Joachim Vernau muss nachsitzen. Zumindest zieht es ihn wieder in die Schule, nachdem der klamme Rechtsanwalt eine Chance bekommt, sein Bankkonto wieder etwas ins Plus zu bringen. Er soll an einer Berliner Privatschule eine Jura-AG übernehmen, in der den Schülern die Materie von Recht und Rechtsprechung nahegebracht werden soll. Eigentlich eine leichte Aufgabe für den findigen Vernau, doch in der Realität stellt sich alles dann ein bisschen anders da. An der Schule herrscht eine gedrückte und fast feindselige Stimmung und Schüler und Lehrer scheinen Geheimnisse zu hüten. Brisant wird das Ganze, als Vernau dann auf Informationen stößt, dass eine Schülerin aus dieser Schule Selbstmord begangen hat.
Langsam durchdringt er die Mauern des Schweigens und folgt den Spuren eines mysteriösen Spiels, das die Schüler der Privatschule zu spielen scheinen. Kann in einem harmlosen Spiel der Schlüssel zum Tod des Schülers und dem Schweigen der Schule stecken?
Nach dem großen Wurf Das geraubte Leben des Waisen Jun Do, für das Johnson nicht nur viel Lob sondern auch den Pulitzerpreis zugesprochen bekam, gibt es nun Nachschub.
Abermals übersetzt von Anke Caroline Burger bietet Nirvana sechs Kurzgeschichten auf insgesamt 265 Seiten. Der geneigte Statistiker kommt hier auf eine Länge von durchschnittlich rund 45 Seiten pro Kurzgeschichte. Tatsächlich differieren die Geschichten beträchtlich, von 60 Seiten bis hin zu 30 Seiten reichen die Stories, die Johnson in seinem Band präsentiert.
Seine Geschichten sind doppelbödig – mal verweist eine Geschichte mit ein paar Worten auf eine andere Erzählung, mal wechselt er die Perspektive und schreibt aus der Sicht seiner Frau über deren Brustkrebserkrankung.
Ob als UPS-Auslieferer in einem von Hurrikanen völlig zerstörten New Orleans oder als uneinsichtiger ehemaliger Aufseher eines Berliner Stasi-Gefängnisses – stets findet Johnson ein originelles Setting und eine nicht minder passende Sprache. Seine Geschichten vermögen durch ihre Figuren und Lokalitäten überzeugen. Sogar nach Korea, wenn auch diesmal Südkorea, kehrt Johnson für eine Erzählung zurück.
Großartig erzählte Kurzgeschichten
Oftmals drängt sich bei mir beim Lesen von Kurzgeschichten bekannter Autoren der Eindruck auf, noch ein paar Restematerialen von Recherchen oder Romanentwürfen zu lesen. Mit dem Namen des prominenten Autors sollen Leser (und damit natürlich auch Käufer) angelockt werden, doch das Endprodukt vermag nicht zu überzeugen. Ganz anders nun Nirvana. Den Ton, den Johnson in seinen Kurzgeschichten anschlägt ist präsent, das Setting seiner Erzählung sehr originell und anders als bei mittelmäßigen Kurzgeschichten bleiben diese auch nach der Lektüre im Gedächtnis des Lesers (allen voran wohl Interessant!). Keine der sechs Geschichten ist schlecht und noch dazu gibt es obendrein eines der für meinen Geschmack ästhetisch ansprechendsten Buchcover des Jahres 2015.
Fazit: Eine der besten Story-Sammlungen, die ich in meinem Bücherregal aufbewahren darf!
Eine Badelandschaft soll in Berlin auf dem Schlossplatz gebaut werden – eine Badelandschaft, wie sie die Bundesrepublik noch nicht gesehen hat. Inmitten der megalomanischen Pläne ein einzelner Bundestagsabgeordneter, der mit seinen Kollegen im Aufsichtsrat sehenden Auges auf eine Katastrophe zusteuert.
Gestrandet auf einer Hallig
Das Buch von Nikolaus Breuel beginnt mit dem Stranden des namenlosen Bundestagsabgeordneten, dessen Boot in der Nordsee den Dienst versagt. Auf einer Hallig findet er Unterschlupf bei einer aus Berlin fortgezogenen Inselbewohnerin. Während der Politiker auf der Insel festsitzt, reflektiert er das Projekt der Badelandschaft am Schlossplatz in Berlin.
Dem Politiker Rödel – ein Freund des namenlos Gestrandeten -fiel nämlich plötzlich eine bahnbrechende Idee in den Schoß. Berlin brauche eine Badeanstalt, und zwar eine, bei der nicht gekleckert sondern geklotzt wird. Der Bürgermeister mag Schwimmen und auch die anderen Kollegen und Kolleginnen waren schnell Feuer und Flamme.
So beschlossen die Politiker den Bau dieser Badelandschaft, die Nordsee-, Ostsee- und Südseewellen bieten sollte. Dazu Wellen für Surfer, die Düfte der verschiedenen Regionen der Welt und Luxus für alle. Doch mit dem Voranschreiten des Projekts werden die Mängel des Großbaus immer offensichtlicher. Rohre wurden verlegt, von denen niemand weiß, wo sie herkommen oder welchen Zweck sie erfüllen sollen. Notausgänge wurden falsch verbaut, die Entlüftungsanlage tut nicht das, was sie soll, und Überschwemmungen sind an der Tagesordnung.
Eine Satire auf alle staatlichen Großprojekte
Bei allen Mängeln, die immer deutlicher zutage treten, verschließen die Politiker die Augen vor der Katastrophe, auf die sie zusteuern. Mehrmals fragt der Politiker ob der Eröffnungstermin gehalten werden kann – kollektives Grinsen und Schweigen ist die Antwort.
Mag es bei Nikolaus Breuel auch eine Badelandschaft sein, bei deren Bau alle Parteien versagen, so sind doch die Parallelen zum Bau des Berliner Flughafens oder der Hamburger Elbphilharmonie offensichtlich. Das Buch liefert eine Einsicht, welche Rädchen bei derartigen staatlichen Großprojekten ineinandergreifen und welche Dynamiken sich entwickeln.
Darüberhinaus versteht es der ehemalige hochrangige Manager aufzuzeigen, mit welcher teils schon absurden Zahlen die Politiker nicht nur beim Projekt der Badelandschaft jonglieren müssen. Die Rettung Zyperns wird im Buch genauso angeschnitten wie die Papierberge der Akten, durch die sich die Bürokraten von Brüssel bis Berlin wühlen müssen. So liefert das Buch Breuels einen interessanten Blick in das Gefüge der Macht und das System Politik.
Sprachlich formvollendet
Sprachlich weist Breuels „Schlossplatz, Berlin“ keinerlei Baumängel auf. Mit höchst anspruchsvoller Prosa kleidet er seine Erzählstränge aus.
Bei ihm schreiten die Menschen noch aus, Berlin scheint von einer „Kranmüdigkeit“ befallen zu sein und der Politiker Rödel wird bei seiner Kreisbereisung vom Wahnsinn befallen. Dies ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack, gerade wenn man nur kurzweilige Zerstreuung sucht. Wer aber bereit ist, sich auf Breuels Prosa einzulassen, der bekommt eine Satire geboten, die nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich vollauf zu überzeugen weiß.
Nachdem sie ihren letzten Einsatz im Dorf der Mörder nur knapp überlebt hat, will Sanela Beara eigentlich nichts mehr mit dem Streifendienst zu tun haben. Stattdessen büffelt sie lieber kräftig, um ihr Polizisten-Studium gut über die Bühne zu bringen. Doch trotz aller Ambitionen hat sie nicht die Rechnung mit dem KHK Lutz Gehring gemacht, der bei einem schwierigen Fall auf Sanelas Hilfe angewiesen ist. Ein Jäger hat in einem Waldstück die verscharrte Leiche eines kleinen Jungen gefunden. Eben dieser Junge wurde vor vier Jahren und entführt und trotz aller Ermittlungen konnte die Polizeidamals kein Lebenszeichen des Jungen geschweige denn Informationen über die Entführer ermitteln. Nun bietet sich für Gehring die Möglichkeit, den Cold Case aufzuklären, indem er auf die Hilfe von Sanela Beara zurückgreift, denn diese verbindet mit dem Jungen die kroatischen Wurzeln.
Gegen den Willen von Gehring beschließt Sanela sich undercover in das Haus einzuschleusen, in dem der Junge mit seiner Mutter wohnte. Denn offensichtlich lauern hinter der Fassade der Prachtvilla dunkle Geheimnisse, die die Familie des Opfers und die Besitzer der Villa lebten. Schon bald gleichen Sanelas Ermittlungen einem Drahtseilakt.
Eine unangepasste Ermittlerin
Mit Sanela Beara hat Elisabeth Herrmann neben ihrem Anwalt Joachim Vernau eine zweite große Figur geschaffen, die die Leser für sich einnimmt. Mit ihrem unangepassten Wesen, mit dem sie nicht nur den Kriminalhauptkommissar Gehring immer wieder auf die Palme bringt, bleibt sie im Gedächtnis der Leser.
Erreicht nicht die Klasse des Vorgängers
Leider muss ich konstatieren, dass Der Schneegänger mitnichten so packend gelungen ist wie Sanelas erster Fall Das Dorf der Mörder. Zwar vermag es Elisabeth Herrmann auch in diesem neuen Buch wieder gekonnt, Atmosphäre zu schaffen, leider trägt der Handlungsbogen nicht über die Dauer des Buches. Einige Längen haben sich in das Buch eingeschlichen – und auch an die Originalität von Das Dorf der Mörder reicht der Fall nicht heran. Stattdessen meinte ich eher des Öfteren eine bräsige Folge von Der Alte oder Der Kommissar zu lesen, als die beiden Polizisten in der Reichen-Villa ermittelten. Die Motive und Charaktere sind für meinen Geschmack leider zu stereotyp geraten (der geheimnisvolle Wolfsforscher, der abgefeimte reiche Villenbesitzer, der verschlagen-manipulatorische Zögling, etc.) und so bleibt mir nur die Hoffnung dass es bei Sanelas drittem Einsatz wieder bergauf geht!
Wer dem Roman (der trotz aller Mängel immer noch besser als die andere kriminelle Dutzendware ist) eine Chance geben möchte, erhält hier noch einen kleinen Teaser: Die Autorin Elisabeth Herrmann schildert höchstselbst den Plot von Der Schneegänger und gibt Einblicke in das Buch.
Viel Spaß beim Schauen und bei der Lektüre des Buches wünsche ich!
Christoph Poschenrieders Talent für Sprache ist bewundernswert. Nach seinem tollen Erstling Die Welt ist im Kopf und dem nicht minder geschickt konstruierten Der Spiegelkasten legt er nun mit Das Sandkorn ein Werk vor, das sich mit den beiden vorhergehenden Monographien mindestens messen lassen kann.
In seinem neuesten Roman erzählt der Münchner Autor von Jacob Tolmeyn, der in Berlin verhaftet wird, als er Sand in den Straßen der Stadt ausstreut. Im Verhör, das als Rahmenhandlung fungiert, erzählt Tolmeyn seine Geschichte, die zurück nach Italien führt. Dort sollte er nämlich zusammen mit seinem Schweizer Kollegen Beat Imboden die Werke der Staufer dokumentieren und kartografieren. Doch der Auftrag wird durch das Auftauchen der Italienerin Letizia, die die beiden Männer vor Ort unterstützen soll, mehr als verkompliziert. Denn ehe sie sich versehen finden sich die drei Charaktere in einem Geflecht aus Anziehung, Begehren und Tabus verfangen. Allmählich entspinnt sich im Verhör das ganze Ausmaß der Beziehungen zwischen den drei Menschen. Die Rollen, die sie im Drama spielen, werden klarer.
Poschenrieder ist ein großartiger Autor, dessen fein ziselierte Sprache wirklich Hochachtung verdient. Er schafft ein eindrückliches Porträt eines jungen Mannes, für den die Liebe grobe Fallstricke bereithält, das er in eine tolle sprachliche Form gießt.
Mit Das Sandkorn ist Christoph Poschenrieder ein in formaler und stilistischer Hinsicht wirklich großartiger Roman gelungen. Eine mediterran-lockere Atmosphäre durchzieht das Buch, welche die Gerüche und Geräusche so kurz vor dem großen europäischen Weltenbrand 1914 vortrefflich einfängt.
Fazit
Ein Leckerbissen für jeden Liebhaber guter Geschichten, die im Gedächtnis bleiben. Und für Liebhaber von ästhetisch ansprechenden Sprache natürlich ebenso!