Tommy Wieringa – Dies sind die Namen

Man könnte meinen, Tommy Wieringa würde prophetische Gaben besitzen. Schon bevor im letzten Jahr die große Flüchtlingsströme schließlich über die Balkanroute auch bis nach Deutschland gelangten, legte er im Jahr 2012 den Roman Dies sind die Namen vor, der sich um die Fragen von Flucht und Identität dreht.

Der niederländische Autor erzählt darin in zwei Stränge aufgeteilt von einer Flüchtlingsgruppe, die sich durch ein verlassenes Nirgendwo schlägt, auf der Suche nach einem neuen Leben, und von Pontus Beg. Dieser versieht desillusioniert in der heruntergekommenen Stadt Michailopol seinen Dienst als Polizeibeamter. Dort hät er genauso wie seine Kollegen die Hand auf und verlebt seine Zeit, ohne dass wirklich etwas Aufregendes geschieht. Doch plötzlich stehen die abgekämpften Flüchtlinge vor ihm und bringen das ganze Leben in Michailopol durcheinander.

Geschickt verschränkt Wieringa die beiden Erzählstränge miteinander und verwebt Themen wie die Suche nach Identität und einem neuen Leben  in seine Erzählung. Während sich die Flüchtlinge vom Tod bedroht durch öde Steppen quälen und schier wahnsinnig werden, lässt Beg die Frage nach seiner eigenen Herkunft nicht mehr los. Kann es sein, dass seine Mutter Jüdin war und seine eigene Existenz damit in ganz neuem Licht erscheint? Wie Wieringa hier mit diesen Themen spielt, dies ist sehr gut gemacht!

Dem Autor von Bestsellern wie Joe Speedboat – Keine Zeit für Helden ist ein Buch gelungen, das mit seiner Aktualität und seiner schriftstellerischen Klasse zu überzeugen weiß. Nicht zuletzt da die Niederlande als diesjähriger Partner der Frankfurter Buchmesse fungieren, hoffe ich, dass diesem Buch große Aufmerksamkeit zuteil wird!

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Matthias Brandt – Raumpatrouille

Bonner Episoden

Matthias Brandt zählt zu den bekanntesten deutschen Schauspielern, egal ob als Polizeiruf-Kommissar Hanns von Meuffels oder in vielen preisgekrönten Filmen wie etwa Männertreu, In Sachen Kaminski oder Vor der Morgenröte. Als Schauspieler stand er anfangs noch im langen Schatten seines Vaters Willy Brandt, der als ehemaliger Bundeskanzler zu den überragenden Figuren der Bonner Republik zählte.

brandtDieses Verhältnis zu seinem Vater und seine Kindheitserinnerungen an jene Zeit, als die Stadt am Rhein die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland war, machen den Schwerpunkt des kurzen Erzählungsbandes Raumpatrouille aus. In großer Schrift gesetzt bietet das Büchlein 14 Episoden auf 160 Seiten. Die Geschichten sind – wie man sich ausrechnen kann – meist recht kurz und beackern die Erinnerungen des Ich-Erzählers, der wohl zum größten Teil deckungsgleich mit dem Autoren Matthias Brandt sein dürfte.

Seine Erinnerungen sind eine bunte, heterogene Mischung. Mal berichtet er von einem Besuch auf einem Volksfest mit seinem Vater und seiner Mutter inmitten einer Horde von Personenschützern, mal lässt er seine kindliche Freundschaft mit dem nebenan wohnenden Ex-Bundespräsidenten Heinrich Lübke aufleben. Er berichtet, wie Willy Brandt bei einem als Versöhnung gedachten Radausflug mit Herbert Wehner vom Rad fällt oder wie die Mondlandung 1969 den jungen Ich-Erzähler inspiriert und träumen lässt.

Brandts Geschichten sind eine bunte Sammlung von Vignetten aus der Zeit, als in den Wohnzimmern der geteilten Republik noch TriTop-Flaschen standen, Wim Thoelke im Fernsehen debütierte und James Last mit seinem Orchester in den Radios der Republik dudelte. Das Ganze ist sprachlich ganz solide gemacht und ist für mich ein Fall für die Kategorie nette Erinnerungen.

 

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Arne Dahl – Sieben Minus Eins

These, Antithese, Synthese

Mit seinem Krimi Sieben minus eins beginnt der schwedische Krimischriftsteller Arne Dahl eine neue Reihe um das Ermittlerduo Berger/Blom. Doch bis sich dieses Duo findet, vergehen im Buch erst einmal viele Seiten. Und diese gestaltet der Krimiautor nach dem bekannten Motiv der These, Antithese und schließlich der finalen Synthese.

Arne Dahl - Sieben minus Eins (Cover)

Es ist schwierig, über dieses Buch zu schreiben, ohne dabei die erzählerischen Kniffe oder Twists miteinzubeziehen, die einen großen Reiz und das wirklich Neue an diesem Roman ausmachen. Ausgangspunkt ist die Suche nach einem Serienmörder, der der Kommissar Sam Berger mit grenzenloser Verbissenheit nachgeht. Denn bislang sind drei Mädchen in Schweden verschwunden, doch niemand möchte einen Zusammenhang sehen, sogar Bergers Chef nicht. Doch der Kommissar lässt sich bei seiner Suche  nicht beirren und stößt in altem Archivmaterial auf eine verblüffende Fährte.

Schwedenkrimis gibt es gar viele, auch Arne Dahl trägt ja selbst mit seinem jährlichen Output viel zur Krimischwemme aus Skandinavien bei. Doch dieser Krimi ragt in meinen Augen aus dem Gros der Neuerscheinungen heraus. Nach seinem Krimiquartett um die OPCOP-Gruppe und deren länderübergreifenden Fälle (zuletzt Hass) und den elf Bänden um die A-Gruppe geht es Dahl nun wieder eine Nummer kleiner an. Er beschränkt sich lediglich auf zwei Ermittler, lineares Erzählen und einen Fall, der nur in Schweden spielt. Doch was er aus diesem reduzierten Setting macht, ist bei aller Konstruiertheit höchst spannend zu lesen und originell gemacht. Sein Beginn der Reihe um Berger und Blom ist von guten Einfällen durchzogen und weist nicht zuletzt einen fiesen Cliffhanger auf den letzten Seiten auf, bei dem man den zweiten Band um die schwedischen Schnüffler möglichst schnell herbeisehnt!

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Betrachtungen zur Longlist des Deutschen Buchpreises 2016

Longlist

Wie jedes Jahr ist es ein spannendes Ratespiel – welche Bücher haben es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft? Welche Titel wurden von der Jury prämiert, zu den zwanzig besten Neuerscheinungen in deutscher Sprache zu zählen?

Auch dieses Jahr war ich wieder höchst gespannt, als vor einer Woche die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2016 publiziert wurde, hatte ich doch damals, als der Preis ein paar Jahre alt war, meine Facharbeit in der Schule zum Thema Der Deutsche Buchpreis – zwischen Marketing und der Suche nach neuen Talenten verfasst. Seitdem treibt mich das Thema um und schlägt sich in meinem großen Interesse für den Preis und sein Prozedere nieder.

Doch was soll ich sagen – nach einem ersten Überfliegen der Liste herrschte bei mir Ratlosigkeit und Enttäuschung vor. Von den nominierten Titel hatte ich genau einen bereits gelesen und besprochen, und zwar Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. Der Rest ist Schweigen. Das Namen wie Sibylle Lewitscharoff oder Peter Stamm auf der Liste vertreten sein würden – geschenkt. Ansonsten allerdings herrscht bei mir große Ratlosigkeit. Kandidaten wie Martin Mosebach, Karen Duve oder der in einer Woche erscheinende Titel Die Toten von Christian Kracht fehlten gänzlich. Nur der S. Fischer-Verlag kann sich selbst feiern, stammt doch ein Viertel der Liste aus diesem Verlagshaus.

Es gibt viele Titel, denen ich es gegönnt hätte, auf dieser Liste zu stehen, dazu zählen die neuen Titel von Benedict Wells, Heinz Strunk oder Juli Zeh definitiv. Auch spannende neue Stimmen wie etwa die von Pierre Jarawan oder Johannes Ehrmann vermisse ich auf der Liste.

Natürlich könnte man argumentieren, dass sich die meisten der oben genannten Titel eh schon wie geschnitten Brot verkaufen und auf der Bestsellerliste stehen. Verkäuflichkeit ist hier für mich allerdings kein Argument – ich finde die neuen Bücher dieser AutorInnen sehr ambitioniert, gut geschrieben und im Kopf haften bleibend. Und Stamm oder Meyerhoff finden sich ja ebenso auf den Bestsellerlisten wieder. Die Klappentexte und Beschreibungen (und ja – auch viele der Cover), die nun dagegen von der Jury als beste des Jahres nominiert werden, sprechen mich leider kaum an.

So werde ich nun erst einmal abwarten, bis es die Büchlein mit den Leseproben aus den 20 Longlist-Titeln gibt, um mir selber ein vertiefenderes Bild zu machen. Bislang herrscht bei mir leider aber eher Desinteresse für diese Liste, lediglich den Augsburger Lokalmatador Thomas von Steinaecker (Die Verteidigung des Paradieses) und Philipp Winkler (Hool) möchte ich mir zum jetzigen Zeitpunkt mal etwas genauer ansehen. Auch werde ich dieses Mal wahrscheinlich die Möglichkeit eines Blind-Dates mit einem der AutorInnen der Liste wahrnehmen, da im Nachbarstädtchen eines dieser Lesungen stattfindet, bei denen einer oder eine der 20 Nominierten aus ihrem oder seinem Werk lesen wird. Vielleicht werde ich ja überrascht!?

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Elena Ferrante – Meine geniale Freundin

Wohl kaum ein Titel wurde schon vor Erscheinen so gehypt wie der vorliegende Titel Meine geniale Freundin der Italienerin Elena Ferrante (übertragen ins Deutsche von Karin Krieger). Der Suhrkamp-Verlag legte es seinen Mitarbeitern ans Herz, hunderte Rezensionsexemplare wurden unters Volk gebracht und zuletzt widmete sich Das literarische Quartett ebenfalls dem Titel. Was ist dran am #FerranteFever und dem Wind, der um das Buch gemacht wird?

Ferrante

Meine geniale Freundin ist der Auftaktband einer Tetralogie, in deren Mittelpunkt die Ich-Erzählerin Lenù und Lila stehen, beste Freundinnen seit Kindesbeinen an. Das Buch behandelt den Ursprung der Freundschaft zwischen den beiden italienischen Kindern, die in einem dampfigen und gewaltgeschwängerten Neapel der 50er Jahre ihren Anfang nimmt. Die beiden Mädchen wachsen miteinander auf und schweben permanent zwischen Freundschaft und Rivalität, die vor allem zunächst in der Schule zutage tritt. Lila erweist sich als blitzgescheit, hat sich selber Lesen und Rechnen beigebracht und avanciert zum unangefochtenen Klassenprimus. Dies ficht natürlich auch die junge Lenù an, die mit ihrer Freundin konkurriert und so auch zu schulischen Ehren gelangt. Da Bildung im ländlichen Süden in den 50er nicht den Stellenwert von klassischer Handwerksarbeit und Hausarbeit hat, müssen Lila und Lenù kämpfen, um weiter eine schulische Laufbahn verfolgen zu dürfen.

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