Category Archives: Kriminalroman

J. Todd Scott – Weiße Sonne

Zurück im Big Bend County. Dort in der Einöde zwischen Texas und Mexiko bekommt es Sheriff Cherry und sein Team diesmal mit einer Gruppe Neonazis zu tun, die in Cherrys Bezirk eine Schneise der Gewalt und Verwüstung schlagen. Weiße Sonne von J. Todd Scott.


Es ist wirklich augenfällig. Auf den letzten Seiten dieses Romans greift der nach den Geschehnissen in J. Todd Scotts Erstling Die weite Leere zum Sheriff beförderte Chris Cherry zum Stift, um den langgehegten Traum eines Romans endlich anzugehen. Auch John Bassoff weist in seinem Nachwort auf diesen bemerkenswerten Umstand hin, geht Scotts Sheriff doch hier den umgekehrten Weg, den der Erschaffer der Figur selbst ging. Bevor sich Scott nämlich dem Schreiben zuwandte, arbeitete er als DEA-Agent im amerikanisch-mexikanischen Grenzland.

Nun gibt es mit Weiße Sonne den zweiten Roman rund um Chris Cherry und das Leben im Big Bend County zu lesen, geboren im Schatten von Scotts Erstling, wie es der Autor im Nachwort seines Krimis selbst beschreibt. Denn wo er für sein Debüt frei vor sich hin schreiben konnte, ohne Druck und Abgabefristen im Nacken, da hat Die weite Leere nun die Erwartungshaltung für einen zweiten Roman gesteigert.

Outlaws und Gesetzeshüter im Big Bend County

Tatsächlich verfolgt J. Todd Scott in seinem zweiten Roman einen ähnlich multiperspektivischen und handlungsreichen Ansatz, wie er es bereits bei seinem ersten Roman tat. So ist Sheriff Chris Cherry nur eine Person im Personengefüge der Ordnungsmacht. Neben ihm kommen auch seine Deputys, die mexikanischstämmiger América „Amé“ Reynosa und der erfahrene Ben Harper, in Erzählsträngen zu Wort. Erstere kämpft noch immer mit den Erlebnissen aus dem Vorgängerband und ihren familiären Verflechtungen mit den mexikanischen Kartellen, letzerer versucht Chris Cherry in der Sache ABT zu mehr Aktion denn Reaktion zu drängen. Bei der ABT handelt es sich um die Aryan Brotherhood of Texas, die ausgerechnet im kleinen Städtchen Killing eingefallen ist.

J. Todd Scott - Weiße Sonne

Im Falle eines ermordeten Flussführeres gelten die gefährlichen Männer als die Hauptverdächtigen. Doch richtig zu packen bekommt sie weder Chris noch seine beiden Deputys. Besonders Amé steht unter Druck, lastet die Begegnung mit einem mexikanischen Autodieb auf ihrem Gewissen. Denn sie schlug diesen im Affekt im gefesselten Zustand, während da dieser scheinbar kompromittierendes Wissen vor allem über Amés Vergangenheit besaß.

Gewalt gegen Gefangene, im Hintergrund lauernde Kartelle, eine Neonazi-Bande voller Outlaws und ein ermorderter Flussführer. J. Todd Scott führt einige Erzählstränge ein, die die Gesetzeshüter im Big Bend County mehr als herausfordern. Dazu erzählt Scott parallel auch noch aus der ABT-Vereinigung heraus, denn hier kommen sowohl die Outlaws als auch ein verdeckter Ermittler zu Wort, der eine ganz persönliche Agenda innerhalb der Gruppierung verfolgt.

Erneut ein multiperspektivischer Erzählansatz

Viele Personen und Erzählstränge also einmal mehr, die in einem großen und gewaltgeladenen Finale enden, dass über Murfee hereinbricht wie jene Regenschauer, die sich dort wenig später entladen.

J. Todd Scott mutet sich und den Leser*innen einiges zu, schafft es aber wieder, sein multiperspektivisches Erzählkonstrukt über die fast 500 Seiten nicht zum Einsturz zu bringen. Zwischen Outlaws, FBI-Agenten und Gesetzeshütern springt er immer wieder hin und her, bringt Rückblenden zum Geschehen in Die weite Leere und der Vergangenheit seiner Figuren an und findet darüber immer wieder Zeit für ruhige Momente und etwas Durchatmen, ehe das hochexplosive Finale dann startet.

Hierbei zeigt sich wie in der ganzen Anlage dieses Buchs, dass im Motorblock dieses Krimis ein Western alter Schule vor sich hinschnurrt. Der wüstenähnliche Schauplatz der Handlung, die verkommenen Verbrecher, die Gesetzeshüter um Chris Cherry, die sich den Bösen entgegenstellen, aber auch selbst nicht davor gefeit sind, die Grenze zum Unrecht zu überschreiten. Weiße Sonne hat all die Zutaten, die eine packende Lektüre ausmachen.

Mir imponiert die Unbarmherzigkeit, die J. Todd Scott seinem Ensemble zumutet. Hier löst sich eben nichts in Wohlgefallen auf, vielmehr ist dieser Krimi geradezu schmerzhaft konsequent und macht mit seiner ganzen Erzählweise Lust auf einen dritten Streich des schreibenden DEA-Agenten.


  • J. Todd Scott – Weiße Sonne
  • Aus dem Englischen von Harriet Fricke
  • Mit einem Nachwort von John Bassoff
  • ISBN 978-3-948392-71-0
  • 496 Seiten. Preis: 27,00 €
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Erin Flanagan – Dunkelzeit

Gunthrum, ein kleines Städtchen in Nebraska im Jahr 1985. Hier verschwindet die junge Peggy aus ihrem Elternhaus – und als Verdächtiger Nr. 1 gilt der geistig zurückgebliebene Hal. In Erin Flanagans Debütroman Dunkelzeit wird daraus aber leider weniger ein Krimi denn eine mittelmäßige Kleinstadtstudie, die man schon einmal besser gelesen hat.


„Glaubst du wirklich, dass sie verschwunden ist?“, fragte er.

Laura sah ihn verwirrt an. „Du etwa nicht?“

Milo zuckte die Schultern. „Klingt doch irgendwie komisch. Jemand verschwindet einfach so. In Gunthrum passiert das normalerweise nicht.“ Er sah Laura prüfend an. „In Gunthrum passiert überhaupt nie etwas. Vielleicht ist das ja genau das Problem.“

Erin Flanagan – Dunkelzeit, S. 138

Gunthrum ist ein Städtchen im Hinterland von Nebraska – und hier passiert wirklich nichts. Einmal im Jahr treffen sich die Väter, um in der Schule eine Benefizmatch gegen ihre Kinder auszutragen. Am Wochenende trifft man sich in den Partykellern, um dem Alkohol und dem Exzess zu huldigen. Aber recht viel mehr hat Gunthrum nicht zu bieten. Dass die junge Peggy hier verschwunden ist, das kann ihr Bruder ihr nicht wirklich verübeln. Hat sie sich mit einem jungen Mann aufgemacht, um dem tristen Alltag zu entfliehen?

Das Verschwinden der Peggy Ahern

Die Eltern verheimlichen die Abwesenheit der Tochter vor der eigenen Kirchengemeinde und erst allmählich verfestigt sich die Erkenntnis, dass es sich bei der Abwesenheit von Peggy nicht nur um ein kurzes Ausreißen handeln muss.

Erin Flanagan - Dunkelzeit (Cover)

Diesen Handlungsstrang, der aus der Sicht von Peggys kleinem Bruder Milo erzählt wird, kontrastiert Erin Flanagan um den Handlungsstrang, der vom Farmerpaar Alma und Clyle erzählt. Während er die heimischen Felder bewirtschaftet, bringt Alma mit dem Schulbus die Kinder von Gunthrum in die Schule. Drittes und fast vollwertiges Familienmitglied ist Hal. Dieser geistig zurückgebliebene Bursche wurde besonders von der in Sachen Sozialarbeit beschlagenen Alma unter ihre Fittiche genommen. Er hilft auf dem Hof aus und hat sich durch die Struktur auf dem Hof gut entwickelt.

Als Hal nun nach einem Jagdausflug wieder zu Alma und Clyle zurückkehrt, berichtet er von einer Hirschkuh, die er illegalerweise erlegt haben will. Sein Auto weist Beschädigungsspuren auf, Blut findet sich sowohl im Auto als auch bei ihm daheim. War es wirklich eine Hirschkuh oder hat Hal vielleicht etwas mit dem Verschwinden von Peggy zu tun? Je mehr Alma von ihm wissen will, umso mehr verwickelt sich der junge Mann in Widersprüche.

Als Krimi zu zäh, die Figuren zu platt

Erin Flanagan ist eigentlich Professorin für Englische Sprache und Literatur, die an der Wright State University in Ohio lehrt. Für ihr Debüt hat sie sich in meinen Augen vorgenommen, an den großen Klassiker Kaltblütig von Truman Capote anzuknüpfen. Ein Unterfangen, an dem sie sich gnadenlos verhebt. Denn obwohl sie sich viel versucht und das Buch auch mit dem Edgar Allan Poe Award für das beste Debüt ausgezeichnet wurde, so ist das Buch in meinen Augen nicht wirklich überzeugend.

Als Kriminalroman ist das Ganze deutlich zu zäh erzählt. Die Anlage des Buchs ist schon nach einigen Dutzend Seiten klar, aber so etwas wie Spannung kann Flanagan aus dieser Anlage nicht ziehen. Da ist die Perspektive um Milo, der sich zwar um seine Schwester sorgt, aber vorwiegend mit Teenager-Problemen befasst ist. Alma und Clyle schwanken zwischen Vertuschen der Tat Hals und Unsicherheit über das, was wirklich vorgefallen ist. Aber so wirklich bringen die Figuren keine Spannung ins Buch, da beide Seiten kaum mit Ermittlungen über das tatsächliche Geschehen befasst sind.

Die Polizei glänzt mit Abwesenheit, erst spät im Buch führt Erin Flanagan einen Privatermittler ein, der ohne juristische Handhabe einfach die Bewohner*innen Gunthrums vernimmt. Wer sich so etwas wie Spannung erhofft, der sieht sich aber angesichts des zähen Vorankommens im Plot schnell enttäuscht.

Auch ist das Handeln der Figuren bestenfalls küchenpsychologisch grundiert. So wird die „Mutterliebe“ von Alma für Hal damit erklärt, dass sie sich immer Kinder wünschte, nach mehreren Abgängen die Hoffnung auf Nachwuchs aber begraben hat und nun eben Hal als Ersatzkind bemuttert und abschirmt. Auch die anderen Figuren bleiben eher holzschnittartig, tragen keine großen inneren Konflikte aus – und selbst die Ermittlung und Überführung des Täters erfolgt doch recht unmotiviert und halbherzig.

Fazit

Als Krimi überzeugt Dunkelzeit somit leider überhaupt nicht. Eher ist es eine ruhige Studie des Gesellschaftslebens dort in Nebraska Mitte der 80er Jahre. Aber selbst das hat man schon besser gelesen, sodass Dunkelzeit kein packender Krimi ist und auch als Kleinstadtroman nicht wirklich funktioniert, da die Figuren allzu schablonenhaft und die Handlung zu müde und spannungsarm erzählt sind, als dass zumindest bei mir echte Begeisterung aufkommen konnte. Die Auszeichnung mit dem Debütpreis beim Edgar Allan Poe Award kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Mit diesem Krimi tritt die Professorin weder in die Fußstapfen von Edgar Allan Poe noch in die von Truman Capote. Leider enttäuschend.


  • Erin Flanagan – Dunkelzeit
  • Aus dem Englischen von Cornelius Hartz und Stefanie Kremer
  • ISBN 978-3-85535-145-9 (Atrium)
  • 368 Seiten. Preis: 25,00 €
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Kim Koplin – Die Guten und die Toten

Waffenhändler, Staatssekretäre auf Abwegen, eine toughe angehende Polizistin und mittendrin ein Parkwächter, der allen Grund hat, sich zu verstecken. Wie in einem Flipperautomaten lässt Kim Koplin in Die Guten und die Toten diese Figuren aufeinander los und erschafft einen hochtourigen Berlinthriller á la Johannes Groschupf.


Kim Koplin - Die Lebenden und die Toten (Cover).

Ein Parkhaus, irgendwo auf der Knesebeckstraße kurz hinter dem Savignyplatz in Berlin Charlottenburg. Hier schiebt der Parkwächter Saad Dienst. Das einzige, das in diesem heruntergekommenen Parkhaus funktioniert ist die Hanfplantage, die Saads Kumpel Mohammed auf dem uneinsehbaren Dach des Parkhauses pflegt. Ansonsten gibt es hier nicht viel Gründe, sein Auto abzustellen. Zwei Feuerlöscher, einer davon komplett kaputt, der andere „abgelaufen, als Deutschland zum letzten Mal Weltmeister wurde“, flackernde Röhren, schon seit Ewigkeiten herumstehende Limousinen und kaum Kundschaft. Saad kommt das Ganze zupass, schließlich meidet er das Licht der Öffentlichkeit.

Zusammen mit seiner Tochter Leila lebt er in einem winzigen Appartement im dritten Hinterhof irgendwo auf der Drontheimer Straße und verbringt die meiste Zeit in seiner Pförtnerkabine, wo ihm Leila tagsüber Gesellschaft leistet, wenn sie nicht im Kindergarten ist.

Saad, Leila, Nihal

Schon auf den ersten Seiten dieses unter Pseudonym verfassten Thriller machen Saad und Leila die Bekanntschaft mit Nihal. Sie ist eine angehende Polizistin, deren mangelnde Affektkontrolle sie des Öfteren in Schwierigkeiten bringt. So auch bei der ersten Begegnung mit Saad, der gerade von zwei Männern bedroht wird. Sie steht Saad bei – oder vielleicht auch eher er ihr. Am Ende gibt es auf alle Fälle gebrochene Rippen, auf eine Anzeige will Saad aber verzichten.

Zu dem Vater sagt sie: – Sie wollen keine Anzeige machen?

Statt zu antworten, macht er ein Lieber-nicht-Gesicht. Da ist etwas in seinem Blick. Bedauern.

-Seid ihr illegal?

Entfernt hört Nihal, wie über ihr die S-Bahn einfährt. Der Typ hebt die Hand, und dann gehe er und seine Tochter an Nihal vorbei.

-Tschüss, du, sagt das Mädchen.

Und Nihal fällt nichts Besseres ein, als zu sagen: -Tschüss.

Kim Koplin – Die Guten und die Toten, S. 18

So verläuft die erste Begegnung zwischen den Dreien, die nicht die letzte bleiben wird. Neben diesen Figuren führt Kim Koplin noch eine angehende Nachwuchsjournalistin, einen profitorientierten Waffenhändler und den Staatssekretär Phillipp Brasch (zwei I, zwei L, zwei P – wir nehmen, was wir kriegen können, so die Maxime des Vaters, obwohl es doch eigentlich drei P sind, aber sei’s drum) als Figuren ein. Sie alle verstricken sich gegenseitig in Abhängigkeiten und beeinflussen das Handeln der Anderen, und das kommt so.

Zwischen Waffenhandel und Hanfplantage

Waffenhändler Müller will einen Waffenhandel mit Saudis abschließen, Brasch soll für die Ausfuhrgenehmigung des fraglichen Containers sorgen. Die Journalistin Maja recherchiert in diesem Fall – und plötzlich wird Brasch aufgegriffen, als er Saads Parkhaus verlassen hat – mit einer Leiche im Kofferraum, von der er nicht wusste. Wie die Zusammenhänge sind, das macht Koplin recht schnell deutlich.

Was ihn oder sie interessiert, das ist vor allem die Interaktion, die in Die Guten und die Toten einem Flipper gleicht. Beständig wirken sich die Taten und das Agieren der Beteiligten auf die anderen Figuren aus. Saad versucht unbedingt, in Deckung zu bleiben (warum, das erklärt Koplin erst später), Nihal wittert, dass es eine Verbindung zwischen Brasch und dem Parkhaus und Parkwächter Saad geben könnte, im Hintergrund machen die Saudis Druck – was dann zu einem Showdown auf dem Dach des Parkhauses inmitten der Hanfplantage führen wird, bei der sogar eine Kettensäge eine Rolle spielt.

Koplin entwickelt seine Stränge souverän, führt seine Figuren unerbittlich zu dem Showdown und schafft es gelungen, den Figuren trotz des hohen Tempos und der permanent wechselnden Erzählperspektiven mit routiniert aus dem Ärmel geschüttelten Erzähltricks Tiefe und Plausibilität zu verleihen. Daneben überzeugt auch die Fähigkeit des Autors oder der Autorin, Dialoge zu gestalten und diese zur Charakterisierung seiner Figuren heranzuziehen. Eine große Kunst, auf die man im deutschsprachigen Krimi nicht allzu häufig stößt.

Fazit

Die Guten und die Toten ist ein wirklich schneller und hochtouriger Roman, der Gewalt, Sehnsucht, die große Politik, schmutzige Geschäfte und Hanfplantage mit Parkhaus verbindet, ebenso wie Koplin ganz unterschiedliche Figuren aus unterschiedlichen Milieus miteinander zusammenbringt. Die reduzierte und wohlgesetzte Schreibe Kim Koplins erinnert an andere Autor*innen aus der ersten Reihe dieses Genres, allen voran Jakob Arjouni, Simone Buchholz oder Johannes Groschupf, mit dem Koplin das Fach des Berlin Noir-Thrillers teilt (obschon das Ende des Romans eine Fortführung als Hamburg-Noir nahelegt). Eine echte Entdeckung, die Herausgeber Thomas Wörtche hier gemacht hat. Gerne mehr davon!

Auch Marcus Münterfering auf Spiegel Online ist begeistert, ebenso wie Dietmar Jacobsen auf Literaturkritik.de.


  • Kim Koplin – Die Guten und die Toten
  • ISBN 978-3-518-47312-2 (Suhrkamp)
  • 254 Seiten. Preis: 16,00 €
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Peter Papathanasiou – Steinigung

Gefährliche Kängurus, gesteinigte Lehrerinnen, Abschiebegefängnisse und mittendrin der griechischstämmige Ermittler Giorgios „George“ Manolis, der im Outback nach den Gründen für den grausamen Tod der Lehrerin sucht. In seinem Reihenstart macht Peter Papathanasiou gleich viel richtig und legt mit Steinigung einen Einstand nach Maß vor.


Australien ist reich an kriminalliterarischen Stimmen. Candice Fox, Chris Hammer, Loraine Peck, Jock Serong, Garry Disher, Jane Harper, Alan Carter, und und und. Nun präsentiert der Polar-Verlag eine weitere Stimme aus Down Under. Peter Papathanasiou wurde 1974 in Nordgriechenland geboren und als Baby von einer Familie in Australien adoptiert. Schon seine Großeltern mussten die Erfahrung von Flucht und Entwurzelung machen, als sie 1923 von der Türkei nach Griechenland übersiedeln mussten. Papathanasious Eltern selbst wanderten dann von Griechenland nach Australien aus und adoptierten ihn dort kurze Zeit später. Wenig überraschend schlagen sich viele dieser biografischen Facetten in Plot und Charakterzeichnung von Steinigung nieder.

Eine Steinigung im australischen Outback

So ist sein Detective Sergeant Giorgios „George“ Manolis ebenfalls griechischstämmig und bekommt es in seinem Fall gleich mit vielen Entwurzelten und Geflüchteten zu tun. Doch zunächst beginnt alles mit einem brutalen Mord im kleinen Städtchen Cobb im Outback von Australien.

Peter Papathanasiou - Steinigung (Cover)

Gefühlt mehr Kängurus als Menschen besiedeln diesen Ort, der langsam vor sich hin stirbt. Es gibt zwei Pubs im Ort, säuberlich getrennt nach Hautfarbe, aber verbunden im hemmungslosen Alkoholkonsum der Kundschaft. Auch Teile der Polizei sind dem Alkohol nicht abgeneigt, weshalb die Hinzuziehung von Manolis in einem besonders brutalen Mordfall Sinn ergibt.

So wurde die beliebte Lehrerin Molly Abbott tot aufgefunden. An einen Baum gebunden wurde sie gesteinigt. Eine ebenso brutale wie archaische Mordmethode, die die lokale Polizei vor Rätsel stellt. Schlecht ausgestattet und mit wenig fähigem Personal besetzt, ist die Hinzuziehung von DS Manolis ein mehr als logischer Schritt. Er soll vor Ort die Ermittlungen vor Ort betreuen und koordinieren. Dabei trifft er auf mal betrunken, mal abwesende Polizeimitarbeiter, alkoholisierte Zeuginnen und feindselige Stimmung.

Hoffnungslosigkeit vor und hinter den Gittern des Auffanglagers

Einziger Lichtblick ist der Constable Andrew Smith, den Manolis unter seine Fittiche nimmt. Als Aborigine und Homosexueller ist er in Cobb gleich zweifach stigmatisiert, kennt aber Land und Leute und hilft Manolis so bei seinen Ermittlungen. Dieser stößt auf Spuren, die ihn zum von der Bevölkerung despektierlich „Braunenhaus“ geheißenen Auffanglager für Geflüchtete in der Hitze des australischen Outbacks führen.

Hier gab Molly Abbott Unterricht und hier sitzen verzweifelte Menschen ein, die vielleicht etwas mit der archaischen Steinigung zu tun haben könnten. Manolis beginnt mit den Ermittlungen, die für ihn auch eine persönliche Note haben, schließlich stammt er selbst auch aus Cobb. Er erfährt die Hoffnungslosigkeit der Menschen vor und hinter den Gittern des Auffanglagers und ermittelt gegen viele Widerstände unbeirrt, um den Mörder Molly Abbotts zu überführen. Doch je tiefer er zum Geheimnis hinter dem Tod der Lehrerin vordringt, umso größer werden für ihn auch die Gefahren, die hier nicht nur von boxenden Kängurus ausgehen.

Ein gelungener Krimi mit dem Auge für soziale Probleme

Steinigung ist ein Roman, der sehr viel richtig macht. Gelungen schafft es Peter Papathanasiou , die von Alkoholismus und Hoffnungslosigkeit geprägte Stimmung dort im australischen Outback einzufangen. Der recht offen zutage tretende Rassismus gegenüber den Geflüchteten oder den Aborigines thematisiert er en passant, ohne dass das Buch zu moralinsauer würde.

Ebenso gelungen ist auch seine Perspektive auf das Einwanderungsdilemma und menschenunwürdigen Umgang mit Geflüchteten dort im Outback. Exemplarisch erzählt er über die Verdächtigen dort im Internierungslager von Gewalt, Hoffnungslosigkeit und den menschlichen Dramen, die sich dort hinter den Gittern abspielen. Damit beweist Peter Papathanasiou sein Auge für soziale Probleme, über die er aber auch den Krimi nicht vergisst.

Er entwickelt seinen Plot mit dem richtigen Tempo und findet neben den Ermittlungen auch noch Platz, um die vielfältige Tierwelt Australiens mit in seinen Krimi einzubinden. Wer vor der Lektüre von Steinigung Kängurus für niedliche und possierliche Tierchen hielt, der sieht sich nach dem Ende des Buchs eines Besseren belehrt.

Fazit

In Steinigung schafft Peter Papathanasiou die richtige Balance aus Plot und Atmosphäre, Spannung und aufrüttelndem Blick auf unseren Umgang mit Geflüchteten. Mit George Manolis schickt er einen melancholischen Ermittler in den Busch Australiens, der sich auch von durchgeschnittener Bremsleitungen und Verbindungen aus der Vergangenheit in seinen Ermittlungen nicht beirren lässt. Ein gelungener Krimi, mit dem sich Peter Papathanasiou auf der kriminalliterarischen Landkarte Down Unders einschreibt und dem gerne noch weitere Bücher folgen dürfen!


  • Peter Papathanasiou – Steinigung
  • Aus dem Englischen von Sven Koch
  • ISBN 978-3-948392-70-3 (Polar-Verlag)
  • 368 Seiten. Preis: 17,00 €
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James Kestrel – Fünf Winter

Dass es mal etwas länger dauern kann, mit einem Vorhaben, das kennt man aus dem eigenen Leben. Es kommt einem etwas dazwischen, die Bearbeitung des Sachverhalts dauert – und am Ende fragt man sich, waru es jetzt so lange gedauert hat. So krass wie im Falle von James Kestrels Krimi dürfte es aber kaum jemandem gehen. Denn bei der Aufklärung eines Doppelmordes auf Honolulu grätscht Detective Joe McGrady der Ausbruch des Zweiten Weltkrieg in seiner ganzen Härte dazwischen. Es wird Fünf Winter dauern, bis McGrady die Überführung des Täters gelingt. Dabei fordert die Mördersuche einen hohen Preis von McGrady ein. Aber in Sachen Unbeirrbarkeit macht diesem Ermittler wirklich niemand etwas vor.


Wenn Joe McGrady in letzter Konsequenz gewusst hätte, was jener Telefonanruf auslöst, den er trotz Dienstschluss noch abnimmt, er hätte es sich vielleicht doppelt überlegt. Aber so beginnt alles in James Kestrels Roman eigentlich ganz typisch an einem tropischen Tag Ende November des Jahres 1941.

Auf Bitte seines Vorgesetzten soll McGrady nach Dienstschluss noch die nächtliche Begehung eines Tatorts in der Nähe der Kahana Bay vornehmen. Dort in den Bergen Honolulus wurde ein Leichenfunde gemeldet, qualifiziertes Personal ist aber nicht in greifbarer Nähe. Und so schickt sein Chef Joe McGrady los.

Von Honolulu bis nach Yokohama

Der ehemalige Army-Angehörige ist irgendwann auf Honolulu gestrandet und steht jetzt im Dienst des HPD, des Honolulu Police Department. Wirkliche Erfahrungen als Mordermittler hat er keine, lediglich als Streifenpolizist war ein paar Mal mit Morden befasst.

James Kestrel - Fünf Winter (cover)

Als er nun nach einer kurvenreiche Fahrt in die Berge der hawaiianischen Insel am Tatort ankommt, merkt er schnell, dass es sich um keinen gewöhnlichen Mord handelt. Denn der junge Mann, der kopfüber in einem Stall aufgehängt wurde, wurde auch brutal ausgeweidet. Und dann stößt McGrady auch noch auf eine zweite Leiche einer jungen japanischstämmigen Frau, die ebenfalls brutal misshandelt wurde.

Als er Unterstützung anfordert, kommt es zu einem Schusswechsel mit einem Mann, der offenbar am Tatort aufräumen wollte. Trotz Restriktionen durch seinen Vorgesetzten beschließt der Detective, den spärlichen Spuren nachzugehen und stößt damit die Tür zu einem Fall weit auf, der ihm fast alles in seinem Leben kosten wird.

Denn nach dem nächtlichen Schusswechsel bekommt McGrady Wind von einem ähnlichen Mordfall auf einer benachbarten Insel. Er beschließt, den Spuren auch dort nachzugehen, handelt es sich doch allem Anschein nach um einen Täter, der ebenso brutal wie effizient vorgeht.

Als er auf der Suche nach dem Täter nach Hongkong weiterreist, wird er dort in der britischen Kronkolonie in Kowloon verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Zeitgleich kommt es zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auch dort vor Ort, als die Japaner Pearl Harbor bombardieren und Joe McGrady in japanische Kriegsgefangenschaft gerät. Damit bricht eine lange Zeit mit vier Wintern an, die den Ermittler allerdings nie von seinem Ziel abbringen, den brutalen Mörder zu überführen.

Eine wirkliche Odyssee

Es ist wirklich eine Odyssee, die James Kestrel seinem Helden Joe McGrady in Fünf Winter zumutet. Kestrel, der unter seinem wirklichen Namen Jonathan Moore ebenfalls im von Thomas Wörtche herausgegebenen Krimisegment bei Suhrkamp vertreten ist (und hüben wie drüben von Stefan Lux übersetzt wird), hat sich einen großen Handlungsbogen vorgenommen.

Die Reise, auf die sich McGrady begibt, um dem Täter Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, führt ihn von Honolulu über Hongkong nach Yokohama und schließlich zurück. Er wird fast alles verlieren, bleiben werden ihm doch zwei Gewissheiten, die zur Richtschnur seines Handelns werden.

Da ist zum Einen natürlich die Suche nach dem Täter, die er trotz Inhaftierung und zwangsweisem Aufenthalt in Japan nie aus den Augen verliert. Zum Anderen ist da aber auch Molly, mit der er auf Honolulu liiert ist und die er aufgrund der Mördersuche über Nacht verlassen muss. Diese Liebe lässt ihn aber auch in der Ferne nicht los, womit er natürlich etwas an Homers Helden Odysseus erinnert.

Dabei gelingt es James Kestrel die Schwüle des tropischen Honolulu ebenso einzufangen wie die beklemmende Atmosphäre des Bombardements der amerikanischen Truppen auf Tokyo.

Mit Fünf Winter beleuchtet James Kestrel das Thema des Zweiten Weltkriegs aus einer hochinteressanten Perspektive, ist die Kriegsgefangenschaft McGradys und dessen gleichzeitiger Verbindung zur japanischen Zivilgesellschaft doch ein Konflikt, der ihn die Auswirkungen des Kriegs mit den sprichwörtlichen zwei Herzen in der Brust erleben lässt. Wie er die Gräuel jener Zeit auf beiden Seiten einfängt, das beeindruckt.

Die Mördersuche selbst besticht eher durch Unbeirrbarkeit denn durch Raffinesse – aber wie es James Kestrel gelingt, seinen Bogen zu spannen, Krimi und Zeitgeschichte sowie die verschiedenen Stationen dieses Romans miteinander zu verbinden und dabei durchaus spannend zu erzählen, das ist wirklich gut gelungen und lässt auch die Auszeichnung mit dem Edgar Award 2022 folgerichtig erscheinen.

Fazit

Was der Suhrkamp-Verlag als gewaltiges Epos im Cinemascope-Format bewirbt ist in der Realität tatsächlich ein beeindruckender Bilderbogen, der durch seine exotischen Schauplätze, eindringliche Schilderungen der Kriegsgräuel und einen unbeirrbaren Helden Homer’schen Prägung besticht. Ein starkes Buch!


  • James Kestrel – Fünf Winter
  • Aus dem Englischen von Stefan Lux
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN 978-3-518-47317-7 (Suhrkamp)
  • 498 Seiten. Preis: 20,00 €
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