der Figuren gehörig durcheinanderwirbelt.
Liz Moore – Der Gott des Waldes
Ein Thriller, wie ich ihn mir vorstelle. Clever gebaut, mit genauem Blick auf die Figuren und ihre Widersprüche, ein spannendes Setting und dazu noch verschiedene Zeitebenen, die Liz Moore kunstvoll miteinander verknüpft, um so aus dem Buch das Maximalmögliche herauszuholen. Ein Feriencamp in den Adirondacks, eine reiche Familie, verschwundene Kinder und der „Schlitzer“, der in den Wäldern umgeht.
Christoph Hein – Das Narrenschiff
Manchmal zu didaktisch, zu platt in der Erzählanlage, aber trotzdem dieser Anspruch, die Entstehung, Sein und Vergehen der DDR aus Sicht seiner fünf Figuren zu erzählen, die mit der sozialistischen Republik mitaltern. Das ist bestechend gemacht und erlaubt es, mit geradezu chronistischer Detailfülle nachzufühlen, wie es damals war hinter dem „antifaschistischen Schutzvorhang“ – Christoph Hein machts möglich!
Jehona Kicaj – ë
Ein Buch, das Rezensenten bei der Suche nach dem Sonderbuchstaben des ë wahnsinnig gemacht haben dürfte. Jehona Kicaj untersucht in ihrem Debüt, wie sich Kriegstraumata der Vergangenheit bis in die Körper der Gegenwart fortpflanzen – und wie knirschende Zähne von Sprachlosigkeit und Ohnmacht erzählen. Ein verheißungsvolles Debüt, das die Autorin da vorlegt. Und übrigens: Alt-Taste gedrückt, dann 0235 eintippen, und schon ist es da, das ë.
Tommie Goerz – Im Schnee
Noch einmal Franken, diesmal im Seethaler-Sound. Gelungen erzählt Tommie Goerz von einer einzigen Nacht, in der vieles zu Ende geht in dem kleinen fränkischen Dorf im Fichtelgebirge. Schorschs bester Freund ist tot, die Dorfbewohner halten Totenwache – und währenddessen ersteht noch einmal eine Welt auf, die schon im Verschwinden inbegriffen ist. Ruhig, klar, berührend, und das nicht nur im Winter.
Ralf Westhoff – Niemals nichts
Der Hinweis des Gegenübers, man habe da selbst ein Buch geschrieben, ob man nicht einmal hineinlesen möchte, er kann zu heiklen Situationen führen. Im Fall von Ralf Westhoff, der mir sein Buch in der U-Bahn auf dem Weg von der Leipziger Buchmesse nach Hause in die Hand drückte, ist alles gut gegangen. Denn sein Debüt um zwei Bauern im Kampf gegen die Schulden ist alles anders als nichts, sonder nicht anders als gelungen zu rühmen!
Welche Bücher und Themen bleiben für euch am Ende des Jahres? Was wird fortdauern, was uns noch länger begleiten? Ich freue mich auf eure Einschätzung!


















