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Thomas Savage – Die Gewalt der Hunde

Das kann man nun mit Fug und Recht einen zweiten Frühling nennen. Bislang war der amerikanische Autor Thomas Savage höchstens Eingeweihten ein Begriff, nun erfährt sein Werk Die Gewalt der Hunde eine Renaissance. Ursprünglich bereits 1967 erschienen ist hier ein wuchtiger Spätwestern zu entdecken, der durch die preisgekrönte Verfilmung von Jane Campion mit Stars wie Kristen Dunst und Benedict Cumberbatch momentan in aller Munde ist. Doch auch ohne die Verfilmung überzeugt die Buchvorlage und liefert Breitwandkino für den Kopf.


13 Romane hat Thomas Savage zeit seines Lebens verfasst, wie die kanadische Bestsellerautorin Annie Proulx in ihrem Nachwort zur Neuauflage erklärt.

Es ist der fünfte und für manche Leser, die Verfasserin dieses Nachworts eingeschlossen, der beste von Savages dreizehn Romanen, eine psychologische Studie voller Dramatik und Spannung, ungewöhnlich, weil sie ein Thema behandelt, das damals nur selten erörtert wurde – verdrängte Homosexualität, die sich als Homophobie in der männlich geprägten Ranchwelt äußert.

Annie Proulx in ihrem Nachwort zu Thomas Savage – Die Gewalt der Hunde, S. 327

Spätestens hier erschließt sich, warum Annie Proulx das Nachwort beisteuert, hat sie doch mit ihrer Kurzgeschichte Brokeback Mountain ein ähnliches Sujet behandelt, wenngleich auf ganz andere Art und Weise.

Zwei gegensätzliche Brüder

Thomas Savage - Die Gewalt der Hunde (Cover)
Die Gewalt der Hunde von Thomas Savage

Denn während sich bei Proulx die Liebe zwischen zwei Schafhirten im amerikanischen Westen entspannt, ist von Liebe in Thomas Savages Roman nur wenig zu spüren. Es sind die Brüder Phil und George Burbank, die die elterliche Farm im Nirgendwo von Montana fortführen. Phil ist ein bestechender Verstand zu eigen, er kann musizieren, durchblickt Sachverhalte schnell und lässt andere seine intellektuellen Fähigkeiten spüren. Ganz anders sein jüngerer Bruder George, dem ein sanftes Naturell zueigen ist und der sich in fast allen Belangen von seinem Bruder unterscheidet.

Das brüderliche Gleichgewicht gerät in bedrohliche Schieflage, als sich George entscheidet, eine Witwe aus dem benachbarten Städtchen Beech zur Frau zu nehmen. Hellsichtig erkennt Phil die Schwachpunkt in der Beziehung seines Bruders und nimmt dessen Frau subtil aufs Korn und macht ihr das Leben im elterlichen Haus zur Qual. Insbesondere der Stiefsohn von George nimmt in den Plänen von Phil eine entscheidenen Platz ein. Doch auch wenn er in Phils Augen schwach sein mag – der junge Mann weiß sich zu wehren und besitzt Standfestigkeit.

Brüderliche Treue und brüderlicher Verrat

Die Gewalt der Hunde ist ein Roman über brüderliche Treue und brüderlichen Verrat. Der Vergleich zu ähnlichen Paaren aus biblischem Kontext kann gezogen werden, doch dieser greift im Falle von Savages Roman zu kurz, wie ich übereinstimmend mit Annie Proulx urteilen würde. Der Roman ist die psychologische Studie zweier gegensätzlicher Männer, die ihre Gefühle auf ganz unterschiedliche Art und Weise artikulieren. George versucht sich an einem (zugegeben etwas hilflosen) Ausdruck seiner Gefühle, während Phil diese gegen sich richtet und aus dieser Unfähigkeit nur Bitterkeit und Verachtung zieht, die sich eben auch in seiner Homophobie und der Ablehnung alles „Weibischen“ wie der etwa der vom Stiefsohn angefertigten Papierblumen äußert.

Hochspannend, wie Thomas Savage von seinen so unterschiedlichen Brüdern und den wechselhaften Dynamiken auf der Ranch der Burbanks erzählt. Darüber hinaus gelingt es ihm auch, die Weite der Natur und die gleichzeitige Unbehaustheit in Figuren und Umgebung zu schildern. Auch erklärt sich durch die Schilderung der Natur der Titel, der auf den Psalm 22,21 rekurriert, in dem es heißt: „Entreiße mein Leben dem Schwert, mein einziges Gut aus der Gewalt der Hunde“. Ebenjene Hunde meint Phil in einer Felsformation in der Nähe der Ranch zu erkennen. Wer ebenfalls die Pareidolie der jagende Hunde im Gestein entdeckt, in der ist seines Respekts würdig, alle anderen verachtet dieser Mann.

Fazit

Mit Die Gewalt der Hunde ist Thomas Savage ein wuchtiges Buch gelungen, das ein gegensätzliches Brüderpaar in das Setting eines Spätwestern einpasst, der so auch im Liebeskind– oder Polarverlag hätte erscheinen können. Der Roman bietet verschiedene Deutungsebenen und ist für mich eine wirkliche Überraschung. In diesem Falle muss ich mich wohl bei Jane Campion für ihre Verfilmung bedanken, die das Werk von Thomas Savage auf diese Art und Weise dem Vergessen entrissen hat. Als preisgünstiges Taschenbuch ist es in der Übersetzung von Thomas Gunkeln nun bei btb erschienen. Ein wiederentdeckter Buchtipp, den man am besten vor den Genuss der Verfilmung setzen sollte.


  • Thomas Savage – Die Gewalt der Hunde
  • Mit einem Nachwort von Annie Proulx
  • Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
  • ISBN 978-3-442-77221-6 (btb)
  • 352 Seiten. Preis: 12,00 €

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Donald Ray Pollock – Die himmlische Tafel

Keine Hoffnung, nirgends. Donald Ray Pollock entführt in seinem dritten auf Deutsch vorliegenden Roman Die himmlische Tafel in eine Welt, in der Not, Elend und Gewalt dominieren. Eine triste Reise, mitreißend geschildert.


Alles beginnt mit dem Farmer Pear Jewett. Dieser legt mit seinen Söhnen einen protestantischen Arbeitseifer an den Tag. Bettelarm schuftet er mit ihnen Tag für Tag und hat sein großes Ziel vor Augen: einen Platz an der himmlischen Tafel, den er sich verhofft. In Kontakt mit dem Jenseits gerät er allerdings schneller als gedacht. Schon zu Beginn des Buchs verstirbt er und hinterlässt seinen drei Jungen keinerlei irdischen Besitz. Im ärmlichen Georgia beschließen die drei, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Orientierung verheißt ihnen dabei der Groschenroman Bloody Bill Bucket, der das Leben eines Outlaws beschreibt.

Die drei Brüder eifern ihrem Vorbild nach und beschließen, eine Bank zu überfallen. Doch bei einem Überfall soll es nicht bleiben. Und schon bald zieht sich eine Schneise der Gewalt und Brutalität durch ganz Georgia. Allerdings machen auch eine ganze Reihe von Bürgern Jagd auf die drei. Vom Playboy bis zum ausgeraubten Händler jagen alle möglichen Verfolger den Outlaws hinterher. Da wird es schwierig mit einem Platz an der himmlischen Tafel.

Eine Hymne auf den Dilettantismus

Die himmlische Tafel ist ein Buch, das den Diletantismus feiert und in allen Facetten inszeniert. Denn wenngleich man mit den Stichworten Outlaws, Banküberfälle und Fluch viel Hollywoodglanz á la Butch Cassidy and the Sundance Kid verbindet, besitzt Donald Ray Pollocks Buch nichts davon. Die Überfälle sind dilettantisch, die Verfolger stolpern oftmals eher über die eigenen Füße denn über die Gesuchten. Bis es zum (ebenfalls recht schlampig und fehlerhaft) durchgeführten Showdown kommt, vergehen viele hundert Seiten.

Diese Seiten sind randvoll mit Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Armut, die plastisch geschildert werden. So etwas wie Sympathieträger findet man in Roman eh kaum. Vielmehr zeigt Donald Ray Pollock Figuren, die denkbar weit weg sind vom amerikanischen Traum. Im Militär herrschen intellektuelle Ödnis, dumpf brodelndes Machotum und Homophobie, die Farmer schuften und arbeiten sich auf, ohne je einen Silberstreif am Horizont zu erahnen. Hochstapler, Huren und und Hallodris bevölkern das Pollock’sche Georgia 1917 en masse. So entsteht ein schmutziger Thriller, der das Tun und Treiben der drei Outlaws genau betrachtet, sich aber auch Zeit für etwas grimmigen Humor nimmt.

Fazit

Die himmlische Tafel ist ein Buch, das sehr explizit die Gewalt schildert, die die drei Brüder im Hinterland der USA hinterlassen. Dabei gelingt Donald Ray Pollock ein Buch, das eine Vielzahl von Figuren in den Blick nimmt. Eindringlich schildert er das Leben im amerikanischen Hinterland, das sich trotz des Jahres 1917 eher wie das 18. Jahrhundert anfühlt. Ein Buch mit hoher Plastizität, zurecht mit dem Deutschen Krimipreis 2017 ausgezeichnet und famos ins Deutsche übertragen von Peter Torberg. Eine echte Backlistperle aus dem Liebeskind-Verlag!


  • Donald Ray Pollock – Die himmlische Tafel
  • Aus dem Englischen von Peter Torberg
  • ISBN 978-3-95438-065-7 (Liebeskind)
  • 432 Seiten. Preis: 22,00 €
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Auf anderen Wegen

Jackie Thomae – Brüder

Ist es Schicksal oder sind nur wir allein für unser Leben verantwortlich? Wie prägen uns unsere Wurzeln? Was beeinflusst unser Leben? Was macht uns zu den Menschen, die wir sind? Die Fragen stellt sich wohl jeder Mensch an bestimmten Scheidepunkten seines Lebens. Die Antworten, die daraus erwachsen, reichen von banalen Feststellungen bis hin zu tiefgehenden philosophischen Gedankengängen, die man sich machen kann.

Auch Jackie Thomae hat sich diesen Fragen gestellt und liefert in Brüder den Versuch einer Antwort, die einen guten Mittelweg zwischen den beiden obigen Polen findet. Vor allem der Aufbau ihrer Versuchsantwort ist spannend.

Zwei Brüder, zwei Leben, zwei Welten

Wie wäre es, wenn man einen Bruder hat, von dem man gar nichts ahnt? Woraus der durchschnittliche ARD-Degeto/ZDF-Fernsehredakteur eine Schmonzette gestrickt hätte, die gerne in fotogener skandinavischer oder alpiner Welt abgedreht worden wäre, so wählt Jackie Thomae einen anderen Weg. Sie erzählt zunächst von Michael, genannt Mick, der mit seiner Mutter in Ost- und dann Westberlin aufwächst. Beginnend 1985 schaut Jackie Thomae auf Micks Leben, der sich in Slacker-Manier durch sein Leben schummelt. Mal schmuggelt er als Muli Drogen nach Berlin, dann betreibt er mit Freunden eine Bar/Disco/Club, die ordentlich Profit abwirft. Aber einen wirklichen Plan für sein Leben, den hat Mick nicht.

Ganz anders da Gabriel, den wir im zweiten Teil des Buchs kennenlernen. Er arbeitet als Architekt, entwirft sowohl für arme Slum-Bewohner als auch für reiche Autokratien Gebäude und Wohnstätten. Zusammen mit seiner Frau Fleur lebt er in London eigentlich ein Bilderbuchleben. Kind, Villa, Erfolg – alles da. Doch auch Gabriels Leben ist nicht so glatt wie das nach außen gepflegte Bild. Glatt und reibungslos, das sind allenfalls die Baupläne, die er entwirft.

Von ihrer Verwandtschaft ahnen beide Männer lange Zeit gar nichts. Der eine versucht sich in London zu assimilieren, der andere taumelt durch ein schmutziges Berlin, ohne viel zuwege zu bringen. Ihren Vater Idris, gemeinsamer familiärer Nenner der beiden, lernen wir als Leser*innen dann im Mittelteil des Buchs kennen. Dieser kam als junger Student aus dem Senegal in die DDR. In Leipzig durfte er mit anderen Afrikanern ein Studium absolvieren, der sozialistische Bruderstaat wollte sich von seiner besten Seite zeigen. Aus seiner Studienzeit in der Deutschen Demokratischen Republik gingen zwei Kinder mit zwei Frauen hervor. Ebenjener Gabriel und Mick, zu denen er dann aber in der der Folge keinen Kontakt mehr pflegte, sondern zurück nach Afrika ging.

Ein Triptychon

Wie gestaltet Jackie Thomae ihre Geschichte nun aus? Sie wählt als Bauplan ihrer Erzählung die Form eines klassischen Triptychons. Zunächst erzählt Thomae im Kapitel Der Mitreisende von Mick, ehe sie sich im Mittelteil Intermezzo Idris zuwendet. Im Anschluss bildet Gabriel im Teil Der Fremde den letzten Teil der Familienaufstellung, ehe ein Epilog im Jahr 2017 Brüder vollendet.

Auch wenn die Form eines Triptychons eine große Achsensymmetrie und Harmonie in der Erzählung naheliegt – abgesehen von der Seitenaufteilung ist diese Harmonie nicht gegeben. Im Falle von Mick erzählt sich Jackie Thomae in personaler Erzählperspektive grob chronologisch durch dessen Leben.

Bei Gabriel hingegen wählt sie eine völlig andere Erzählweise. Immer abwechselnd berichten Gabriel und seine Frau Fleur aus Ich-Perspektive aus ihrem (Ehe)Leben und machen so gegenläufige Betrachtungsweisen offenbar. Das ist in meinen Augen deutlich besser gelungen und besitzt mehr Tiefenschärfe, was aber zugleich eine gewisse Unwucht ins Buch hineinbringt. Gegen den starken Gabriel-Teil fällt der Mick-Teil doch ab (was auch damit zu tun haben könnte, dass ich Gabriel mit der gewählten Erzähltechnik deutlich näher komme).

Abgesehen von dieser gestalterischen Unwucht ist Brüder ein Roman, der jene eingangs erwähnten Fragen elegant und en passant abhandelt. Immer bleibt Jackie Thomaes Buch gut lesbar und treibt die Handlung voran. Auch die Fragen von schwarzer Identität behandelt Brüder, ohne groß aus dem erzählerischen Tritt zu kommen (was auch kongenial auf dem Cover wieder aufgegriffen wird). Alles fügt sich gut ein. Die Entscheidung, das Buch für den Deutschen Buchpreis 2019 zu nominieren, ist durchaus nachvollziehbar.

Mit Brüder gelingt Jackie Thomae ein wirklich unterhaltsamer, phasenweise wirklich einsichtsreicher und bestechender Familienroman der etwas anderen Sorte. Das Buch ist nicht unbedingt die Antwort, aber eine lesenswerte Ergänzung zu Paul Austers Lebensstudie 4,3,2,1.


Andere Meinungen und Eindrücke zu Jackie Thomae gibt es unter anderem auch hier bei Gérard von Sounds&Books, bei Deutschlandfunk Kultur und bei SWR 2 Kultur.

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